Denkmalarten Kleine und große Kirchen Kurioses Menschen für Monumente Interviews und Statements Ausgabe Nummer Juni Jahr 2020 Denkmale A-Z K
Viele Kirchen in Deutschland stehen leer und kurz vor dem Abriss. Um sie zu retten, bauen Gemeinden sie zu Galerien, Konzerthallen oder Tauschbörsen um.
Zum Gebet kommt niemand mehr. Kinder toben im sieben Meter hohen Kletterregal, tüfteln an Werktischen und erkunden in wechselnden Ausstellungen die Schätze des Waldes oder den Zauber deutscher Märchen. 2003 eröffnete in der Eliaskirche in Berlin ein Kindermuseum. Das Konzept von der Kirche hin zum Lernort entwickelte der Architekt Klaus Block (68). Erst kürzlich war er dort: „Die Exponate werden bis zum Anschlag genutzt – leichte Abnutzung, ansonsten einwandfreier Zustand. Ein Nachhaltigkeitspreis wäre verdient.“ Die Umnutzung wurde schon damals mit Preisen geehrt: Denn die mutige Gestaltung der reversiblen Einbauten wahrt den Respekt vor dem Denkmal.
Nur ein Beispiel für eine umgenutzte Kirche. Denn Kirchen gibt es in
Deutschland ziemlich viele: 45.000 Stück zählt die Stiftung Baukultur
bundesweit – von der Dorfkapelle bis zur großstädtischen Kathedrale. Und
immer mehr von ihnen werden nicht in ihrer ursprünglichen Funktion
genutzt. Doch was passiert mit dieser bedeutenden Denkmalgattung in der
Zukunft? Erhalten, entweihen, umnutzen, abreißen? Diese Fragen stellen
sich viele Gemeinden. Denn der Mangel an Geld, Priestern und Gläubigen
erfordert Umdenken.
Bald schon werden in rund 30 Prozent von ungefähr 6.000 christlichen Kirchen in Nordrhein-Westfalen keine Festtags-Gottesdienste mehr gehalten, prognostiziert Jörg Beste (55, Projektplaner für Kirchen-Neunutzungen). Er berät Kirchengemeinden und arbeitete am Konzept der Initiative „Zukunft Kirchen Räume“ der Baukultur Nordrhein-Westfalen mit. Aus 20 Bewerbern wurden acht Kirchen ausgewählt. Sie sind mit von der Partie, wenn es darum geht, mit einem Experten-Netzwerk passende Konzepte zu entwickeln, um bedrohte Kirchen zu erhalten.
Laut Baukultur-Bericht von 2019 werden kulturelle Nutzungen wie Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Bibliotheken am besten angenommen. Das zeigen Projekte in ganz Deutschland: die Münchener Allerheiligen-Hofkirche der Residenz ist jetzt Konzerthalle und die denkmalgeschützte Kirche St. Agnes in Berlin eine erfolgreiche Galerie.
„Kirchen zeitgenössischer Architektur haben genauso wie historische Kirchen einen hohen geschichtlichen, baukulturellen, städtebaulichen, sozialen und identitätsstiftenden Wert“, erläutert Jörg Beste. Auch wenn religiöse Bindungen sich in der Gesellschaft verändern, sind die Gebäude gebaute Zeichen einer geteilten Kulturgeschichte. Und es bleibt dabei – sie erfüllen vielfältige Aufgaben in der Gesellschaft: Sie sind Orte der Spiritualität, Häuser der Einkehr und Gemeinschaft und beeindruckende Architektur- und Klangräume.
Für den Menschen
„Kirchen gehören der Gesellschaft und den Menschen und nicht nur den rechtlichen Besitzern“, betont der Sprecher der DFG-Forschungsgruppe Sakralraumtransformation Albert Gerhards (68, Universität Bonn). Bei Umnutzungen sollte es immer um die beste Lösung für die Gemeinde gehen. Ein gelungenes Beispiel ist das „Q1 – Haus für Kultur, Religion und Soziales“ in Bochum-Stahlhausen. Das Zentrum hat sich zum Mittelpunkt des Ortsteils entwickelt. Bei einem Wettbewerb der Wüstenrot Stiftung gewann die umgenutzte Kirche den ersten Preis: Es wurden intelligente Strategien gesucht, um gefährdete Kirchen zu erhalten. Das Herz der Anlage in Bochum ist der „Raum der Stille“. Hier können die Besucher weiterhin Besinnung und Ruhe finden.
