Denkmale in Gefahr

Vom Aussterben bedroht: Skudden und Sollingdächer

Der alte Pfarrhof in Marienmünster-Löwendorf

Einst Pfarrhof, dann Bauerngut, später Café und heute Schäferei: Das Hallenhaus im ostwestfälischen Marienmünster hat eine lange Geschichte – und große Probleme mit seiner Bausubstanz.

Der Dachboden ist hell und gut beleuchtet. Aber es gibt weder Dachlukenfenster noch Gauben. Die freundliche Februarsonne findet ihren Weg dort, wo sie keinen finden sollte: Über das gesamte Dach verteilt klaffen Löcher, an vielen Stellen ist die Dachdeckung abgegangen. Das Licht trifft auf unzählige Eimer und Wannen, die im ganzen Dachboden aufgestellt sind. Sie bieten farbenfrohe Tupfer, stehen aber im krassen Kontrast zu den riesigen Problemen, die die Eigentümer mit dem Gebäude haben.


„Ich habe im Laufe der Zeit einen Rhythmus gefunden, in welcher Reihenfolge ich die Eimer ausleeren muss, wenn es regnet“, erzählt Ortrun Humpert schmunzelnd über sich und ihr „Regenballett“. Sie hat ein Rohr konstruiert, über das sie das viele Wasser in der niederschlagsreichen Winterzeit vors Haus kippen kann. Ihrer positiven Energie und Tatkraft ist es zu verdanken, dass die Balken und Dielen nicht dauerhaft feucht und völlig verfault sind. Balken, die eine Dachkonstruktion aus der Zeit – so vermuten es die Fachleute vom Westfälischen Denkmalamt – vor 1650 in Form eines Lippischen Hochsäulendachstuhls bilden.    

Der Dachstuhl und seine jahrhundertealten Hölzer: Spitzsäulen, Kehlbalken und Verstrebungen bilden ein imposantes Zimmererwerk, müssen aber schnell durch eine intakte Dach¬deckung geschützt werden.
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Dachstuhl und seine jahrhundertealten Hölzer: Spitzsäulen, Kehlbalken und Verstrebungen bilden ein imposantes Zimmererwerk, müssen aber schnell durch eine intakte Dach¬deckung geschützt werden.

Die Sollingsteinplatten


Nicht nur die kunstvolle Zimmererarbeit stellt ein Denkmal für sich dar, auch die Dacheindeckung ist unbedingt erhaltenswert: Dächer aus Sollingstein waren in früheren Zeiten typisch für die Region um Höxter – der Solling, ein Mittelgebirge im Weserbergland, liegt wenige Kilometer entfernt –, sind aber heute nur noch selten an Gebäuden zu finden.


Während Ortrun Humpert Wasser schüttet, denkt sie sich immer häufiger: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ Die Antwort gibt sie sich selbst: „Weil ich verrückt bin und weil ich die Seele dieses Hauses retten möchte!“ Vor über 30 Jahren hat sie das alte Gutshaus im ostwestfälischen Marienmünster-Löwendorf entdeckt, zusammen mit einer Freundin gekauft und zwölf Jahre lang mit ihr in einem Teil des Hofes ein Café betrieben. Mit ihrem Mann hat sie drei Kinder hier großgezogen, zwei sind noch im Haus. Idyllisch genug ist es hier: Das stattliche giebelständige Fachwerk-Hallenhaus mit backsteinernen Ausfachungen liegt in dem aus wenigen Häusern bestehenden Löwendorf am Dorfanger, neben der örtlichen Kirche und hinter zwei knorrigen alten Bäumen. Wie für die niederdeutschen Hallenhäuser typisch, prägt ein großes mit Malerei verziertes Tor die Fassade. Es führt in die große Diele, die imposant bis auf Traufhöhe reicht. Die Diele oder Halle ist das Kernstück des Gebäudes. Sie wird gebildet von den zwei Reihen der Hauptständer des Fachwerkbaus. Kopfbänder, also die Streben, die zwischen Ständern und Dachbalken für Stabilität sorgen, und ein altehrwürdiger Steinplattenboden geben der Diele Gesicht und Charakter. Sie war der Wirtschafts- und Arbeitsraum des Hauses. Hier wurde die Ernte eingebracht, deshalb das große Tor, und auf dem darüberliegenden Dachboden eingelagert. Hier wurde das Korn gedroschen, gefeiert, und hier bahrte man auch die Toten auf. Daneben finden sich auf zwei Stockwerken die Wohn- und Wirtschaftsräume. In den ehemaligen Mägdekammern, im Pökelzimmer und in der Wurstbühne wohnt heute Familie Humpert. Zwei Queranbauten aus dem 19. Jahrhundert bieten weiteren Platz.

