Kleine und große Kirchen Februar 2017 K

Konzepte des protestantischen Kirchenbaus

Profan oder sakral?

Wie erkennt man einen protestantischen Kirchenbau? Nimmt die evangelische Kirche überhaupt einen eigenen Architekturtyp für sich in Anspruch?

Mit diesen Fragen beginnt Monumente eine Reihe, die Sie durch das Reformationsjahr begleiten möchte.


Nach der Veröffentlichung der 95 Thesen 1517 vergingen nicht weniger als 200 Jahre, bis eine Debatte darüber aufkeimte, wie evangelische Sakralarchitektur aussehen und sich von der katholischen unterscheiden sollte. Mit der Querkirche kristallisierte sich die wohl einzige, rein evangelische Sakralbauform heraus. Bei diesem Zentralbau, der queroval, polygonal, rechteckig oder kreuzförmig sein kann, ist das liturgische Zentrum in der Mitte einer Breitseite angeordnet. Entsprechend verläuft die Hauptachse durch die kürzere Seite. Altar und Kanzel stehen an einer Langseite, während sich die Gemeinde hufeisen- oder halbkreisförmig im Gestühl oder auf den Emporen um Altar und Kanzel herum versammelt – fokussiert auf die Predigt, die sich im 18.  Jahrhundert zum Mittelpunkt des Gottesdienstes entwickelte. Durch die Aufwertung des Wortes stand die Predigt nun gleichberechtigt neben dem Abendmahl. Im Kanzelaltar, bei dem Altar, Kanzel und Orgel übereinander angeordnet sind, findet diese Gleichrangigkeit ihren Ausdruck. Die Zeit der Querkirchen war eine Blütephase des vor allem von den Landesherren angekurbelten protestantischen Kirchenbaus. 

Die lutherische Petrikirche in Ratzeburg entstand Ende des 18. Jahrhunderts nach Plänen des Oberlandbau¬meisters im Kurfürstentum Hannover Johann Friedrich Laves. Typische Merkmale der Querkirche sind ihr Kanzelaltar und die durchgehenden Emporen.
Ratzeburg, Petrikirche © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die lutherische Petrikirche in Ratzeburg entstand Ende des 18. Jahrhunderts nach Plänen des Oberlandbau¬meisters im Kurfürstentum Hannover Johann Friedrich Laves. Typische Merkmale der Querkirche sind ihr Kanzelaltar und die durchgehenden Emporen.

Um 1815 stießen Raumschöpfungen, die dem Predigtgottesdienst entgegenkommen, in den Reihen des Neuluthertums auf Missbilligung. Diese Kritiker verurteilten die Kirchenarchitektur des 18. Jahrhunderts als zu profan. Sie forderten Bauten mit sakralem Charakter, die noch dazu unverwechselbar protestantisch sind. In Anlehnung an mittelalterliche Kirchen sollten Altar- und Gemeinderaum sowie Altar und Kanzel voneinander getrennt sein, um dem Altar als Ort des Sakraments eine hervorgehobene Stellung zu geben.


In der Folge erließ die Eisenacher Kirchenkonferenz 1861 ein Regulativ, das den gotischen Formenkanon für den Kirchenbau empfahl. Die Neugotik trat – vor allem in den lutherischen Landeskirchen – ihren Siegeszug an. Als Baustil, der sich nicht durch den His­torismus begründet, sondern Ausdruck eines theologischen Programms ist, das das Abendmahl wieder über die Predigt stellt.

Ein Musterbau nach den Vorgaben des Eisenacher Regulativs ist die 1869 fertiggestellte Paulskirche in Schwerin.
Schwerin, Paulskirche © EKL Archiv
Ein Musterbau nach den Vorgaben des Eisenacher Regulativs ist die 1869 fertiggestellte Paulskirche in Schwerin.

Nur zwei Jahrzehnte später regte sich im liberalen Lager der Lutheraner und bei den Reformierten Widerspruch gegen das Eisenacher Regulativ. Die Kritiker wünschten sich einen protestantischen Kirchenbau, der von den liturgischen Erfordernissen her konzipiert ist. Altar- und Gemeinderaum sollten nicht länger voneinander getrennt sein – die lebendige Gemeinde und nicht mehr eine bestimmte Formensprache standen jetzt im Vordergrund. 


Entsprechend musste die Kirche nicht nur den Gottesdienst, sondern auch soziale Aktivitäten unter ihrem Dach versammeln können. Im Wiesbadener Programm von 1891, das anlässlich der Errichtung der Wiesbadener Ringkirche veröffentlicht wurde, fanden diese Ansätze ihren Niederschlag. Das Programm versteht die Kirche als Versammlungshaus der feiernden Gläubigen. In der Tradition des 18. Jahrhunderts wurde die Einheit der Gemeinde durch eine Architektur zum Ausdruck gebracht, die Kanzel und Altar in ihrem Kreis aufnimmt.

Von Johannes Otzen 1892–94 errichtet, ist die Wiesbadener Ringkirche der erste protestantische Kirchenbau nach dem Wiesbadener Programm.
Wiesbaden, Ringkirche © Ralf-Andreas Gmelin
Von Johannes Otzen 1892–94 errichtet, ist die Wiesbadener Ringkirche der erste protestantische Kirchenbau nach dem Wiesbadener Programm.

Nun entstanden sowohl protestantische Kirchenräume, die beide Ideologien streng umsetzten als auch Architekturformen, die den Zentralbau mit einem Altarraum kombinierten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sich das Wiesbadener Programm durchsetzen, als in den 1950er-Jahren realisierte Kirchen mit angeschlossenen Gemeindezentren den Wandel von der Sonntags- zur Alltagskirche vollzogen.


Julia Ricker

Streifzüge durch das Land Luthers

Buchtipp

Mehr zum Thema lesen Sie in der Monumente-­Publikation zum Reformationsjubiläum

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) half bei der Res­taurierung zahlreicher Wirkungsstätten Martin Luthers und protestantischer Sakralbauten. Die Kirchen in Ratzeburg und Wiesbaden sind durch die DSD­ und andere Geldgeber, letztere auch durch die Hermann Reemtsma Stiftung, gefördert worden.

 

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