Stile und Epochen Nach 1945 Herrscher, Künstler, Architekten Streiflichter Design Material Ausgabe Nummer August Jahr 2020
Er war ein Pionier des ökologischen Bauens: der Architekt und Architekturtheoretiker Frei Otto (1925-2015). Nach dem Prinzip von Spinnennetzen, Seifenblasen und Blattstrukturen entstanden seine Bauwerke - wie die Multihalle von Mannheim.
Architektur-Ikone.
Schlafende Schönheit – an großen Titeln mangelt es der Multihalle Mannheim
wirklich nicht. Dabei war sie alles andere als für die Ewigkeit, sondern nur
temporär gedacht. Mit ihr verhalf Frei Otto, Tüftler, Visionär und Architekt,
der Bundesgartenschau von 1975 zur Attraktion. Wie viele seiner Werke wurde die
Halle zu einem heimlichen Wahrzeichen ihrer Stadt.
Leichtigkeit
als Prinzip
Mannheims Multihalle ist nach der Bundesgartenschau nicht abgetragen worden, im Gegenteil: 1998 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt. Doch nun ist offensichtlich, dass nur eine sehr aufwendige Sanierung ihre Zukunft sichern kann. „Die Lebensdauer des Materials ist überschritten“, benennt es der Verein Multihalle Mannheim. Er wurde von der Architektenkammer Baden-Württemberg initiiert, stand früh in Kontakt mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, und macht seit 2016, als tatsächlich ein Abriss diskutiert wurde, mit zahlreichen Aktivitäten auf das Schicksal des Bauwerks aufmerksam.
Und auf seine Schönheit: „Der Effekt nutzt sich nicht ab.“ Höhepunkt: 2018 wurde die Multihalle auf der Architekturbiennale in Venedig präsentiert. Neben ihrer Zukunft im Mannheimer Stadtleben wurde dort auch ihre Entstehungsgeschichte vorgestellt. Und die ist wie alle Frei Otto-Konstruktionen eine ganz eigene.
Frei
Ottos Motto: Erfinden und wagen
1964 gründete Frei Otto – 1925 geboren, 2015 gestorben – in Karlsruhe das Institut für Leichte Flächentragwerke. Sein wohl berühmtestes Werk, das so imposante wie filigrane Zeltdach des Münchner Olympiastadions von 1972, gilt bis heute als eines der beliebtesten Bauwerke im Land. Leichtigkeit und Transparenz sind Konzept, ebenso die Harmonie mit der Umgebung: Die Multihalle in Mannheim liegt eingebettet ins hügelige Grün des Herzogenriedparks. In München verschwindet das Stadion ins Erdreich, das Dach ist zum Teil auf Augenhöhe.
Otto war ein Vordenker des
ökologischen Bauens und ein Vertreter der organischen Architektur. In seinem
Atelier experimentierte er mit Stoffen, Formen und Zuständen. Becken voller
Seifenlauge nutzte er, um Oberflächenformen zu studieren. Spinnennetze,
Blattstrukturen und Seifenblasen dienten ihm als Vorbild für seine Entwürfe: frühe
Anwendungen der Bionik, der Übertragung von Formen und
Funktionen aus der Natur in die Wissenschaft.
Werner Sobek (67), Ottos Nachfolger als Leiter des Instituts und seinerseits weltbekannter Tragwerkskonstrukteur: „ Ihm ging es um das Dahinter, um das Warum. Er wollte verstehen, wie die Dinge in der gebauten Welt sein müssten, um Sinn zu machen. Auf der Suche danach beschritt er ungewöhnliche Wege und verließ von Anfang an die Kategorie des Architekt-Seins.“
Sobek: „Er begann die Welt wie ein Biologe zu sehen oder wie ein Sozialwissenschaftler die Grundlagen der Selbstorganisation lebender Systeme zu erforschen.“ Die Themen Gesamtenergiebilanz, temporäre Bauten zur Wiedernutzung, möglichst geringer Materialverbrauch beschäftigten Frei Otto, den Vordenker seiner Zeit, lange bevor der Begriff Nachhaltigkeit in aller Munde war. Städte, die unter „Klimahüllen“ liegen, waren seine Vision.
Die Themen
Gesamtenergiebilanz, temporäre Bauten zur Wiedernutzung, möglichst geringer
Materialverbrauch beschäftigten Frei Otto, den Vordenker seiner Zeit, lange
bevor der Begriff Nachhaltigkeit in aller Munde war. Städte, die unter „Klimahüllen“
liegen, waren seine Vision.
Mit Altpapier bauen
Naheliegend, dass Frei Otto für die Expo 2000 in Hannover, die sich nachhaltiges Bauen zum Thema gemacht hatte, zum Entwurf des Japanischen Pavillons hinzugebeten wurde. Mit dem Architekten Shigeru Ban (62) schuf er ein gekrümmtes Flächentragwerk, diesmal aus Altpapier-Pappröhren. Noch nie war aus Papier ein so großes Bauwerk errichtet worden. Das gesamte Gebäude konnte nach dem Ende der Weltausstellung recycelt werden.
