Schlösser und Burgen Öffentliche Bauten Juni 2018 J
Burgen und Jugendherbergen gehören zusammen: Die erste Jugendherberge der Welt wurde in einer Höhenburg eingerichtet; seit 1912 können Jugendliche auf Burg Altena im Sauerland übernachten. Gut 100 Jahre später hat sich einiges getan.
Lehrer Richard Schirrmann, aus Ostpreußen stammend, um die Jahrhundertwende in Gelsenkirchen arbeitend, litt unter der schlechten Luft in der Ruhrgebietsstadt. Er schnappte sich seine Schüler, floh aus den „Stadtkäfigen“ und wanderte mit ihnen exzessiv in den grünen Landschaften der Umgebung – so lange, bis er wegen Vernachlässigung seiner Schulpflichten an eine andere Schule strafversetzt wurde. Schirrmann wechselte nach Altena ins abgelegene Sauerland und propagierte weiterhin die Vorteile der „wandernden Schule“: Er streifte tagelang mit seinen Schülern durch die Natur und suchte nach einer praktischen Unterbringungsmöglichkeit auf den langen Touren. Angeblich bei einem Gewitter, bei dem er und seine Schüler in einer Volksschule Unterschlupf fanden, kam er auf die Idee, in den Schulferien leerstehende Schulen zu Schlafstätten umzuwandeln. In seiner eigenen Schule in Altena stellte er müden Wanderern Klassenzimmer und Strohmatratzen zur Verfügung. Bei einem Ausflug 1909 lernte er eine Wandervogel-Gruppe kennen und begeisterte sich für deren asketische Ideen. 1912 – die örtliche Burg aus dem 12. Jahrhundert war gerade wieder nach Hunderten Jahren des Verfalls und der Fremdnutzung aufgebaut worden – konnte der 40-Jährige den Kreis Altena als Burgbesitzer überzeugen, einer guten Sache zu dienen und der ersten Jugendherberge der Welt einige Räume und Säle zur Nutzung zu überlassen.
Die Regeln waren einfach – und unbedingt einzuhalten. Die Betten wurden eigenhändig bezogen, die Füße gewaschen, das Geschirr gespült, und um 22 Uhr herrschte Ruhe. Alkohol und Nikotin: strengstens verboten. Die Herbergseltern – unerbittlich, aber mit einem weichen Herz gesegnet – sorgten für eine persönliche Atmosphäre.
„Ein ersprießliches Zusammenleben in einer großen Gemeinschaft mit Familiencharakter“, so formulierte Schirrmann seinen reformpädagogischen Ansatz bei den Jugendherbergen. Altena machte den Anfang, es folgten zahlreiche Herbergen in Burgen und anderen kulturell exponierten Gebäuden. Neben dem Naturerlebnis und der körperlichen Ertüchtigung war das Kennenlernen der Heimat mit ihrer Schönheit und Geschichte eine der Grundideen Schirrmanns.
Das Prinzip der Jugendherberge
war von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Von Altena aus baute Schirrmann
gemeinsam mit seinem Mitstreiter Wilhelm Münker ein flächendeckendes Netz von
Jugendherbergen auf, in Altena wurde 1919 der Hauptausschuss für Deutsche
Jugendherbergen (DJH) als eingetragener Verein gegründet. Anfang der 1930er-Jahre
waren es über 2.000 vom DJH geführte Wanderunterkünfte, vier Mal mehr als heute
in Deutschland noch betrieben werden. Über die Jahrzehnte wandelte sich die
reine Wanderherberge zu einer Unterkunft für vornehmlich schulische
Gruppenfahrten. Generationen können Geschichten erzählen von ihren Erlebnissen
in Schlafsälen, von Stockbetterfahrungen und heimlichen nächtlichen
Spaziergängen über verbotene Flure.
Im Wesentlichen fühlt sich Jugendherberge bis heute so an. Zu schaffen machte dem Deutschen Jugendherbergswerk allerdings zunehmend das Klischee des wässrigen Hagebuttentees in der legendären Metallkanne. Wie eine Keule ereilt diese Erinnerung jeden, der in seiner Jugend eine solche Herberge erlebt hat.
Dieses muffige Image und immer
weniger Gäste erforderten dringend eine Modernisierung. Seit einigen Jahren
läuft eine Investitionswelle: Ein flotteres Erscheinungsbild, trendiges
Mobiliar, Duschen und WCs auf den Zimmern sowie ausgetüftelte
Veranstaltungsprogramme sollen die Häuser für neue Zielgruppen öffnen.
Familien, Radtouristen, Tagungsgäste, aber auch Rucksacktouristen und
Individualreisende werden seitdem besonders umworben. Kaum ein Monat vergeht,
ohne dass eine Jugendherberge generalüberholt und frisch gestylt neu eröffnet
wird. Stockbetten heißen jetzt Schlafkojen, Aufenthaltsräume wurden zu Lounges
– und fühlen sich auch so an. Die Investitionen zeigen Erfolg: 2,5 Millionen
Mitglieder, das heißt Personen mit einem Jugendherbergsausweis, 23.000 mehr als
im Vorjahr und damit so viele wie nie zuvor, gibt es zurzeit beim DJH. Im Jahr
2017 konnten die Jugendherbergen insgesamt mehr als zehn Millionen
Übernachtungen verbuchen.
