Öffentliche Bauten Nach 1945 Material Menschen für Denkmale Interviews und Statements Februar 2018 B

Interview mit Oliver Elser

Eine Chance dem Brutalismus

Oliver Elser, Kurator der Ausstellung SOS Brutalismus im Deutschen Architekturmuseum, plädiert für eine Neubewertung des Brutalismus.

Oliver Elser ist seit 2007 Kurator im Deutschen Architekturmuseum. Nach dem Architekturstudium in Berlin arbeitete er zunächst als Architekturkritiker und Kurator in Wien. 2016 war er Kurator von Making Heimat , dem Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale von Venedig. Oliver Elser hat die zurzeit laufende Ausstellung "SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster" kuratiert, die das DAM gemeinsam mit der Wüstenrot Stiftung entwickelt hat.   

Oliver Elser, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main © Kirsten Bucher

Monumente: Kann man den Begriff Brutalismus genau definieren?

Oliver Elser: Eine über jeden Zweifel erhabene Definition des Begriffs kann man kaum liefern. Die erste Definition erfolgte Anfang der 1950er-Jahre durch Reyner Banham. Er hatte als erster eine Art ethische Erklärung des Brutalismus geliefert. Wichtig war sein Buch aus dem Jahr 1966, erschienen im renommierten Karl Krämer Verlag, Stuttgart.

Ein wichtiger Aspekt für Banham war, dass das Material der Bauten unverhüllt und unverkleidet, also roh ist, daher der Begriff "brut", was von "béton brut" abgeleitet ist, einem Begriff Le Corbusiers. Hinzu kommt, dass ein Gebäude seine Tragstruktur zeigt sowie ein "Image" erzeugt. Wir haben diese drei Banham'schen Kriterien nun noch um ein viertes Kriterium ergänzt, das wir die "Rhetorik" eines Bauwerks nennen. Zu Bauten des Brutalismus gehört eine gewisse Übertreibung, eben eine rhetorische Komponente. Im Duisburger Lehmbruckmuseum zum Beispiel wird die Architektur zu einem rhetorischen Moment, weil die grob mit Brettern geschalte Museumswand ihre "Gemachtheit" deutlich in den Vordergrund spielt.

Die Betonwand als "rhetorischer Moment" im Lehmbruckmuseum in Duisburg, Förderprojekt der DSD
Duisburg, Lehmbruckmuseum © Beatrice Härig, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Betonwand als "rhetorischer Moment" im Lehmbruckmuseum in Duisburg, Förderprojekt der DSD

Monumente: Gibt es Architekten, die maßgeblich waren und diesen Stil in einer Art Architekturschule und in bestimmten Ländern vorangetrieben haben?

Oliver Elser: Paul Rudolph in den USA war enorm einflussreich, oder auch Kenzo Tanges Bauten in Japan. Sein Prinzip, eine Holzkonstruktion in Beton zu transformieren, wurde weltweit nachgeahmt, zum Beispiel bei der Ruhuniversität Bochum. 

Monumente: Es ist einmalig, dass eine Architektur-Ausstellung schon Jahre vorher angekündigt und durch eine derartige Social Media-Aktion in der Öffentlichkeit begleitet wird. Wie soll es weitergehen?

Oliver Elser: Es gibt diese unglaubliche Energie in den Social-Media-Bereichen, die wir uns zunutze machen. Wir haben keine rein retrospektive Brutalismus-Ausstellung gemacht. Wir wollen zugleich eine Denkmalschutz-Ausstellung machen, weil wir in die Gegenwart schauen und Wissen aktualisieren wollen. Das ist auch der Kern des Interesses der Wüstenrot Stiftung, unseres Kooperationspartners. Deshalb gibt es in der Ausstellung und im Katalog zu jedem Objekt auch aktuelle Fotos und nicht nur die zeitgenössischen Abbildungen vom Erbauungszustand, oft in schwarz-weiß.

 

Es war von Anfang an geplant, dieses Internet-Interesse nicht nur für die Ausstellung allein zu bündeln. Die Idee war, den Hashtag #SOS Brutalism als ein Werkzeug zu verwenden, das quasi größer ist als wir und das von alleine laufen kann. Es sollte nicht nur eine Ausstellung im Museumsgebäude stattfinden, sondern die Idee sollte heraustransportiert werden. Wir sind eine Art Medienunternehmen geworden, mit Inhalten, die wir weitertragen wollen. 

Claude Parent und Paul Virilio ließen sich bei der Kirche Sainte-Bernadette in Nevers 1963 von den deutschen Bunkern an der französischen Atlantikküste inspirieren.
Nevers, Sainte-Bernadette du Banlay © Bruno Bellec
Claude Parent und Paul Virilio ließen sich bei der Kirche Sainte-Bernadette in Nevers 1963 von den deutschen Bunkern an der französischen Atlantikküste inspirieren.

Monumente: Wie moderieren Sie die Internet-Seite #SOS Brutalismus?

Oliver Elser: Von der ersten Stunde an war die Frage der Definition sehr wichtig: Was ist eigentlich Brutalismus? Jede Zuschrift wird ausgewertet und persönlich beantwortet, was auch bedeutet, dass Vorschläge abgelehnt werden. Nicht jedes Gebäude, das betonsichtig ist, ist auch brutalistisch.

Wir versuchen auch, Kampagnen zu verbinden. Die Social-Media-Nutzer sind wie eine Art Gemeinschaft. Wenn wir Synergien schaffen können, vermitteln wir gerne.

