Denkmale in Gefahr Dezember 2015
Die Kirche von Riethnordhausen im Landkreis Mansfeld-Südharz braucht Hilfe. Vor drei Jahren musste sie wegen herabfallender Putzbrocken gesperrt werden. Die jungen Menschen warten darauf, dort wieder ihr weihnachtliches Krippenspiel aufführen zu können.
Rund um die Kirche in Riethnordhausen ist die Welt in Ordnung: Frauen und Männer besuchen die Gräber ihrer Angehörigen, bringen frische Sträuße, gießen, rupfen Unkraut und halten ein Schwätzchen. Der Rasen ist gemäht, die Steinwege zum Kriegerdenkmal und zum Brunnen sind gekehrt. Wer etwas Zeit hat, lässt sich auf der Steinbank in der Sonne nieder und genießt die Ruhe in Rio, wie die meisten ihren Ort im südlichen Sachsen-Anhalt liebevoll nennen. Außen zeigt sich die Jacobikirche von ihrer guten Seite. Nach der Wende wurde, wo nötig, das Dach neu gedeckt, die Holztür ausgetauscht und die Giebelwand über dem Eingang restauriert. Was bei einer Stippvisite niemand erkennt: Im Inneren der Kirche haben Tiere die Herrschaft übernommen. Marder schlüpfen durch löchriges Mauerwerk und finden hinter den dicken Wänden Schutz vor Feinden, Wind und Wetter.
Vor zwei Jahren musste die im Kern spätromanische Kirche, deren geschweifte Turmhaube mit offener Laterne alle anderen Gebäude des 600-Seelen-Ortes überragt, gesperrt werden. Deckenputz war in großen Brocken heruntergefallen. Als wir im September die Kirche betreten, liegen wieder Klumpen des mit Stroh gemischten Kalkputzes auf dem Boden. Ein Blick ins Gewölbe bestätigt die Befürchtungen: Dort halten sich Putzstücke mit letzter Kraft an der Decke. Was für ein trauriger Anblick! Wir sind gekommen, um den Gemeindekirchenrat Gerald Rüdiger und den Architekten zu treffen.
Angesichts ihrer
bewegten Baugeschichte hat sich die Kirche noch wacker gehalten, berichten die
zwei. Zunächst errichtet als bescheidene, kleine Chorturmkirche, wurde von 1512
bis 1524 ein spätgotischer, kreuzrippengewölbter Chor an den spätromanischen
Turm angefügt. Nachdem die Reformation eingeführt worden war, passte man sie
den Bedürfnissen des lutherischen Gottesdienstes an und verschönerte sie auf
diesem Wege. 1742 bekam sie einen hölzernen Kanzelaltar, 1759 wurde das Langhaus
umgebaut und erhielt eine gewölbte Holztonne und zwei Emporengeschosse.
Allerdings griffen die Baumeister in die Statik des Turmes ein, indem sie zwei
Triumphbögen zwischen Chor und Langhaus herausbrachen. Über die Jahrhunderte
wurde versucht, die daraus resultierenden Schäden zu beheben: das Auseinanderdriften
der Mauern zu verhindern und die Risse zu reparieren – allerdings ohne Erfolg.
Darüber hinaus gibt es große Mängel in der Holzkonstruktion des Daches, besonders über dem Chor, erläutert Architekt Heinrich Bögemann, der mit der Restaurierung der Kirche beauftragt wurde, die Schadensursachen eingehend untersuchte und die Standsicherheit überprüfen ließ. Im Chor drücken die horizontalen Kräfte des Dachstuhls und des Gewölbes die Wände nach außen. Das Natursteinmauerwerk hat sich hierdurch verformt, und es entstanden tiefe Risse. Das Gewölbe gab nach, und die Rippen wurden so stark belastet, dass jederzeit Steine herausbrechen könnten. Der Chor droht einzustürzen.
Es ist allerhöchste Zeit zu handeln, und Bögemann ist erleichtert, dass es nun noch vor dem Winter mit dem ersten rettenden Bauabschnitt – das Chordach instand zu setzen und die Wände zu verankern – losgehen kann.
Von dieser Dramatik im Inneren dringt wenig bis ins Dorf durch, wie es scheint. Als Hülle steht die Kirche immer noch majestätisch da und bewahrt wie ein stolzer Schwerkranker nach außen die Fassung. Wir fragen nach, warum St. Jacobi 25 Jahre nach dem Ende des verordneten Atheismus in einem derart schlechten Zustand ist. Im Dorf wusste man zwar, dass die Kirche verfällt, aber mit einer grundlegenden Sanierung sah sich die Gemeinde überfordert. Erschwerend kam hinzu, dass der Pfarrer, der neben Riethnordhausen mehrere andere Gemeinden betreut, nicht am Ort lebt. Das stattliche Pfarrhaus, enteignet zu DDR-Zeiten und später Spekulationsobjekt, steht verwaist an der Straße. In der Zwischenzeit reparierten Bewohner am Ort aus eigenen Kräften, soviel sie konnten. Dass es dann aber doch zu einem Umdenken kam, mehr zu machen als das Nötigste, verdanken die Riethnordhäuser dem Geschwisterpaar Christin Bleuel und Andreas Leißner.
