Denkmalarten Kleine und große Kirchen Stile und Epochen Barock Gotik Romanik Denkmale in Gefahr Ausgabe Nummer August Jahr 2019
Die evangelische Pfarrkirche von Altenkirchen ist die älteste Dorfkirche der Insel Rügen. Die idyllische Lage trügt: Der Bau hat ein gravierendes Feuchteproblem.
Er hatte nicht viel erwartet von seiner neuen Heimat, diesem abgeschiedenen und den „Genüssen der Gesellschaft fast unzugänglichen Winkel der Erde“. 1792 übernahm Ludwig Gotthard Theobul Kosegarten (1758–1818) die Pfarrstelle in Altenkirchen auf Wittow, der nördlichsten Halbinsel Rügens. Ein wahrhaft entlegener Fleck. Einsam, aber alles andere als gottverlassen, wie Kosegarten bald erkannte.
Der Theologe hatte sich schon viele Jahre literarisch betätigt, Romane und Gedichte verfasst sowie Schriften englischer Gelehrter übersetzt. Er pflegte Kontakt zu Ernst Moritz Arndt, zu Wilhelm von Humboldt, Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich, korrespondierte mit Herder, Goethe und Schiller.
Nicht nur Franz Schubert sollte seine Gedichte vertonen. Ebenso poetisch wie pathetisch pries Kosegarten die Schönheit der Insel Rügen, viele Romantiker taten es ihm mit ihren Mitteln nach. Überwältigt von der Erhabenheit der Natur auf Wittow – dieser „ganzen erschütternden Majestät“– verarbeitete der Pfarrer dieses Erleben in naturreligiösen Predigten.
Auch griff er die alte Tradition der Ufergottesdienste für die Fischer wieder auf. Da es diesen zur Zeit des Heringsfangs nicht möglich war, ihr Dörfchen Vitt an der Küste zu verlassen, ging Kosegarten zu ihnen. Er sprach unter freiem Himmel, den Blick auf das Meer immer einbeziehend: In dessen Weite und Schönheit offenbare sich Gott ganz unmittelbar, wusste er zu vermitteln. Die Predigten des Inselgeistlichen wurden veröffentlicht, zogen auswärtige Zuhörer an und machten Vitt weithin bekannt. Um von schlechter Witterung unabhängig zu sein, initiierte Kosegarten dort den Bau der achteckigen Uferkapelle (1808–16).
1808 übernahm er eine Professur in Greifswald, zunächst für Geschichte, später für Theologie. Als Kosegarten 1818 starb, wurde er neben der Kirche von Altenkirchen begraben. Der heutige Amtsinhaber Christian Ohm hält die Erinnerung an den „Dichterpfarrer“ auf vielfältige Weise wach – nicht nur durch regelmäßige Ufergottesdienste.
Kosegartens eigentliche Wirkungsstätte war die alte Dorfkirche – ein Kleinod, das zwei Jahrhunderte später nichts von seinem Reiz eingebüßt hat. Ein wenig versteckt und doch imposant liegt sie da, auf der kleinen Anhöhe, umfriedet von dem idyllischen Kirchhof.
Der Backsteinbau wurde von den allerersten Christen auf Rügen begonnen und ist ein wichtiges Zeugnis der späten Christianisierung der Insel. Erst 1168 war das slawische Heiligtum auf dem nahen Kap Arkona durch die Dänen zerstört worden. Die dänischen Mönche waren es auch, die die Ziegelmauertechnik in dieser Gegend einführten. Es war ein deutliches Zeichen, das die zur „wahren Religion“ Bekehrten mit diesem Gotteshaus setzten.
Die Kirche, die ursprünglich eine flache Holzdecke hatte, wurde nach 1200 geweiht. Heutigen Besuchern zugewandt ist der älteste und schönste Teil: Das romanische Chorquadrat und die Apsis sind mit Zahn-, Dreieckfriesen und kleinen Kopfkonsolen aufwendig verziert. Eine Besonderheit ist der an der Südseite eingemauerte „Svantevit-Stein“, der vom heidnischen Kult der westslawischen Ranen auf Rügen zeugt und bis heute Rätsel aufgibt.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verlängerte und erweiterte man das Langhaus zu einer dreischiffigen Basilika. Wie beim Chor besteht der untere Teil des Mauerwerks aus Feldsteinen. Unter dem steilen Satteldach ist der Innenraum mit einem gotischen Kreuzrippengewölbe überspannt.
In der Apsis sind noch romanische Malereien erhalten, im Langhaus Kleeblattfriese, symbolische Tierdarstellungen und Drolerien aus gotischer Zeit. Weitere bauliche Veränderungen erfolgten im 19. Jahrhundert: Das Westportal wurde zugemauert – seitdem befindet sich der Eingang an der Südseite – und das neogotische Gestühl installiert.
