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Was geschieht mit unseren Innenstädten?

Vom Wandel des Handels

Es war ein weiter Weg vom heruntergeklappten Laden des Handwerkers im Mittelalter bis zu den glitzernden Konsumtempeln am Ende des 19. Jahrhunderts. Die architektonischen „Zeugnisse der Wirtschaftsgeschichte“ sind Manifestationen der europäischen Stadt als Ort des Handels. Wie geht es nun im 21. Jahrhundert weiter mit ihnen und unseren Innenstädten?

Sie hatten ihre Hochzeit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts: die glitzernden Tempel des Konsums. Der Glamour der vergangenen Tage, er glüht an vereinzelten Standorten noch auf: Verführerisch, weltläufig und edel, so wie sich die Warenhäuser erfunden haben, präsentieren sich nur noch die ganz Großen wie das Lafayette in Paris, Macy’s in New York, das GUM in Moskau. Und das KaDeWe in Berlin, das sich gerade für die Zukunft noch schicker macht. Wie fragil sie sind, erleben wir nicht erst in diesen Corona- Zeiten durch den Einbruch im Einzelhandel, durch die massive Verlagerung des Handels aus dem realen Ort ins Internet. Die Folgen sind nicht nur wirtschaftlich relevant. Es geht auch um das Erscheinungsbild unserer Innenstädte und um unser Verständnis der europäischen Stadt.

1913 eröffnet, 2009 geschlossen: Das Kaufhaus in Görlitz ist eine architektonische Schönheit, hat aber keine Kunden mehr. Das Foto stammt von 1985 aus seiner Zeit als Centrum-Warenhaus.
Görlitz, Kaufhaus © ullstein bild / Kitte
1913 eröffnet, 2009 geschlossen: Das Kaufhaus in Görlitz ist eine architektonische Schönheit, hat aber keine Kunden mehr. Das Foto stammt von 1985 aus seiner Zeit als Centrum-Warenhaus.

Das Kaufhaus als Konsumtempel


Seit 1879 betrieb der Kaufmann Leonhard Tietz in Stralsund ein kleines Textilgeschäft und legte damit den Grundstein für den Kaufhof-Konzern. In Wismar eröffnete 1881 Rudolph Karstadt sein erstes Ladengeschäft. Ihre Filialen mit demselben Prinzip eroberten schnell die Städte: Auf mehreren Geschossen boten die neuartigen Warenhäuser in großzügigen Räumen eine ungeheure Spannbreite an Produkten an, der Kunde konnte die ausgestellte Ware eigenhändig begutachten und wurde von geschultem Verkaufspersonal betreut. Festpreise bei direkter Bezahlung und das damals revolutionäre Prinzip der Umtauschmöglichkeit erlaubten den Betreibern die Mengenbestellung und sichere Kalkulationen. Ebenso revolutionär: Der Besuch im Kaufhaus stand allen Gesellschaftsschichten offen.


Mit den Warenhäusern wurde das Einkaufen zum Stadterlebnis. Die saisonalen Inszenierungen der Schaufenster und besondere Einkaufserlebnisse – bis heute weltweit unerreicht die Thanksgiving-Parade von Macy’s in New York – lockte die Besucher an. Die Gestaltung der Warenhäuser war spektakulär. Elegante Fassaden umfassten mehrere Stockwerke, über 20 Meter hohe Lichthöfe boten Platz für bombastische Treppeninszenierungen. In Deutschland hatte Alfred Messel als Architekt der ersten Berliner Wertheim-Häuser Standards gesetzt. Die kleineren Städte zogen nach. Die Architektur der Warenhäuser ging mit der Zeit, sie war wie deren Sortiment immer up to date. Die Warenhaus- Kette Schocken warb in den 1920er-Jahren in mehreren Städten mit elegant geschwungenen Fassaden für sich. Für Chemnitz entwarf Erich Mendelsohn 1930 eine Filiale, deren Fensterreihen in der Dämmerung als Lichtbänder besonders futuristisch und modern daherkamen.


Schmuckstücke des großflächigen Einzelhandels früherer Zeiten, wie das ehemalige Pianohaus Döll in Halle an der Großen Ulrichstraße von 1898, stehen selbstredend unter Denkmalschutz. „Es gehört zu den wertvollsten Beispielen Hallenser Architektur“, erläutert Dr. Eckhard Wegner, Referent der Abteilung Denkmalförderung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz für Sachsen-Anhalt. „Stilistische Tendenzen des Jugendstils, des Historismus, sogar fernöstliche Motive finden sich wieder. Außerdem liegt es an herausragender städtebaulicher Stelle in der Altstadt. Als die Nordfassade 1993 restauriert wurde, beteiligte sich unsere Stiftung.“

Imposante Fensterfronten, Mosaiken und ein reich verziertes Gesims: Das ehemalige Pianohaus Döll in der Großen Ulrichstraße in Halle, 1912 erbaut, gibt sich auch als Einzelhandelsgeschäft mondän.
Halle, ehem. Pianohaus Doll © Stefan Beetz / sbeetz.com
Imposante Fensterfronten, Mosaiken und ein reich verziertes Gesims: Das ehemalige Pianohaus Döll in der Großen Ulrichstraße in Halle, 1912 erbaut, gibt sich auch als Einzelhandelsgeschäft mondän.

