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Das alte Schuhmacherhaus in Kochel am See wird Museum

Fußabdrücke im Schusterhäusl

Altes Handwerk in alten Wänden. Seit 1647 wurde in diesem Haus geschustert, der Besucher soll bald spannende Einblicke in das Leben seiner Bewohner erhalten. Erleben Sie schon jetzt erste Eindrücke durch eine Videoführung durchs Haus!

Als Josef Schöfmann 2010 hochbetagt das Zeitliche segnete, endete mit ihm eine mehr als dreieinhalb Jahrhunderte währende Familientradition. Sein ganzes Leben hatte Schöfmann als Schuhmacher verbracht, nicht anders als vor ihm neun seiner Vorfahren, die obendrein allesamt an ein und demselben Ort lebten und arbeiteten. Das Haus in der heutigen Bahnhofstraße 12 der oberbayerischen Gemeinde ­Kochel am See füllte sich so im Laufe der Zeit mit der Hinterlassenschaft vieler Generationen. Das sei, meint Max Leutenbauer, die hervorstechende Besonderheit des Denkmals: „In diesem Haus wurde so gut wie nichts weggeworfen.“


Leutenbauer ist Vorsitzender des 2008 gegründeten Vereins für Heimatgeschichte im Zweiseenland Kochel, der das alte Schusterhaus mit finanzieller Hilfe unter anderem der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in ein Museum verwandeln will. Vier Jahre nach dem Tod des letzten Bewohners erwarb die Gemeinde die Immobilie, deren Anfänge ins späte 16. Jahrhundert zurückreichen.


Seither hat der Verein die Nutzungsgeschichte erforscht und dokumentiert, Förderanträge geschrieben und über ein Museumskonzept nachgedacht. Im Herbst 2018 begann die Restaurierung des von Feuchtigkeit und Fäulnis befallenen Gebäudes. Der Dachstuhl wurde repariert, das Dach zur Hälfte eingedeckt.

Als wäre der Meister gerade von der Arbeit aufgestanden: Werkstatt-Stillleben.
Kochel am See, Altes Schusterhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Als wäre der Meister gerade von der Arbeit aufgestanden: Werkstatt-Stillleben.

Die Geschichte des Schusterhauses begann 1581 mit Andreas Reiser, dessen Familie spätestens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in Kochel ansässig war. Reiser erhielt als Leibeigener der nahegelegenen Abtei Benediktbeuern das Grundstück zu Lehen, auf dem das Haus errichtet wurde. Aus der damaligen Zeit stammt das aus Bruchsteinen gemauerte Erdgeschoss, während Obergeschoss und Dachstuhl 1782 in Holzbauweise erneuert wurden.


Wesentliche Veränderungen hat es an dem Gebäude ansonsten nicht gegeben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde ein Kamin eingebaut, der die altertümliche „Rauchhur“ ersetzte, ein drei mal vier Meter messendes Abzugsloch in der Küchendecke. Hier waren bis dahin Abgase und Qualm von der Feuerstelle ins Dachgebälk gestiegen und durch die Ritzen zwischen den Holzschindeln ins Freie entwichen.


Zugleich wurde das Dach mit Blech neu eingedeckt. Elektrische Beleuchtung erhielt das Haus 1915, erst 1950 wurde auch eine Toilette installiert, die das Plumpsklo im Stall ablöste. Fünf Jahre später kam ein Anbau für Waschküche und Schweinestall hinzu.

Seit 1647 war das Haus in Kochel am See ein Ort des Schusterhandwerks. Das gemauerte Untergeschoss datiert aus dem späten 16. Jahrhundert, das obere Stockwerk ist 200 Jahre jünger.
Kochel am See, Altes Schusterhaus © Peter Schabe, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Seit 1647 war das Haus in Kochel am See ein Ort des Schusterhandwerks. Das gemauerte Untergeschoss datiert aus dem späten 16. Jahrhundert, das obere Stockwerk ist 200 Jahre jünger.

Andreas Reiser übernahm vom Grundherrn, dem Klos­ter Benediktbeuern, ein „halbes Söldengütl“, einen landwirtschaftlichen Kleinstbetrieb, dessen Größe dem Sechzehntel eines Meierhofes entsprach und in Bayern etwas mehr als zweieinhalb Hektar Land umfasste. Reiser und seine Nachfolger hatten jährliche Abgaben an das Klos­ter zu entrichten, das „Stiftgeld“ für Haus und Grund, das „Leibgeld“ für die Bewohner.


