Kleine und große Kirchen Gotik Dezember 2015

Ein Blick hinter die Fassaden der großen Kirchen

Arme Majestäten

Große Dome und Kathedralen dauerhaft zu unterhalten ist ein Gemeinschaftswerk. Das Zusammenspiel von Fachleuten, Geistlichen, Ehrenamtlichen sowie privaten Stiftern und Spendern ist dabei gefragt.

Einer wahren Majestät kann niemand etwas anhaben. Sie thront souverän über allem. Von den Kathedralen und Domen gewinnen wir ähnliche Eindrücke. Man ist geneigt zu glauben, dass so Großes und Schönes unangreifbar ist. Die Kirchen tragen ein Stück Ewigkeit in sich und verkörpern das zu Stein gewordene Wort Gottes auf Erden. Nur wer diesen Majestäten nahekommt, auf ihre Galerien oder in die Türme steigt, sieht die ungeschminkte Wahrheit. Was von Weitem erhaben wirkt, zeigt sich aus der Nähe als filigran und verletzlich: Kreuzblumen, Krabben und Fialen, vom Salz und der verschmutzten Luft zerfressen, manche ausgehöhlt und viele bröselnd. die Steine verfärbt, die Oberfläche schrundig.


In Freiburg, Ulm, Soest, Magdeburg, Halberstadt, Meißen, Wismar, und Stralsund stechen sie als Kronen der Städte aus dem dichten Netz von Straßen und Plätzen hervor, dominieren die Silhouette, und die hohen Türme verleihen ihnen individuelle Züge. 


Hinter den gewaltigen Blöcken aus Travertin, Sand- oder Backstein verbirgt sich viel Arbeit und Mühe. Wird nicht ständig ausgebessert und manchmal auch ersetzt, besteht Gefahr für die Kathedrale selbst und für das Leben der Passanten, weil sich Steinbrocken lösen und herabstürzen können.

Imposant trotz der Baugerüste: das Ulmer Münster im Herbst 2011
Ulm, Münster © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Imposant trotz der Baugerüste: das Ulmer Münster im Herbst 2011

Es fällt schwer, an Not zu glauben, wenn man an den Turm des Ulmer Münsters denkt. Die Kirche ist ein Beispiel dafür, dass sie zwar über deutsche Grenzen hinaus bekannt ist, ihr die Berühmtheit allein aber nicht hilft. Ulm besitzt den höchsten Kirchturm der Welt. Den Kölner Dom überragt das Münster um vier Meter. Aus diesem Grund zieht Ulm Besucher von überallher an. Ein selbstbewusstes Bürgertum begann den Bau 1377 aus eigenen Mitteln. 1543 wurden die Arbeiten an der Pfarrkirche eingestellt. Der Turm war damals lediglich bis zum Glockengeschoss ausgeführt und wurde erst 1890 vollendet.


1894 ging das Münster aus dem Besitz der Stadt Ulm in das Eigentum der evangelischen Gesamtkirchengemeinde über, der es noch jetzt gehört. Heute zählt die Münstergemeinde rund 2.500 Mitglieder. Sie kann sich glücklich schätzen, dass es eine Bauhütte und den ihr vorstehenden Münsterbaumeister gibt. Hier wird all die Unterstützung kanalisiert, die in den vergangenen Jahren bei der schwierigen Instandsetzung des Turms – auch von der der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Lotterie GlücksSpirale – nötig war. Insgesamt etwa zehn Millionen Euro kostet die Sanierung des Chors. Das Geld kommt aus vielen Quellen. Immerhin geht es um die Bewahrung eines Bauwerks, an dem die Steinmetz-Familie Parler tätig war. Weil das Ulmer Münster so große Bedeutung besitzt, ist die Restaurierung keine rein handwerkliche Aufgabe. Neben vielen Spezialisten, die langjährige Erfahrung bei der Steinbearbeitung haben, werden Experten des Denkmalschutzes die Arbeiten auch wissenschaftlich begleiten. Ohne das Engagement der Handwerker, Techniker, Architekten, Pfarrer und der vielen Ehrenamtlichen ließe sich ein solcher Kraftakt nicht bewältigen.