Das neue Konzept der Jugendherbergen läuft so erfolgreich, dass sich Probleme mit anderen Hotelanbietern auftaten. Stetig steigende Übernachtungszahlen alarmierten die Konkurrenz der Hostels und anderer Häuser im preiswerteren Hotelsegment. Sie beklagten einen unlauteren Wettbewerb, denn Jugendherbergen erhalten zum Teil Fördergelder.
Diese berufen sich auf den
pädagogischen gemeinnützigen Auftrag. Getragen von den jeweiligen
Landesverbänden, werden sie über unterschiedliche Modelle finanziert. Die
laufenden Kosten erwirtschaften die Häuser selbst, Investitionen werden oft vom
Bund und auch von den Kommunen unterstützt, Restaurierungsarbeiten von weiteren
Geldgebern, wie zum Beispiel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, gefördert.
An manchen Standorten gehören die Gebäude den Städten oder Kommunen. Um der
Gemeinnützigkeit nachzukommen, sind zum Beispiel bei der 2016 eröffneten Berliner
Jugendherberge am Ostkreuz der pädagogische Ansatz und die Teilnutzung des
Gebäudes für Seminare ein verbindlicher Bestandteil des Vertrags zwischen dem
Betreiber und dem Land Berlin, das als Eigentümer das Haus für 30 Jahre gratis
an das Deutsche Jugendherbergswerk verpachtet. Die Kosten für den
denkmalgerechten Umbau der ehemaligen Schule und für die Instandhaltung des
Gebäudes übernimmt die Jugendherberge.
Der pädagogische Auftrag der Jugendherbergen, von Beginn an deren Hauptmotiv, hat also wieder an Bedeutung zugenommen und wird, oft durch eigens dafür zuständige Mitarbeiter, ausgebaut. Verschiedene Inhalte werden vertieft vermittelt: Zurzeit stehen die Themen Nachhaltigkeit und Naturschutz verstärkt im Fokus. Als begleitendes Thema geblieben ist – alleine schon durch die Standorte vorgegeben – der nahe Bezug zu Geschichte und Baukultur.
Zu dem Modernisierungsprozess der deutschen Jugendherbergen gehörte auch eine Neubewertung des bis dahin uneingeschränkt verehrten Gründungsvaters Richard Schirrmann. Eine geschichtliche Einordnung anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der ersten Jugendherberge in Altena war dringend notwendig geworden. Zudem erreichte eine allgemeine Aufarbeitungswelle diverser Institutionen und Firmen über ihre Rolle in der NS-Zeit auch den DJH. Schirrmann war eingebettet in die gründerzeitliche Jugendbewegung, in die Lebensreformpädagogik. Tatsächlich war mit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts eine Verstädterung und ungeahnte Armut einhergegangen, worunter besonders Kinder und Jugendliche zu leiden hatten. Schirrmann versuchte, mit seinen Touren in die Natur Gegenentwürfe zu schaffen. Allerdings ging es ihm nicht nur um den einzelnen Menschen. Er machte die von ihm gehassten ungesunden Städte für Geburtenrückgang, für kränkliche, rekrutierunfähige Jugendliche und damit für eine Aushöhlung des deutschen Volkskörpers verantwortlich. Seine Wanderungen sollten den jungen Menschen stählen, ausdrücklich auch die Mädchen: „Starke werden von Starken“ geboren.
So sehr Schirrmann daran
interessiert war, gesellschaftliche Schranken abzubauen, so unerbittlich war er
in anderer Weise: Schwache und kranke Kinder wurden von ihm kategorisch
aussortiert. Mit dieser Mischung aus reformpädagogischer, sozialer und
völkisch-nationalistischer Denkweise verstand Schirrmann es, sich sowohl durch
die Weimarer Republik als auch durch die Anfänge der nationalsozialistischen
Zeit – das Jugendherbergswerk war immer auf finanzielle staatliche Förderung
angewiesen – zu steuern. Als die Hitler-Jugend im April 1933 begann,
Übernahmeforderungen durchzusetzen, war Schirrmann erstaunt, ja entsetzt, hatte
er doch selbst immer „treudeutsch“ und ideologiekonform agiert. Schirrmann und
Münker wurden wie die meisten anderen Altgedienten ausgemustert, hielten sich
im Hintergrund aber auf dem Laufenden und waren 1945 sofort zur Stelle, um das
Jugendherbergswerk in West-Deutschland wieder neu aufzubauen – als über
70-Jährige. In den 1950er- und 1960er-Jahren entstanden zahlreiche
Herbergsneubauten. Die Standorte für neue Häuser wurden zunächst noch nach
wandergünstigen Aspekten ausgewählt, bald jedoch änderte sich dieser Ansatz
vor allem für Aufenthalte von Schulklassen auf ihren Klassenfahrten. Erst in
den 1950er-Jahren wurde das strikte Verbot aufgehoben, nach dem keiner mit
motorisierter Hilfe eines der Herbergshäuser erreichen durfte. In der DDR
standen die Jugendherbergen bis 1990 unter staatlicher Verwaltung.
