Interviews und Statements April 2017

Interview mit Janne Teller

Wir leben Kultur

Die Autorin Janne Teller ist Botschafterin des Europäischen Kulturerbejahres 2018. Aus einer Idee wird eine Bewegung: Es geht um gemeinsame kulturelle Zeugnisse und Werte, um Vielfalt, Toleranz und Dialog - und um die Einheit.

Seit 2014 setzt sich das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz für ein Kulturerbejahr ein, um den Menschen in Europa und besonders der jüngeren Generation die gemeinsame Identität stärker ins Bewusstsein zu bringen. Erfolgreich beförderte es zusammen mit Bund und Ländern diese Initiative. Einen besonderen Schwerpunkt im deutschen Beitrag zum Kulturerbejahr "Sharing Heritage" wird das baukulturelle und das archäologische Erbe bilden. Auch das immaterielle Kulturerbe wird intensiv behandelt, kulturelle Traditionen, Organisationsformen, die von der Kreativität und dem Erfindergeist unserer Gesellschaft zeugen. Zu den Ausdrucksformen gehören Tanz, Theater, Literatur, Musik, mündliche Überlieferungen, Bräuche, Feste und Handwerkskünste. Neben Professor Dr. Dr. hc. mult. Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Architekten Sir David Chipperfield und den Musikern Harald Haugaard und Helene Blum ist Janne Teller eine der Botschafterinnen des Europäischen Kulturerbejahres.

Die Schriftstellerin Janne Teller ist in Dänemark aufgewachsen, lebte aber schon in einem halben Dutzend anderer Länder.
Porträt Janne Teller © Dirk Dehmel, Berlin
Die Schriftstellerin Janne Teller ist in Dänemark aufgewachsen, lebte aber schon in einem halben Dutzend anderer Länder.

Warum haben Sie sich entschieden, Sharing-Heritage-Botschafterin zu werden?


Janne Teller: Ein Vereintes Europa liegt mir sehr am Herzen. Ich sehe mich selbst als Europäerin, die sogar lieber einen europäischen Pass hätte als einen dänischen. Meine Mutter ist Österreicherin mit teilweise italienischen Wurzeln, mein Vater ist zur Hälfte Deutscher.  Aufgewachsen bin ich in Dänemark,  aber gelebt habe ich bereits in einem halben Dutzend anderer Länder. Es ist – und wohl auch für die vielen anderen Millionen gemischten Europäer – für mich absurd, mich mit einer bestimmten Nation zu identifizieren.


Ähnlich ist es mit Kunst und Kultur. Nichts kommt aus nur einem Land! Nehmen Sie ein paar Nationalsymbole Dänemarks: Das Kopenhagener Rathaus ist eine detailgenaue Replik des Rathauses von Siena; der Weihnachtsbaum kommt aus Deutschland; die Kartoffel wurde uns von polnischen Einwanderern gebracht. Als Autorin bin ich mir sehr bewusst, dass Literatur niemals isoliert entsteht. Jedes literarische Werk hat gleichzeitig regionale und globale Wurzeln. Diese europäischen Bezüge aufzuzeigen und zu feiern,  sehe ich geradezu als eine Notwendigkeit unserer Zeit an. Es ist mir deshalb eine besondere Ehre, Teil des Europäischen Kulturerbejahres zu sein.

Wer viel am Schreibtisch arbeitet, dem ist die Aussicht besonders wichtig.
Lollar, Schloss Friedelhausen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Wer viel am Schreibtisch arbeitet, dem ist die Aussicht besonders wichtig.

Wird Ihr literarisches Werk von Orten beeinflusst? Gibt es bestimmte Gebäude, die Sie besonders inspiriert haben?


Janne Teller: Schreiben kann ich überall auf der Welt. Ob die Orte klein oder groß sind – das ist egal. Aber alt sollten sie sein, sodass knarzige Dielen die Geschichte derjenigen widerhallen lassen, die vor mir dort  waren. Und die Aussicht ist essenziell: Ein Horizont oder etwas Besonderes. Auf eine Hauswand zu starren, hält meinen Gedankenfluss auf. 


Ich mag den Fensterblick auf historische Gebäude. In Paris waren es für mich die Kirchen – St-Sulpice, St-Denys du Saint-Sacrement. In Brüssel der Triumphbogen im Parque Cinquantenaire. In Helsingor schaue ich nun auf Schloss Kronborg.


Denkmale  erzählen mir die Geschichten von Generationen. Als ob sich das kleine „Hier-und-Jetzt“ öffnet und der Ort seine unendlichen Verbindungen in der Welt preisgibt. Wenn ich diese alten Steine betrachte, aus denen die Gebäude, Treppen und Skulpturen entstanden sind, dann fühle ich mich dem verbunden. Gleichzeitig spüre ich auch eine Verantwortung für das, was ich und meine Zeitgenossen für die kommenden Generationen hinterlassen.

