Kleine und große Kirchen Gotik Romanik Interviews und Statements Oktober 2018 F
Anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres 2018 sprach Monumente mit Yvonne Faller, seit 13 Jahren Münsterbaumeisterin.
Der Turm des Freiburger Münsters gilt als einer der schönsten Kirchtürme weltweit. Dass er es auch zukünftig bleibt, dafür sorgt Yvonne Faller, die seit 13 Jahren Freiburgs Münsterbaumeisterin ist. Wegen dringender Erhaltungsmaßnahmen ließ sie vor zwölf Jahren um den Maßwerkhelm des Turmes ein Gerüst bauen. Mitte September wurde es abgenommen, und nun kann dieses gotische Meisterwerk endlich wieder in seiner ganzen Schönheit betrachtet werden. Vom 12. bis 14. Oktober feiern die Münsterbauhütte und der Münsterbauverein den Abschluss der langwährenden Sanierungsarbeiten mit einem großen „Turmfinale“. Yvonne Faller und ihr Team haben noch einen weiteren Grund sich zu freuen: Seit diesem Jahr gehört die Freiburger Bauhütte gemeinsam mit denen von Köln und Ulm zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands. Durch dieses spezielle Modell der Bauhütte werden das originäre handwerkliche Können und das Fachwissen über Generationen weitergegeben und seit Jahrhunderten bewahrt, ohne die Kathedralen wie das Freiburger Münster nur bedingt zu erhalten wären.
Frau Faller, Sie sind in Freiburg aufgewachsen, in der Nähe dieser großen Kirche mit dem beeindruckenden Turm. Wie ist ihre persönliche Geschichte zum Münster?
Schon als Kind hatte ich immer eine gewisse Leidenschaft für Türme. Als ich mit zwölf alleine in die Stadt durfte, bin ich etwa einmal im Monat auf den Münsterturm gestiegen. Das Bauwerk hat mich einfach fasziniert: zum einen die riesigen Glocken und zum anderen die Turmgalerie in 70 Metern Höhe. Dieses Gefühl von damals habe ich heute immer noch in mir – wie ich da oben an der Sandsteinbrüstung stand und den Turm entlang rauf- wie runterguckte.
Nach meinem Studium der Architektur in Stuttgart bin ich nach Freiburg zurückgekehrt, um hier mein Architekturbüro zu eröffnen. In dem Zusammenhang habe ich Manfred Saß kennengelernt, meinen Vorgänger an der Bauhütte. Er hat mich erst für den Münsterbauverein gewonnen, dann für das Vereinspräsidium und mich schließlich als Münsterbaumeisterin vorgeschlagen. Über diese Fügung bin ich sehr dankbar, denn in diesem Tätigkeitsfeld sind so viele Neigungen und Interessen von mir angesprochen, dass es fast so sein musste.
Welche konkreten Aufgaben gehören zu Ihrem Arbeitsbereich als Münsterbaumeisterin?
Mein Aufgabengebiet umfasst nicht nur die reine Architektenarbeit des Planens. Mir obliegt auch die technische, finanzielle und organisatorische Betreuung der Münsterbauhütte und des Münsterbauvereins mit zirka 40 Mitarbeitern. Kraft Satzung bin ich auch Geschäftsführerin des Münsterbauvereins, der wiederum Träger der Bauhütte ist. Wir kümmern uns um die Öffentlichkeitsarbeit, betreiben Forschung und publizieren viel. Das wichtigste bei allem ist: Ich empfinde die Arbeit in jeder Beziehung als sinnstiftend. Selbst wenn nicht jeder Tag gleich gut verläuft – es ist zum Schluss das, was mir Zufriedenheit vermittelt. Es ist eine wundervolle Aufgabe, für das schönste und bedeutendste Bauwerk der Region verantwortlich zu sein, auch wenn man es nicht selbst entworfen hat. Viele fragen mich, wie es mir geht, die als Architektin eigentlich für die Schöpfung eigener Werke stehen müsste und dieses Bauwerk „nur“ pflegt. Für mich ist es ein sehr gutes Gefühl, wenn man sich in die lange Reihe von bedeutenden Baumeistern eingliedert und im Dienst einer höheren Aufgabe steht.