Im Gegenzug konnten sie den Besitz vererben. Die „Stiftsbücher“, in denen die Abtei ihre Einnahmen verzeichnete, befinden sich heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Sie sind die Quelle, anhand der sich die Geschichte des Schusterhauses bis in die Anfänge rekonstruieren lässt.


Das Schuhmacherhandwerk nahm an diesem Ort mit Paulus Reiser seinen Anfang, der 1647, damals 25-jährig und frisch verheiratet, das Haus übernahm. Der Schwiegersohn seines Urenkels Martin Reiser, Schuster Bernhard Schöfmann, erlebte in vorgerücktem Alter das Ende der Stift- und Leibgeldzahlungen, als mit der Säkularisation 1803 die Grundherrschaft des Klosters erlosch. Das Haus ging in das Eigentum seiner Bewohner über.

Diverse Utensilien liegen bereit.
Kochel am See, Altes Schusterhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Diverse Utensilien liegen bereit.

Als ein „sehr aussagefähiges und anschauliches Geschichtszeugnis“ findet es sich in einem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege gewürdigt, nach dessen Urteil „vor allem die Zeugnisse der Nutzungsgeschichte […] das Baudenkmal Schusterhäusl besonders wertvoll machen“. Die Gemeinde hat es mit dem kompletten Inventar erworben.


Im Ladenraum stapelten sich noch die Schuhschachteln mit Inhalt. In der Werkstatt fanden sich unter anderem eine alte Singer-Nähmaschine sowie ein wuchtiger Apparat, mit dem das Leder weich und biegsam gemacht wurde. Nicht zuletzt hat der alte Schöfmann rund 70 Paar nach Maß gearbeitete hölzerne Schusterleisten hinterlassen, die sich vermutlich seit der Zeit seines Großvaters im Laufe des 20. Jahrhunderts angesammelt haben, und mit denen die Fußabdrücke mehrerer Generationen von Kocheler Einwohnern überliefert sind.


Das Mobiliar war um 1925 angeschafft worden, dabei hatte man die alten Möbel indes keineswegs entsorgt. Sie fanden sich auf dem Dachboden inmitten eines Sammelsuriums, das die Leidenschaft der einstigen Bewohner fürs Horten und Aufbewahren eindrucksvoll bezeugte: eine Trockenhaube aus den 1970er-Jahren, Spinnräder, Holzskier, rostige Fahrräder, Schlitten. Die Aufräumarbeiten lohnten sich, sie brachten den ein oder anderen Schatz zutage. In mehreren Kisten waren Rechnungen verstaut, die seit 1898 sämtliche Anschaffungen und Reparaturen in Haus und Werkstatt dokumentieren.

Kruzifix und Trophäen. Auch der Wandschmuck ist im Original erhalten.
Kochel am See, Altes Schusterhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Kruzifix und Trophäen. Auch der Wandschmuck ist im Original erhalten.

Die 4.100-Seelen-Gemeinde Kochel liegt am äußers­ten Südrand der Republik im Gebiet des Kochel- und des benachbarten Walchensees. Ein Heimatmuseum gibt es hier bislang nicht. Nach dem Willen des Vereins wird sich das Ende 2020 ändern, wenn das restaurierte und behutsam ergänzte Schusterhaus die ersten Besucher erwartet. Sie sollen eine Dauerausstellung vorfinden, die im Kern aus der Hinterlassenschaft der Schumacher-Dynastie Reiser-Schöfmann bestehen wird, also anders als in den meisten Museen nicht aus diversen Kontexten zusammengetragen ist.


Die 80 Quadratmeter messende einstige Tenne will der Verein für Wechselausstellungen, Lesungen und Konzerte nutzen, gegebenenfalls auch vermieten. Der frühere Stall soll ein kleines Café beherbergen, der ehemalige Verkaufsraum den Museumsladen. Zusammen mit der imposanten Alpenkulisse, vor der das Schusterhäusl liegt, sind das attraktive Aussichten.


Winfried Dolderer


Bahnhofstraße 12, 82431 Kochel am See

www.denkmalschutz.de/schusterhaus

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