Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Kurioses Stile und Epochen 1600 Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer Februar Jahr 2021 Denkmale A-Z M
Die seltene Spezies Mauerhäuser ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. In Erlangen kämpft ein Verein um die Erhaltung von zwei Exemplaren, die dringend Hilfe benötigen.
Alle Außenwände, der Dachstuhl und der Fußboden waren so
stark verformt, dass man das Gefühl hatte, das Haus könne im nächsten Moment
abrutschen“, erinnert sich Klaus Meinetsberger (65), Architekt und Mitglied des
Heimat- und Geschichtsvereins Erlangens, an seinen ersten Eindruck der zwei
kleinen Bürgerhäuser. „Als wir später einige kleine Suchlöcher in die
Außenwände bohrten, um mehr über den Bauzustand der Häuschen zu erfahren, kam
uns an vielen Stellen nichts als zerbröseltes Holz entgegen.“
Heute bietet sich ein verheerendes Bild: Die Fußschwellen und Stützen der Südseite sind verfault und haben sich stellenweise komplett aufgelöst. Steine und Mörtel halten nicht mehr in den Gefachen. Die Feuchtigkeit konnte nicht aus den Wänden weichen, weil in den 1960er Jahren eine undurchlässige, dicke Schicht aus Zementputz und Klinker aufgebracht wurde. Diese ist inzwischen fast vollständig abgenommen.
2012 kaufte der Verein die kleinen Bürgerhäuser in der Lazarettstraße 3 und 5, um diese besonderen Baudenkmale vor dem Verfall zu retten. Vereinsvorsitzende Pia Tempel-Meinetsberger (61), die sich wie ihr Mann seit Jahrzehnten für den Denkmalschutz in Erlangen engagiert, erklärt: „Die Kleinbauten mögen unscheinbar wirken. Aber sie sind sehr wichtig für die Stadtgeschichte. Außerdem zählen sie zu den wenigen Beispielen eines kaum noch vorhandenen Haustyps – des sogenannten Mauerhauses.“
Die Besonderheit dieser beiden Erlanger Bürgerhäuser:
1669/70 wurden sie an der Innenseite der spätmittelalterlichen Stadtbefestigung
errichtet, die nach dem Dreißigjährigen Krieg ihre Verteidigungsfunktion
verloren hatte. Während die straßenseitige Fassade in Fachwerk ausgebildet ist,
dient die Stadtmauer als nördliche Außenwand. Einst waren diese traufständigen,
langgestreckten Mauerhäuser wesentlicher Bestandteil vieler europäischer
Städte. Heute haben sie Seltenheitswert (siehe „Kurz vorgestellt“). Mit der Niederlegung vieler Stadtmauern verschwanden zumeist auch die daran angrenzenden Häuser. Weitere Hausabrisse folgten, weil ihre beengten Verhältnisse am Rande der Altstädte als ungesund und rückständig empfunden wurden. Und weil ihr historischer Wert missachtet wurde – bis ins 21. Jahrhundert hinein
Vor dem Zusammenbruch gerettet
Die Stadtbefestigung hatte den zwei Häuschen über Jahrhunderte Schutz und Sicherheit geboten: vor Feuer, Sturm und Überfällen. Doch diese scheinbar so stabile Mauer aus Buckelquadern wäre ihnen fast zum Verhängnis geworden. Am Rande eines Geländesporns errichtet, überwindet die Mauer hier einen Höhensprung von drei Metern. Infolge des einseitigen Erddrucks neigte sie sich im Laufe der Jahrhunderte gefährlich in Richtung des Stadtgrabens. Und mit ihr die verbundenen Fachwerkbauten, die auf keinem Fundament, sondern lediglich auf gestampftem Boden standen.
