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Denkmal in Not: Dorfkirche Riethgen

Nie mehr beten unter Brettern!

Seit 30 Jahren wird die barocke Dorfkirche im thüringischen Riethgen restauriert. Die Menschen beten unter einer schützenden Zwischendecke und hoffen jetzt auf Hilfe.

Pfarrer Dr. Markus Hille (53) lässt den Blick durch den Kirchenraum schweifen und sagt: „Die Kinder kennen ihre Taufkirche nur mit diesem Gerüst. Ebenso die jungen Leute hier. Allein vom Hörensagen wissen Sie, was es oberhalb der Zwischendecke zu sehen gibt.“ Vor Jahrzehnten wurde sie in das baufällige Gotteshaus eingezogen, zum Schutz vor herabfallendem Deckenputz. Auch wenn schon viel an dem barocken Gebäude getan wurde – im Innenraum ist Hilfe immer noch nötig.

In der barocken Dorfkirche von Riethgen schützt seit über 20 Jahren eine Zwischendecke aus Holz die Kirchgänger vor herabfallendem Deckenputz.
Riethgen, Dorfkirche St. Trinitatis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
In der barocken Dorfkirche von Riethgen schützt seit über 20 Jahren eine Zwischendecke aus Holz die Kirchgänger vor herabfallendem Deckenputz.

Welchen Schatz mag der Kirchensaal über der Bretterdecke bewahren? Marianne Templin (77), seit Jahrzehnten im Gemeindekirchenrat engagiert, zieht einen Bilderrahmen aus einer Ecke der kleinen „Winterkirche“ unter der Westempore hervor. Auf den verblichenen Fotos sind Stuckkartuschen mit Malereien zu erkennen. „Das sind Embleme. Die Bildmotive mit dem jeweils beigefügten Spruch verstehen wir heute kaum noch. Ich bezeichne sie als den Riethgen-Code“, sagt Pfarrer Hille augenzwinkernd. Von der zweigeschossigen Westempore bis zur Chorwand erstreckt sich die Zwischendecke aus schlichten Holzbrettern und gibt keinen Blick nach oben frei. Nur knapp ist der barocke Kanzelaltar ausgespart, dessen oberer Abschluss seiner monumentalen Säulenarchitektur in der Decke verschwindet. Die hochwertig geschnitzten, lebensgroßen Holzfiguren des Moses und Johannes des Täufers lassen erahnen, um was für ein stattliches Gotteshaus es sich handelt.


Wann die Zwischendecke zum Schutz gegen die abfallenden Putzbrocken des schwer geschädigten Spiegelgewölbes eingezogen wurde, weiß niemand auf Anhieb zu sagen. „Über zwanzig Jahre muss es her sein“, sagt Marianne Templin, gebürtige Riethgenerin. Dafür erinnert sie sich noch sehr genau an den ersten Putzbrocken, der von der Decke herabfiel: „Das war 1963, kurz nach meiner Hochzeit. Zwei Jahre später war die Kirche gesperrt.“ Nach einem Blitzschlag 1955 waren Kirchendach und Turm noch repariert worden. Doch wie bei so vielen Kirchenbauten in der damaligen DDR war die Baupflege kompliziert, weil staatlich unerwünscht. Auch das Riethgener Gotteshaus war zum Abriss freigegeben. „Zum Glück fehlte dafür das Geld“, erzählt Vera Krauße, ebenfalls seit Jahrzehnten in der Kirchengemeinde aktiv. Erst kürzlich gaben die beiden engagierten Mitstreiterinnen Krauße und Templin die Verantwortung an die jüngere Generation weiter.

Langzeitbaustelle Dorfkirche Riethgen: Nordwand und Westgiebel müssen noch restauriert werden, dann wäre das Gotteshaus außen wiederhergestellt.
Riethgen, Dorfkirche St. Trinitatis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Langzeitbaustelle Dorfkirche Riethgen: Nordwand und Westgiebel müssen noch restauriert werden, dann wäre das Gotteshaus außen wiederhergestellt.

Die kleine Gemeinde stellt sich der Herausforderung


1993 bis 1995 wurde das undichte Dach der mittlerweile baufälligen Kirche instand gesetzt. Es war die erste Maßnahme der Kirchengemeinde, die endlich über das Schicksal ihres Gotteshauses mitentscheiden konnte. Den Menschen in Riethgen ist es bis heute der Mühe wert, ihre barocke Kirche zu retten. „Es ist ein kleines Dorf, aber die Menschen unterstützen die Arbeiten mit Spenden“, sagt die 73-jährige Vera Krauße von Stolz erfüllt. „Selbst diejenigen, die sonst nichts mit Kirche am Hut haben, steuern dazu bei.“


Als Herausforderung erwies sich der einsturzgefährdete Turm. Allein für ihn waren drei Bauabschnitte notwendig. „Wir ahnten, dass es mühsam sein würde. Allein schon wegen der Fördermittel, ohne die es die Kirchengemeinde nicht schafft“, berichtet der Architekt Sixtus Hermanns (61), seit 1991 mit der Restaurierung der Kirche betraut. 2015 wurde der Kirchturm in seiner ursprünglichen barocken Form fertiggestellt. Die Dorfbewohner empfinden ihn als hoffnungsvollen Meilenstein ihrer Kirchenrettung.

