Herrscher, Künstler, Architekten Ausgabe Nummer Dezember Jahr 2020 Denkmale A-Z M
Mosaiken leben vom Material und seiner besonderen Leuchtkraft, können eine Wand ganz leicht erscheinen lassen. Die Technik, monumentale Bilder aus winzigen Würfeln zu schaffen, hat eine lange Tradition.
Fein modellierte Wangen und ziselierte Locken, Glanzlichter und Schattierungen – dazu ein Goldgrund, der den Figuren eine feierliche Würde verleiht. Ein stimmiges Bild, erzeugt von Abertausenden Steinchen unterschiedlicher Färbung. Unzählige Kirchen in Deutschland sind mit solch kostbaren Wandmosaiken ausgestattet. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde hierzulande eine Kunst zur Blüte gebracht, die eigentlich in Italien zu Hause war.
Mit dem Historismus
schaffte das Wandmosaik den Sprung über die Alpen. Erst recht, um dem
Nationalstolz des jungen Kaiserreichs Ausdruck zu verleihen: Erhabene
Dekorationen sollten den Symbolbauten zu einer Aura der Tradition und
Beständigkeit verhelfen. Wie konnte das besser gelingen als mit dem Rückgriff
auf eine alte Handwerkstechnik? Aus frühchristlich-byzantinischer Zeit waren in
Rom und Ravenna grandiose Zeugnisse sakraler Macht überliefert. Die
Monumentalmalerei in Gestalt von Wandgemälden und Mosaiken wurde für
repräsentative Gebäude ein Muss. Dies galt nicht nur für Neubauten. Auch die
sich etablierende Denkmalpflege trug – etwa beim Wiederaufbau mittelalterlicher
Burgen – dazu bei.
Besonders prestigeträchtig waren die Arbeiten am Aachener Dom. Die Krönungskirche der römisch-deutschen Könige befand sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einem schlechten Zustand und sollte restauriert werden. In erster Linie wollte man die barock überformte Kuppel des karolingischen Oktogons angemessen gestalten. 1881 war das Goldmosaik vollendet, das in seiner byzantinischen Anmutung wieder an die ganz große Geschichte anknüpfte. Noch war man auf Spezialisten aus dem Süden angewiesen, um ein so ehrgeiziges Vorhaben umzusetzen. Doch das sollte sich bald ändern.
Begehbare Kunst
In Italien, dem Mutterland des Mosaiks, war die Tradition nie abgerissen. Mit dem wachsenden Bewusstsein für historische Werte wurde sie im 19. Jahrhundert neu belebt und sogar perfektioniert. Es galt, vom Verfall bedrohte Kunst zu erhalten und verloren gegangene zu reproduzieren. Zudem hatten Archäologen immer mehr Mosaik-Schätze des Altertums gehoben. In Rom und Pompeji, dann auch in den römischen Provinzen, kamen sie ans Licht: die Darstellungen von Götterzügen, Gladiatorenkämpfen oder Theaterszenen, die wie gemalt erscheinen.
Wenn wohlhabende Griechen und Römer sich zum Essen auf ihren Ruhebetten niederließen, ging der Blick nach unten. Das könnte die Erklärung dafür sein, dass vor allem aus den Speisesälen antiker Villen so viele großartige Bodenmosaiken überliefert sind. Vorläufer waren die frühgriechischen Kieselsteinmosaiken. Seit dem 3. Jahrhundert vor Christus wurde die Technik verfeinert: Nun verwendete man kleine, regelmäßig zugeschnittene Steine (Tesserae) sowie Stifte aus farbigen Glaspasten (Smalten).
Berühmtestes Beispiel ist das Alexandermosaik aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert mit winzigen Steinchen in fast vierzig verschiedenen Farbtönen. Im 3. und 4. Jahrhundert hatte die Mosaikkunst des Altertums schließlich ihren Höhepunkt erreicht, schmückten die begehbaren Werke vornehme Privathäuser und öffentliche Gebäude im gesamten Römischen Reich. Zwar wurden zuweilen auch Nischen und Gewölbe mit Mosaiken verziert, doch blieb dies meist auf Thermen und Brunnen beschränkt.
In allen Provinzen gab es lokale Werkstätten, in denen viele Spezialisten zusammenwirkten: Die Zeichner skizzierten die Entwürfe der Künstler in den frischen Mörtel. Die Mosaikleger setzten dann die Tesserae in den noch weichen Untergrund. Während einfache Arbeiter die Steine schlugen und die großen Flächen füllten, überließ man den Könnern die anspruchsvollen figürlichen Details.
