Interviews und Statements Februar 2016
Anlässlich einer Ausstellung öffneten sich nach drei Jahren Leerstand im Mai 2015 die Tore der ehemaligen Justizvollzugsanstalt Naumburg (Saale). Lesen Sie ein Statement von Ausstellungskurator Guido Siebert zur Geschichte, Umnutzung und Zukunft dieses Denkmals.
Bis 2012 existierte die Justizvollzugsanstalt, dann wurde sie aufgelöst. Gefangene und Justizvollzugsbeamte mussten in andere Gefängnisse in Sachsen-Anhalt umziehen. Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut, hatte sich das Gefängnis seitdem in ständiger Erweiterung wie ein Krebsgeschwür in die begehrteste Wohnlage Naumburgs, das mit großzügigen Villen durchsetzte „Bürgergartenviertel“, gefressen. Nach der Wende erlangte es als berüchtigte Strafanstalt landesweite Bekanntheit und machte mit Skandalen und Geiselnahmen von sich reden. Zum Ende hin wurde es ruhiger. Die Vergangenheit als Strafort für Kapitalverbrecher, an dem auch Todesstrafen vollstreckt wurden, und als Knast für politische Häftlinge verblasste. Trotzdem erinnern sich viele an die Zeit, in welcher der mit Unmengen von Stacheldraht umkränzte und von panzerglasgeschützten Wachtürmen umstellte Hochsicherheitstrakt noch in Betrieb war. Während der DDR-Zeit hatte niemand das Bedürfnis, ihn von innen zu sehen. Nach 1989 erwachte jedoch wieder das Interesse an dem zentral gelegenen Bau. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Naumburg bereits zum preußischen Gerichtsstandort avanciert war, gehörte er zum Stadtbild. Unter den Einwohnern blieben die Erinnerungen an die Zeit lebendig, in der das "Königlich-Preußische Schwurgericht" noch leichter zugänglich war, bevor es die Gefängnismauern endgültig umschlossen.
Architekturhistorisch gehört das denkmalgeschützte Schwurgericht zur Schule Friedrich Schinkels. Reinhold Persius war am Bau des 1859 eingeweihten, repräsentativen Zweckbaus beteiligt, der ein Stück Berliner Baukultur in das seit 1815 preußische Naumburg brachte. Hier fanden Prozesse zu Kapitalverbrechen nach amerikanischem Vorbild mit 12 Geschworenen statt. Das Publikum hatte Zutritt zu den Gerichtsverhandlungen, und so blieb die prächtige Innenausstattung mit großem Treppenhaus und ausladenden Säulenarkaden im Gedächtnis. Man erinnerte sich vor allem an ein monumentales Gemälde, das den Brudermord Kains an Abel, das erste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, zeigte. Ein Bild, das seit seiner Einweihung 1864 bleibenden Eindruck hinterließ. Nicht zuletzt deswegen, weil es vom seinerzeit berühmten Direktor der Königlich-Preußischen Kunstakademie in Düsseldorf, Eduard Bendemann (1811-1889), stammte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die neuen Machthaber an derlei Motiven kein Interesse und die Wertschätzung der Kunst des 19. Jahrhunderts nahm ohnehin bereits rapide ab. Somit war das Gemälde akut gefährdet, und es ist Naumburger Bürgern zu verdanken, dass das große Leinwandbild gerettet werden konnte. Für viele Jahre hing es unbeachtet und ungeliebt, aber sicher in der Naumburger Stadtkirche St. Wenzel, bevor es der damalige Direktor der JVA wiederentdeckte und 1999 an seinen angestammten Platz zurückbringen ließ.
Eduard Bendemann thematisiert in moralisierender Weise den Brudermord in Verbindung mit dem Bild vom flüchtenden Mörder, den Strafe und Rache verfolgen, und den Eltern, die klagend und trauernd in die Knie gegangen sind. Das Geschehen fügt sich zu einer symmetrischen Einheit, in deren Zentrum der urteilende Gott seinen Blick auf den Betrachter richtet. Angesprochen waren aber nicht die Delinquenten, wie man lange dachte, sondern die Richter und Geschworenen. Bendemann prägte als Schüler seines Vorgängers und Begründers der „Düsseldorfer Malerschule“, Wilhelm von Schadow (1789-1862), die Ausbildung der Maler an der Düsseldorfer Kunstakademie. Er bildet das Bindeglied zwischen Düsseldorf und Naumburg – beides Städte, die nicht ursprünglich zu Preußen gehörten, im 19. Jahrhundert jedoch von Berlin aus regiert und beeinflusst wurden.
