Denkmalarten Wohnhäuser und Siedlungen Stile und Epochen Neues Bauen Streiflichter Interieur Ausgabe Nummer Juni Jahr 2019
Menschenwürdigen Wohnraum für die Massen zu schaffen, war die wichtigste Bauaufgabe in der Weimarer Republik. Nicht nur die Bauhaus-Architekten haben sich dieser Herausforderung gestellt.
Die Ziele waren – wie üblich am Bauhaus – hochgesteckt: Die Siedlung am Stadtrand von Dessau sollte nicht nur rasche Abhilfe in Sachen Wohnungsnot leisten, sondern vor allem ein Experimentierfeld für eine völlig neuartige, technisierte Organisation beim Siedlungsbau sein. Architektur für die Massen wie vom Fließband.
Nicht zuletzt die Verheißung bezahlbaren Wohnraums für die vielen Arbeiter und Angestellten der örtlichen Fabriken hatte Bauhaus-Direktor Walter Gropius nach der Schließung der staatlichen Schule in Weimar hier den Neubeginn ermöglicht. 1926 erhielt Gropius dank des linksliberalen Bürgermeisters Fritz Hesse vom Dessauer Magistrat den Auftrag zur Planung der Mustersiedlung Törten. Sein privates Baubüro entwarf eine reine Wohnsiedlung, bestehend aus zweigeschossigen Reihenhäusern mit tiefen Nutzgärten und Ställen für die Selbstversorgung.
Das scheinbar revolutionäre und zukunftsträchtige daran war nicht der Siedlungsplan als solcher, auch nicht die rhythmische Staffelung der weiß verputzten Kuben mit ihrer avantgardistischen Ästhetik. Es waren die strikt rationalisierten Produktionsabläufe auf der Baustelle, für die Gropius separate Betriebspläne erstellte, neue Materialien einsetzte und Maschinen erprobte. Wie in einer Fabrik gab es Schienentrassen für die Baumaschinen. Betonteile und andere Elemente wurden an Ort und Stelle im Akkord gefertigt. Alles griff perfekt ineinander, Stück für Stück rückten Maschinen und Kran weiter. Diese Vorgabe bestimmte die Ausrichtung der Häuserzeilen.
Für die Bewohner hatte die experimentelle Bauweise allerdings ihre Tücken. Die Stahlfenster hingen ohne Sturz direkt am Deckenbalken – womit den Menschen ihre Aussicht wegrationalisiert worden war. Die Wände waren zu dünn, Undichtigkeiten und Setzrisse stellten sich ein, zudem wurde der Kostenrahmen gesprengt. Beim zweiten und dritten Bauabschnitt musste Gropius nachbessern. Bis 1928 entstanden über 300 Reihenhäuser in sechs Typen mit Wohnflächen von knapp 60 bis über 70 Quadratmetern.
In jenem Jahr legte Gropius sein Amt als Bauhausdirektor nieder. Seine Nachfolge trat der Schweizer Hannes Meyer an, der bereits 1927 an die Schule berufen worden war, um die neu eingerichtete Bauabteilung zu leiten. Er schärfte das Profil des Bauhauses ideologisch: Soziale Aspekte traten in den Vordergrund, die Gestalter sah er als „Diener der Volksgemeinschaft“. Leitgedanke jener Zeit war die Vorstellung vom Neuen Menschen und der kulturellen Erneuerung der Gesellschaft – wobei diese Idee die unterschiedlichsten politischen Strömungen befeuerte und letztendlich von allen totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts vereinnahmt wurde.
Mit Ludwig Hilberseimer gab es bald einen Meister für Stadtplanung und Siedlungsbau an der Schule. Die Bauabteilung erstellte im Kollektiv Pläne für die Erweiterung der Siedlung Törten. Das rechtwinklige Raster berücksichtigte die optimale Ausrichtung nach Sonnenstand und sah auch Mietshäuser mit Gemeinschaftseinrichtungen wie Kinderspiel- und Waschplätzen vor. Realisiert wurden nur fünf jeweils dreigeschossige Laubenganghäuser. Die Erschließung der Kleinwohnungen „für Proletarier“ erfolgte über die Laubengänge, die zugleich der Kommunikation dienen sollten. Typisch war die Kombination traditioneller Bauweisen wie Ziegelmauerwerk mit technischen Neuerungen, etwa Müllschluckern und Etagenheizung. Im Gegensatz zu den Siedlungshäusern der Ära Gropius kamen die Wohnungen bei der Bevölkerung sehr gut an.
Dass Hannes Meyer dennoch immer mehr Gegenwind bekam und 1930 seines Amtes enthoben wurde, hatte politische Gründe. Seine Vorliebe für die Arbeit im Kollektiv, für Genossenschaften und den Kommunismus kosteten ihn in den Zeiten der erstarkenden Rechten den Kopf. Er zog mit einer Gruppe von Bauhaus-Anhängern zur Aufbauhilfe in die Sowjetunion. Nach Meyers Entlassung wurde die Erweiterung der Siedlung Törten fortgesetzt – nun allerdings nicht mehr vom Bauhaus, dem zuletzt Mies van der Rohe vorstand.
