Denkmalarten Kleine und große Kirchen Stile und Epochen Nach 1945 Menschen für Monumente Interviews und Statements Ausgabe Nummer Februar Jahr 2020

Zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm

Meister der Betonarchitektur

Gottfried Böhm gehört zu den bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts. Am 23. Januar ist der Altmeister 100 Jahre alt geworden. Dazu möchten wir ihm herzlich gratulieren.

Noch jeden Vormittag kommt Gottfried Böhm, soweit es seine Gesundheit zulässt, in das Haus Am Römerberg. 1932 hatte es sein berühmter Vater, der Architekt Dominikus Böhm, als sein Wohn- und Atelierhaus errichten lassen. Inzwischen wird es von der Architektenfamilie in der dritten Generation genutzt. Drei der vier Söhne von Gottfried Böhm – Sohn Markus ist Künstler – sind beruflich in seine Fußstapfen getreten und haben hier ihre Büros. Den Hundertjährigen kostet es Anstrengung, die Treppen zum Eingang hochzusteigen. Ist das geschafft, setzt er sich in den Erker des Besprechungsraums, der einst das Wohnzimmer der Familie war, trinkt seinen Kaffee und isst ein paar Kekse. Und wenn sich Mitraucher finden, genießt er auch gerne eine Zigarette.

Trotz seines hohen Alters geht Gottfried Böhm noch täglich in das Architekturbüro, das von seinen Söhnen Paul, Peter und Stephan weitergeführt wird. Privat- und Arbeitsleben hat Gottfried Böhm nie voneinander abgegrenzt.
Köln, Haus Am Römerberg © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Trotz seines hohen Alters geht Gottfried Böhm noch täglich in das Architekturbüro, das von seinen Söhnen Paul, Peter und Stephan weitergeführt wird. Privat- und Arbeitsleben hat Gottfried Böhm nie voneinander abgegrenzt.

„Schauen Sie sich doch bitte diesen schönen Raum an und die vielen tollen Arbeiten“, sagt Gottfried Böhm, der von seiner Person ablenken und unsere Aufmerksamkeit lieber auf das umfangreiche Schaffen der Familie richten möchte. Es stimmt: Wir, die häufig mit dem Verlust von originaler Bausubstanz konfrontiert werden, sind begeistert. Vom Erker hat man nicht nur einen traumhaften Blick in den von seiner Frau Elisabeth angelegten Garten, sondern auch in den lichtdurchfluteten Raum, der mit all den erhaltenen Details die Wertschätzung gegenüber dem Werk des Vaters respektive Großvaters spüren lässt. Im Zimmer sind Modelle, Pläne und Kunstwerke der ‚Böhm-Dynastie‘ ausgestellt: etwa ein Modell des Potsdamer Hans-Otto-Theaters (2006) von Gottfried oder die Porträtbüste von Dominikus Böhm (1944), die ebenfalls aus seiner Hand stammt. 


70 Kirchen und noch viel mehr

Ursprünglich hatte Gottfried Böhm nämlich Bildhauer und nicht Architekt werden wollen. Die Sorge, den Ansprüchen seines Vaters nicht zu genügen, trieb ihn um: „Ich hatte Angst, dass ich das nicht schaffe“. Dabei bezog Dominikus den Sohn schon früh in sein Arbeiten ein und wurde sein wichtigster Lehrer. Als Kind durfte Gottfried Böhm Fensterentwürfe ausmalen und bereits vor Abschluss seines Studiums half er dem Vater bei kleineren Aufträgen. Nach dem Tod von Dominikus 1955 stand dann außer Frage, dass er das Büro übernimmt.

Er gehört zu Böhms Meisterwerken: Der Wallfahrtsdom (1966–68) bietet 7.000 Gläubigen Platz und ist die zweitgrößte Kirche des Kölner Erzbistums. Seine Form erinnert an eine monumentale Plastik, die sich wie eine zackige Stadtkrone über den Ort erhebt. Die restaurierten Dachflächen setzen sich hell von den noch rissigen, vermoosten Bereichen des Faltdachs ab.
Neviges, Wallfahrtskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Er gehört zu Böhms Meisterwerken: Der Wallfahrtsdom (1966–68) bietet 7.000 Gläubigen Platz und ist die zweitgrößte Kirche des Kölner Erzbistums. Seine Form erinnert an eine monumentale Plastik, die sich wie eine zackige Stadtkrone über den Ort erhebt. Die restaurierten Dachflächen setzen sich hell von den noch rissigen, vermoosten Bereichen des Faltdachs ab.

