Denkmalarten Kleine und große Kirchen Schlösser und Burgen Ausgabe Nummer Juni Jahr 2019 Denkmale A-Z F
Er hätte für unser Magazin Monumente schreiben können: Fontanes ausgeprägte Reiselust hinderte ihn nicht daran, den baulichen und landschaftlichen Reichtum in seiner nächsten Umgebung zu bewundern. Mit seinen Texten über die Mark Brandenburg wollte er ein Bewusstsein schaffen für Kultur und Geschichte vor der Haustür.
„Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, nur hie und da mit ein paar alten Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas- und Teeröfen besetzte Waldung. Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt ‚der Stechlin‘.“ So sieht er also aus, der Stechlinsee in Brandenburg. Oder auch nicht.
„Hohen-Vietz war ursprünglich ein altes, aus den Tagen der letzten Askanier stammendes Schloß mit Wall und Graben und freiem Blick ostwärts auf die Oder. Es lag auf demselben Höhenzuge wie die Kirche (…) und beherrschte den breiten Strom wie nicht minder die am linken Flußufer von Frankfurt nach Küstrin führende Straße.“ So muss es aussehen, das Schloss Hohen-Vietz im Oderbruch. Oder auch nicht.
Es sind die Beschreibungen eines Romanautors, die See und Schloss vor unserem inneren Auge entstehen lassen. Aber es sind auch die Beschreibungen eines wachen, neugierigen, aufgeschlossenen „Wanderers“: Theodor Fontane (1819–98) hat sie geschrieben, in seinem letzten und in seinem ersten Roman, „Der Stechlin“, 1898, und „Vor dem Sturm“, 1878. Dazwischen liegen zwanzig Jahre und zehn weitere Romane, nicht zu sprechen von unzähligen Gedichten, Balladen und journalistischen Arbeiten.
Seine Romane, meist als Gesellschaftsromane bezeichnet, sind auch Raum-Romane, und Fontane wusste, wovon er schrieb. Intensive Begegnungen, Reisen, „Wanderungen“ – lange bevor er endlich der Romancier werden konnte, als der er später gefeiert wurde – liegen all seinen großen Werken zugrunde. Er erfand keine Luftschlösser, die lediglich als Architektur für seine Figuren herhalten mussten. Er versetzte intensiv geschaute Bauten und Landschaften und erfüllte sie mit Charakteren, wie sie ihn real umgaben.
So konnten Zeitromane entstehen, deren Detailrealismus auch heute noch in den Bann zieht. Und so spielt es eigentlich keine Rolle mehr, ob es den Stechlinsee wirklich gibt – ja, nicht aber das gleichnamige Schloss. Oder das Schloss Hohen-Vietz – nein, es ist das Resultat aus Betrachtungen verschiedener Schlösser, unter anderem möglicherweise des 1962 abgetragenen Schlosses Reitwein im Oderland.
Aus realen werden fiktionale Orte
Fontane selbst hat immer wieder in seinen tausenden, unter anderem im Potsdamer Fontane-Archiv verwahrten Briefen und Tagebucheinträgen die Fiktionalität seiner Romane gegenüber der Faktizität der „Wanderungen“ betont. Allerdings muss man auch die von 1861 bis 1881 entstandenen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ als Entwicklungsstufe lesen, in der er sich zwischen der reinen Deskription realer Bauwerke und Landschaften und der Gestaltung der Roman-Orte bewegt.
Ein Beispiel nur unter zahlreichen: Kloster Wutz, das Damenstift im „Stechlin“: Die reale Vorlage ist wohl Kloster Lindow im Land Ruppin. Natürlich kannte Fontane es wie seine Westentasche, ist doch Neuruppin, wo er Kindheit und später Gymnasialzeit verbrachte, seine Heimat. Für die „Wanderungen“ hat er Kloster Lindow so beschrieben: „(…) eines Konglomerates von Häusern und Ruinen ansichtig, um welches sich eine niedrige Steinumwallung: die Einfriedigung von Kloster Lindow, zieht. (…) mit einem in Trümmern liegenden Langbau, der sehr wahrscheinlich einst das Refektorium des alten Klosters ausmachte (…), und jeder Zauber wäre dieser Verfallstätte längst abgestreift, wenn nicht die hohen, stehengebliebenen Giebelwände wären, mit ihren gotischen Nischen und Fenstern und ihrem Storchennest darauf.“
Im Roman wird daraus Kloster Wutz: „In der Tat, wohin man sah, lagen Mauerreste, (…) Verblieben nur noch die zwei Schmalseiten, von denen die eine nichts als eine von Holunderbüschen übergrünte Mauer, die andere dagegen eine hochaufragende mächtige Giebelwand war (…) daß sich auf höchster Spitze der Wand ein Storchenpaar eingenistet hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer weiß, ob etwas hält oder fällt.“
Die literarische Umformung wird deutlich, aber tatsächlich ist auch schon die Deskription für die „Wanderungen“ durchaus suggestiv. Dieser eine ausgewählte Schauplatz soll vor allem eines verdeutlichen: Vor-Ort-Begegnungen mit Theodor Fontane machen Freude, und sein Werk ist viel mehr als nur Steinbruch für Marketing-Sprüche der Regionen, mehr als nur Vermarktungshilfe.
