Denkmalarten Technische Denkmale Streiflichter Handel Handwerk Ausgabe Nummer April Jahr 2021 Denkmale A-Z M
Historische Windmühlen in Deutschland – früher Wahrzeichen, technische Wunder und Lebensmittellieferanten. Welche Rolle spielen sie heute?
„Sie sind stationäre Maschinen – bewegen sich konstant und beruhigend. Allein die Kraft des Windes reicht aus, um die riesigen Mühlenflügel und die schweren Mühlsteine zu bewegen,“ schwärmt der Mühlenexperte Rüdiger Hagen (48).
Die Mühlenkultur hat eine lange Tradition. Schon im 9. Jahrhundert werden im afghanisch-persischen Grenzgebiet Windmühlen gebaut. Die Erfindung eines drehbaren Gehäuses bringt im 12. Jahrhundert Bewegung in die Entwicklungsgeschichte. Denn konstante Windkraft aus einer Richtung ist damals wie heute rar. Die Bockwindmühle ist der erste Typ, dessen Gehäuse in die Windrichtung eingestellt werden kann. In Deutschland wird eine solche Mühle im Jahr 1222 erwähnt: Sie soll auf der Kölner Stadtmauer gestanden haben. Im 14. und 15. Jahrhundert verbreitet sich die Turmwindmühle in vielen europäischen Ländern. Gerade Türme von Stadtbefestigungs- oder Burgmauern werden ab dem Mittelalter kurzerhand zu Windmühlen umfunktioniert.
Als technologisches Bindeglied zwischen Bock- und Turmwindmühle gilt die Paltrockwindmühle: Das drehbare Holzgehäuse stammt von der ersten und der Rollenkranz, auf dem der Bau ruht, von der zweiten Mühle. Schon Anfang des 15. Jahrhunderts werden in den Niederlanden auch die Kokerwindmühlen entwickelt, genau wie im folgenden Jahrhundert der Typ der Holländerwindmühle.
Bestehende Exemplare sind zum Beispiel der große Erdholländer in Wrixum auf der Insel Föhr oder der zweistöckige Galerieholländer im niedersächsischen Suhlingen – beides aktuelle Förderobjekte der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). Die Erfindung der Windrose im 18. Jahrhundert ist wegweisend: Das Flügelwerk stellt sich jetzt automatisch in den Wind, und bei Windwechsel muss der Müller den Mahlgang künftig nicht mehr unterbrechen.
Die eingefangene Windkraft nutzen die Menschen in flachen genau wie in hügeligen Teilen Deutschlands. Weithin sichtbar fügen sich die Windmühlen in die Landschaft ein und sind identitätsstiftende Landmarken. Gleichsam sind sie lange bedeutende Lebensmittellieferanten: für die Mehlsuppe am Morgen oder den Brotlaib am Abend. Noch 1895 existieren im Deutschen Kaiserreich mehr als 18.000 Windmühlen. Ab 1950 findet in der Bundesrepublik Deutschland allerdings das sogenannte „Mühlensterben“ statt: Viele Mühlen werden abgerissen oder verfallen.
1987 wird die Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung (DGM) e.V. gegründet. Das offizielle Format des „Deutschen Mühlentages“ startet 1994 und wird auch dieses Jahr wieder am Pfingstmontag realisiert, um die kulturgeschichtliche Bedeutung der Mühlen zu vermitteln. Denn Windmühlen sind nicht nur mahlende Maschinen (spätlateinisch: „molina“), sondern Kultur- und Technik- Denkmale. Der Antrieb, die Übersetzung und die Verarbeitungsmaschinen müssen funktionieren, gepflegt und gewartet werden – vor allem wenn sie Mehle oder Schrote herstellen. Seit 2016 setzt sich auch die Stiftung Historische Mühlen unter dem Dach der Deutschen Stiftung Denkmalschutz für den Erhalt und die Restaurierung historischer Mühlen ein.
Wenn der Wurm drin ist
Wenn die Maschine stillsteht, mag das der Technik helfen, aber für das Gehäuse ist Stillstand schädlich. In der Mühle in Wrixum zum Beispiel wütete der Holzwurm: „Und der hatte nicht wenig Hunger,“ erzählt die Bürgermeisterin Heidi Braun (60). Die Gemeinde kaufte die reetgedeckte Mühle 2016, um sie vor dem Verfall zu retten. Heidi Braun ist auch Vorsitzende des Wrixumer Mühlenvereins e.V. und ergänzt: „Unter dem Holzwurm haben wir fast mehr gelitten als unter Corona.“ Letztes Jahr wurde die Wrixumer Mühle sogar gesperrt.
Mittlerweile sind die zerfressenen Fußböden erneuert. Jedoch sind weder der Stillstand noch die Pandemie für den Erhalt förderlich: Denn die Gäste waren fast nur gefiedert. Darunter litt vor allem das Reet. Erneuert wurden mit der Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz seit 2016 auch die Kappe und die Windrose. Jetzt wird das Flügelkreuz mit den Flügeln restauriert. „So kommen wir unserem Traum einer produzierenden Mühle ein Stück näher“, hofft Heidi Braun. Eine Mühlen-Maschinenbau- Firma saniert die Mühle komplett.
Mühlenexperte Rüdiger Hagen macht die Planung, unterstützt bei der Aufarbeitung der historischen Maschinen und beim Bau der stählernen Jalousieflügel. Nach einem Brand der Vorgängermühle 1850 wurde die jetzige Mühle gebaut. Ausgestattet war sie ursprünglich mit Segelflügeln. Um 1900 brachte man Jalousieflügel an, die in den 1940er Jahren durch Bilauische Ventikanten (siehe Zeichnung oben) ersetzt wurden. Zuletzt war sie mit schlichten Gatterflügeln bestückt (siehe Bild oben). Im Winter 2016 mussten die Flügel wegen starker Windschäden demontiert werden.
