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Wie 343 Theaterkulissen nach Oberschwaben kamen

Der Schatz von Ravensburg

Man hätte sie in Bayreuth vermutet. Doch die größte Sammlung historischer Bühnenbilder in Deutschland lagert in Ravensburg.

Sie besteht aus 343 Theaterkulissen, davon 135 auf Leinwand gemalte und auf Holzstangen aufgerollte großformatige Prospekte – zirka zehn Meter breit und fünf Meter hoch – sowie 208 Stellwände in verschiedenen Formaten und Techniken. Fast alle entstanden zwischen 1902 und 1910.


Warum dieser Schatz im schwäbischen Ravensburg gefunden wurde, ist eine spannende Geschichte. Die Voraussetzung dafür schufen die Brüder Julius (1841–1919) und Georg Spohn (1843–86). Die erfolgreichen Fabrikanten stifteten 1881 der Stadt ein neues Theater, nachdem das alte geschlossen werden musste. Bei der Realisierung half Julius Spohn tatkräftig mit. 1895 reis­te er höchstpersönlich nach Wien und besuchte dort die damals international bekannten Theaterarchitekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. Der Architekt und der Bauzeichner planten gemeinsam fast 50 Schauspielhäuser, darunter in Wien, Budapest, Prag, Brünn, Graz und Zagreb. Spohn gelang es, die beiden zu überreden, auch in Ravensburg einen Theaterbau wie in den europäischen Metropolen zu errichten.

Das Konzerthaus in Ravensburg wurde von den Theaterarchitekten Fellner und Helmer errichtet.
Ravensburg, Konzerthaus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das Konzerthaus in Ravensburg wurde von den Theaterarchitekten Fellner und Helmer errichtet.

Das Projekt entwickelte sich gut, der Wiener Architekt kam 1896 nach Ravensburg, um seine Pläne persönlich vorzustellen. Auch zu den vorgesehenen „Stilformen“ machte Fellner Angaben. Dabei schöpfte er – ganz zeitgemäß – aus dem Repertoire der historischen Stile. Der Saal sollte neubarock ausgestaltet werden, weil dies „mit wenigen Mitteln die schönsten Erfolge erzielen lasse“. Das Äußere, und dies bezog sich auf die Hauptfront des Konzerthauses, werde hingegen „im Stile der französischen Renaissance“ errichtet. Mit dem prächtigen Konzerthaus, das 574 Plätze hat, war das Fundament für die weitere Entwicklung gelegt. Ravensburgs Bedeutung nahm beständig zu. Das Mäzenatentum der Brüder Spohn war dabei die erste glückliche Fügung.


Die zweite bestand darin, dass der württembergische König Wilhelm II., der seine Sommerresidenz in Friedrichshafen am Bodensee unterhielt, sehr gerne mit seiner Gattin Charlotte ins nahegelegene Ravensburg kam. Als im Januar 1902 das Gebäude des Königlich-Württembergischen Hof-Theaters am Stuttgarter Schlossplatz vollkommen ausbrannte, waren die Schauspieler über Nacht beschäftigungslos.

Im Konzerthaus finden heute neben Konzerten auch Feste und Tagungen statt.
Ravensburg, Konzerthaus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Im Konzerthaus finden heute neben Konzerten auch Feste und Tagungen statt.

So lag es nahe, den Mitarbeiterstab, dem der König noch in der Nacht der Brandkatastrophe versprochen hatte, dass niemand seine Arbeit verlieren würde, nach Ravensburg zu entsenden. Dort gab es kein eigenes Ensemble, stattdessen aber ein modernes Konzerthaus. Nur knapp sechs Wochen nach dem verheerenden Feuer führte das Stuttgarter Hof­theater die Oper „Mignon“ in Ravensburg auf. Das Konzerthaus blieb bis 1910 Ersatzbühne. Wenig erfreulich für die Stuttgarter, aber von großem Wert für Ravensburg, wo mindestens 42 Stücke gegeben wurden, darunter Rossinis „Wilhelm Tell“, Beethovens „Fidelio“, Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Schillers „Wallenstein“ und Shakespeares „Kaufmann von Venedig“; daneben damals gerne gespielte, heute nahezu vergessene Stücke wie die Oper „Margarete“ und das Lustspiel „Der Herr Senator“.