Lange Zeit lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit – wie bei seinem Vater – auf dem Bau von Kirchen. Über 70 realisierte Gotteshäuser gehören zu Gottfried Böhms Œuvre, mehr als ein Dutzend stehen allein in Köln. Wie sein erstes unabhängiges Werk, die 1949 gebaute Kapelle „Madonna in den Trümmern“. Als die Welle des Kirchenbaus dann in den 1970er-Jahren nachließ, plante er Verwaltungsbauten, Kaufhäuser, Festhallen und Wohnsiedlungen.  


Weltweit berühmt geworden ist der Künstlerarchitekt Gottfried Böhm vor allem durch seine skulpturalen Betonbauten aus den 1960er-Jahren, für die er 1986 als erster Deutscher mit dem Pritzker-Preis, dem „Nobelpreis“ für Architektur, geehrt wurde.


Bis heute wirken diese kraftvollen Stahlbeton-Gebilde in Form und Material radikal. Errichtet über einem asymmetrischen Grundriss sind die Gebäude häufig bis in das Dach hinein plastisch modelliert – gleich einem überdimensionierten Kristall oder einer Felsformation. In der schlichten Wandgestaltung zwischen innen und außen macht Böhm keinen Unterschied: Der Werkstoff Beton wird gerne rau und karg belassen und trägt mit einer dramaturgischen Lichtführung zur mystischen Atmosphäre bei.

Der Innenraum des Wallfahrtsdoms mit dem bekannten Rosenfenster.
Neviges, Wallfahrtskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Der Innenraum des Wallfahrtsdoms mit dem bekannten Rosenfenster.

Den Höhepunkt dieser Schaffensperiode bildet die Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens in Velbert-Neviges bei Wuppertal, mit der Böhm 1968 eine Inkunabel der deutschen Nachkriegsarchitektur schuf. Er findet diesen Raum immer noch sehr gelungen, vor allem „wie er das Abstrakte der Fläche betont“.


Nicht nur Gottfried Böhm hat inzwischen ein stolzes Alter erreicht. Auch viele seiner Bauten haben längst große Jubiläen gefeiert und genießen Denkmalschutz. Als Urheber ist die Böhm-Familie in die Restaurierungsprojekte involviert. Aktuell wird der große Wallfahrtsdom in Neviges saniert. Dass bei der schwierigen Betonsanierung ein innovatives Verfahren erfolgreich zur Anwendung kommt, ist auch der Unterstützung durch die DSD zu verdanken.


Textilbeton für den Wallfahrtsdom

Das große Faltdach des Mariendoms war schon kurz nach seiner Fertigstellung undicht. Ende der 1970er-Jahre versah man das Stahlbetondach mit einer hellen Kunststoffbeschichtung – ohne Erfolg: Weiterhin drang Regenwasser durch Risse in das Dach und führte zur Korrosion der Armierung.

Annette Liebeskind, die Leiterin der Abteilung Denkmalförderung bei der DSD, begutachtet mit Architekt Peter Böhm die Sanierungsfortschritte auf dem Dach der Wallfahrtskirche: Hier sind die Vorarbeiten für die Aufbringung des neuartigen Textilbetons in vollem Gange. Dank der Deutschen Stiftung Denkmalschutz konnte diese innovative Methode der Sanierung erstmals an einem denkmalgeschützten Betonbau angewendet werden.
Neviges, Wallfahrtskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Annette Liebeskind, die Leiterin der Abteilung Denkmalförderung bei der DSD, begutachtet mit Architekt Peter Böhm die Sanierungsfortschritte auf dem Dach der Wallfahrtskirche: Hier sind die Vorarbeiten für die Aufbringung des neuartigen Textilbetons in vollem Gange. Dank der Deutschen Stiftung Denkmalschutz konnte diese innovative Methode der Sanierung erstmals an einem denkmalgeschützten Betonbau angewendet werden.

Auf der Suche nach einer dauerhaften Lösung entwickelte Peter Böhm gemeinsam mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen speziell für den Mariendom eine innovative Methode, die zunächst im Labor mehrfach getestet wurde: „Die neue Schutzschicht besteht aus drei Lagen Spritzbeton mit zwei Einlagen Carbonfasergewebe, einer Bewehrungsmatte vergleichbar.“ Bei einer geringen Dicke weist dieser Textilbeton eine extrem hohe Zugfestigkeit auf und verteilt die unvermeidlichen Konstruktionsrisse so fein, dass kein Wasser eindringen kann. Schließlich bildet die neue Dachhaut die Oberfläche und die scharfen Kanten des übrigen Baukörpers mit seinen Schalungsspuren hervorragend nach.


