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Neue Serie: Schein und Sein – Folge 1

Wenn Denkmale täuschen

Schein oder Sein – in der Denkmalpflege stellt sich diese Frage in vielfacher Hinsicht. Wir schauen hinter die Fassaden der Denkmale, denn heute wie früher ist Schönheit alles und dafür wird gerne getrickst.

Wo wurde schon früher hinters Licht geführt und werden wir heute auch noch getäuscht? Unsere Serie zum Thema gibt Antworten.

Lesen Sie Teil zwei unserer Reihe "Schein und Sein" hier.


Es weht der raue Wind des Nordens, einsam und anrührend steht in den Weiten Mecklenburgs ein Herrenhaus: Schloss Rossewitz, der früheste Barockbau in der Region, hübsch in seinen Proportionen, mit schmückendem Risalit und Dreiecksgiebel. Schon lange nicht mehr bewohnt, zu DDR-Zeiten endgültig vernachlässigt, ist das Denkmal nur noch ein Schatten seiner selbst: der Putz abgefallen, der Fassadenschmuck bröselig. „Aber wenn ich die Tür aufmachte“, erinnert sich Siegrid Freiheit (73), langjährige Führerin in Schloss Rossewitz und als dessen gute Seele weithin bekannt, „war das Staunen groß. Jedes Mal.“

Zarte Schönheit und Verfall so nahe beieinander: Illusionsmalereien im frühbarocken Schloss Rossewitz in Mecklenburg.
Rossewitz, Schloss © www.gutshaeuser.de
Zarte Schönheit und Verfall so nahe beieinander: Illusionsmalereien im frühbarocken Schloss Rossewitz in Mecklenburg.

Matsch und Einsamkeit draußen – innen empfängt Arkadien. An den vier Wänden des anderthalb Geschosse umfassenden Festsaals entführen Illusionsmalereien in andere Gefilde: Zartrosa-grün marmorierte Säulen und elegante Loggien erheben Anspruch auf Palazzo-Architektur. Der Effekt wirkt zuverlässig – bis heute und dabei schon Mitte des 17. Jahrhunderts von Bauherr Joachim Heinrich von Vieregge in Auftrag gegeben.


„Der Erbauer war viel auf Reisen, hat Italien geliebt“, weiß die Schlosskennerin. Er holte sich, nachdem er um 1655 an den Hof von Güstrow gerufen wurde, kurzerhand sein Land der Träume ins Eigenheim: „Illusionskunst vom Feinsten“, schwärmt Freiheit. Etwas strenger im Ton, aber durchaus anerkennend hielt 1893 auch der Güstrower Oberlandbaumeister Dr. Koch fest: „Im Geist der damaligen Zeit plastische Ausbildung in Malerei imitierend. Höchst interessante Wanddekoration.“ Doch schon damals war der Zustand offensichtlich nicht mehr der beste: „Vier in guter perspectivischer Malerei imitierte Loggien, die sicher einst bei guter Erhaltung der jetzt verblichenen Farben prächtig gewirkt haben dürften.“


So bedeutend sind die illusionistischen Malereien im Festsaal von Schloss Rossewitz, dass 2000 trotz des ruinösen Zustands des Gebäudes ein aufwendiges Restaurierungsprojekt begonnen wurde. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hatte zuvor ab 1994 maßgeblich bei der Sicherung des Daches geholfen. Man vermutet italienische Künstler als Schöpfer des Werks. Auch Dr. Koch hatte eine Ahnung: Die Malereien erinnerten ihn „an die in Italien zu dieser Zeit vorkommenden perspectivischen Architekturmalereien des Pozzo“.

Ein wahres Feuerwerk an Illusion im kleinen fränkischen Wiesentheid in der Pfarrkirche St. Mauritius. Geschaffen 1730 von Giovanni Francesco Marchini, Schüler des berühmten Andrea Pozzo. Die DSD förderte unter anderem die Restaurierung der Malereien.
Wiesentheid, St. Mauritius © Marie-Luise Preiss †, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Ein wahres Feuerwerk an Illusion im kleinen fränkischen Wiesentheid in der Pfarrkirche St. Mauritius. Geschaffen 1730 von Giovanni Francesco Marchini, Schüler des berühmten Andrea Pozzo. Die DSD förderte unter anderem die Restaurierung der Malereien.