Im Laufe des Sommers 1902 hatte man im Reithaus des Stuttgarter Marstalls zwei provisorische Malersäle eingerichtet. Dort schufen die Hoftheatermaler unter der Leitung des Hofrats Wilhelm Plappert (1856–1925) die Kulissen, die heute noch – als eine einmalige Sammlung – im Ravensburger Kulissenhaus hinter dem Theater erhalten sind. Auf den Rückseiten der Dekorationen finden sich Klebezettel, die den Schienentransport von Stuttgart nach Ravensburg belegen. Auch aus dem Stuttgarter Fundus sind Kulissen überliefert. Sie wurden erkennbar nachträglich für die Ravensburger Bühne verkleinert. Sie alle haben einen einheitlichen Duktus. Es handelt sich um eine ganz erstaunlich dreidimensional wirkende, luzide Illusionsmalerei, die, wenn die Kulissen hinterleuchtet wurden, gleichermaßen als Tag- wie als Nachtbilder dienten.  


Stück für Stück wurden die Hängekulissen in einer Werkstatt in Ravensburg-Weißenau entrollt, inspiziert, gereinigt, konserviert und schließlich wieder eingerollt.
Ravensburg, Werkstatt Weißenau © bunz + bunz, Owingen
Stück für Stück wurden die Hängekulissen in einer Werkstatt in Ravensburg-Weißenau entrollt, inspiziert, gereinigt, konserviert und schließlich wieder eingerollt.

Hängekulissen waren schon damals ein Auslaufmodell und keine Option für eine Bühnendekoration der Zukunft. Sie kamen nur noch wenige Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum Einsatz und wurden kaum abgenutzt – ein weiterer Grund dafür, dass sie in einem so guten Zustand sind.


Genau wie die Architektur der späten Kaiserzeit ein jähes Ende fand, wechselten auch beim Theater die Paradigmen. Andere Auffassungen von Inszenierungen begannen sich durchzusetzen, während die von Wilhelm Plappert noch in der Tradition des Bühnenbildes im 19. Jahrhundert standen. Im Unterschied zur späteren Raumbühne mit sogenannten Praktikabeln – bespielbaren dreidimensionalen Objekten – bedienen sie sich des barocken Prinzips der Kulissenbühne mit bemalten seitlichen Stellwänden beziehungsweise hintereinander angeordneten Bögen. Ein Prospekt schloss die Bühne nach hinten ab, herabhängende Elemente, sogenannte Sofitten nach oben. Auch beim Malstil wollte man gemäß der Vorstellungen im 19. Jahrhundert den Vorgaben der Dichter oder Komponisten möglichst nahekommen, naturalistisch und werkgetreu. Vorbild für Plappert waren die Brüder Max und Gotthold Brückner, die seinerzeit das Festspielhaus in Bayreuth und das Meininger Theater, zwei der führenden deutschen Spielstätten jener Jahre, mit Dekorationen belieferten. Diese Bühnenbilder zeigten entweder Veduten, die so detailverliebt wie vermeintlich historisch korrekt dargestellt waren, oder Interieurs, die in ihrer Opulenz auffällig an Werke der zeitgenössischen Salonmalerei erinnern.

Das Bühnenbild einer mittelalterlichen Stadt
Ravensburg, Konzerthaus, Theaterkulisse © bunz + bunz, Owingen
Das Bühnenbild einer mittelalterlichen Stadt

Dekorationen wurden damals über Jahrzehnte verwendet. Hängekulissen mit mittelalterlichen Stadtbildern oder Venedig-Ansichten passten zu verschiedenen Stücken. Sie wurden in der Regel immer wieder entrollt, bis sie zerschlissen waren. Bei nicht wiederverwendbaren Motiven wuschen die Bühnenbildner die Leinwände nach dem Absetzen eines Stückes ab und übermalten sie, um Material zu sparen. Daher sind die Ravensburger Kulissen echte Raritäten und sehr empfindlich, die Farben nicht wasserfest. Gelagert wurden sie in Ravensburg in dem ehemaligen Umspannwerk hinter dem Theater, das für diesen Zweck extra aufgestockt wurde.