„Am liebsten hätte wir sofort mit der dringenden Sicherung der Häuser begonnen, aber wir mussten uns in Geduld üben und hoffen, dass nichts weiter Schlimmes passiert,“ erzählt Architekt Meinetsberger. Denn für die Stabilisierung der Mauer, die sich im Eigentum der Stadt befindet, zogen einige Jahre ins Land. 2019 konnten mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz schließlich die Böden und Wände der Häuschen unterfangen und statisch gesichert werden. Der Architekt: „Zwar sind die Denkmale jetzt vor dem Zusammenbruch gerettet, sie brauchen aber weiterhin viel Hilfe!“
Von den Mauerhäusern in Erlangen kennt Klaus Meinetsberger
mittlerweile jeden Winkel. Gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern hat er sie
auf den Millimeter genau erfasst und erforscht. „Mithilfe dendrochronologischer
Untersuchungen konnten wir die zwei Kleinbauten um 70 Jahre vordatieren. Nicht
nur Teile des Fachwerks, sondern auch der gesamte Dachstuhl stammen von 1669
und 1670 und nicht, wie angenommen, aus der Zeit um 1740. Damit haben die
Kleinhäuser den Altstadtbrand von 1706 überlebt und sind die ältesten
erhaltenen Häuser der Erlanger Altstadt!“
Für die Errichtung griffen die nicht von Reichtum gesegneten Bauherren auf Material aus der Umgebung zurück: auf Bauholz, Werk- und Bruchsteine für die Fachwerkfassade auf der Südseite. Als nördliche Außenwand nutzten sie geschickt Teile der spätmittelalterlichen Stadtbefestigung, fast wie ein fertiges Bauteil. Einzig Löcher für die Fenster hatten sie in die dicke Mauer schneiden müssen.
Das Alte zählt oft wenig
All diese neuen, für die Geschichte Erlangens so wichtigen Erkenntnisse möchte der Heimat- und Geschichtsverein der Öffentlichkeit vorstellen. Und zwar in den Mauerhäusern selbst, die dann nicht mehr privaten Wohnzwecken dienen, sondern für Besucher zugänglich sein sollen.
Die Vereinsvorsitzende Pia Tempel-Meinetsberger zum
vielseitigen Nutzungskonzept: „Mit den Mauerhäusern bekommt der Verein endlich
ein eigenes Zuhause. Wir werden das Denkmal zu einem Treffpunkt für
Geschichtsinteressierte machen und Teile davon einem jungen Stadtforscher als
Wohnung und Arbeitsstätte zur Verfügung stellen.“
Seit 101 Jahren setzt sich der Verein in Erlangen für die Erhaltung des historischen Erbes ein. Die Denkmalpflege hat es hier nicht immer leicht. „Nach dem Zweiten Weltkrieg ging im Zuge des Wirtschaftswunders eine Menge Altbausubstanz in Erlangen verloren. Heute fehlt vielen Einwohnern die Identifikation mit dem Ort und seiner Geschichte. Denn der Anteil an Studenten und anderen Zugezogenen ist größer als der an Einheimischen“, sagt Tempel-Meinetsberger. „In einer Stadt wie Erlangen, die sehr zukunftsausgerichtet ist, zählt das Alte oft wenig.“
Im Falle der Mauerhäuser hat der Verein ein Umdenken erreichen können. Einst galten sie manchen samt vernachlässigter Stadtmauer als „Schandfleck“. Heute erkennen zahlreiche Erlanger den historischen und ästhetischen Wert des Ensembles – obwohl sich das Fachwerkgebäude aktuell noch in einem katastrophalen Zustand befindet.
„Alleine schaffen wir es nicht“
Mittlerweile haben die Vereinsmitglieder in einer großen Gemeinschaftsaktion die schädigende Schicht zu großen Teilen selbst entfernt. Nun muss die freigelegte Fachwerkwand dringend restauriert werden. „Vieles von dem, was an vorbereitenden und begleitenden Maßnahmen für die Restaurierung notwendig ist, erbringen die Vereinsmitglieder in Eigenleistung – und das sehr motiviert“, sagt Pia Tempel-Meinetsberger. „Doch der fachgerechte Umgang mit der historischen Bausubstanz erfordert besondere Fertigkeiten, über die nicht wir, sondern nur ausgebildete Handwerker verfügen.“ Der Verein hat einen beachtlichen Weg bei der Rettung des Gebäudes zurückgelegt. Nun muss der nicht minder aufwendige zweite Abschnitt folgen: die umfassende Instandsetzung des Daches und der Fassade. In der Gesamtheit kann der Verein die Kosten für die qualitätvolle und nachhaltige Handarbeit nicht allein aufbringen.