Seit 13 Jahren leiten Sie die Bauhütte in Freiburg. Welchen besonderen Herausforderungen mussten Sie sich dabei stellen?
Drei Monate nachdem ich meine Arbeit als Baumeisterin aufgenommen hatte, fiel der erste Stein vom Turm. Das war am 7. Juli 2005. Bei den folgenden Untersuchungen entdeckten wir neben normalen Steinschädigungen auch statische Probleme am Konstruktionssystem. An sich wurden Stangen und Ringanker aus Schmiedeeisen zur Erbauungszeit als Stützgerüst so genial in den Stein eingelegt, dass sie kaum schädlichen Einfluss von außen erhielten. Doch durch die stete, jahrhundertelange Belastung von Windkräften gab es Ausbrüche von Steinen, die vom Eisenring weggedrückt wurden. Ein Konzept zu finden, mit dem wir dieses mittelalterliche System wieder stabilisieren können, war für mich in den vergangenen Jahren eine große Herausforderung.
Besonders aufwendig war es, acht Ecksteine auszubauen, die für die Turmkonstruktion von zentraler Bedeutung sind. 40 Tonnen liegen auf jedem einzelnen dieser Steine auf. Entsprechend fühlten wir uns bei dieser Maßnahme wie bei einer Operation am offenen Herzen. Insgesamt dauerte die Sanierung des Turms zwölf Jahre. Ab Mitte September wird er wieder völlig gerüstfrei sein. Das feiern wir mit einem großen Fest, auch um uns bei all denjenigen zu bedanken, von denen wir so viel Unterstützung erhalten haben.
Der Bau und die Pflege des gotischen Münsters waren von Beginn an Sache der Freiburger Bürger. Auch heute unterstützen viele Menschen mit umfangreichen Spenden die Erhaltung der großen Pfarrkirche. Wie trägt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) dazu bei?
Es war für uns insgesamt eine große Herausforderung, die Sanierung der Turmpyramide zu bewältigen, ohne die anderen Baustellen am Münster stillzulegen. Wir brauchten im Jahr etwa eine Million Euro allein für die Restaurierungsmaßnahmen am Turm. Unsere eigenen Mittel und Mitarbeiter hätten zur Bewältigung dieser Mammutaufgabe nicht ausgereicht. Daher haben wir extra einen zweiten Haushalt aufgestellt und die Projektgruppe „Turm“ gegründet – mit Fachleuten, die ausschließlich für diesen Bauabschnitt tätig sind.
Die kontinuierliche Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) war uns dabei eine sehr große Hilfe. Seit 2003 stellte sie mehr als 900.000 Euro zur Verfügung – dank der Lotterie GlücksSpirale, der Michael-Schepelmann-Stiftung in der DSD und vieler zweckgebundener Spenden.
Durch seine Größe und sein Detailreichtum ist das Münster eine ewige Baustelle. Die Restaurierungsarbeiten sind zeitintensiv und kostspielig. Daher sind wir immer dankbar über Spenden, egal wie klein oder groß.
2018 ist das Jahr des Europäischen Kulturerbes. Inwiefern kann man beim Freiburger Münster von einem europäischen Baudenkmal sprechen?