Aus dem wertvollen Inventar sticht die romanische Kalksteintaufe hervor, die aus Gotland nach Altenkirchen kam und ursprünglich in der Nähe des Eingangs aufgestellt war. Die plastisch gearbeiteten Männerköpfe personifizieren die vier Paradiesflüsse – ein seit dem 12. Jahrhundert geläufiges Motiv an Taufbecken. Weitere Kunstwerke kamen im Barock hinzu: Der prachtvolle Altaraufsatz des Stralsunder Bildhauers Elias Keßler, 1724 von der Rügener Adelsfamilie von Bohlen gestiftet, oder der Orgelprospekt des Berliner Orgelbauers Ernst Marx.
All diese Schätze sind nun nicht mehr sicher. Die Natur, die Kosegarten so schwärmerisch besang, hat sich der Kirche mittlerweile in unguter Weise bemächtigt. Im Innenraum wachsen Moose auf dem Mauerwerk. An einigen Stellen so weich und dick, dass man die Fingerspitzen darin versenken kann. Das Bauwerk hat ein Feuchteproblem, für jeden sicht- und spürbar. Darüber hinaus machen Schäden am Dach und am Mauerwerk Sorge.
Schon seit 2014 werden Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, die allerschlimmsten Stellen sind bereits restauriert. Über der Kanzel und der Orgelempore drohten sogar Bereiche der Gewölbe herunterzubrechen. Durch den Umstand, dass das steile Dach des Langhauses keinen Überstand hat, war die Fassade kaum trocken zu halten. Hier schaffen mittlerweile Dachrinnen Abhilfe.
Große Probleme bereitet nach wie vor der instabile Ostgiebel des Langhauses. Provisorisch angebrachte Bohlen sollen den Absturz einzelner Teile verhindern. Auch der Ostgiebel des Chors neigt sich sichtbar. Die Instandsetzung des Außenmauerwerks sowie des Chordachstuhls sind dringend notwendige Maßnahmen. Die bleiverglasten Fenster müssen saniert werden, Teile der Verglasung haben sich gelöst, der Rost der eisernen Halteisen hat die gemauerten Rippen gesprengt.
Auch ist der Einbau eines sensorgesteuerten Lüftungssystems geplant, das dauerhaft für ein besseres Raumklima sorgen würde. Ein Ventilator im Dachstuhl soll die feuchte Luft nur dann ableiten, wenn keine feuchtere Außenluft nachströmen kann. Dieses Verfahren hat sich bereits in anderen Dorfkirchen bewährt.
Immerhin hat die von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz treuhänderisch verwaltete Ursula und Hubert Rothärmel-Stiftung bereits eine großzügige Unterstützung für Altenkirchen zugesagt – das Geld wird für die Arbeiten an den Fenstern verwendet. Dennoch sind finanzielle Lücken zu stopfen, um die Zukunft dieser Kirche zu sichern.
Der für die Geschichte der Insel so wichtige Bau zieht nicht nur Rügener, sondern auch viele Feriengäste an. Im Sommer sind die Bankreihen immer gut besetzt: nicht nur zu den Gottesdiensten, sondern ebenso bei den ambitionierten Kulturveranstaltungen.
Der Kirchen- und Musiksommer Nordrügen, bei Einheimischen wie Urlaubern gleichermaßen beliebt, feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Konzipiert und organisiert von Christian Ohm, bietet er von Juni bis September Konzerte, Lesungen und Vorträge mit namhafter Besetzung.
Unter den verschiedenen Spielstätten auf Wittow ist Altenkirchen der Leuchtturm. Auch damit knüpft der Pfarrer an die von Kosegarten begründete Tradition an, reges geistiges Leben in diesen malerischen Winkel zu holen.
So abgeschieden Altenkirchen bis heute auf der Landkarte erscheint, an Aufmerksamkeit für die Dorfkirche mangelt es nicht. Sie wirkt – ihrer Bedeutung angemessen – weit über Nordrügen hinaus. Damit dieses Denkmal seine Schönheit auf Dauer bewahren kann, bitten wir um Ihre Mithilfe!
Bettina Vaupel
Pfarrkirche Altenkirchen,
Karl-Marx-Platz, 18556 Altenkirchen,
Tel. 038391 366, tägl. geöffnet
Im Kosegartenhaus auf dem Kirchhof informiert eine Ausstellung über Leben und Werk des Dichterpfarrers (Mitte Mai – Ende Oktober, tägl. 9–17 Uhr)
Programm Kirchen- und Musiksommer unter www.kirche-altenkirchen-ruegen.de
Auch kleinste Beträge zählen!
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