Pfarrer Markus Hille (l.) und Architekt Sixtus Hermanns besprechen die Maßnahmen für die barocke Kirchendecke. Ursprünglich war sie hellblau gefasst.
Riethgen, Dorfkirche St. Trinitatis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Pfarrer Markus Hille (l.) und Architekt Sixtus Hermanns besprechen die Maßnahmen für die barocke Kirchendecke. Ursprünglich war sie hellblau gefasst.

Daher möchte man es fast gutheißen, dass der Zustand der Spiegeldecke nicht zu sehen ist. Große Löcher geben
den Blick auf morsche Holzbalken frei, Rohrmatten sind zu sehen, die den abgeplatzten Deckenputz trugen. Risse durchziehen wie die Krakelüre auf einem alten Ölgemälde den Putz, die Malereien und den Stuck der rahmenden Kartuschen.

Mittlerweile ist Eile geboten, um dieses Zeugnis der 340-jährigen Geschichte des Kirchenbaus zu bewahren. Um die Kirche zu erhalten, bedarf es weiterer Anstrengung, um deren Unterstützung wir Sie bitten: 75.000 Euro werden benötigt, um das Mauerwerk der Südwand und des Westgiebels zu verfugen und zu verputzen. Dann ist der Außenbau endlich fertiggestellt. So könnten die Zimmermannsarbeiten an der schadhaften Unterkonstruktion der Spiegeldecke beginnen. Dafür sind 35.000 Euro veranschlagt. Im Anschluss daran können der Putz sowie die Stuckprofi le und die Farbfassung der Spiegeldecke restauriert werden, worunter auch die Kartuschen mit den emblematischen Malereien fallen – 130.000 Euro werden für die Maßnahmen gebraucht. Eine restaurierte Musterachse mit den Farbbefunden zeigt, worauf sich das Auge freuen darf.

Blick auf die baufällige Spiegeldecke oberhalb der schützenden Zwischendecke. Im Hintergrund ist die restaurierte Musterachse zu sehen.
Riethgen, Dorfkirche St. Trinitatis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Blick auf die baufällige Spiegeldecke oberhalb der schützenden Zwischendecke. Im Hintergrund ist die restaurierte Musterachse zu sehen.

Ein Zeugnis des Deutschen Ordens an der Unstrut


1661/62 wurde das Gotteshaus mit dem klangvollen Namen St. Trinitatis zu Ehren der Dreifaltigkeit Gottes erbaut. Die Geschichte des Dorfes an der Unstrut ist älter: Wie das benachbarte Günstedt mit seiner Wallfahrtskirche (s. MONUMENTE 1.2020, S. 58) gehörte Riethgen ab dem 13. Jahrhundert zur Komturei Griefstedt, einer Niederlassung im Verwaltungsbezirk des Deutschen Ordens. Sie wurde gegründet, weil keine Geringeren als die Landgrafen von Thüringen, Hermann II., minderjähriger Sohn der heiligen Elisabeth von Thüringen, und Heinrich Raspe, schwägerlicher Vormund, 1234 Riethgen und weitere Güter dem Ritterorden schenkten. Während des Dreißigjährigen Kriegs 1618 ‒ 48 hatte die Region zu leiden. Das Dorf wurde mehrfach verwüstet, die Vorgängerkirche zerstört. 1711 erhielt die Riethgener Pfarrkirche ihre barocke Ausstattung. Diese fällt in die Zeit, als Johann Adam Marschall von Bieberstein, 1701‒16 Verwalter der Komturei, anstelle der dort zerstörten Gebäude ein Schloss errichten ließ. Von all den Bauwerken des 1809 aufgehobenen Deutschen Ordens ist in Griefstedt nichts mehr erhalten. Umso wertvoller ist die Kirche mit ihren emblematischen Deckenmalereien. Ob sie sich nur auf christliche Tugenden beziehen oder auch auf den Deutschen Orden, werden Kunsthistoriker erforschen.

Die Aussagen der emblematischen Malereien in den Stuckkartuschen sind heute schwer zu entschlüsseln.
Riethgen, Dorfkirche St. Trinitatis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Die Aussagen der emblematischen Malereien in den Stuckkartuschen sind heute schwer zu entschlüsseln.

Im Kaltlicht der Scheinwerfer wirken die Farben der Spiegeldecke ungewöhnlich kräftig. Doch es lässt sich leicht vorstellen, wie das natürliche Licht den Kirchensaal erfüllt. Befreit von Gerüst und Zwischendecke werden die Kartuschen wie zarte Wolken im Himmelblau der Decke wirken und den Betrachter anregen, über die rätselhaften Botschaften der Malereien nachzusinnen. Die Menschen in Riethgen lässt die Hoffnung, nach drei Jahrzehnten bald nicht mehr unter einem Gerüst zu beten, gestärkt in die Zukunft blicken.


Christiane Rossner


Dorfkirche St. Trinitatis
Dorfstraße, 99638 Riethgen Der Ort an der Unstrut liegt ca. 6 km südlich von Weißensee und gehört zum Landkreis Sömmerda, Thüringen.

Um Voranmeldung für eine Kirchenbesichtigung wird gebeten: Beate Gödert, Tel. 036375 50286

Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende, die Dorfkirche von Riethgen zu erhalten.

Auch kleinste Beträge zählen!

Die Spiegeldecke der Kirche in Riethgen befindet sich in einem katastrophalen Zustand.
Riethgen, Dorfkirche St. Trinitatis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Die Spiegeldecke der Kirche in Riethgen befindet sich in einem katastrophalen Zustand.
 

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