2002 begann Christin Bleuel eine Ausbildung als Bürokauffrau im Kreiskirchenamt von Sangerhausen und lernte unter anderem, wie umfangreiche Restaurierungen finanziert werden können. Der damalige Pfarrer und gleichzeitig Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Eisleben, Gottfried Appel, bat sie 2007, beim Gemeindekirchenrat mitzumachen. „Ich wohnte in Riethnordhausen und hatte Zeit, deshalb habe ich zugesagt“, so Bleuel. Neben ihr gehörten fast ausschließlich Bewohner des Nachbarorts Martinsrieth dem Rat an. Weil es dort ein Gotteshaus gibt, das genutzt werden kann, empfanden sie die Not als nicht so schwerwiegend. Außerdem konnte sich niemand in Riethnordhausen vorstellen, eine große Summe Geldes zusammenzubekommen, da die Gemeinde nur über geringe eigene Mittel verfügt.
Die junge Frau ermutigte ihre Mitstreiter im Rat und überzeugte sie, gemeinsam einen Förderantrag zu stellen. Selbst wäre die damals 21-Jährige nicht unbedingt auf die Idee gekommen, sich ehrenamtlich einzusetzen, erinnert sie sich. Dazu bedurfte es der Ermunterung durch den Pfarrer, einfach, weil es unüblich ist, dass sich ein so junger Mensch in dieses Gremium wählen lässt. Inzwischen hat sie sich längst in die verantwortungsvolle Rolle hineingefunden und wurde sechs weitere Jahre in das Amt gewählt. Nun möchte sie sich aus der Entfernung – sie lebt mit ihrer eigenen Familie mittlerweile in Halle – für die Jacobikirche engagieren.
Ihr Bruder Andreas Leißner ist aus Magdeburg angereist, um uns zu treffen. Die Menschen in Riethnordhausen seien schon vor ein paar Jahren ins Dorfgemeindehaus ausgewichen, erzählt er uns. Dort findet Weihnachten das Krippenspiel statt, zu dem 200 Besucher kommen. Leißner zeigt uns die Filme: Die strahlenden Gesichter der Kinder lassen die sachlich-karge Einrichtung und die drangvolle Enge in den Hintergrund treten. Andreas Leißner schwärmt davon, wie schön es wäre, wenn die Kinder ihr Spiel wieder in der Kirche vor dem Kanzelaltar aufführen könnten. Mindestens einmal im Monat reinigt er die Kirche vom Marderkot und trägt schaufelweise Putz hinaus. Das hat er vor unserem Besuch bewusst unterlassen, um zu zeigen, wie der Verfall Tag für Tag voranschreitet und wie dringend Hilfe benötigt wird. Bisher ist nur der erste Bauabschnitt finanziell gesichert. Um fortzufahren, braucht es die gemeinsamen Anstrengungen des Kirchenkreises, des Landes, von Stiftungen und der Lottogesellschaft.
Glücklicherweise
halten die Riethnordhäuser zusammen. Seitdem die Kirche dank der Geschwister
wieder ins Bewusstsein gerückt ist, stehen alle bereit. „Wenn es konkrete
Aufgaben gibt, kommen Mitglieder ortsansässiger Vereine und einzelne
hilfsbereite Dorfbewohner sofort und packen an“, weiß Andreas Leißner aus Erfahrung.
Das war schon so, als die örtliche Jagdgenossenschaft Geld für eine neue Ablaufrinne
bereitstellte.
Wie die Leißners, die seit dem 18. Jahrhundert ein Bauernhaus bewohnen, leben viele seit Generationen im Dorf. Andreas Leißner arbeitet in Magdeburg, kommt aber am Wochenende gerne nach Riethnordhausen zurück. Auch wenn sich ihr Rio nicht mit dem Zuckerhut schmücken kann, verbinden die jungen Leute schöne Erinnerungen an ihre Heimat und ihre Kindheit. Sie möchten, dass das Dorfleben in der nächsten Generation weitergeht und werden in ihrem Optimismus bestätigt, denn junge Familien ziehen zu. Nur der festliche Rahmen für bald anstehende Taufen, Konfirmationen und Hochzeiten fehlt noch in Rio.
Christiane Schillig
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Informationen
06528 Riethnordhausen ist ein Ortsteil der Gemeinde Wallhausen im Landkreis Mansfeld-Südharz in
Sachsen-Anhalt. Er liegt rund 10 km südwestlich von Sangerhausen.
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