Öffentlichkeitsarbeit für Preußen in England – und umgekehrt
Dabei hatte Fontane selbst einen ausgeprägten Sinn für Vermarktung: Wo immer er lebte – er wusste sich zu vernetzen. Seine Freundschaften waren sicher zunächst vom Bedürfnis nach menschlicher Nähe geprägt. Aber er hatte auch einflussreiche Freunde und Bekannte, er pflegte den Kontakt zu ihnen nicht zuletzt im Wissen darum, dass er Mitstreiter brauchte. Politiker, Beamte, Verleger, Literaten, Künstler und immer wieder Mitglieder des Adels – das war seine Welt, und sie war ihm gleichermaßen persönlich wie geschäftlich wichtig.
Nehmen wir seine Liebe zu England: Seine erste Berührung 1844 war eine Art „Pauschalreise“ mit Schiffsfahrt, Unterkunft und Besichtigungen in London, die er zusammen mit einem vermögenden Freund unternommen hatte. Sein zweiter Aufenthalt 1852 war erheblich professioneller und Ergebnis erfolgreichen Vernetzens: Für fünf Monate war er im Auftrag der Preußischen Zeitung „als Feuilletonist oder politischer Correspondent“ in England.
Er wusste die Zeit auch literarisch zu nutzen. Teile seines Romans „Unwiederbringlich“ fußen auf dem hier Erlebten, auch auf seinen Beobachtungen der aristokratischen Welt. Nach weiteren Jahren als Korrespondent in Berlin folgt endlich der ersehnte Auftrag: Als dem preußischen Gesandten unterstellter Beobachter wirkte er ab 1855 für fast fünf Jahre in die englische Presse, verbreitete „Goodwill“ für die preußische Politik, betrieb geradezu pro-preußische Öffentlichkeitsarbeit. Zudem berichtete er aus England: von Ausstellungen, Theaterstücken, der Gesellschaft und dem englischen Zeitungswesen, alles seine Herzensthemen. Die Ergebnisse dieser Arbeit waren nicht nur lebendige Reportagen, die in der Heimat publiziert wurden, sondern auch Ideen für spätere Romane – von denen er freilich in seiner Zeit als Journalist vorerst nur träumen konnte.
Und jammern konnte er. Eigentlich war er immer leicht rastlos und unzufrieden, was seine Freunde belustigte und ihm den Spitznamen „Nöhl“ einbrachte. Nicht nur sie mussten über seine manchmal sicher lästige Unlust auf Stillstand und seinen Unmut über die literarische – und auch ökonomische – Situation hinwegsehen. Besonders gefordert waren natürlich seine Ehefrau Emilie und seine Kinder. Während der Londoner Zeit musste sie zunächst in der Heimat alleine mit Schwangerschaften, aber auch Verlusten im Kindbett zurechtkommen. Auch wenn, was Fontane schwer beeindruckte, London–Berlin zwischenzeitlich in eineinhalb Tagen zu bewältigen war, zog Emilie mit den Söhnen George und Theodor später nach. Der gemeinsame Hausstand in London, die wachsende Familie und der große Freundeskreis, ab 1859 dann auch wieder in Berlin, entschädigten vielleicht für vieles.