Steinbildhauer und Ausbilder Dietmar Rudolf in der Bauhütte des Ulmer Münsters
Ulm, Münster © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Steinbildhauer und Ausbilder Dietmar Rudolf in der Bauhütte des Ulmer Münsters

Aber glücklicherweise finden sich neben professionellen Denkmalschützern auch immer wieder Liebhaber, die bereit sind, Zeit und Geld dafür zu opfern, dass ein Kulturgut wie das Ulmer Münster nicht untergeht. Während man für die Arbeiten am Stein, für die zwischen 1377 bis 1391 Heinrich, Michael und Heinrich Parler der Jüngere verantwortlich zeichneten, recht leicht Unterstützung finden kann, ist dies bei der Ausstattung etwas schwieriger. Für das Kunstgut reicht das Geld von Bund, Stadt, Land und den evangelischen Kirchen oft kaum noch aus. Der laufende Unterhalt des Ulmer Münsters wird ungefähr mit 2,5 Millionen Euro jährlich beziffert. Auch in diesem Fall ist Ulm ein Glückskind unter den Kirchen, weil es seit 2007 in der Treuhandschaft der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) die Julius Rohm-Stiftung gibt. Sie stellt aus ihren Erträgen kontinuierlich Fördermittel für das Ulmer Münster und die Kirche St. Johann Baptist in Neu-Ulm zur Verfügung. Erste Förderprojekte im Ulmer Münster waren der Schaffner-Altar, heute Hauptaltar, und die drei Altäre der Neithart-Kapelle im Nordseitenschiff.


Alle drei stammen aus der Ulmer Schule der Spätgotik, geschaffen für die im 15. Jahrhundert von Heinrich Neithart – eine Art Weltgeistlicher –, gestiftete Kapelle. Den Bildersturm überstanden sie versteckt in der Sakristei. Was damals ein einzelner Stifter ermöglichte, dessen Name mit der nach ihm benannten Kapelle verewigt wurde, wird heute wieder mit privater Unterstützung instand gehalten. Viele Mitwirkende, auch die Restauratorin Monika Kneer, die sich mehrere Monate den Retabeln widmete und wie kaum jemand anderes den Meistern des Barbara-, des Sebastian- und des Heiligenaltars nahekam, werden womöglich in Vergessenheit geraten. Ihre Namen gehen dem kollektiven Gedächtnis verloren. Aber genau auf diese Hände kommt es bei monumentalen Bauwerken an.

Der Greifswalder Dom St. Nikolai
Greifswald, Dom © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Greifswalder Dom St. Nikolai

Gäbe es öfter solche Rahmenbedingungen wie in Ulm und ähnlich engagierte private Stifter, ließen sich womöglich mehr Erfolgsgeschichten erzählen. Überall, wo Bauhütten an großen Kirchen wirken – und das ist neben Ulm in Freiburg, Köln, Lübeck, Bamberg, Erfurt, Mainz, Passau, Regensburg, Schwäbisch Gmünd, Soest, Xanten und Rothenburg der Fall –, kennen sich die Beschäftigten mit „ihrem“ Bauwerk aus, können über viele Jahre kontinuierlich arbeiten und traditionelle Techniken an die nächste Generation weitergeben. Im Schnitt sind in den Bauhütten fünf bis sechs Fachleute beschäftigt. Die Bauhütte in Köln zählt mehr als 80 Mitarbeiter, die meisten davon Steinmetze, aber auch Gerüstbauer, Schmiede, Schlosser, Elektriker, Glasrestauratoren, Glaser, Archäologen, Architekten Bauingenieure, Kunsthistoriker und eine Restauratorin. Bauhütten existieren heute nur noch dort, wo es große, „schwierige“ Patienten gibt. Fast immer handelt es sich um Bauwerke der Spätgotik, denn sie sind in der Regel weniger pflegeleicht als romanische Kirchen oder solche aus der Epoche des Barock. Die Bauhütten reduzieren den wirtschaftlichen Druck und schränken den Konkurrenzkampf ein. In allererster Linie sind es Orte, in denen es auf Qualität ankommt. Dabei entsteht Wissen durch Erfahrung. Jahrtausendwerke wie große Kathedralen und Dome sind ungeeignet als Experimentierfelder, an denen sich Jahr für Jahr andere Handwerker und Architekten zu schaffen machen.