Auch Petra Potz (57), Expertin für Soziale Stadtentwicklung in Berlin, sucht den Spielraum für Neues. Sie beschäftigt sich mit umgenutzten Kirchen und dem Effekt auf das Leben in Gemeinden: „Bei dem Projekt ,Kirche findet Stadt‘ wurde ein Leitfaden entwickelt, der gelingendes Handeln von Kirchen und Kommunen zeigt, aber gleichzeitig auch die Probleme in den Prozessen transparent macht.“ Viele Gemeinden haben Angst, diese Schritt zu Umnutzungen oder Nutzungserweiterungen zu gehen – trotz extremer Geldnöte und rückläufiger Mitgliederzahlen.
Werte erhalten
Die Ermutigung, Begleitung und Beratung von Experten ist besonders wichtig. Denn leider bedeutet jede Umnutzung auch Kompromiss und Substanzverlust. Verständlich, dass der Architekt und Denkmalpfleger Rainer Fisch (50) aus Berlin gern Kirche Kirche sein lässt und die Hallen in ihrer ursprünglichen Erhabenheit, Fremdartigkeit, Größe und Leere präferiert. Denn die Gesellschaft braucht diese öffentlich zugänglichen Räume.
Doch Umnutzungen und vor allem Nutzungsweiterungen müssen diese Werte nicht zerstören, sondern können dabei helfen, soziale und kulturelle Angebote zu schaffen und so Kirchen zu erhalten. Für Annette Liebeskind, Leiterin der Denkmalförderung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, ist eine andere Nutzung besser als die drohende Abrissbirne. Dabei steht der Substanzerhalt ganz oben im Kriterienkatalog. „Wir handeln immer denkmalverträglich. Ob und welche Nutzung Sinn ergibt, wird von Objekt zu Objekt entschieden.“
Ein vorbildliches Beispiel ist die Bücherkirche Axien in Sachsen-Anhalt, die als Tauschbörse für Literatur genutzt wird. Dabei ist es der Gemeinde gelungen die liturgische Funktion zu erhalten und nicht in die Bausubstanz einzugreifen. Von der Empore blickt die Projekt- beauftragte Annette Schmidt gerne in das Kirchenschiff: Das hölzerne Gestühl, das kreisrunde Taufbecken und die byzantinischen Wandmalereien – nichts wurde verändert. Die maßgeschreinerten Bücherregale in der Sakristei oder auf der Empore fertigte der lokale Tischler im passenden Duktus zur Ausstattung und als reversible Einbauten.
Der Schutz des Denkmals bleibt unerlässlich. Im Weiterbau von Kirchen liegt eine anspruchsvolle Aufgabe – und die sollte in hoher Qualität vom Denkmalpfleger über den Architekten bis hin zum Pfarrer bedacht, weiterentwickelt und umgesetzt werden. Denn der Projektplaner Jörg Beste sagt zu Recht: „Kirchen sind Chancen und jede abgerissene Kirche ist eine verpasste Chance.“
Svenja Brüggemann
Jede Kirche, die wir durch geschickte Umgestaltung als solche erhalten können, ist ein Gewinn. Aber das gelingt nicht immer. Manchmal müssen Gemeinden aus finanziellen Gründen einzelne Kirchen aufgeben, um andere als Gottesdienststätten erhalten zu können.
In der Evangelischen Kirche im Rheinland gibt es viele gute Beispiele für gelungene Umnutzungen: In Köln ist aus einer Kirche eine Jugendherberge geworden. In Wuppertal bietet eine ehemalige Kirche Wohnungen für Alleinerziehende. Im Oberbergischen beherbergt die ehemalige Dorfkirche Kempershöhe seit ein paar Jahren das Bergische Drehorgelmuseum. Die Liste lässt sich mühelos fortsetzen.
In einer ehemaligen Kirche geht nicht alles. Je näher die Nachfolgenutzung am ursprünglichen Zweck ist, umso besser. Ein Sonnenstudio oder ein Supermarkt sind vom ursprünglichen Zweck des Hauses zu weit weg. Doch es geht eine ganze Menge. Und das ist auch gut so, damit die oft ortsbildprägenden Gebäude erhalten und als das erkennbar bleiben, was sie auch als Kirchen immer waren: gute Orte für Menschen.