Monumente: Wie ist die Entwicklung der Brutalismus-Liebhaber? Welche Gruppe überwiegt bei den „Aktivisten“: die Anhänger der sozialen Architektur oder die Ästheten der jüngeren Generation?

Oliver Elser: Wir sind sicher Teil einer „Brutalismus-Welle“, die eben hauptsächlich über die Social-Media-Nutzer läuft: Auf Instagram haben wir 13.000 Follower, auf Facebook folgen #SOS Brutalism 4.700 Menschen, und über das Portal Tumblr sind es 10.000. Der Witz ist aber, dass sich die Zielgruppe, die wir nach unserer Social-Media-Arbeit erwartet haben, jetzt in der Ausstellung als ganz anders darstellt: Neben dem jungen Publikum kommen auch sehr viele ältere Besucher, was uns sehr freut. Dazu können wir das Thema dem „normalen Kulturpublikum“ nahebringen.  

Der Mariendom in Velbert-Neviges ist ein Betonbauwerk der allerhöchsten architektonischen Qualität.
Velbert-Neviges, Mariendom © Henriette Schröder, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Mariendom in Velbert-Neviges ist ein Betonbauwerk der allerhöchsten architektonischen Qualität.

Monumente: Wie ist die Zusammenarbeit mit der offiziellen Denkmalpflege? Gibt es Bauwerke, die aufgrund der Kampagne gerettet werden konnten?

Oliver Elser:  Bei dem einen oder anderen Bauwerk konnten wir schon Akzente setzen: Wir haben zum Beispiel gesehen, dass es eine Initiative von Studierenden aus Mainz gibt, die sich für das Rathaus in Mainz stark machen. Sie nennen es #SOS Rathaus Mainz. Das freut uns sehr, gar nicht, weil es sich um einen brutalistischen Bau handelt oder nicht, sondern weil es zeigt, wie sehr es ein Bedürfnis nach diesem Werkzeug #SOS gibt. Es verkürzt den Weg und verschafft zunächst einmal Aufmerksamkeit.


Wir können per Suchmaschine anhand des Hashtags #SOSBrutalism sehen, wo dieses Werkzeug genutzt wird und dann von unserer Seite auch aktiv werden.

 

Wir haben auch schon gehört, dass in die Beurteilung eines Objekts durch die Denkmalpflege, nämlich beim Kulturzentrum in Mattersburg, Österreich, unsere Kampagne eingeflossen ist. Im Gutachten steht, dass Teile des Bauwerks unter Denkmalschutz gestellt werden, weil es in der Datenbank von #SOSBrutalism aufgeführt wird.

Das Mainzer Rathaus wurde von Arne Jacobsen und Otto Weitling 1968/1970 entworfen und bis 1974 gebaut. Es befindet sich mittlerweile in einem sanierungsbedürftigen Gesamtzustand.
Mainz, Rathaus © Carsten Costard
Das Mainzer Rathaus wurde von Arne Jacobsen und Otto Weitling 1968/1970 entworfen und bis 1974 gebaut. Es befindet sich mittlerweile in einem sanierungsbedürftigen Gesamtzustand.

Monumente: Gibt es auch Fälle, bei denen die Eigentümer nicht begeistert sind, wenn ihr Bauwerk als brutalistisch eingestuft wird?

Oliver Elser: Ja, das hatten wir auch schon. Die Stadt Heidelberg ist Eigentümer der Talstation der unteren Seilbahn, die zum Schloss hochführt. Die Station ist im besten Sinne ein brutalistisches Gebäude aus den 1970er-Jahren. Die Stadt wollte partout nicht, dass der Bau in die Datenbank aufgenommen wird.

Andererseits hat sich die Deutsche Bundesbank sehr darüber gefreut, dass ihre Hauptverwaltung als brutalistisch gilt, auch wenn ich da selber so meine Zweifel habe. Sie wollen dabei sein bei der Aufmerksamkeit, die dem Brutalismus aktuell zuteilwird.

Die Aula in Hückelhoven, die städtische Mehrzweckhalle, wurde 1974 fertiggestellt. Entworfen wurde sie, ebenso wie das gegenüberliegende Gymnasium, von Brigitte und Christoph Parade.
Hückelhoven, Aula © Christoph Parade
Die Aula in Hückelhoven, die städtische Mehrzweckhalle, wurde 1974 fertiggestellt. Entworfen wurde sie, ebenso wie das gegenüberliegende Gymnasium, von Brigitte und Christoph Parade.

Monumente: Was passiert nach Ende der Ausstellung im DAM mit dem Projekt? 

Oliver Elser:  Die Ausstellung wird nach Wien ins Architekturzentrum gehen. Dort wird sie um ein österreichisches Kapitel ergänzt. Es wäre wunderbar, dort einen Beitrag dabei zu leisten, dass einige akut gefährdete Objekte gerettet werden.

Außerdem soll auch nach dem Ende der Ausstellung die Kampagne weiter begleitet werden. Es bedeutet viel Pflege, solch eine Sammlung aufzubauen und zu betreuen. Wir sind froh, dass das BauNetz als technischer und inhaltlicher Partner der Webseite weiter an unserer Seite ist.


Die Fragen stellte Beatrice Härig.



Zum Projekt #SOS Brutalism und zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main: www.sosbrutalism.org


Lesen Sie den Artikel über Brutalismus hier 

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