In Mannheim ist die Diskussion über den Sinn einer kostspieligen Rettung des Bauwerks einem großen Stolz gewichen. International richtet sich der Blick auf Mannheim und seine Multihalle. Auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz setzte sich für die Multihalle ein. Sie förderte unter anderem die Grundlage für eine Schadenskartierung. Im Juli 2019, als ausreichend Mittel eingeworben worden waren, konnte dann die Sanierung der Multihalle beschlossen werden. „Der Sanierungsplan liegt vor, die Baugenehmigung ebenfalls“, bestätigt Denkmalpflegerin Dr. Ute Fahrbach-Dreher aus Stuttgart.
Es geht den Initiatoren aber nicht nur um die Rettung eines spektakulären Bauwerks, sondern auch um eine Diskussion über die Zukunft unserer Städte, über Zusammenleben und Nachhaltigkeit. Regelmäßige Veranstaltungen führen internationale Denker und Macher zusammen. Ganz im Sinne Frei Ottos wird dabei über den Tellerrand hinausgeschaut. Die Beschäftigung mit Ottos Erbe begrüßt Werner Sobek, Fachmann für nachhaltiges Bauen, ausdrücklich: „Hier liegt ein intellektueller Schatz von höchster Aktualität brach.“ Den gilt es weiterhin zu heben. Frei Otto schuf Denkmale, von denen wir lernen können. 2023, bei der nächsten Bundesgartenschau in Mannheim, können wir Bilanz ziehen.
Beatrice Härig
Wenn einer auf ein bewegtes Leben zurückblicken kann, dann ist es Wolfgang Lehmann, heute 91 Jahre alt. Er arbeitete 1969-72 als Ingenieur an der Errichtung der legendären Zeltdächer.
Wolfgang Lehmann arbeitete seit 1962 als Bauingenieur bei der Reinhold & Mahla GmbH. Deren größter und spektakulärster Auftrag: die Dacheindeckung des Zeltdachs der Sportstätten in München für die Olympischen Spiele 1972. Lehmann: „Mir wurde die Gesamtleitung übertragen.“
Architekt Frei Otto hatte die Modelle für die Dachkonstruktion ausgetüftelt. Der Auftrag für Lehmanns Firma umfasste das Auswählen der Werkstoffe, das Konstruieren und Ausführen bis in alle Einzelheiten. „Alles war ja neu und ohne Vorbild!“ erzählt Lehmann. „Während die Stahlbauern die Tragmasten errichteten und das Seilnetz knüpften, wurden an einem kleinen Probedach die zahllosen Details von Anschlüssen und Regenrinnen, aber auch die besten Montagehilfen und Sicherungsvorkehrungen gesucht und gefunden. In einer Höhe von bis zu 65 Metern Höhe mussten wir dann die Acrylglasplatten zurechtschneiden und auf Gummipuffern befestigen.“ Mit Stolz in der Stimme erinnert sich Lehmann: „Es ist das größte Zeltdach, das jemals gebaut wurde: 77.400 Quadratmeter.“
Ein Zeltdach als Architektur-Ikone
Bis heute ist die
Zeltdachkonstruktion der Münchner Olympiastätten einzigartig: Sie
überspannt neben dem Stadion auch die Olympiahalle und die
Olympia-Schwimmhalle.
Für Lehmann hatte das Mitwirken an diesem
Symbolbauwerk für ein demokratisches und transparentes Land noch eine
besondere Bedeutung:
1945 als 16-Jähriger von den Sowjets in ein Speziallager gesteckt und später als Zwangsarbeiter nach Sibirien gebracht, wurde er nach seiner Rückkehr 1950 von der Stasi schikaniert und floh 1960 in den Westen: „Es war für mich wie ein dritter Lebensanfang.“ Er arbeitet aktiv in der Zeitzeugenbörse in Berlin-Hohenschönhausen mit, bis heute hält er Vorträge an Schulen.
2010 erfüllte sich für Wolfgang Lehmann im Münchner Olympiastadion ein großer Traum: Er durfte noch einmal auf ‚sein‘ Dach. „Nach 40 Jahren – ich war innerlich sehr aufgewühlt. Noch einmal hatte ich das Gefühl von früher, erinnerte mich, wie wir damals erst herausfinden mussten, wie man sich auf den Plexiglasplatten überhaupt bewegen kann, ohne herabzustürzen.“ Tatsächlich seilte sich der Über-80-Jährige dann noch aus 42 Metern vom Dach ab, schwebte durch das lichtdurchflutete Stadion. Zufrieden stellt er heute fest: „Es hält viel länger, als alle Skeptiker seinerzeit voraussagten, und wird wohl noch lange Bestand haben.“
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
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