Kleine und große Kirchen Gotik Februar 2017
Kiedrich im Rheingau besitzt ein spätmittelalterliches Juwel. Das Inventar der katholischen Pfarrkirche St. Valentinus und Dionysius wurde Schritt für Schritt instand gesetzt.
Wer im Mittelalter an Fallsucht litt, hatte auch im übertragenen Sinn keinen guten Stand. Die Kranken schienen von Dämonen besessen, die Anrufung von Heiligen und Wallfahrten galten als die einzig wahre Therapie. Der wichtigste der zahlreichen für Epilepsie zuständigen Helfer war im deutschsprachigen Raum der heilige Valentin. Entsprechend frequentiert wurden die Stätten seiner Verehrung. Nachdem der Abt von Kloster Eberbach im frühen 14. Jahrhundert eine Schädelreliquie an die Pfarrkirche im nahen Kiedrich übertragen hatte, zog es vor allem Epileptiker, Geisteskranke und Gichtleidende zu ihrem Schutzpatron in den Rheingau.
Die blühende Valentinus-Wallfahrt gab den Anlass zum Bau einer neuen dreischiffigen Hallenkirche. Sie wurde auf den Fundamenten eines dem heiligen Dionysius gewidmeten Vorgängerbaus errichtet und um 1380 vollendet. Der starke Zustrom von Pilgern führte 1417 zu einer Hospitalstiftung. Da viele Wallfahrer hier starben und beerdigt werden mussten, entstand 1434–44 am Rand des Kirchhofs die Michaelskapelle, die zugleich als Toten- und Heiltumskapelle diente. Von der Außenkanzel konnte man die Reliquien einer großen Menschenmenge präsentieren. Im Jahr 1454 schenkte der Wormser Domdekan weitere Valentinus-Reliquien nach Kiedrich, was die Wallfahrt nochmals beförderte und eine aufwendige Erweiterung der Kirche in den Formen der Spätgotik nach sich zog.
Am Chor – doppelt so hoch und so lang wie sein Vorgänger – hat Meister Wilhelm, Schüler des Frankfurter Dombaumeisters Madern Gerthener seine Handschrift hinterlassen. Das gleichfalls aufgestockte Langhaus erhielt unter Wolfgang Tenc ein prächtiges Sterngewölbe. 1493 war der neue Kirchenbau fertiggestellt, dessen Steinmetzarbeiten von hohem künstlerischen Niveau zeugen.
Gleiches gilt für die Ausstattung. Der älteste in der Kirche vorhandene Altar ist ein Flügelretabel des um 1500 am Mittelrhein tätigen „Meisters mit dem Brustlatz“. Der Hochaltar wurde in der Renaissance als Epitaphaltar mit kostbaren Stuck- und Alabasterreliefs gestaltet. Mit ihrem reichen Bestand an gotischen und frühneuzeitlichen Kunstwerken, an herausragenden Altären, Grabdenkmälern und Skulpturen sucht die Kirche in der Region ihresgleichen. Eine Seltenheit ist auch das vollständig erhaltene, 1510 in Flachschnitt-Technik gefertigte Laiengestühl – zumal sich Kirchenbänke für die Gemeinde erst mit der Neuzeit etablierten.
Dass all dies bewahrt wurde, ist einem Engländer zu verdanken: Sir John Sutton (1820–73) hatte das Ensemble 1857 entdeckt und sich der Wiederherstellung des spätgotischen Zustands verschrieben. Er finanzierte eine umfangreiche Restaurierung, unter anderem der historischen Orgel, und ließ den 1682 abgebrochenen Lettner mit originalen Bruchstücken neu errichten.
150 Jahre später waren aufgrund von Feuchteschäden, Rissbildungen und
Verschmutzungen erneut grundlegende Sanierungsmaßnahmen notwendig
geworden. Seit 2012 förderte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die
Sicherung des Innenraums und des Inventars mit rund 220.000 Euro. Der
2010 gegründete Kirchenbau-Verein Kiedrich e. V. hat eifrig Spenden
gesammelt, damit die Pfarrgemeinde den Eigenanteil aufbringen kann. Die
Restaurierung dieser bedeutenden Wallfahrtskirche wird eng vom Landesamt
für Denkmalpflege Hessen betreut.
Die Kiedricher nennen die Kirche
stolz „Schatzkästlein“, seit 2010 trägt sie den päpstlichen Ehrentitel
Basilica minor. Wenn, weltweit einzigartig, die gregorianischen Gesänge
der Kiedricher Chorbuben im germanischen Choraldialekt erklingen, bietet
sich erlesene Gotik für Auge und Ohr.
Bettina Vaupel
Information
Katholische Pfarrei St. Peter und Paul Rheingau, Kirchort Kiedrich, Marktstr. 25, 65339 Kiedrich, Tel. 06123 2421
Öffnungszeiten
März–Okt: Mo–Fr 10.30–12.30, Sa/So 14.30–16 Uhr; Nov.–Feb. Sa 10.30–12.30, So 14.30–16 Uhr; Kurzführung nach dem sonntägl. Hochamt
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