Die historischen Bühnenbilder von Ravensburg sind ein Schatz von europäischem Rang, der sich über Generationen bewahrte. Gezeigt wird die Lagunenstadt Venedig.
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Die historischen Bühnenbilder von Ravensburg sind ein Schatz von europäischem Rang, der sich über Generationen bewahrte. Gezeigt wird die Lagunenstadt Venedig.

Sie haben einmal gesagt: „Wir benötigen eine bessere Vorstellung davon, was es heißt, Europäer zu sein.“ Können Sie das erläutern?


Janne Teller: Über die einfache Funktion einer gesellschaftlichen Ordnungsform hinaus ist der Nationalstaat ein rein artifizielles und dazu historisch betrachtet recht junges Konzept. Die meisten Nationen existierten gar nicht vor dem 17. oder 18. Jahrhundert. Sie sind nichts Naturgegebenes, nicht einmal etwas, was wir als Kulturerbe begreifen müssten, und ganz bestimmt nicht fließt „nationalstaatliches Blut“ durch unsere Adern.


Aber da wir alle mit nationalen Symbolen aufgewachsen sind, lernen wir instinktiv die emotionale Bindung zu unserer Heimat mit unserer Vorstellung vom Nationalstaat zu verbinden. Wenn wir allerdings beigebracht bekämen, Europäer zu sein, wenn wir lernen würden den gleichen Stolz und die gleiche Freude gegenüber europäischen Symbolen zu empfinden – für Europas Kulturgeschichte, für seine Wahrzeichen, seine Kunst, Literatur und Musik –, wenn uns bewusst werden würde, wie eng wir auf dem Kontinent miteinander kulturell verknüpft sind, dann würde es überhaupt keinen Platz geben für die absurde und gefährliche Idee des Nationalismus. Wenn wir mit dem Verständnis darüber aufwachsen würden, dass Europa unsere Heimat ist, dass wir Europäer sind, genauso wie wir Bürger eines Landes sind, dann würde extremer Nationalismus sich als das entlarven, was er eigentlich bedeutet: Sich die Beine abschneiden zugunsten seiner Arme.

Wichtig über den Nationalstaat hinaus: die 1911 eingeweihte Görlitzer Synagoge. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte ihre Restaurierung.
Görlitz, Synagoge © Peter Mitsching, Görlitz
Wichtig über den Nationalstaat hinaus: die 1911 eingeweihte Görlitzer Synagoge. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte ihre Restaurierung.

Was könnte im Ergebnis eines erfolgreichen Europäischen Kulturerbejahres 2018 stehen?


Janne Teller: Ich wünsche mir, dass alle Europäer begreifen, dass das Nationale nicht im Widerspruch zum Europäischen steht. Es baut aufeinander auf. Über das Verständnis der vielen Verknüpfungen innerhalb unseres Kulturerbes sollten wir erkennen: Wir sind zunächst Europäer, dann Staatenangehörige und schließlich lokal verwurzelt. Nicht das eine oder andere. Ich wünsche mir Bücher, Lehrbücher, die die gesamte europäische Geschichte und das europäische kulturelle Erbe abdecken und in allen Ländern Europas als Unterrichtsmaterial eingesetzt werden können, auf die sich alle einigen können – und wo notwendig – verschiedene Perspektiven zu Konflikten zulassen.


Eine Phantasielandschaft mit Architektur in Europa
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Eine Phantasielandschaft mit Architektur in Europa

Auch wäre es großartig, wenn Kunstwerke entstünden von Künstlern, die sich dezidiert Europa und weniger einem Nationalstaat zugehörig fühlen. Und ich würde mich sehr freuen, wenn – und das mag derzeit utopisch erscheinen – es erste Schritte hin zu Skulpturen oder Bauten gäbe, die Europa gewidmet sind. Ich meine hier nicht Gebäude für Institutionen, sondern – ähnlich wie einst die Statuen, Burgen und Schlösser für nationale Könige und Prinzen entstanden – aus Liebe und Verehrung zur Region „Europa“, mit all ihrer Facettenhaftigkeit, die die unsrige ist. Und schließlich auf einer sehr persönlichen Ebene: Ich würde gerne nie wieder sagen müssen, dass ich eine dänische Schriftstellerin bin, sondern das ein Begriff mich und meine Bücher umfassend beschreibt: europäisch.


Die Fragen stellte Björn Bernat/Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz in Abstimmung mit der Chefredaktion von Monumente

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