Illusionsmalerei als Kunstwerk


Im Barock erlebte die Illusionsmalerei ihre Hochzeit, und Andrea Pozzo (1642–1709) war ihr Meister. Auf einem Fresko in Florenz in der Kirche Santa Maria Novella war sie 1428 das erste Mal aufgetreten, die wiederentdeckte Perspektive, die die Wandmalereien der Renaissance revolutionieren und die Pozzo zur Vollendung führen sollte. Pozzos mit Stichen illustrierte Anleitung zur Perspektive in Architektur und Malerei war über lange Zeit das grundlegende Handbuch für jeden, der sich in der Kunst des schönen Scheins versuchte. Scheinkuppeln waren seine Spezialität. Das berühmte Deckenfresko im Chor der Kirche Sant’Ignazio di Loyola in Rom, das er 1694 fertigstellte, gilt als sein Hauptwerk. Zum frommen Zwecke wolle er es schaffen, „die Augen zu betrügen“, so schreibt Pozzo. Reale Architektur sollte sich mit gemalter vereinen, der Kirchenraum den Himmel berühren und der Gläubige ins Göttliche blicken können. So manche der berühmten Decken in den Barockkirchen Süddeutschlands wären ohne Pozzos Werk nicht denkbar.


Auch in den Schlössern bediente sich der Adel der Tricks der täuschenden Malereien. Politische Selbstdarstellungen wurden zu grandiosen Gesamtkunstwerken. Decken zahlreicher Säle und Treppenhäuser werden bevölkert von Engeln und allegorischen Gestalten, die den Ruhm des Bauherrn bekunden sollen. Allegorien, die sich – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – aus der Nähe betrachtet als verzerrte Wesen herausstellen. Die Perspektivmalerei erfordert nach komplizierten Berechnungen Verkürzungen und Längungen. Das Trompe l’OEil, die „Augentäuschung“, Produkt der Mathematik und doch so voller Kunst, war zur Ausdrucksform einer ganzen Epoche geworden. Dabei ist das Spiel mit der Täuschung in der Architektur schon so alt wie die Baukunst selbst.

Dem barocken Schlossbau war Symmetrie heilig: Scheintüren wurden vor die Wände gesetzt – wie hier im Mannheimer Schloss. 
Mannheim, Schloss © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg / Arnim Weischer
Dem barocken Schlossbau war Symmetrie heilig: Scheintüren wurden vor die Wände gesetzt – wie hier im Mannheimer Schloss.

Ein beliebtes Motiv bei der gemalten Illusion ist die Scheintür: Schon die alten Ägypter malten Scheintüren ins Jenseits, in Pompeji gibt es Wandgemälde mit scheinbar halb geöffneten Türen, und auch in den Arkadien der Renaissance weisen Scheintüren den Weg aus der Realität. Im Barock wurde der heiligen Symmetrie wegen in zahlreichen Festsälen der Trick der Scheintüren, dann allerdings echt in Holz und mit Rahmen, verwendet. Scheintüren am Ende von Enfiladen erzeugten eine unendlich erscheinende Größe des Bauwerks und des Ruhms seines Erbauers.


Materialimitate: Stein und Schein


Sinnestäuschung und Illusion – das gab es auch andernorts. Schloss Augustusburg in Brühl, ab 1725 als Residenz der Kölner Kurfürsten errichtet, ist steingewordene höfische Pracht. Im Treppenhaus wurden in feierlichen Zeremonien Gäste empfangen, geblendet von Quadratmetern wertvollen Marmors an Wänden und Säulen. Im 20. Jahrhundert begrüßte hier auch die Regierung der Bundesrepublik ihre Staatsgäste. Wer von ihnen ahnte wohl, dass die atemberaubende Pracht des Treppenhauses ein Produkt aus Gips, Leim und Farbpigmenten ist?


Die Kunst des Täuschens ist eine Wissenschaft für sich. Diplom-Restauratorin Christina Verbeek (50) erläutert: „Im Barock entwickelte sich die Technik des Stuckmarmors zu einer Meisterschaft.“ Nicht das Material ist wertvoll, es ist die Arbeit, die in den Wänden und Säulen steckt. Verbeek: „Viele Arbeitsschritte sind notwendig: Zuerst müssen die Zutaten vermischt und unterschiedlich gefärbte Stücke in Gips und Pigmenten gerollt werden. Mit der Hand werden dann die charakteristischen Marmorschlieren eingeknetet oder als Adermasse eingespritzt. Nachdem Scheiben von der Masse aufgetragen wurden, muss viele Tage lang die Oberfläche abgeschliffen werden. Immer wieder, mit immer feineren Schleifsteinen.“

Etikette und Stuckmarmor gingen in Schloss Augustusburg, Residenz der Kölner Kurfürsten, eine prunkvolle Allianz ein.
Brühl, Schloss Augustusburg © Florian Monheim / Bildarchiv Monheim
Etikette und Stuckmarmor gingen in Schloss Augustusburg, Residenz der Kölner Kurfürsten, eine prunkvolle Allianz ein.