Ein einfaches Pro und Contra gibt es in der Frage der Umwidmung von Kirchen nicht. Und doch hat die Position des Contra ihr Recht, kann sie doch helfen, keinen schleichenden oder offenen Gewöhnungsprozess eintreten zu lassen in der Profanierungswelle (Entweihung, d. Red.), die unsere kirchliche und kulturelle Welt zu überrollen droht.
Was ist eine Kirche? Im feierlichen und durchaus großen Weiheakt wurde sie den allgemeinen menschlichen Zwecken entzogen. Sie ist ein heiliges und somit abgegrenztes Gebäude inmitten vieler anderer Häuser, die unterschiedlichen Zwecken zugeordnet sind.
Was ist eine Kirche? Sie hat keinen funktionalen Erstsinn. Sie ist der architektonische Platzhalter des unverfügbaren Gottes in einer allen möglichen Zwecken zugeordneten Gebäudelandschaft. Sie steht für das, was über den Menschen hinaus ist.
Der Weiheakt der Kirche ist nicht wirklich rücknehmbar, wie es der Begriff der Profanierung zu suggerieren scheint. Gleich welche Umwidmung sie erfährt, und sei es die misslungene einer Kletterkirche, sie bleibt doch eine Kirche.
Ob die kleine Dorfkirche oder die großstädtische Synagoge – Sakralbauten sind schützenswert und bedeutend. Natürlich bevorzugen wir die authentische Nutzung! Aber häufig gelingt der Erhalt nur in anderer Funktion: Umnutzungen sollen die bedrohte Gattung retten. Diesen Wunsch, denkmalgeschützte Substanz zu erhalten, schätzen wir, plädieren aber für eine denkmalgerechte Nutzung, die Handwerk, Kreativität und Kunsthistorie wahrt. Denn wir denken weiter und erhalten Denkmale auch für nächste Generationen.
Panta Rhei - alles fließt: Die Metamorphose eines alten Hallenbades zu einer Kulturstätte ist ein spannendes Beispiel für die Umnutzung von Denkmalen.
Alles Leben ist Wandel. Aus der Sicht des katholischen Theologen ist dem, was Gottfried Kiesow schon vor einem Jahrzehnt auf einer Tagung zu "Kirchenbau zwischen Aufbruch und Abbruch" im Bistum Münster ausführte, voll und ganz zuzustimmen: "Die Kirchenbauten waren von Anbeginn in gleicher Weise einem bis heute währenden Wandel unterworfen wie die Auslegung der Heiligen Schrift und besonders die Liturgie, die am stärksten Einfluss auf die Gestaltung der sakralen Innenräume hatte."(1)
Mit Bildergalerie: Das Technikdenkmal Maschinenhaus 2 der Grube Göttelborn vereint Wohnen und Arbeiten mit einem besonderen Haus-in-Haus-Konzept. Die Umnutzung rettete das Industriedenkmal. Jetzt gibt es Probleme mit der Außenhülle.
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Mit Interesse habe ich den Beitrag zu Kirchenumnutzungen gelesen. Bei einer Rundreise durch Belgien sind mir gleich drei derartige Kirchen begegnet, deren Umnutzung ich durchaus für gelungen gehalten habe:
1. Martin's Paterhof in Mechelen, eine gotische Zisterzienserabteikirche, ist heute ein wunderbares 4*-Hotel, in dem man hervorragend sowohl in einer Zelle als auch hinter gotischen Glasfenstern in einem oberen Kirchengeschoss schlafen kann. (www.martinshotels.com)
2. Eine Dominikanerkirche aus dem 13. Jhdt. in Maastricht ist heute eine gut sortierte Buchhandlung, in welcher man in Umgängen auf zwei Stockwerken die Bücher in den Regalen aussuchen kann. Im Chor ist ein gemütliches Lesercafé eingerichtet.
3. Die Barockkirche Saint-Jacques in Namur wurde zu einem Damenmodegeschäft umgewandelt. Die Altäre wurden beibehalten, ebenso die Beichtstühle, die allerdings nicht als Umkleidekabinen missbraucht wurden.
Allen drei Kirchen war von außen die Umnutzung nicht anzusehen. Mich hat jedenfalls die Fantasie der Innenarchitekten jeweils sehr beeindruckt.
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