Interviews und Statements Juni 2016

Interview zum Projekt "Lebensraum Kirchturm"

Das Denkmal als Nistplatz

Fragen an Kerstin Arnold von der NABU-Bundesgeschäftsstelle zum Projekt "Lebensraum Kirchturm", das zum Ziel hat, Kirchen im Einklang mit dem Naturschutz zu sanieren und somit dabei zu helfen, die Artenvielfalt zu bewahren.

Monumente Online: Wann sind Sie als NABU auf die Idee gekommen, das Engagement von Kirchengemeinden für den Artenschutz mit der Plakette „Lebensraum Kirchturm“ zu würdigen?

Kerstin Arnold: Damals wurde der Turmfalke im Jahr 2007 zum Vogel des Jahres gekürt. Er ist wie kein anderer Vogel auf hochgelegene Brutplätze in der Stadt angewiesen. Der Turmfalke steht zwar noch nicht auf der Roten Liste der bedrohten Tier- und Pflanzenarten, aber er ist als Kulturfolger durch die intensive Landwirtschaft auf die Unterstützung des Menschen angewiesen. Im April 2007 startete der NABU daher zusammen mit dem Beratungsausschuss für das deutsche Glockenwesen das Projekt „Lebensraum Kirchturm“, um auf tierische Kirchturmbewohner aufmerksam zu machen und deren Akzeptanz zu fördern. Mit der Dohle als „Vogel des Jahres 2012“ wurde die Aktion weiter intensiviert und ausgebaut.

MO: Was genau möchte der NABU mit der Aktion bezwecken?

Kerstin Arnold von der NABU-Bundesgeschäftsstelle
© NABU
Kerstin Arnold von der NABU-Bundesgeschäftsstelle

Kerstin Arnold: Ziel der Aktion ist es, die Brutstätten für Turmfalken, Fledermäuse, Schleiereulen, Dohlen und andere Arten zu erhalten und neue Lebensräume zu schaffen. Der NABU möchte damit auch über naturschutzfreundliche Sanierungen informieren und Gemeinden ermutigen, ihre Kirchtürme für die tierischen Bewohner zu öffnen. Neben der Öffnung von Einfluglöchern steht vor allem der Einbau von Nistkästen im Vordergrund. Unterstützung und Beratung erhalten die teilnehmenden Kirchen von der jeweiligen NABU-Ortsgruppe. Neun Jahre nach Beginn der Aktion sind schon mehr als 900 Kirchen in Deutschland für ihren Einsatz mit der Plakette „Lebensraum Kirchturm“ ausgezeichnet worden.

Monumente Online: Waren bei der Erarbeitung des Projekts Bausachverständige der Landeskirchen eingebunden?

Kerstin Arnold: Der Beratungsausschuss des deutschen Glockenwesens gestaltete das Projekt zusammen mit dem NABU. „Lebensraum Kirchturm“ als Gemeinschaftsaktion soll vor allem die Kirchengemeinden in Deutschland und ihre Mitglieder erreichen, die fast 55.000 Kirchtürme betreuen. Oftmals wissen nur Wenige, dass sie einen ganz praktischen Beitrag zum Natur- und Artenschutz leisten können, indem sie natürliche Einfluglöcher erhalten. Bausachverständige werden im Einzelfall vor Ort hinzugezogen. Oftmals sind jedoch gar keine baulichen Veränderungen notwendig, um Turmfalke und Co. in Kirchtürmen geeignete Lebensräume zu bieten. Gemeinden und NABU-Gruppen können viel voneinander lernen, und oft ist die Aktion die Geburtsstunde für einen aktiveren, langfristigen Austausch.

MO: Warum ist es wichtig, Vögeln und Fledermäusen einen Zugang zu den Kirchtürmen zu ermöglichen?

Kerstin Arnold: Es liegt in der Verantwortung des Menschen, sich für seltene und gefährdete Arten und deren Erhalt zu engagieren. Fledermaus, Dohle, Turmfalke und Schleiereule sind klassische Kulturfolger, die in der Nähe des Menschen leben, da sie in unserer intensiv genutzten Landschaft keine geeigneten Brutplätze und ausreichende Nahrungsquellen mehr finden. Schleiereulen oder Turmfalken nutzen Kirchtürme gerne als Nistplatzersatz für natürliche Bruthöhlen in Felsen oder Bäumen. Fledermäuse finden oft einen geeigneten Unterschlupf in Ritzen und Spalten oder gar für ihre Wochenstuben oben in der Kirchturmspitze. Solche Plätze gehen oft bei Kirchturmsanierungen verloren, wenn mit Taubengittern Einfluglöcher verschlossen oder natürliche Nischen versiegelt werden. Dann bleiben nicht nur unerwünschte Straßentauben ausgesperrt, sondern auch andere Arten, die auf Brutstätten im Siedlungsraum angewiesen sind. Das Taubenproblem lässt sich leicht lösen, indem Turmfalken in den Kirchturm einziehen. Sie halten die unbeliebten Gäste fern.