Es ist eine Werkstoffimitation, aber gleichzeitig schöpferisches Kunsthandwerk ganz im Sinn des barocken Menschen. Der Träger: banale Lattenkonstruktionen oder grobe Mauern. Das Material: billig. Das Ergebnis: edel. Der Natur konnte ein Schnippchen geschlagen werden. Restauratorin Verbeek: „Mit Stuckmarmor lassen sich ganz nach Bedarf und Raumzweck Farbkombinationen herstellen, die es beim echten Stein so gar nicht gibt.“


Anderes vorzutäuschen, als vorhanden ist, dazu dienten auch weitere Materialimitate wie der Stuccolustro: eine Alternative der Marmorimitation, mit dessen Technik sogar schon die Villen der römischen Antike aufpoliert wurden. Etwas besonders Kurioses finden wir in Schloss Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern. Herzog Friedrich fehlte 1770 für seine repräsentative Residenz das Geld. So bediente er sich beim Schmuck der Schlossräume eines Tricks: Die halbe Innenausstattung wie Kapitelle, Girlanden, Wandleuchter und der Deckenschmuck besteht aus Pappmaché. Der festliche Goldene Saal – ein Werk aus Papier und Leim. Selbst scheinbar steinerne Büsten im Schlosspark entpuppen sich bei näherer Untersuchung als eine wetterfeste Papier-Mixtur. Eine Täuschung, die so viel Aufsehen erregte, dass sie eine Attraktion wurde – und immer noch ist.

Ein Restaurator kümmert sich um die Ausstattung von Schloss Ludwigslust, die zum großen Teil aus Pappmaché hergestellt wurde.
Ludwigslust, Schloss © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Ein Restaurator kümmert sich um die Ausstattung von Schloss Ludwigslust, die zum großen Teil aus Pappmaché hergestellt wurde.

Die Schönheit als Schau


Eine Epoche, die sich das Imitat zur Seele gemacht hat, ist der Historismus. Er zitierte die Baustile quer durch die Geschichte, machte den Schein gänzlich zum Sein. Ein Prachtstück ist das neogotische Schloss Drachenburg in Königswinter bei Bonn, theatralisch im Siebengebirge über dem Rhein gelegen. Es ist ein Denkmal der Selbstdarstellung. Erbaut wurde es von Stephan von Sarter, einem Bonner aus einfachen Verhältnissen, der es in Paris an der Börse zu Reichtum und Titel gebracht hatte. Gelebt hat er wohl nie in seinem repräsentativen Schloss, aber Schönheit und Qualität des Bauwerks tut dies keinen Abbruch. Gut hundert Jahre nach der Fertigstellung des Bauwerks 1884 setzte ein neuer Besitzer der Schau die Krone auf: Die Orgel im zentralen Musikzimmer von Schloss Drachenburg ist selbst für historistische Verhältnisse ein Höhepunkt an Scheinarchitektur.


Paul Spinat, ein ausgesprochener Exzentriker, hatte das Schloss 1971 gekauft und seine Architektur – ganz im Sinne des Erbauers – als Bühne genutzt. Seine Orgel: bloßer Trug. Nie war sie als Instrument gedacht, die Pfeifen vermutlich einfache Regenrohre. Konzerte gab der Schlossherr dennoch, doch die Musik kam vom Tonband. Es soll vorgekommen sein, dass der falsche Organist sich noch während des Konzerts auf der Empore verbeugte. 

Die falsche Orgel im Musikzimmer von Schloss Drachenburg – bei Konzerten kam die Musik vom Band.
Königswinter, Schloss Drachenburg © Christoph Fein / Schloss Drachenburg gGmbH
Die falsche Orgel im Musikzimmer von Schloss Drachenburg – bei Konzerten kam die Musik vom Band.

Schein und Sein lagen wie so oft nah beieinander, denn Spinat organisierte eine hochkarätige Konzertreihe, belebte sein geliebtes Schloss mit Kunstausstellungen – auch Andy Warhol kam – und erhielt die vernachlässigte Bausubstanz mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Das war Grundlage für die spätere umfangreiche Rettung des Schlosses durch die NRW-Stiftung, auch unterstützt von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Heute ist Schloss Drachenburg strahlendes Manifest einer Epoche und fest verankert im Bild des Siebengebirges mit seiner langen Historie. Die falsche Orgel von Paul Spinat ist dabei selbst schon Geschichte geworden. Sie wurde bei den letzten Restaurierungen konserviert.


Beatrice Härig



Lesen Sie Teil zwei unserer Reihe "Schein und Sein" hier.

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