Überzeugt von dem hochwissenschaftlichen Verfahren förderte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2015/16 an der Betonkirche die Arbeiten an der ersten Musterfläche. Peter Böhm würdigt diese Hilfe ausdrücklich: „Die Förderzusage der Deutschen Stiftung Denkmalschutz war eine Initialzündung. Die Wertschätzung unserer Arbeit durch Ihre unabhängige Stiftung stärkte uns sehr bei der Umsetzung der Planung.“ Nachdem das Ergebnis überaus zufriedenstellend war, ist inzwischen die Hälfte des Daches nach dieser Methode saniert. Die Wallfahrtskirche mit ihren Schrägen und ihrem Standort im feuchten Bergischen Land ist ein guter Testfall für dieses Verfahren, das im Rahmen von Betonsanierungen gewiss Schule machen wird.

Fachgespräch im Büro der Architektenfamilie: Gottfried Böhm, Annette Liebeskind (DSD) und Peter Böhm mit einem Modell des Mariendoms
Köln, Haus Am Römerberg © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Fachgespräch im Büro der Architektenfamilie: Gottfried Böhm, Annette Liebeskind (DSD) und Peter Böhm mit einem Modell des Mariendoms

Mit 99 Jahren ist der Altmeister noch auf das Dach gestiegen, um das Ergebnis selbst in Augenschein zu nehmen. Der Vater ist stolz auf seinen Sohn Peter, „der diese Art der Sanierung eingeleitet hat“, und dankbar darüber, dass Peter ihn immer wieder hat mitdenken lassen. Bis heute möchte der ‚Boss‘, wie er von den Kindern genannt wird, wissen, mit welchen Projekten sie sich beschäftigen und sich einbringen. Auf die Frage, ob die Familie heute eher durch die Enkel, Söhne oder  durch ihn auf Trab gehalten wird, hüllt sich Gottfried Böhm in Schweigen – und schmunzelt.


Amelie Seck


Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens (Mariendom)

Elberfelder Straße 12

42553 Velbert-Neviges.

Neviges liegt ca. 10 km nördlich von Wuppertal.

Service


Biographie

1920 geboren in Offenbach am Main

1939–1942 Kriegsdienst

1942–47 Studium der Architektur an der Technischen Hochschule und der Bildhauerei an der Kunstakademie München

1947–50, 1952–55 Mitarbeit im Büro des Vaters Dominikus Böhm, nach dessen Tod übernimmt er das Büro

1948 Heirat mit der Architektin Elisabeth Haggenmüller (1921–2012), aus der Ehe gehen vier Söhne hervor

1950 tätig für die Wiederaufbaugesellschaft der Stadt Köln unter Rudolf Schwarz

1951 Studienreise in die USA, besucht Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe

1963–1985 Professur an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen

Ab 1983 Zusammenarbeit mit den drei Söhnen, die ebenfalls Architektur studiert haben: Stephan, Peter und Paul

1986 Pritzker-Preis



"BÖHM 100. Der Beton-Dom von Neviges." Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt, Galerie im Erdgeschoss, 18.01.–26.04.2020, mit umfangreichem Vortragsprogramm,   www.dam-online.de


Anlässlich des 100. Geburtstags von Gottfried Böhm finden über das Jahr viele Vorträge und Veranstaltungen statt, organisiert von verschiedenen Initiativen, Vereinen und Institutionen: www.boehm100.de


Einen ausführlichen Artikel über die Familie Böhm finden Sie hier (Monumente 1/2010).


Unter www.monumente-shop.de können Sie ein Briefkartenset und ein Seidentuch mit dem Motiv des Rosenfensters aus dem Mariendom bestellen.

  

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2 Kommentare

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  • Kommentar als unangemessen melden
    Marco Antonio Robinson Calderón schrieb am 14.08.2020 02:53 Uhr

    Die Wallfahrtskirche ist ein Golgatha gemacht in Beton inmitten des landschaft.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Marco Antonio Robinson Calderón schrieb am 16.08.2020 01:48 Uhr

    Ein Leben der Baukunst geweiht.

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