Dort blieben sie für eine lange Zeit liegen – unbeachtet, aber immerhin gut geschützt durch ein ausgeklügeltes Stapelsystem. Die nächste glückliche Fügung: Das Kulissenhaus musste instand gesetzt werden. Dabei sichtete man 2011 erstmals wieder die großen Hängekulissen. Von ihrer Existenz wussten die Ravensburger zwar noch, aber vom Wert ahnten sie nichts. Die Res­tauratoren Bunz aus Owingen sahen hingegen mit Kennerblick, um welche Kostbarkeiten es sich handelte. Die Werkstatt startete mit einer Bestandsaufnahme und einer kompletten Fotodokumentation, reinigte die Kulissen und verpackte die Leinwände in dampfdurchlässige sogenannte Tyvek-Folie. Sie ist resistent gegen Mikroorganismen, schwer entflammbar und wirkt glättend. Außerdem führten sie Voruntersuchungen durch, um Schäden behandeln und konservieren zu können.

Das ausgeklügelte Stapelsystem entstand schon nach der Wende zum 20. Jahrhundert und wird bis heute verwendet.
Ravensburg, Kulissenhaus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das ausgeklügelte Stapelsystem entstand schon nach der Wende zum 20. Jahrhundert und wird bis heute verwendet.

In einer zweiten umfangreichen Maßnahme werden die Kulissen jetzt Schritt für Schritt repariert und gereinigt. Auch Muster-Restaurierungen der Stellkulissen „Venedig“ sind vorgesehen. Währenddessen überlegen sich der Kulturamtsleiter Dr. Franz Schwarzbauer und sein Team, den Ravensburgern und Besuchern der Stadt die Bühnenbilder zumindest gelegentlich zu präsentieren.Die Originale dürfen aus Gründen der Konservierung und des Brandschutzes nicht mehr für Aufführungen im Konzerthaus verwendet werden.


Allerdings kommen die digitalisierten Werke der Res­tauratoren Bunz als Bühnen-Projektionen wie bei der Händel-Oper „Giulio Cesare“ im März 2013 zum Einsatz. Schwarzbauer schweben darüber hinaus Ausstellungen mit Stellkulissen eines bestimmten Themas vor.

Für verschiedene Opern- und Theaterstücke zu verwenden: Kulissen mit der Darstellung von Venedig.
Ravensburg, Konzerthaus, Hängekulisse © bunz + bunz, Owingen
Für verschiedene Opern- und Theaterstücke zu verwenden: Kulissen mit der Darstellung von Venedig.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz weiß, dass für eine Kleinstadt eine solche Sammlung nicht nur Freude, sondern auch eine Bürde bedeutet und hilft seit 2011 dabei, dass die Hängekulissen als wichtiger Teil des Gesamtkunstwerks Konzerthaus bestehen bleiben. Die dank der GlücksSpirale mögliche Unterstützung ist eine weitere glückliche Fügung – und vielleicht nicht die letzte.  


Christiane Schillig

Ravensburg, Konzerthaus © Musikschule Ravensburg e. V.
Ravensburg, Konzerthaus © Musikschule Ravensburg e. V.
Hängekulissen aus dem Bestand der Ravensburger Sammlung bei der Aufführung vom Phantom der Oper
Ravensburg, Kulissenhaus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ravensburg, Kulissenhaus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Bemalung der Stellkulissen des Ravensburger Konzerthauses sind auf Fernsicht konzipiert.
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Die Kulisse stellt eine Burg in Felsenlandschaft dar.
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Rathaussaal
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Maurische Architektur
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ein Kloster mit Kreuzgang bei Nacht
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Das Innere einer romanischen Kirche
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Detail einer Felsenlandschaft
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Schloss mit Garten in italienischer Landschaft
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Zimmer mit kuppelartigem Oberlicht
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Gewächshaus mit Palmen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Ravensburg, Theaterkulissen © bunz + bunz, Owingen
Herrschaftlicher weißer Saal
 
 
Ravensburg, Konzerthaus © Musikschule Ravensburg e. V.
Hängekulissen aus dem Bestand der Ravensburger Sammlung bei der Aufführung vom Phantom der Oper
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Ravensburg, Kulissenhaus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Bemalung der Stellkulissen des Ravensburger Konzerthauses sind auf Fernsicht konzipiert.
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Die Kulisse stellt eine Burg in Felsenlandschaft dar.
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Rathaussaal
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Maurische Architektur
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Ein Kloster mit Kreuzgang bei Nacht
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Das Innere einer romanischen Kirche
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Detail einer Felsenlandschaft
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Schloss mit Garten in italienischer Landschaft
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Zimmer mit kuppelartigem Oberlicht
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