In den Mittel- und Kleinstädten ist die prachtvolle Kaufhaus-Zeit schon länger vorbei. Im Warenhaus in Görlitz zum Beispiel – mit seiner beeindruckenden Arkaden-Fassade von 1913, dem überglasten Lichthof der Superlative, der 1a-Lage neben der Frauenkirche – gibt es seit 2009 keine Ware mehr. Eintritt erhalten seit Jahren nur noch Filmproduktionen, weltberühmt wurde es als Kulisse im Film „Grand Budapest Hotel“. Das Görlitzer Kaufhaus ist einzigartig und in seinem jetzigen Leerstand doch nur Beispiel für so viele andere Warenhäuser. Für eine sinnvolle und aktive Nachnutzung müssen neue Formate entwickelt werden.

Stadtbildprägend – nicht immer im Guten


Schon allein durch ihre physische Größe haben die Warenhäuser seit ihrem Bestehen die Städte geprägt. Wenn auch nicht immer zum Guten. In den 1960er-Jahren begann die Zeit der wuchtigen Kolosse. Das Kaufhaus Horten erreichte durch seine Fassaden mit den markanten H-Kacheln einen hohen Wiedererkennungswert. Bewusst nahmen die Warenhäuser weder in Größe noch Gestaltung Bezug auf ihre Umgebung. Besonders abweisend wirken die Fassaden durch die fehlenden Fenster: Die Ware sollte im künstlichen Licht präsentiert und die Tiefe der Gebäude genutzt werden. Einige der „Klötze“ aus den Sechzigern und Siebzigern wurden in den letzten Jahren bereits als Denkmal eingestuft. Wie bei der Unterschutzstellung fast aller Großdenkmale dieser Zeit löst das – trotz architekturgeschichtlicher und stadthistorischer Gründe und der Rolle einzelner Gebäude in der 150-jährigen Geschichte der Warenhäuser – mitunter Unverständnis aus.


Als sogenannte Frequenzanker haben die Bauwerke in den modernen Innenstädten seit jeher Gewicht besessen – ökonomisch, stadtbildprägend und als Arbeitsplatz für Tausende. Als Flaggschiffe des Einzelhandels lenkten sie die Kundenströme und zogen ganze Innenstädte mit. Die Situation heute: Zunächst bedrängten Filialisten, dann zusätzlich oder am Stadtrand entstandene Shopping-Malls, mittlerweile selbst in der Krise, das klassische Warenhaus. Der Verlust der Exklusivität, ein überlebtes Warenangebot und veränderte Ansprüche der Kunden stellen neue Anforderungen. Dazu kommen das internationale Spiel der Finanz-Investoren im Immobilienbereich und allem voran der Siegeszug des Online-Handels. Das großflächige Warenhaus als Erlebnisort scheint überholt zu sein. Doch bei der Schließung der Traditionshäuser geht es nicht nur um das Ende eines Warenhauses, sondern oft um das gesamte Stadtzentrum.

Vorgänger der großen Konsumtempel: als Kaufläden wie der in Nordenham- Abbehausen von 1853 noch Colonialwarenläden hießen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz half bei der Rettung des Denkmals.
Nordenham-Abbehausen, Colonialwarenladen © Marie Luise Preiss † / DSD
Vorgänger der großen Konsumtempel: als Kaufläden wie der in Nordenham- Abbehausen von 1853 noch Colonialwarenläden hießen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz half bei der Rettung des Denkmals.

„Vital, lebendig und attraktiv“


Wie geht man mit den leer geräumten Gebäuden in den immer weiter verödenden Innenstädten um? Eine sinnvolle und aktive Nachnutzung ist gefragt. Neue Formate müssen entwickelt werden. Silke Weidner (49), Stadtplanerin und Hochschul-Professorin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, stellt fest: „Im Handel gibt es immer Wandel. Man kann eigentlich positiv nach vorne schauen. Es kommen neue Betriebsformen auf, heute natürlich gekoppelt mit Online-Formaten.“