Die Lage des Hofs neben der Kirche lässt leicht nachvollziehen, dass sich hier früher der Pfarrhof befand. Der Überlieferung nach führte ein Streit mit der Gemeinde 1650 dazu, dass der amtierende Pfarrer Löwendorf verlassen musste. Der Pfarrhof wurde zum „normalen“ landwirtschaftlichen Gut. Und 300 Jahre später zum Wohnhaus. Und wiederum einige Jahrzehnte später zur Schäferei, wie ein Schild vor dem Haus verkündet.

In idyllischer Lage am Dorfanger und neben der Kirche des Ortes gelegen: der alte Pfarrhof im ostwestfälischen Marienmünster-Löwendorf, der in seiner Grundkonstruktion aus dem 17. Jahrhundert stammt
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
In idyllischer Lage am Dorfanger und neben der Kirche des Ortes gelegen: der alte Pfarrhof im ostwestfälischen Marienmünster-Löwendorf, der in seiner Grundkonstruktion aus dem 17. Jahrhundert stammt

Die Skudden


Denn nicht nur durch ihr Haus beschäftigt sich Ortrun Humpert mit Althergebrachtem und Bewahrenswertem: Ihre Leidenschaft gilt der Zucht alter Schafrassen. Was mit einem von ihrem Vater geschenkten Schaf für die Pflege des verwilderten Gartens hinterm Pfarrhof begann, hat sich im Laufe der Jahre zu einer Schäferei mit Alleinstellungsmerkmal entwickelt. Die einsame Skudde von einst, eine auf der Roten Liste der gefährdeten Nutztierrassen geführte Schafrasse, hat mittlerweile eine aktive Schäferei und Herdbuchzucht mit inzwischen drei bedrohten Rassen – Skudden, Weiße Gehörnte und Weiße Hornlose Heidschnucke – nach sich gezogen. Humperts beweiden mit ihren Tieren viele Naturschutzflächen im gesamten Nordkreis Höxter und betreiben somit ein gutes Stück Kulturlandschaftspflege. Nebenbei verhalfen das Auftauchen eines Schafe reißenden Luchses 2010 und die Wiederkehr der Wölfe zu einer weiteren Spezialisierung, die auch eine Art von Kulturpflege darstellt: Humperts züchten Herdenschutzhunde. 

Ob schwarz, weiß, langes oder kurzes Haar, alle haben hübsche Gesichter und einen wachen Blick: In der Schäferei Humpert stehen nur Schafe alter Rassen.
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ob schwarz, weiß, langes oder kurzes Haar, alle haben hübsche Gesichter und einen wachen Blick: In der Schäferei Humpert stehen nur Schafe alter Rassen.

Die Schutzhunde


Dass der Wolf für den Menschen an sich nicht gefährlich ist, hat sich herumgesprochen. Für Schafe jedoch ist er es, was den Schäfern Sorge bereitet. Wie auf so vielen anderen Gebieten, ist althergebrachtes Wissen verschwunden. Keiner hatte sich während der generationenlangen Abwesenheit des Wolfes in unseren Regionen für eine wolfssichere Schafhaltung interessiert. Herdenschutzhunde, in Humperts Fall von der Rasse der Pyrenäenberghunde, verteidigen ihre Schafe, mit denen sie in enger Symbiose leben. Sie werden im Schafstall geboren und verbringen Tag und Nacht mit den Wiederkäuern, denen sie vom Fell her gar nicht unähnlich sehen. Gemächlich wirken sie, gutmütig und flauschig, sind dabei stets bereit und blitzschnell, wenn es nötig ist. Unbedingte Herden- und Zauntreue ist die Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit, was eine aufwendige Aufzucht erfordert. Mit der Rückkehr der Wölfe ist die Nachfrage nach den Herdenschutzhunden enorm gestiegen. Ein jahrtausendealtes Wissen erlebt gerade eine Renaissance. Das bedeutet jedoch nicht, dass Humperts mit ihrem Hundenachwuchs finanziell große Sprünge machen könnten. Zu zeitintensiv ist die Zucht und Ausbildung der Hunde, ist zusätzlich die Schäferei. Im Frühling, zur Zeit der Lämmergeburten, verbringt Ortrun Humpert mehr Zeit im Stall als im Haus.