Siedlungen des Neuen Bauens
Menschenwürdigen Wohnraum für die Massen zu schaffen, war die dringendste Bauaufgabe in der Weimarer Republik. Das Ringen um ökonomische Lösungen, um industrialisierte Prozesse trieb viele fortschrittlich gesinnte Architekten nach 1918 um. Das Bauhaus hat hier einen Beitrag geleistet, bildete aber keineswegs die Phalanx.
Neben Gropius waren es unter vielen anderen Bruno Taut, Martin Wagner und Ernst May, die Ideen für den modernen Siedlungsbau entwickelten. Ab 1927 wurden ihre Versuchsarbeiten durch die RFG (Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen) gefördert. Vor allem in den großen Industriestädten war nun die öffentliche Hand in der Verantwortung. Die Mietskaserne war passé – der Zeilenbau, der Licht, Luft und Sonne garantierte, wurde zu einem Grundprinzip bei den Siedlungen des Neuen Bauens.
Otto Haesler in Celle
Diese Ideen wurden auch weit abseits der Metropolen schon früh umgesetzt – besonders konsequent etwa in dem Fachwerkstädtchen Celle. Im Auftrag der dortigen Volkshilfegesellschaft baute Otto Haesler ab 1924 mehrere Siedlungen im Stil des Neuen Bauens. Den Anfang machte der Italienische Garten: Die Blöcke aus ineinandergeschobenen Kuben mit auffälliger Farbgestaltung von Karl Völker waren von der holländischen De Stijl-Bewegung beeinflusst. Mit der Siedlung Georgsgarten perfektionierte Haesler die Idee der Zeilensiedlung: Die Riegel sind in Nord-Süd-Richtung angelegt, die Schlafräume nach Osten und die Wohnräume nach Westen ausgerichtet. Als „Mustersiedlung“ hatte sie Vorbildfunktion in der Branche und katapultierte Haesler in die erste Reihe der Siedlungsbauarchitekten der Weimarer Republik – in seinem Team waren einige Bauhaus-Absolventen. Sein letztes Bauprojekt in Celle war die Siedlung Blumläger Feld. 1930/31 in Stahlskelettbauweise errichtet, bot sie preisgünstigen Wohnraum für einkommensschwache Familien.
Das Neue Frankfurt
Am weitreichendsten wurden die Prinzipien des modernen Siedlungsbaus in Frankfurt am Main umgesetzt. Das Konzept für eine architektonisch wie kulturell grundlegend erneuerte Großstadt blieb in diesem Umfang einzigartig. Unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann wurde 1925 Ernst May zum Planungsdezernenten und Martin Elsaesser zum Stadtbaudirektor berufen. Das Bauprogramm des Neuen Frankfurt sah weit mehr als 10.000 neue Wohneinheiten vor, fußend auf dem Prinzip der Trabantenstädte.
Pionierarbeit wurde vor allem auf dem Gebiet der Typisierung geleistet. Dafür gab es eine eigene Abteilung des Hochbauamtes. Die Teams arbeiteten an der Normierung, Standardisierung und ästhetischen Vereinheitlichung von Wohnungsgrundriss bis Türbeschlag, über die von Margarete Schütte-Lihotzky entwickelte Frankfurter Küche bis hin zur Gartenlaube.
Das Neue Frankfurt beinhaltete einen neuen Gesellschaftsentwurf und fand seinerzeit weltweite Beachtung. Dass auch dieses gigantische Projekt im Nachhinein für viele Jahrzehnte von der Marke Bauhaus übertönt wurde, lag wohl nicht zuletzt daran, dass vor allem Gropius ‚sein‘ Bauhaus vom amerikanischen Exil aus sehr viel geschickter zu vermarkten wusste und er als der deutsche Vertreter des Neuen Bauens gehandelt wurde.
Bettina Vaupel
Ausstellungs-Tipps
Otto Haesler Museum, Galgenberg 13, 29221 Celle
Mi–So 13–18 Uhr und nach Vereinbarung
Die Einrichtung der Fotoausstellung „Otto Haesler – Neues Bauen“ in der galerie dr. jochim (Direktorenvilla) wurde von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert: Magnusstr. 5, 29221 Celle, Do + Fr 14–18, Sa 11–16 Uhr (bis 28.9.)
„Neuer Mensch, neue Wohnung – Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925–1933“
Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am Main,
Tel. 069 21238844, Di–So 11–18, Mi –20 Uhr (bis 18.8.)
Zur Ausstellung ist bei DOM publishers ein gleichnamiger Katalog erschienen (ISBN 978-3-86922-720-7, 228 S., 28 m)
https://dam-online.de/veranstaltung/neuer-mensch-neue-wohnung/
Ernst-May-Haus (Musterhaus in der Siedlung Römerstadt), Im Burgfeld 136, 60439 Frankfurt am Main
Tel. 069 15343883, Di–Do 11–16, Sa + So 12–17 Uhr
https://ernst-may-gesellschaft.de/mayhaus.html
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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