Journalist und dann endlich: Romancier in Berlin
Das Ehepaar legte die Fundamente für das entstehende „Familienunternehmen“ Fontane. Theodor selbst hat seine Arbeit und die daraus resultierende für seine Familie gelegentlich als „Laden“ bezeichnet. Die vielen Ideen- und Notizen-Sammlungen, die ausführlichen und inspirierenden Reisen – kurz: seine enorme Produktivität, sie wäre ohne die Hilfe von Emilie, später auch von seinen Kindern und sogar von seinen Geschwistern kaum denkbar gewesen. Fontanes Schwester recherchierte in seinem Auftrag in Brandenburg, Emilie ordnete seine Notizen und schrieb seine Manuskripte ins Reine, Tochter Martha las und half, auch als Kritikerin. Und Sohn Friedrich wurde sein zweiter und sehr erfolgreicher Verleger.
Zunächst wie sein Vater gelernter Apotheker war Theodor Fontane später Journalist in den Ressorts Feuilleton, Politik und Außenpolitik (er war auch Berichterstatter im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, was er freilich zur gegebenen Zeit wiederum literarisch verwendete), PR-Agent, Reiseschriftsteller und Romanautor – eine Karriere im Wandel und damit dem Jahrhundert, in dem er lebte, nicht unähnlich. Reise- und vor allem Kommunikationsmöglichkeiten veränderten sich rapide. Fontane wusste sich anzupassen und die neuen Möglichkeiten zu nutzen.
Eigene politische Standpunkte stellte er immer wieder ebenso in Frage wie sein Bild von der Gesellschaft aus Adel und Volk sowie sein Verständnis von Geschlechterbeziehungen. Moderner Kunst, zumal aus England, wies er den Weg in deutsche Zeitungen; historische und zeitgenössische Bauwerke aus der unmittelbaren Nähe rückte er ins Bewusstsein seiner Landsleute. Er kannte die sich beschleunigende Medienlandschaft als Insider und wäre heute sicher auf allen Kanälen im Internet präsent.
Es wäre gleichermaßen anregend wie vergnüglich, Theodor Fontanes Zustandsschilderungen des 21. Jahrhunderts zu lesen. Seine Beobachtungen, seine Beschreibungen. Was wäre er heute? Schriftsteller, Blogger, Journalist? Gerngesehener Talkshow-Gast, viel gebuchter Vortragsreisender?
In diesem Jahr feiern wir Theodor Fontanes 200. Geburtstag, und es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich ihm anzunähern. Vor allem natürlich in Brandenburg, in Berlin und in Potsdam, mit dem breit aufgestellten Programm „fontane.200“. Aber auch bei der Lektüre seiner Romane oder einem Besuch im Fontane-Archiv. Und auf seinen Spuren, die er mit den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ hinterlassen hat. Vielleicht sehen Gutshaus und Kirche von Zernikow, Kloster Chorin, Schloss Groß Rietz oder das Nicolaihaus in Berlin genau so aus, wie er sie beschrieben hat. Oder auch nicht.
Julia Greipl
„Ich bin die Mark durchzogen und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte.“
Drei Jahrzehnte lang bereiste Theodor Fontane die Dörfer und Städtchen der Mark Brandenburg. Er sprach mit Bewohnern von Herrenhäusern, Geistlichen in Kirchen, Bauern auf Feldern. Er schaute genau hin – und dann schrieb er seine „Wanderungen“, eine Art Reisefeuilleton, ein literarischer Reiseführer.
Unter dem Titel „fontane.200“ würdigt Brandenburg den großen Autor bis zu seinem Geburtstag am 30. Dezember mit zahlreichen Veranstaltungen.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützt seit vielen Jahren bislang rund 65 der von Fontane besuchten Denkmale. Viele Förderprojekte sind auch bei dem abwechslungsreichen Programm Fontane.200 dabei.
Zum Weiterlesen und Wiederentdecken:
Iwan-Michelangelo D’Aprile: Fontane – Ein Jahrhundert in Bewegung.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2018
Regina Dieterle: Fontane.
Carl Hanser Verlag, München 2018
Helmuth Nürnberger: Fontanes Welt.
Siedler Verlag, München 1997
Helmuth Nürnberger ist auch Herausgeber einer vollständigen, kommentierten Ausgabe der
„Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, erschienen in drei Bänden bei dtv, München 2006.
Günter de Bruyn (Hrsg.): Die schönsten Wanderungen durch die Mark Brandenburg.
Fischer Klassik, Frankfurt a. M. 2017
Erik Lorenz, Robert Rauh: Fontanes Fünf Schlösser.
be.bra Verlag, Berlin 2017
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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