„Hier ist alles vom Aussterben bedroht“, lacht Ortrun Humpert und meint dies alles andere als resigniert. Ihr Elan ist mit Händen zu greifen, was die Mitstreiter zur Erhaltung bedrohter Tierrassen nur bestätigen können. Regelmäßig sind Schulklassen Besucher ihrer Schäferei. Studierende der Architektur werden in die große Diele im alten Pfarrhof gebeten, um die Konstruktion eines veritablen Vierständerhauses verstehen zu lernen. Denn so wie sie den ostpreußischen Skudden, den Weißen Hornlosen und den Gehörnten Moorschnucken wieder zu einer Zukunft verholfen hat, so sehr möchte sich Humpert für die Bewahrung des alten Pfarrhofes einsetzen.

Es fehlen nur die Mittel: Allein die unbedingt notwendige Restaurierung der Dachdeckung zu bewerkstelligen, ist kein leichtes Unterfangen. Dacheindeckungen aus Sollingstein werden nicht mehr produziert. Die brauchbaren Platten vom Dach müssen sortiert werden, eventuell an anderen Orten wiederverwendbare gefunden werden. Die Fachwerkkonstruktion des einsturzgefährdeten Torgiebels kann nur von Zimmerleuten repariert werden, ebenso wie die Dachkonstruktion und die Dielendecke. Das historische Ziegelmaterial in den Ausfachungen ist zum Teil sehr angegriffen und sollte dort erneuert werden. Zuviele Maßnahmen, um sie in alleiniger finanzieller Eigenleistung stemmen zu können.   


Deshalb die Bitte: Helfen Sie mit, ein Stück ländliche Baukultur zu bewahren. Gäbe es eine Rote Lis­te gefährdeter westfälischer Bauernhäuser, wäre der alte Pfarrhof in Löwendorf unter der Rubrik „Extrem gefährdet“ aufgeführt! 


Beatrice Härig

Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Hier fuhren einst die Heuwagen ein, hier wurde gearbeitet, gefeiert und gelebt, heute dient sie auch als Überwinterungsort für den Oleander: Die hohe Diele ist das Zentrum eines niederdeutschen Hallenhauses.
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ortrun Humpert, hauptberuflich Schaf- und Hundezüchterin, hält im zweiten Hauptberuf mit Energie und Tatkraft die Seele des Hauses zusammen.
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Dachdeckung aus Sollingsteinplatten war früher im Höxter Land üblich, ist heute nur noch selten zu finden und muss hier dringend gerettet werden.
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
1799 ist auf der Inschrift am Dielentorsturz vermerkt. Malereien verzieren die Torständer- und den Schwellenbalken. Unschwer zu sehen, dass ein schnelles Eingreifen nötig ist, um die Dekoration und die Medaillons mit christlichen Monogrammen zu retten.
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
In Harmonie und Symbiose: Die Herdenschutzhunde leben inmitten ihrer Schafe, nicht nur auf der Weide, sondern auch im Stall.
 
 
Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Hier fuhren einst die Heuwagen ein, hier wurde gearbeitet, gefeiert und gelebt, heute dient sie auch als Überwinterungsort für den Oleander: Die hohe Diele ist das Zentrum eines niederdeutschen Hallenhauses.
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Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ortrun Humpert, hauptberuflich Schaf- und Hundezüchterin, hält im zweiten Hauptberuf mit Energie und Tatkraft die Seele des Hauses zusammen.
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Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Dachdeckung aus Sollingsteinplatten war früher im Höxter Land üblich, ist heute nur noch selten zu finden und muss hier dringend gerettet werden.
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Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
1799 ist auf der Inschrift am Dielentorsturz vermerkt. Malereien verzieren die Torständer- und den Schwellenbalken. Unschwer zu sehen, dass ein schnelles Eingreifen nötig ist, um die Dekoration und die Medaillons mit christlichen Monogrammen zu retten.
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Marienmünster-Löwendorf, Alter Pfarrhof © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
In Harmonie und Symbiose: Die Herdenschutzhunde leben inmitten ihrer Schafe, nicht nur auf der Weide, sondern auch im Stall.
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