Denkmalarten Kleine und große Kirchen Stile und Epochen 1850 1200 Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer Oktober Jahr 2020

Denkmal in Not

Das schwere Erbe

In der vorpommerschen Landstadt Gützkow steht ein stattliches Gotteshaus mit einem großen Problem: Der Kirchenbau braucht wieder festen Halt.

Malerisch liegt Gützkow im Naturschutzgebiet Peenewiesen. 1235 wurde der Ort im unteren Tal der Peene zur Stadt erhoben – ein Privileg, auf das die Landstadt mit ihren heute rund 2.700 Einwohnern noch immer stolz ist. Dieses Selbstbewusstsein spiegelt sich auch in der altehrwürdigen Pfarrkirche St. Nicolai wider: Ihr hoher Kirchturm mit dem spitzen Helm ist eine Landmarke, die schon von Weitem zu sehen. „Ich bezeichne ihn als die Nase im Gesicht der Stadt“, sagt Pfarrer Hans-Joachim Jeromin (59) lächelnd. Das Problem ist: Gützkows Gotteshaus leidet sehr unter der Gewichtigkeit seines Kirchturms.

Der Kirchturm von 1882 verleibt der mittelalterlichen Kirche St. Nicolai in Gützkow unerschütterliche Würde. Doch der Schein trügt: Das Mauerwerk des Kirchenbaus ist stark geschädigt.
Gützkow, St. Nicolai © Stefan Beetz, sbeetz.com
Der Kirchturm von 1882 verleibt der mittelalterlichen Kirche St. Nicolai in Gützkow unerschütterliche Würde. Doch der Schein trügt: Das Mauerwerk des Kirchenbaus ist stark geschädigt.

Der Turm wurde 1882/83 im Zuge einer umfassenden Neugestaltung des mittelalterlichen Bauwerks errichtet. „Der neugotische Turmschaft ist zwar stattlich, aber Probleme hat der gesamte Kirchenbau. Im 19. Jahrhundert war die ansprechende Formgebung häufig wichtiger als Statik und gutes Material“, erklärt der zuständige Architekt Ulf-Gernot Kirmis (47).

 

Die Dominanz des Sakralbaus kommt nicht von ungefähr. Allein schon ihr Standort trägt dazu bei: Die Kirche steht inmitten der Stadt auf einer Anhöhe, auf der sich einst eine slawische Burg mit einem Tempel befand. Als der dem Christentum zugewandte Herzog Wratislaw von Pommern das Gebiet erobert hatte, bat er Bischof Otto von Bamberg um eine zweite Missionsreise. Die heidnische Kultstätte musste einem Kirchenbau weichen, den der Geistliche 1128 weihte.

 

Gützkows Rolle bei der Verbreitung des Christentums gewann ab 1140 erheblich an Bedeutung, als die Kirche über eine Schenkung der Grafen von Gützkow dem Neugegründeten Bistum Cammin zugeordnet wurde. Dadurch wurde auch die Stellung des seit 1219 belegten Leutepriesters, des sogenannten Plebans, aufgewertet. Um 1305 ging das mit höheren Einkünften versehene Plebanat an die ebenfalls von Cammin besetzte Greifswalder Nicolaikirche über. Ein herber Verlust für Gützkow, der mit der Berufung eines Vizeplebans nicht aufgewogen wurde. „Es ist ein Titel ohne Einfluss“, sagt Jeromin, der derzeitige Vizepleban. Aber er würdigt wie einst der bis zu den deutschen Kaisern weitergeführte Gützkower Grafentitel die historische Bedeutung der Ackerbürgerstadt.

Pfarrer Hans-Joachim Jeromin freut sich, dass die Restaurierung des Mauerwerks seiner Kirche nach so vielen Jahren beginnen kann.
Gützkow, St. Nicolai © Stefan Beetz, sbeetz.com
Pfarrer Hans-Joachim Jeromin freut sich, dass die Restaurierung des Mauerwerks seiner Kirche nach so vielen Jahren beginnen kann.

Baueingriff mit Folgen


So nimmt es nicht wunder, dass die Plebankirche immer wieder umgestaltet und vergrößert wurde. Die heutige Feldsteinkirche tritt urkundlich erst 1241 in Erscheinung. Das zweischiffige Kirchenschiff mit dem Kreuzrippengewölbe erhielt sie im 15. Jahrhundert. Eine historische Marke für Gützkow setzte der verheerende Stadtbrand 1729, der den Ort fast vollständig vernichtete. Auch die Kirche wurde ein Opfer der Flammen und wurde mit Veränderungen wiederaufgebaut. Dabei erhielt der Turm einen niedrigen Fachwerkaufsatz,

der 1841 wieder durch einen gemauerten, höheren Turmschaft ersetzt wurde. Erstmals konnten Besucher den weiten Ausblick über die Stadt genießen.