Das Freiburger Münster ist eine Kathedrale, errichtet in der aus Frankreich kommenden gotischen Formensprache. Als Pfarrkirche gebaut – Bischofskirche ist es erst seit 1823 –, ist das Münster extrem ambitioniert entworfen und errichtet worden. Besonders der Turm: Dieser filigrane Maßwerkhelm ist der erste seiner Art gewesen. Weil die Konstruktion so kühn war, blieb diese zierliche, wie Klöppelkunst wirkende Turmspitze auch lange ohne Nachfolger. Erst im 19. Jahrhundert gab es dann zahlreiche Übernahmen dieser materialminimierten Konstruktion, allerdings in deutlich anderen, dickeren Querschnitten. Man geht davon aus, dass der Entwurf für das Freiburger Münster von Straßburger Baumeistern stammt. Im 13. Jahrhundert gab es die Nationalstaaten Deutschland, Frankreich und die Schweiz nicht. In dieser Zeit umfasste das Einflussgebiet der Staufer den Oberrheingraben, die Vogesenkämme und den Schwarzwald. Das war ein Siedlungsraum mit einem gemeinsamen Verständnis. Und die Nähe zu Straßburg und Basel führte zwangsläufig dazu, dass man sich die Bauspezialisten empfahl und auslieh. Möglicherweise war die fast sagenhafte Figur des Erwin von Steinbach, der vermutlich das Maßwerk der Westfassade des Straßburger Münsters entworfen hat, auch am Freiburger Münsterturm beteiligt. Für den Chorbau engagierte man 1354 einen anderen, aus der Familie der Parler stammenden Baumeister: Johannes von Gmünd. Mitglieder dieser weitverzweigten Baumeisterdynastie haben an vielen wichtigen Großbauten der Gotik in Europa ihre Spuren hinterlassen. Es ist schon ein erhabenes Gefühl, Teil dieser europäischen Bautradition zu sein.
Seit dem 27. März 2018 gehören die Bauhütten von Freiburg, Köln und Ulm zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands. Was zeichnet diese traditionelle Form des handwerklichen Arbeitens als immaterielles Kulturerbe aus?
Wir freuen uns sehr über diese Anerkennung. Damit würdigt die UNESCO, dass die Art und Weise, wie die Bauhütten seit dem Mittelalter arbeiten, eine der besten Methoden ist, Denkmäler zu erhalten.
Über Jahrhunderte wurde in der Freiburger Bauhütte das Wissen um den Bau und die Pflege der Kirche von Generation zu Generation weitergegeben. Ohne sie wäre sehr vieles verloren gegangen. Die verschiedenen Handwerker, darunter Steinmetze, Steintechniker oder Bildhauer, haben eine starke Bindung zum Bauwerk. Zwei Mitarbeiter sind sogar schon seit über 40 Jahren am Freiburger Münster tätig. Und es ist tatsächlich so: Von ihnen habe ich genaue Antworten auf Fragen erhalten, was in den 1970er Jahren gemacht wurde und weshalb. So ist von großem Vorteil, dass die Handwerker mit „ihrer“ Kirche bestens vertraut sind, sie kontinuierlich pflegen, dokumentieren und erforschen. Ein solches Know-how bekommt man an Fremdfirmen nicht herangetragen. Dort, wo es Bauhütten gibt, ist daher das Thema des Sanierungsstaus durch die ständige Pflege kein so großes. In Deutschland gibt es zehn Bauhütten, aber deutlich mehr Kathedralen, die diesen steten Bauunterhalt eigentlich benötigen. Das gilt nicht nur für das europäische christliche Abendland. Denken Sie etwa an die Tempelanlage Angkor Wat in Kambodscha. Dieser Welterbestätte täte es sicherlich gut, wenn es dort eine Institution wie eine Bauhütte gäbe, die die Handwerker bündelt und deren Mitarbeiter immer auf dem Wissen der Vorgänger aufbauen können. Daher sind wir Dom- und Münsterbaumeister aus Köln, Ulm und Freiburg dabei, gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich, Österreich, Norwegen und der Schweiz einen Antrag zur Aufnahme auf die internationale Liste des immateriellen Kulturerbes zu stellen.
Wir wünschen Ihnen für diesen Antrag bei der UNESCO viel Erfolg und danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Amelie Seck.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
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