Kleine und große Kirchen Juni 2017
Schwamm und Fäule haben der alten Dorfkirche im thüringischen Unterwellenborn, die wertvolle Ausstattungsstücke birgt, schwer zugesetzt.
Anderswo sind die Kirchen ortsbildprägend. In Unterwellenborn konnte davon seit dem späten 19. Jahrhundert keine Rede mehr sein: Der Bau einer Hüttenanlage machte die Gemeinde im thüringischen Weiratal schlagartig zu einem bedeutenden Industriestandort. Zu DDR-Zeiten rangierte die Maxhütte als Formstahl-Gigant ganz oben. Welche Dorfkirche, und sei sie noch so schmuck, kann gegen riesige Schlote ankommen, die ihre Zeichen so unerbittlich gen Himmel schicken? Zwar wurden die Hochöfen nach der Wende stillgelegt, doch das mittlerweile privatisierte Elektrostahlwerk nimmt in Unterwellenborn noch immer viel Raum ein.
Wer sich von Osten nähert, hat immerhin die Chance, ein Stück typisches Dorfidyll wahrzunehmen. An der lindengesäumten Hauptstraße reihen sie sich auf: die alte evangelische Pfarrkirche St. Nikolai – um die es hier geht –, der Teich mit Kinderspielplatz und Feuerwache und die katholische Herz-Jesu-Kirche, ein trutziger Nachkriegsbau. Kehrt man zurück zu St. Nikolai und schaut vom Kirchhof gen Norden, drängt sich wie ein Relikt aus einer anderen Welt eine rötlich verputzte Tempelfront ins Bild. Der monumentale Kulturpalast, 1952–54 für die Werktätigen der Maxhütte errichtet und noch zu DDR-Zeiten unter Denkmalschutz gestellt, harrt mit seinen prächtigen, aber meist leeren Sälen der Wiederbelebung. Zeitschichten lassen sich in Unterwellenborn sehr plakativ ablesen.
Das Mittelalter scheint dezentere Spuren hinterlassen zu haben. Kleine Details an der Fassade von St. Nikolai wie die gotischen Fensteröffnungen am Westgiebel deuten darauf hin, dass diese Chorturmkirche eine weit zurückreichende Geschichte haben muss. Überregionale Verbindungen haben hier eine lange Tradition, denn durch die Orlasenke führte im Mittelalter einer der vielen Handelswege zwischen Nürnberg und Leipzig. So ist die Dorfkirche, die 1125 erstmals urkundlich erwähnt wurde, dem heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der reisenden Händler, geweiht.
Der älteste Teil des heutigen Baus ist der quadratische Chor, der im ausgehenden 12. Jahrhundert entstand. Das Kreuzgewölbe, die Kapitelle und die Rundbogenfenster verweisen auf den romanischen Ursprung. Die Malereien im Chorgewölbe wurden in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts aufgebracht. Sie zeigen Christus als Weltenrichter, Maria und Johannes als Fürbitter sowie den Erzengel Michael.
Um 1509 erfolgte die Erweiterung der Kirche in den Formen der Spätgotik: Das Langhaus, die Sakristei und das achteckige Obergeschoss des Chorturmes stammen aus dieser Bauphase. Im Kirchenschiff wurde eine flache Holzdecke eingezogen, die mit Schablonenmalerei geschmückt war. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hat man das Langhaus umfassend umgestaltet: Hinzu kamen die zweigeschossigen Emporen, die Decke wurde erhöht und durch eine leicht gewölbte Tonne ersetzt.
Auch die Ausstattung von St. Nikolai kann sich sehen lassen. Kunsthistorisch bedeutendstes Stück ist der Flügelaltar von 1522. Das Retabel wird der bekannten Saalfelder Schule zugeschrieben, die zur Zeit der Spätgotik in Thüringen sehr produktiv auf dem Gebiet der Bildschnitzkunst war und zahlreiche Dorfkirchen im Umland mit qualitätvollen Stücken belieferte. Im geschlossenen Zustand sind auf den bemalten Tafeln die Himmelfahrt sowie das Pfingstwunder dargestellt. Der geöffnete Schrein zeigt die Taufe Christi im Jordan, flankiert von je zwei Heiligenfiguren in den Flügeln: Sebastian und Augustinus sowie Anna und Apollonia. In der Predella ist das Abendmahl zu sehen.
Aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammen der Taufstein aus Alabaster und die steinerne Kanzel, deren Korb mit figürlichen Reliefs geschmückt ist. In den Feldern zwischen den Säulen erscheinen Christus als Salvator Mundi und die Evangelisten. Die von Johann Heinrich Scherff aus Pößneck erbaute Orgel wurde 1745 installiert.
Von all diesen Schätzen ist im Moment nichts zu sehen. Graue Planen, mit größter Sorgfalt und lückenlos angebracht, schützen den Kirchenraum und verhüllen das wertvolle Kunstgut. St. Nikolai ist Baustelle.
2014 musste die Kirche gesperrt werden, weil Einsturzgefahr bestand. Verformungen im Bereich des Daches hatten die Mitglieder des Kirchengemeinderats alarmiert. Das Ergebnis des Gutachtens war niederschmetternd. Das Gotteshaus erwies sich als Biotop: Insekten, Pilze und vor allem der gefürchtete Echte Hausschwamm hatten das Mauerwerk im Traufbereich befallen, hatten elementare Holzverbindungen und Auflager zerstört. Der Dachstuhl neigte sich, die Schalung war verfault. Erschwerend kamen Unzulänglichkeiten der Umbaumaßnahmen des 16. Jahrhunderts hinzu, bei denen man wichtige Balken und Sparren verkürzt oder entfernt hatte. Die Standsicherheit war nicht mehr gegeben. Nur noch aus Gewohnheit habe das Langhaus gehalten, umschreibt Bauleiter Jens Hoßfeld die dramatische Situation.
2015 folgte die Notsicherung der Dachkonstruktion. Die Mauerkrone wurde durch den Einbau eines Stahlbeton-Ringankers stabilisiert. Die Fußschwellen des Dachstuhls müssen erneuert und mit Blei unterlegt werden, damit sich Feuchtigkeit nicht mehr ausbreiten kann. Hier befindet sich das ‚Kontrollzentrum‘: Verschiedene Punkte werden täglich auf eventuelle Bewegungen hin überprüft. Zu guter Letzt, wenn das gesamte Tragwerk seinem Namen wieder gerecht wird, soll das Dach auch auf der Südseite seine alte Schieferdeckung und die erneuerten Gauben zurückerhalten.
Die Gottesdienste werden derweil im Gemeindesaal gefeiert, oder man weicht auf die evangelische Kirche im nahen Oberwellenborn aus. Glücklicherweise ist der größte Schaden abgewendet und St. Nikolai nicht mehr komplett gesperrt. Zu besonderen Anlässen finden sich die Menschen im Kirchenschiff ein: etwa an Heiligabend oder zum Fest der Kirchweih. Sogar ein Trauergottesdienst wurde jüngst hier abgehalten – weil die Verstorbene sich dies ausdrücklich in der ihr so vertrauten Kirche gewünscht hatte. Die Gemeinde sieht in solchen Momenten gnädig über die Staubschutzwände hinweg. Die verstellten Blicke sind zu verschmerzen, wenn sie signalisieren, dass St. Nikolai nicht seinem Schicksal überlassen wird.
Über Schuttberge steigen muss ohnehin niemand. Aufgeräumt ist es auf der Baustelle, umsichtig wird hier gearbeitet. Man merkt den Handwerkern nicht nur ihre Erfahrung, sondern den Respekt vor den alten Hölzern und Mauern an. Es geht stetig voran, und doch bleibt die Rettung von St. Nikolai eine Mammut-Aufgabe. Auch im Chorturm sind gravierende Schäden zu beklagen. Der Orgelprospekt ist ebenfalls vom Pilz befallen und muss restauriert werden.
Das Ende ist noch lange nicht in Sicht. An Geduld mangelt es den Dorfbewohnern nicht – sie sind dankbar für jeden kleinen und großen Schritt bei der Wiederauferstehung ihrer alten Kirche. Was die Finanzierung angeht, sind ihre Ressourcen bei diesem schweren Sanierungsfall allerdings begrenzt. Bitte helfen Sie mit, St. Nikolai in Unterwellenborn zu bewahren!
Bettina Vaupel
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Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
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