 

1882/83 schließlich erfolgte die grundlegende Umgestaltung der Kirche. Der bekannte Berliner Kirchenbaumeister Theodor Prüfer vergrößerte unter anderem die Fenster des Kirchenschiffs, öffnete die Wand zum Westturm und entfernte einen Rundpfeiler vor dem Chor. Den Turm erneuerte Prüfer im Stil der Neugotik mit reichem Schmuckblendwerk, Schildgiebeln und hohem achteckigem Spitzhelm. Nicht konstruktiv, sondern dem ästhetischen Empfinden seiner Zeit gehorchend, setzte er außen ringsum Strebepfeiler an. „All diese baulichen Veränderungen griffen erheblich in das statische Gefüge des alten

Bauwerks ein“, erklärt Architekt Kirmis.

In dem zweischiffigen Kirchenraum mit dem auf Rundpfeilern ruhenden Rippengewölbe sind deutlich die Schäden des Mauerwerks zu erkennen. Vor Baubeginn hat die treuhänderische „Horst v. Bassewitz-Stiftung zur Bauforschung“ die so wichtige Baudokumentation des Denkmals ermöglicht.
Gützkow, St. Nicolai © Stefan Beetz, sbeetz.com
In dem zweischiffigen Kirchenraum mit dem auf Rundpfeilern ruhenden Rippengewölbe sind deutlich die Schäden des Mauerwerks zu erkennen. Vor Baubeginn hat die treuhänderische „Horst v. Bassewitz-Stiftung zur Bauforschung“ die so wichtige Baudokumentation des Denkmals ermöglicht.

100 Jahre später waren die Bauschäden an dem Gebäude nicht mehr zu ignorieren. 1988 musste der Turmhelm repariert werden. Pfarrer Jeromin erzählt: „Aus ganz Gützkow erhielt unser Kulturdenkmal Unterstützung. Sogar von den beiden landwirtschaftlichen Kooperativen gab es finanzielle Hilfe, und der DDR-Rüstungsbetrieb, Reparaturwerk Neubrandenburg‘ stellte Teile für das Baugerüst. Gleichwohl wurde weiterhin der Kirche als ,ideologischer‘ Institution mit Argwohn und Misstrauen begegnet.“ Zwar gab es keine Bewilligung für das benötigte Bauholz, trotzdem waren die Arbeiten am Turmhelm mit dem von Partnergemeinden im Westen gelieferten Kupferblech erfolgreich.

 

Gutes Handwerk ist wie eine gute Predigt


Aber damit war der Kirchenbau noch nicht gerettet: Die hölzerne Konstruktion des Dachstuhls zeigte mittlerweile durch Schwammbefall erhebliche Schäden. Dadurch wurden auch die Schubkräfte des gesamten Gewölbes verändert. „Die Risse im Chorgewölbe waren so tief, da konnten die Bauarbeiter ihre Wurststullen durchreichen“, erinnert sich der Seelsorger. 1996 war es endlich möglich, mit Mitteln der Städtebauförderung und dank der Unterstützung der Kommune die Restaurierung anzugehen. Wenn Jeromin von der Zimmermannsarbeit am Dachstuhl spricht, gerät er ins Schwärmen: „Die Zimmerleute haben hervorragend gearbeitet. Den Männern habe ich damals immer wieder gesagt, dass sie auf ihre Weise einen Gottesdienst tun gutes Handwerk ist wie eine gute Predigt.“

Ein aus der Nähe betrachteter Stützpfeiler zeigt, wie dringend das Mauerwerk wieder festen Halt benötigt.
Gützkow, St. Nicolai © Stefan Beetz, sbeetz.com
Ein aus der Nähe betrachteter Stützpfeiler zeigt, wie dringend das Mauerwerk wieder festen Halt benötigt.