Die Wand zum Leuchten bringen
Mit den Sakralbauten des frühen Christentums gewannen die Wandmosaiken große Bedeutung – noch in spätantiker Tradition, aber mit neuen Inhalten und Ausdrucksformen. Nun sollte der Blick nach oben gelenkt werden, hin zu den biblischen Szenen, zu den Heiligen und Würdenträgern. Die Dekorationen fanden sich in den wichtigsten Bereichen repräsentativer Kirchen – vor allem in der Apsis und im Kuppelgewölbe.
Ab dem 4. Jahrhundert verbreitete sich die Mosaikkunst von Rom und Byzanz aus auf hohem Niveau in den Süden und Osten Europas. Welche Leistungen sie hervorbrachte, lässt sich am schönsten in Ravenna erleben: Im 5. Jahrhundert zur Residenz der weströmischen Kaiser aufgestiegen, wurde die Stadt im 6. Jahrhundert zur Hauptstadt des byzantinischen Herrschaftsgebietes in Italien. Von jener Blütezeit zeugen Kirchen, Taufkapellen und Mausoleen, die mit herausragenden Monumentalmosaiken ausgestattet sind. Sie bezaubern durch die Strahlkraft ihrer Farben: Leuchtendes Blau, sattes Grün und schimmernder Goldgrund umfangen die Figuren. Die Wirkung des Lichts wurde mit einkalkuliert und stand im Dienst der theologischen Botschaft.
Die intensive Farb- und Tiefenwirkung erreichten die Mosaizisten durch Kombination von Glastesserae in unterschiedlichen Nuancen. In herausgehobenen Partien kam sogar Edelmetall zum Einsatz – dafür wurden transparente Glassteine mit Blattgold überzogen. Auf den Leuchteffekt zielte auch eine raffinierte Neuerung bei der Setztechnik ab: Hatte man bei den Bodenmosaiken eine kompakte, möglichst glatte Oberfläche angestrebt, wurden die Tesserae jetzt in bestimmten Bereichen schräg und unregelmäßig platziert. So ergaben sich stärkere Reflexe und das spezielle Funkeln.
Die Mosaikkunst Italiens blieb auch in den folgenden Jahrhunderten byzantinisch beeinflusst. An die Glanzzeit der frühchristlichen Bauten konnte jedoch erst im 12. Jahrhundert wieder angeknüpft werden. Nun wurde auch Venedig zu einem wichtigen Mosaikzentrum, in dem unter Einflüssen westlicher Kunst ein neuer, eigener Stil entwickelt wurde. Das Wandmosaik erlebte einen weiteren Höhepunkt, der sich in der prunkvollen, goldschimmernden Ausstattung des Markusdoms zeigte.
Alles wie gemalt
In der Neuzeit lief die Wandmalerei dem Mosaik den Rang ab, auch wenn es belebende Wechselwirkungen gab: Mosaikkünstler ahmten berühmte Gemälde nach. Meister wie Tizian, Raffael und Tintoretto fertigten Entwürfe für Mosaiken. Sogar Scheinmosaiken gab es zu bestaunen: Malereien, die nur vortäuschten, aus unzähligen glänzenden Steinen zu bestehen.
Den Superlativ italienischen Mosaikschaffens ab dem 16. Jahrhundert stellt der Petersdom dar – bis heute mit eigener Mosaikwerkstatt und -schule. Mit über 10.000 Quadratmetern bilden Kuppeln, Gewölbe und Wände die größte mosaizierte Fläche, die ein Bauwerk je aufgeboten hat. 28.000 Farbnuancen sind dort zu finden. Mit der Ausstattung von St. Peter avancierte Rom erneut zum Zentrum der Mosaikproduktion.
Zwei Neuerungen bei der Herstellung von
Glaspasten erschlossen im 18. Jahrhundert einen neuen Markt: Dank veränderter
Zusammensetzung standen matt glänzende Smalten mit feineren Farbabstufungen zur
Verfügung. Auch konnte man jetzt dünne Glasstäbe ziehen und daraus winzige Steinchen
schneiden. Damit waren sehr feinteilige Mosaiken möglich, die sich noch stärker
der Malerei annäherten.