35 der 466 Jugendherbergen in Deutschland befinden sich in Burgen. Aber auch Denkmale vieler anderer Gattungen gibt es im Angebot: Über 65 der Jugendherbergen sind in historisch bedeutsamen Gebäuden aufgelistet, auf die die meisten Jugendherbergen in den Denkmalen mit einem entsprechenden Programm eingehen. Auf Burgen ist dies natürlich gerne eine Inszenierung des Ritterlebens. Jugendherbergen in alten Feuerwachen (Plauen), in ausgedienten Windmühlen (Strehla), Festungen (Ehrenbreitstein, Ingolstein), Industriedenkmalen (Chemnitz und Duisburg), auf Schiffen (Bremen), in Klöstern (Rottweil und Leutesdorf) und sogar in einer ehemaligen Kirche (Köln) setzen entsprechende Schwerpunkte.
Aber es gibt auch Geschichte, die nicht in märchenhaften bunten Spektakeln inszeniert werden will: Die Wewelsburg im Paderborner Land zum Beispiel hat zwar alles, was sie zu einer Vorzeigeburg macht – sie liegt umgeben von einem hübschen Dorf idyllisch über dem Alme-Tal, ist mit ihren drei Türmen und dem dreieckigen Grundriss eine architektonische Besonderheit der Weserrenaissance, – birgt jedoch auch eine grausame Vergangenheit. 1933 wurde das seit 1925 als Jugendherberge genutzte Denkmal von Heinrich Himmler persönlich zur SS-Burg auserkoren. Hohe Offiziere sollten sich in einer casinoartig umgestalteten, mit Nazi-Esoterik geschmückten Burg zurückziehen können. Die sogenannte Gruft und der „Obergruppenführersaal“ im Nordturm zeugen noch heute von dieser Zeit. Für die gigantischen, die Burg und das Dorf Wewelsburg umfassenden Umbaupläne wurde eigens ein Konzentrationslager eingerichtet.
Es ist ein besonderes Verdienst des Kreises Paderborn, dem Denkmal wieder ein eigenes Leben zuzugestehen, Jugendliche sich dort wohlfühlen zu lassen, sich aber gleichzeitig in einer 2009 wohlüberlegten und klug angelegten Ausstellung mit den dunklen Jahren des sogenannten Dritten Reichs auseinanderzusetzen. Bei den aktuellen Restaurierungsmaßnahmen am Südost-Turm, die wegen Beschädigungen des Mauerwerks erforderlich waren, wird nach den historischen Befunden ein Kalkputz aufgebracht. Damit macht man ein Vermächtnis aus den unseligen NS-Zeiten rückgängig: Unter Himmler war die verputzte Renaissance-Burg freigelegt worden – man bevorzugte eine steinsichtige Burg mit trutzigem Charakter.
Gott sei Dank sind nicht alle
historischen Stätten, in denen sich Jugendherbergen finden, mit solcher Vergangenheit
belastet.
In Dinkelsbühl wurde im September 2016 die Wiedereröffnung der städtischen Jugendherberge gefeiert. Auch hier kann man direkt in einem vergangenen Jahrhundert „einchecken“: Die riesige ehemalige Kornscheune mit vier Dachgeschossen stammt von 1508. Seit 1953 als Jugendherberge genutzt, war eine umfassende Sanierung unumgänglich. Das Gebot, trotz aller Modernisierung auf Denkmal und Substanzbewahrung zu achten, ist gemeistert worden, nicht zuletzt mit Hilfe der DSD. Als besonders attraktiv zeigt sich der Fahrradservice inklusive -verleih und E-Bike-Aufladestation. Auch für die Stadtkasse ist der Radtourismus erfreulich: Nur mit Schulklassen können sich Jugendherbergen wirtschaftlich nicht mehr tragen. Der E-Bike-Boom, mit dem auch ältere Radfahrer auf längere Touren gehen, kommt so letztendlich dem Denkmal zugute.
Jugendherbergen stehen für Gemeinsamkeit, Aktivität und Kommunikation. Während der Ferien wird es in den meisten Häusern besonders laut: Die alten Gemäuer füllen sich mit wuseligem, lauten und fröhlichen Familienleben. Manche Kinderfreundschaft hat sich hier geschlossen. Jugendliche verbringen auf Ferienfreizeiten oft die ersten Wochen „in Freiheit“ ohne Eltern. Erlebnisse verbinden das Denkmal im Idealfall mit Spaß und Glück und lassen es für immer einen besonderen Platz im Herzen einnehmen – eine Kombination, die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gerne weiter unterstützt. Wo sonst ist Urlaub im Burgambiente auch für das schmale Portemonnaie erschwinglich?
Beatrice Härig
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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