Doch das Geld reichte nicht, um auch das Mauerwerk mit den Stützpfeilern zu sanieren. Die Eigenmittel der Kirchengemeinde waren ausgeschöpft. So ist der Kirchenbau in den letzten zwei Jahrzehnten buchstäblich aus den Fugen geraten. Besonders an den Strebepfeilern, deren Köpfe nie mit Abdeckungen gegen Nässe geschützt waren, löst sich der Mörtel aus den Fugen, fallen Steinstücke heraus. „An manchen Stellen kann ich durch die Fugenritzen  in der meterdicken Mauerwand das Licht einer Taschenlampe sehen“, berichtet Jeromin. Eindrucksvoll sind die Schäden an der Nordseite zu beobachten: Bei Regen breiten  sich innen an den Putzwänden binnen kürzester Zeit große Feuchtigkeitsflecken aus.


Die Vorstellung, dass St. Nicolai wegen gefährdeter Standsicherheit baupolizeilich gesperrt werden könnte, trieb den Pfarrer um. Die Kirche ist der lebendige Mittelpunkt der Stadt und findet großen Zuspruch: Bei den Gottesdiensten, bei den vielen Musik- und Gemeindeveranstaltungen, durch die Besuche von Jung und Alt. „Die Kirchenmauern erzählen – außen Geschichte, innen Geschichten. Einheimische und Besucher, vor allem Kinder, hören sie gern – gleichgültig, ob sie religiös oder eher kirchenfern sind“, sagt Jeromin. Für den Seelsorger ist der Bau seit fast 30 Jahren ein wichtiges Instrument, um in Kontakt mit den Menschen zu treten.

Zimmererhandwerk in hoher Kunst ausgeführt: der restaurierte historische Dachstuhl von St. Nicolai.
Gützkow, St. Nicolai © Stefan Beetz, sbeetz.com
Zimmererhandwerk in hoher Kunst ausgeführt: der restaurierte historische Dachstuhl von St. Nicolai.

Nun bringt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zur großen Freude der Kirchengemeinde die überfällige Mauerwerksrestaurierung endlich auf den Weg: Dank einer zweckgebundenen Spende von 30.000 Euro und zusammen mit den bereitgestellten Mitteln des Landes Mecklenburg-Vorpommern und des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises können die Bauarbeiten beginnen. Allerdings reichen sie nur, um die Nord- und Südfassade zu sanieren. Dann ist wieder Schluss. Für den bröckelnden Ostgiebel, den ebenso angegriffenen mittelalterlichen Turmsockel und die schadhaften Innenwände steht noch keine Hilfe in Aussicht.


Damit die Maßnahmen nicht erneut ins Stocken geraten, bitten wir Sie herzlich um Ihre Unterstützung. Es wäre schön, wenn Pfarrer Jeromin seine Geschichten über die Kirche demnächst mit einer weiteren Erzählung bereichern könnte: Wie durch die Förderer der Deutschen Stiftung Denkmalschutz die lange Restaurierung der Kirche in Gützkow zu einem guten Ende kam.


Christiane Rossner


Stadtkirche St. Nicolai

Kirchstraße 11

17506 Gützkow

Tel. Ev. Pfarramt: 038353 251

Gützkow liegt ca. 20 km südlich von Greifswald.

Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende, St. Nicolai in Gützkow zu erhalten

Auch kleinste Beträge zählen!

Der durchfeuchtete Wandputz löst sich großflächig ab.
Gützkow, St. Nicolai © Stefan Beetz, sbeetz.com
Der durchfeuchtete Wandputz löst sich großflächig ab.
 

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2 Kommentare

Lesen Sie 2  Kommentare anderer Leser

  • Kommentar als unangemessen melden
    Gunhild Arnold schrieb am 01.10.2020 10:40 Uhr

    Ich habe diesen aufschlussreichen Artikel mit großem Interesse gelesen.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Busse, Hans-Heinrich schrieb am 13.10.2020 11:01 Uhr

    Guten Morgen,
    Gegenüber der Kirche liegt ein Parkplatz. Dort standen Hof, Wohnhaus und Geschäft von Albert Behrend
    bis zum Abriss. Dort bin ich vor 75 Jahren geboren worden als zweites Kind von Julius und Else Busse(geb.Riehn). Mein Bruder Werner wurde 1948 geboren, verstarb aber vor 12 Jahren. In den fünfziger Jahren haben wir als Jungs mit dem Großvater und seinem Pferdegespann Kohle vom Speicher, Kies von der Kieskuhle, Heu aus den Peenewiesen abgefahren.
    Wir fühlen uns immer verbunden mit Gützkow. Ein Gartenstück meiner Großmutter am Fährdamm hat unsere Erbengemeinschaft im Frühjahr an Armin Görs verkauft.
    Mit freudlichem Gruß, Hans-Heinrich Busse, Hamburg

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