„Hybrid Spaces“ nennen Architekten das Warenhaus der Zukunft: Kleinteiliger, aber qualitätvoller Einzelhandel mit zeitgerechter, individueller Ausrichtung soll die Erdgeschosse der großen Immobilien füllen, in die Obergeschosse sollen Büros und idealerweise Wohnungen einziehen. Denn die Vision ist, durch das Zusammenspiel von Wohnen, Arbeit, Einkaufen, Freizeit und Kultur die Innenstadt wieder stärker zu einem Ort des gelebten Alltags werden zu lassen und dabei neuen Ideen Platz zu geben. Voraussetzung dafür laut Silke Weidner: „Mietpreise, die in ihrer Höhe überzogen waren, müssen dringend überdacht werden. Da hat die Corona-Krise vielleicht sogar geholfen.“


Ein Schulterschluss von Kultur und Konsum könnte eine Lösung darstellen und beiden Bereichen große Chancen bieten. Schon früh zeigte man sich zum Beispiel in Chemnitz innovativ: Das dortige Warenhaus Tietz von 1913 ist seit 2004 „Kulturkaufhaus“. Und das Kaufhaus Schocken wurde einschließlich der ursprünglichen Fassade und des Schocken-Signets restauriert und dient seit 2014 als Stätte des Archäologischen Museums – mitten im Chemnitzer Zentrum gelegen, beliebt und gut besucht. In Bonn kam die Idee auf, in das Obergeschoss des gerade geschlossenen Karstadt-Kaufhauses das in seiner Existenz bedrohte Stadtmuseum einziehen zu lassen. „Schulen, die oft an die Stadtränder gebaut worden sind, sind exzellente Frequenzbringer. Da kommen Schüler, Eltern, vielleicht Nutzer von Weiterbildungsangeboten“, denkt Weidner das Beispiel weiter. „Und das wollen wir ja, dass die Innenstadt belebt ist. Vital, lebendig und attraktiv.“

Soll tatsächlich als Warenhaus wiedereröffnet werden: das Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz.
Görlitz, Kaufhaus © imago / Jürgen Ritter
Soll tatsächlich als Warenhaus wiedereröffnet werden: das Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz.

Die Krise als Chance: Der Verlust der Warenhäuser alten Schlags könnte der Start einer neuen Epoche der Städte werden. Orte entstehen lassen, die sich letztlich in zeitgemäßer Form mit ihrer durchmischten Nutzung, ihren individuellen Nischen und ihrer verflochtenen Infrastruktur wieder der Idee der vielfältigen europäischen Stadt nähern. Die Innenstadt als lebendiges Kulturgut und das Warenhaus als Denkmal in neuer Gewichtung mittendrin denken – die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema jedenfalls ist in vollem Gange.


Beatrice Härig

Deutsche Geschichte an einem Kaufhaus erzählt:

Das Hertie-Warenhaus am Berliner Alexanderplatz 1935. Da war es schon „arisiert“ und sollte nicht mehr an den Vorbesitzer Hermann Tietz erinnern. 1942 ein Mustergemüsegarten vor dem Kaufhaus als nationalsozialistische Propaganda-Aktion, kurze Zeit später wurde das Gebäude im Krieg zerstört. Das 1970 an traditionsreicher Stelle eröffnete Centrum-Kaufhaus am Alexanderplatz war DDR-Vorzeigefiliale. Erweitert und ohne charakteristische Wabenfassade präsentiert sich das Warenhaus seit 2004 als eine der größten Kaufhof-Filialen Europas.

Jahr 1935 © imago / Arkivi
Jahr 1942 © akg / Sammlung Berliner Verlag
Jahr 1970 © imago / Marco Bertram
Jahr 2018 © imago / Ina Peek
 

 

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2 Kommentare

Lesen Sie 2  Kommentare anderer Leser

  • Kommentar als unangemessen melden
    Domann schrieb am 27.01.2021 16:16 Uhr

    Ein hochinteressanter und dazu noch brandaktuller Artikel... sichtbar am Karstadt-Warenhaus in Lübeck... und einer Innenstadt die verödet. Die Verbindung der Warenhäuser mit der Gesellschaft und dem innerstädtischen Leben ist gut beschrieben.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Helmut Sander Leipzig schrieb am 28.01.2021 11:38 Uhr

    Gute Beispiele einer sinnvollen nachnutzung gibt es in Chemnitz: schon früh wurde das ehemalige Kaufhaus Tietz in einen "Kulturtempel" umgewandelt mit Volkshochschule, Bücherei, Ausstellungen. Selbst der steinerne Wald wurde integriert. Später wurde das Kaufhaus Schocken zur Präsentation archäologischer Sammlungen und Forschungen in Sachsen umgewandelt. Auch die Geschichte des Hauses fand Platz in dem neuen Konzept. Um so mehr bedauere ich, dass in Leipzig die ungenutzten Häuser:Konsument-Warenhaus am Brühl (Blechbüchse) und das Karstadt-Kaufhaus in der Petersstraße nicht umgenutzt wurden, obwohl händeringend Platz für das Naturkundemuseum und neuerdings auch für die Volkshochschule und die städtische Musikschule gesucht wird.

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