Die Stadt Naumburg verzeichnet heute nach Jahren des Schrumpfens wieder Zuzug. Vereinzelte verhältnismäßig mutige Architekturexperimente (Nietzsche-Dokumentationszentrum, Jakobsviertel) setzen Akzente. Man beginnt, kontinuierlich das Potenzial der Stadt als industriefreien Wohnort zwischen den Städten Jena und Leipzig auszuschöpfen. Und dennoch stehen zahlreiche, insbesondere größere Bauten leer, ist der Stadt die verlorene Bedeutung, zu der auch ein marodes Theater gehört, noch anzusehen. In dieser Situation hatte es sich der rührige Verein der Naumburger Theater- und Kinofreunde zur Aufgabe gemacht, Schwurgericht und Gefängnisareal, die ein geeigneter Standort für ein neues Theater wären, für das Naumburger Kulturleben zurückzuerobern. Vor dem Hintergrund dieser Initiative und mit Blick auf das Monumentalgemälde von Bendemann entstand die Idee, das Schwurgericht als temporären Ausstellungsort zu nutzen. Angeregt wurde sie durch ein großzügiges Angebot der Dr. Axe-Stiftung Bonn, einen Großteil ihrer hochwertigen Gemäldesammlung zur Düsseldorfer Malerschule in Naumburg für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Damit war die Voraussetzung gegeben, ein Ausstellungskonzept zu entwickeln und auf das Schwurgericht, das als ehemaliges Verwaltungsgebäude nicht museumstechnisch ausgestattet war, zuzuschneiden. Zwei Jahre vergingen schließlich noch, bevor das Ziel erreicht wurde. Geduld und Mut waren die ständigen Begleiter, aber auch Finanzierungsnöte und Verwaltungshürden.
Nicht zuletzt bedurfte es der Ertüchtigung des Gebäudes. Diese Ertüchtigung ist in kurzer Zeit mit aktiver Hilfe verschiedener Naumburger Firmen geglückt, ohne dass an irgendeiner Stelle die Gefängnisumgebung zurückgebaut oder der Denkmalcharakter beeinträchtigt wurde. Die Kunst sollte dem Ausstellungskonzept nach nicht Alibi für das Erleben eines Gruselszenarios sein. Knast und Kunst bilden kein Paar. Sie widersprechen sich deshalb, weil Kunst in der Regel nur in Freiheit gedeihen kann, weil Kunst immer Ausdruck des menschlichen Freiheitsdrangs ist. Der Kontext mit einem ehemaligen Gefängnisbau sensibilisiert aber für bestimmte Bildinhalte, über die man sonst leicht hinwegsieht. Inhaltlich wurden verschiedene Schwerpunkte gesetzt, die sowohl einen Überblick über einhundert Jahre Düsseldorfer Malerschule (1819-1918) ermöglichten, als auch einzelne Aspekte der Motiv- und Stilentwicklung näher beleuchteten. Ein Schwerpunkt ergab sich hinsichtlich der Bemühungen, die Werke Wilhelm von Schadows aus dem Naumburger Dom und aus der Landesschule Pforte (Schulpforte) in die Ausstellung einzubeziehen. Ihre erstmalige Zusammenführung bildete einen Höhepunkt, der einerseits die Ausgangssituation der kunstakademischen Lehre in Düsseldorf zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdeutlichte und andererseits die Stellung Naumburgs innerhalb des vergrößerten Preußen demonstrierte. Sie war letztlich für die Entwicklung der Stadt als Gerichtsort entscheidend.
Von dieser Entwicklung profitiert die Stadt bis heute. Bereits im 19. Jahrhundert hatte man konsequent auf Beamtentum und Pensionäre als Einwohner und auf die Vorzüge der lieblichen Landschaft um Naumburg mit ihren Flusstälern und Weinbergen gesetzt. Für das Bürgertum spielte das Interesse für Kunst stets eine große Rolle, was sich auch in der DDR-Zeit bemerkbar machte. Nach 1989 erhielt diese lebendige Tradition neuen Schwung, weshalb sich die Idee einer Kunstausstellung im Schwurgericht gemeinsam mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfern zu einem Großprojekt bürgerschaftlichen Engagements entwickeln konnte, das im dankenswerten Umfang die Unterstützung von Politik und Wirtschaft fand. Der Lohn waren 10.000 Besucher und viel positive Resonanz im überregionalen Feuilleton. Für das Schwurgericht bedeutet die Ausstellung und ihr Begleitprogramm die Rückeroberung eines Baudenkmals durch die Bürger der Stadt. Bleibt zu hoffen, dass die schweren Eisentore, die sich nun wieder geschlossen haben, bald für immer öffnen werden.
Guido Siebert studierte bis 2006 Kunstgeschichte in Berlin. Zuvor war er in seinem Ausbildungsberuf als Steinmetz in der Denkmalpflege tätig. Er übernahm anschließend Lehraufträge am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin und ging 2008 als Ausstellungssekretär für die Landesausstellung Sachsen-Anhalt 2011 "Der Naumburger Meister – Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen" nach Naumburg. 2012 war er an der Ausfertigung des Welterbeantrages der Saale-Unstrut-Region beteiligt. Von 2013 bis 2015 entwickelte er das Ausstellungskonzept "Naumburg und die Düsseldorfer Malerschule" und leitete als Kurator und Projektleiter die Ausstellung. Derzeit ist er als Projektreferent bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Bonn aktiv. In Naumburg beteiligt er sich u.a. an der Herausgabe des Saale-Unstrut-Jahrbuchs für Kulturgeschichte und Naturkunde und engagiert sich als Vorsitzender des Fördervereins Moritzkirche Naumburg e.V. für Kunst und Denkmalpflege.
Den Monumente Online Artikel über Umnutzung von Gefängnisbauten lesen Sie hier:
Literatur
Zur Ausstellung ist im Michael Imhof Verlag Petersberg ein Katalog mit Bildbeschreibungen und Aufsätzen erschienen: "Brudermord im Schwurgericht – Naumburg und die Düsseldorfer Malerschule", 288 Seiten, 282 Farbabbildungen, 29,95 €, ISBN 978-3-7319-0181-5.
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