Die Miniaturmosaiken kamen in Mode, mit denen Dekorationsgegenstände und Schmuckstücke verziert wurden. Sie waren beliebte Souvenirs auf den Bildungsreisen des Adels – vorerst gelangten Mosaiken also nur im Kleinformat nach Norden. 1786 beklagte Goethe in Venedig den Niedergang einer großen Erfindung: „Die Kunst, welche dem Alten seine Fußboden bereitete, dem Christen seine Kirchenhimmel wölbte, hat sich jetzt auf Dosen und Armbänder verkrümelt. Diese Zeiten sind schlechter, als man denkt.“
Reif für den Norden
Die neue Sicht auf die Vergangenheit, auf ihr Kunstschaffen und ihre Handwerkstechniken fiel jetzt auch in anderen Ländern auf fruchtbaren Boden. Nun schlug die große Stunde von Antonio Salviati, der 1859 auf der Insel Murano bei Venedig eine Glaswerkstatt gegründet hatte. Seine Firma produzierte Smalten in höchster Qualität und exportierte Glasmosaiken bald in die europäischen Metropolen. Vor allem aber perfektionierte Salviati ein neues, vereinfachtes Herstellungsverfahren für großflächige Mosaiken: Bei der indirekten Setztechnik wird der Entwurf in Originalgröße spiegelverkehrt auf festes Papier gezeichnet, anschließend werden die Steine mit wasserlöslichem Leim provisorisch aufgeklebt. Spezialistin Susanne Brinkmann (53), die gerade das in Murano gefertigte Mosaik im Bonner Münster restauriert: „So konnten ganze Segmente in der Werkstatt vorbereitet werden, was Zeit und Kosten sparte.“ In Deutschland vertraute man nicht nur beim Aachener Dom auf das Können des Venezianers – viele weitere Aufträge folgten, darunter für die Siegessäule in Berlin.
Zwar hatte die Firma Villeroy & Boch in Mettlach schon 1868 eine Mosaikabteilung eingerichtet, doch das erste eigenständige Mosaikatelier wurde Mitte der 1880er Jahre von August Wagner und Wilhelm Wiegmann in Berlin eröffnet. Bald stieß der Chemiker Friedrich Puhl dazu, der erfolgreich mit der Herstellung von Smalten experimentierte. 1889 wurde die „Deutsche Glasmosaik-Anstalt Puhl & Wagner“ gegründet, die eine den Venezianern ebenbürtige Qualität liefern konnte.
Dank Wilhelm II. und seinen vielen Kirchenbauprojekten waren der Firma Aufträge und Renommee sicher. Die Mosaizierung des Aachener Doms wurde fortgeführt, die Kaiser- Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin erhielt ihr aufwendiges Bildprogramm, der Berliner Dom seine Kuppelmosaiken, die Wartburg ihre Elisabeth-Kemenate. Und das prachtversessene Großbürgertum zog nach. Puhl & Wagner expandierte und war schließlich international unterwegs.
In der Wilhelminischen Ära hatte sich das
Mosaikschaffen stark an den historischen, vornehmlich byzantinischen Vorbildern
orientiert. Erst nach der Jahrhundertwende brachten die neuen europäischen
Kunstrichtungen Art nouveau und Art déco eine künstlerische Erneuerung. Im 20.
Jahrhundert wurde eine eigene Geschichte moderner Mosaikkunst geschrieben, die
sich nun auch auf die Fassaden und stärker auf den Profanbau verlagerte.
Zu Ende erzählt ist sie noch lange nicht. Dafür, dass sie weitergeht, sorgen zeitgenössische Künstler. Dafür, dass wir weit auf sie zurückblicken können, sorgen die Restauratoren. Wandmosaiken sind ganz auf Fernwirkung angelegt. Doch woher ihre Wirkkraft rührt, erschließt sich vor allem aus nächster Nähe. Wer sieht, wie millimeterkleine Steinchen eine glänzende Pupille oder einen zarten Blütenkelch bilden, erlebt hautnah die ganz besondere Faszination dieser uralten Handwerkskunst: Wie aus vielen kleinen Teilen etwas ganz Großes wird.
Bettina
Vaupel
Im Monumente-Verlag gibt es
Briefkarten mit Mosaik-Details aus dem Aachener Dom
sowie
Die Überschüsse aus dem Verlag
kommen der Arbeit der Deutschen
Stiftung Denkmalschutz zugute.
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