Lebendiges Handwerk
„Eine umfassende und denkmalgerechte Restaurierung und Instandhaltung einer historischen Mühle ist aufwendig und teuer, aber jede Mühe wert“, sagt auch Anette Mittring (57), DSD-Referentin für Schleswig-Holstein. Nächstes Jahr plant die Bürgermeisterin Heidi Braun, die Wrixumer Mühle wieder als historische produzierende Schaumühle mit lebendigem Handwerk zu präsentieren. „Von der Getreidereinigung, dem Mahlen, über das Sichten bis hin zum Mischen des Mehls sind die vier Schritte der Getreideverarbeitung darstellbar – auch wenn nicht die komplette Technik aus den 1960er Jahren wieder eingebaut wird“, erklärt Hagen, der schon als Kind in der Mühle spielte. Er ist seit 17 Jahren als selbstständiger Müllerei- und Mühlenbautechniker tätig und hat bis heute deutschlandweit Mühlen auf 120 Baustellen betreut.
Seine Überzeugung ist es, dass die handwerklich mahlenden Mühlen ihren Wert mit der Produktion von Nischenprodukten wie Vollkornmehlen aus Getreiden wie Emmer, Einkorn oder Dinkel steigern können – auch wenn bisher nur fünf Prozent des Mühlenmarktes bei ihnen liegen und der Rest bei den industriellen Mühlen. „Historische Windmühlen treffen einen Zeitgeist,“ sagt Hagen. Gerade in der Corona- Krise standen Menschen Schlange, um noch Mehl zu bekommen. Sei es bei Rüdiger Hagens Windmühle Paula in Steinhude, der Meyer’s Mühle in Bardowick, die ausbildet und gewerblich produziert oder bei der Steprather Mühle Walbeck, die als Mitgliedsmühle der Müllergilde einen Fensterverkauf anbot.
Zusammen mit der Müllergilde bietet Rüdiger Hagen einen Mahlmüllerkurs an: ein Aufbaukurs für eine vorhandene Freizeitausbildung zur Unterhaltung einer Windmühle. „Wir nehmen Mahlgänge auseinander, schärfen Mühlsteine und mahlen Korn zu Mehl“, erzählt der 21-Jährige Jannik Westermann. Er ist Feinwerkmechaniker und Teilnehmer des Pilot-Projekts. Am Ende kann er eine historische Mühle semiprofessionell betreiben und marktfähige Produkte produzieren. Er ist bereits in der Windmühle Labbus in Sulingen aktiv. Sie stellte erst 1987 den kommerziellen Betrieb ein und lief schon damals bei flauem Wind mit Hilfe eines eingebauten Elektromotors.
Die Mühlensprache
Bis zu 24 Meter lang sind Windmühlenflügel: weithin sichtbar und optisch das prägendste Element. Früher kommunizierte der Müller über die arretierten Flügel mit seiner Umgebung. In Deutschland sind vier Stellungen bekannt. Heutzutage nutzen nur noch wenige Müller diese Tradition.
Am Wind mahlen
Letztes Jahr unterstützte die DSD die Sanierung und den Wiedereinbau der abgenommenen Kappe. Anfang 2021 erhielt der Galerieholländer einen neuen Mühlstein und ist startklar für die Produktion von Vollkornmehlen, die bald am Wind gemahlen werden sollen. Dr. Hans-Stefan Bolz (48), DSD-Referent für Niedersachsen: „Die Mühlentechnik der Mühle Labbus wurde in einer Zeitspanne von über hundert Jahren eingebaut und ist fast vollständig erhalten.“ „Aktuell ist die Sanierung und Wiedererrichtung der Flügel und Galerie geplant“, sagt Aileen Hansing. Die Pressesprecherin des Mühlenvereins Labbus e.V. ist überzeugt, dass die Mühlen nicht aus der Zeit gefallen sind. Der Verein strebt an, in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen zu werden. Zudem winkt ein Projekt mit einem windgemahlenen Produkt in Zusammenarbeit mit einem regionalen Spezialhersteller. Dann mal Glück zu!
Svenja Brüggemann
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Niedersachsen ist ein Land voller Mühlen. Obwohl viele dieser besonderen technischen Denkmale im letzten Jahrhundert nicht mehr benötigt und schließlich abgerissen wurden, ist vor allem die Region um die Flüsse Weser und Ems von einer einzigartigen Mühlenlandschaft geprägt. Man findet hier alle Gattungen und im Landkreis Emsland ein ganz besonderes Exemplar: die kombinierte Wind- und Wassermühle in Hüven nahe Papenburg.
Für den bundesweiten Mühlentag, der traditionell an Pfingstmontag stattfindet, ist die Oberahmer Peldemühle in "Frieslands schönstem Dorf" Neustadtgödens bestens vorbereitet: Sie hat wieder ein funktionstüchtiges Flügelkreuz mit Segeln und ist damit nach vielen Jahren erneut betriebsfähig.
Alte Mühlen beeindrucken, als technische Meisterleistungen oder prägende Landmarken. Wenn Wind und Wasser die Mühlenräder und Mühlenflügel in Bewegung setzen und sich die tonnenschweren Mahlsteine zu drehen beginnen, ziehen einen diese Bauwerke in den Bann.
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