In der Kirche in Walldorf haben sich viele Tiere angesiedelt, unter anderem Mausohren, eine Fledermausgattung
Walldorf, Kirche © Christian Schorcht, Walldorf
In der Kirche in Walldorf haben sich viele Tiere angesiedelt, unter anderem Mausohren, eine Fledermausgattung

Monumente Online: Wie werden Sie auf die entsprechenden Kirchengemeinden aufmerksam?

Kerstin Arnold: In vielen Fällen wenden sich einzelne Kirchengemeinden an den NABU, um die Plakette und die Urkunde als Ehrung verliehen zu bekommen. In einigen Fällen bestehen auch schon Kontakte zwischen der Gemeinde und der NABU-Gruppe, denn meist ist den Vogelkundlern längst bekannt, wenn sich ein Turmfalke oder gar eine ganze Dohlenkolonie im Kirchturm eingenistet hat. Die jeweilige NABU-Gruppe vor Ort engagiert sich für die Bekanntmachung der Aktion, arbeitet mit der Kirchengemeinde gut zusammen und unterstützt bei der Anbringung von Nisthilfen. Aber auch interessierte Spaziergänger und Anwohner haben schon Brutbestände in Kirchtürmen gemeldet und so zu einer Auszeichnung beigetragen.

Monumente Online: Welche Kirche wurde als erste ausgezeichnet?

Kerstin Arnold: Die Berliner Heilandskirche ist als erste Kirche bundesweit vom NABU und dem Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen mit der Plakette "Lebensraum Kirchturm" ausgezeichnet worden. Die Evangelische Kirchengemeinde Moabit-West erhielt die Ehrung für die Unterstützung einer erfolgreichen Turmfalkenbrut und in Anerkennung ihres besonderen Engagements im Natur- und Artenschutz. Die gekürte Lebensraumkirche ist seit vielen Jahren "Herberge" für das berühmt gewordene Turmfalkenpaar Erna und Kurt. Dank einer installierten Webcam konnte man die Brut und Aufzucht der Jungen im Internet live miterleben. So eroberte das Berliner Turmfalkenpaar mit seinem Nachwuchs die Herzen Tausender Zuschauer.

Monumente Online: In welcher Form begleitet der NABU die Kirchengemeinden bei der Schaffung von Nistmöglichkeiten?

Kerstin Arnold: Der NABU berät vor Ort bei Kirchturmsanierungen, um Brutbestände zu erhalten. Natürliche Einfluglöcher können bewahrt und das Einsetzen von Taubengittern vermieden werden. Die regionale NABU-Gruppe informiert über Möglichkeiten, den Turm für tierische Bewohner zu öffnen und unterstützt beim Bau und Anbringen von Nistkästen und -quartieren. Zuvor wird der Turm von NABU-Experten auf Brutbestände untersucht, weitere mögliche Maßnahmen werden mit der Kirchengemeinde besprochen. Ein Nistkasten muss nicht immer außen an der Fassade angebracht sein, sondern kann direkt hinter einem Einflugloch im Inneren des Gebäudes befestigt werden. In Abstimmung mit der Kirchengemeinde sollte auch festgelegt werden, wer Nistkästen einmal im Jahr im Herbst reinigt, damit im nächsten Jahr wieder Untermieter einziehen können.

Monumente Online: Ist längerfristig geplant, die Aktion nicht nur auf Kirchtürme zu beschränken, sondern auch auf historische Gebäude allgemein auszuweiten?

Kerstin Arnold: Tatsächlich erreichen uns auch Anfragen, ob zum Beispiel Trafohäuschen und alte hochgebaute Scheunen mit Nistkästen und Brutbestand die Plakette als besondere Auszeichnung erhalten können. Das sind dankbare Anregungen und Informationen. Momentan bleibt es bei „Lebensraum Kirchturm“, denn es gibt noch viele Kirchtürme, in denen wir gemeinsam den Artenschutz vorantreiben können und wollen. Wir verweisen auch gerne auf unsere anderen NABU-Aktionen „Fledermausfreundliches Haus“ und „Schwalbenfreundliches Haus“. So können wir alle viel für die Artenvielfalt im Siedlungsraum tun.

 

Falls Kirchengemeinde auf die Aktion „Lebensraum Kirchturm“ in der Gemeinde aufmerksam machen möchten, empfehlen wir den Kirchturmaufsteller mit Leporellos und Pins.

Monumente Online: Vielen Dank für das Gespräch

© NABU

 Die Fragen stellte Carola Nathan

Lesen Sie den Artikel zum Thema Denkmal- und Naturschutz in Monumente Online hier.


Informationen

zum „Lebensraum Denkmal“

gibt es beim Naturschutzbund Deutschland, Kerstin Arnold,

Tel. 030 284984-1576, Kerstin.Arnold@nabu.de

www.nabu.de

www.lebensraum-kirchturm.de


 

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