Architekt Meinetsberger: „Es handelt sich um eine Baustelle mit überwiegender Handarbeit, schlechter Bausubstanz und aufwendigen statischen Absicherungen. Die Baupreise sind in den letzten Jahren kräftig gestiegen und nicht mit Standardpreisen vergleichbar. So kostet allein das Ausbessern einer Fachwerkwand etwa 400 Euro pro Quadratmeter. Während ein Großteil der Kosten im Boden zur statischen Sicherung der Mauern verbaut wurde, gilt es jetzt beim Dach ebenfalls viel Geld in die Hände zu nehmen: Für die Dachdeckung mit historischen Ziegeln samt Entwässerung werden rund 150 Euro pro Quadratmeter benötigt, für die Dachstuhl-Instandsetzung nochmals zirka 200 Euro pro Quadratmeter. Bei 200 Quadratmeter Dachfläche kommen so 70.000 Euro zusammen.“ Daher belaufen sich die Gesamtkosten auf mehr als 350.000 Euro.
Nur wenige Mauerhäuser haben die letzten 200 Jahre überstanden. Dr. Peter Schabe, zuständiger Projektreferent der DSD, urteilt: „Erlangen hat viele Baudenkmäler nach dem Zweiten Weltkrieg durch Unachtsamkeit verloren. Umso mehr gilt es, die Kleinhäuser in der Lazarettstraße zu erhalten, die seit fast 350 Jahren existent sind und damit zu den ältesten Gebäuden der Erlanger Altstadt gehören. Für die DSD sind Vereine, die wie der Heimat- und Geschichtsverein Erlangen e.V. so engagiert Verantwortung für ein Baudenkmal übernehmen, besonders unterstützenswert!“ Der Verein über jede Hilfe dankbar, die zur Restaurierung des wertvollen kleinen Denkmals beiträgt, das im letzten Jahr seinen 350. Geburtstag. Mit den Worten von Pia Tempel-Meinetsberger: „Alleine schaffen wir es nicht!“
Amelie Seck
Mauerhäuser Lazarettstraße 3 und 5
91054 Erlangen
Tel. 09131 29463
Erst seit wenigen Jahren ergründet die Bauforschung dieses spannende Thema der Mauerhäuser, an erster Stelle der Historiker Fred Kaspar. Mit seiner Stiftung „Kleines Bürgerhaus“ in der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (LINK) hilft er auch diese architektonischen Zeugen der Alltagskultur zu erforschen.
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Wo andere nur eine Mauer sehen, sieht er eine ganze Geschichte: André Lutze, Bauhistoriker. In unserer neuen Serie stellen wir Ihnen Menschen und Methoden vor, mit denen Denkmale wieder lebendig werden.
Der städtische Viehhirte von Oberwesel am Rhein hatte kein leichtes Leben. Tagsüber musste er die Kühe der Bürger auf die Weiden führen, nachts übte er das Amt eines Brandwächters aus. Hoch oben im 6. Stock des Kuhhirtenturms lag seine Wachstube und darüber hing die Brandglocke. Täglich musste er also über einfache Leitern den hohen Turm besteigen. Sicher hielt er dabei auch zuweilen nach Feinden Ausschau, schließlich lag sein Dienstsitz an der besonders gefährdeten westlichen Stadtmauer am Michelfeld. Noch heute umschließen die Befestigungsanlagen die Stadt auf knapp drei Kilometer fast vollständig.
Es waren berufliche Gründe, die den aus Sachsen stammenden Nautiker Oliver Ernst und Manja Landschreiber, die Brandenburger Diplomingenieurin für Garten- und Landschaftsbau, nach Schleswig-Holstein verschlugen. Als sie schließlich in Lübeck ihren gemeinsamen Wohnsitz planten, waren sie sich in einer grundlegenden Frage schnell einig. Beide bevorzugen den Charme alter Gebäude, in denen schon unzählige Generationen ihre Spuren hinterlassen haben. Ein Haus mit Geschichte, möglichst in der Lübecker Altstadt, die seit 1987 als gesamtes Ensemble zum UNESCO-Welterbe gehört, sollte ihr neues Domizil werden.
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