Auch wenn nur wenige der großen deutschen Kirchen mit Bauhütten gesegnet sind, versuchen natürlich auch die anderen Verantwortlichen vor Ort ihr Bestes. Dies ist nicht immer leicht. Von den Eigentümern der Kirchen wird oft viel Einfallsreichtum gefordert, um dringend nötige Maßnahmen finanzieren zu können. In Magdeburg und Halberstadt, wo die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gleichfalls unter die Arme greift, werden keine Bauhütten betrieben. Beide Gotteshäuser gehören – neben denen von Halle und Havelberg – seit 1996 der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt. Sie steht im Grundbuch und trägt die Baulast. Der Leiter der Bauabteilung, Ralf Lindemann, – er ist kein Dombaumeister, aber als Mitglied in der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenbaumeister e. V. eingetragen –, kann auf eigene Mitarbeiter zurückgreifen, die Bauleistungen allerdings müssen ausgeschrieben werden. Die Aufträge gehen an freie Planungsbüros; die Gemeinden erhalten Nutzungsverträge mit der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt. Sie entscheiden über kirchliche Belange und darüber, ob und wann sie für Besucher ihre Türen öffnen. Die Curt Richter Gedächtnis-Stiftung in der Treuhandschaft der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hilft seit vielen Jahren dabei, dass Epitaphien und einer der wertvollsten Domschätze überhaupt konserviert werden können. In den 1990er Jahren engagierte sich unsere Stiftung in Halberstadt darüber hinaus mehrmals mit Projekten wie der Restaurierung der Triumphkreuzgruppe oder eines Fensters in der Marienkapelle.

Das Freiburger Münster aus der Nähe betrachtet im Herbst 2007
Freiburg, Münster © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das Freiburger Münster aus der Nähe betrachtet im Herbst 2007

In Magdeburg half sie, den Kreuzgang zu sanieren. Die Renate und Wolfgang Röhreke-Stiftung, gleichfalls in der Treuhandschaft der DSD, kümmert sich um das Magdeburger Chorgestühl. Wie in Ulm arbeiten hinter den Kulissen viele Institutionen und Privatleute zusammen, auch wenn Halberstadt und Magdeburg völlig anders organisiert sind.


Jede große Kirche ist nicht nur aufgrund ihres Entwurfs ein Individuum. Die Eigentumsverhältnisse sind sehr komplex. Man stößt auf abenteuerliche Antworten, wenn man fragt, wem überhaupt ein Münster, eine Kathedrale oder ein Dom „gehören“. Über dieses Thema ließe sich mehr als eine Doktorarbeit schreiben.


Eigentümer des Freiburger Münsters war um 1200 der Zähringer Herzog Bertold V. Weil seine Familie keine männlichen Nachkommen hatte, übernahm den Bau Mitte des 13. Jahrhunderts die Freiburger Bürgerschaft, vertreten durch den Stadtrat. Damals wurde die Münsterfabrik („fabrica ecclesiae“, lateinisch für: Werkhütte der Kirche) als eine selbständige juristische Person mit eigenem Vermögen eingerichtet, erstmals erwähnt 1314. Bis heute gehört ihr das Münster sowie das für seine Erhaltung bestimmte Vermögen, der Münsterfabrikfonds. Daneben existieren der Münsterbauverein, ein Domfabrikfonds und die gemeinnützige Stiftung Freiburger Münster – ein komplexes Geflecht, das sich nach und nach entwickelte. Alle gemeinsam bemühen sich, eine der schönsten deutschen Kirchen, die den einzigen zur Zeit der Gotik vollendeten Turm besitzt, am Leben zu halten. Auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz trägt jedes Jahr ihr Schärflein dazu bei, damit die Dombaumeisterin Yvonne Faller und ihre Mitstreiter der nächsten Generation eine standfeste Kirche hinterlassen können. Derzeit wird mit vereinten Kräften der Westturm restauriert. Auch Freiburg kann glücklich darüber sein, eine Bauhütte zu unterhalten.

Die eingerüstete Westfassade des Magdeburger Doms
Magdeburg, Dom © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die eingerüstete Westfassade des Magdeburger Doms

Bauhütten sind laut Schriftquellen im Laufe des 13. Jahrhunderts aufgekommen. Sie beherbergten damals Steinmetze, Zimmerleute, Maurer, Schmiede und Glaser, soweit sie längerfristig auf der Baustelle erforderlich waren. Viele der hochspezialisierten und gut bezahlten Handwerker zogen von Baustelle zu Baustelle quer durch Europa. Der überlieferte Haushalt der Straßburger Bauhütte gibt Anhaltspunkte über das Leben in einer Hütte. Dort wohnten im 15. Jahrhundert neben einem Kaplan für die seelsorgerische Betreuung auch ein Küster, Messner, Organist und ein Kirchendiener. Ein Hüttenknecht versah den Kirchendienst. Er läutete die Glocken, öffnete und schloss die Kirche, hielt nachts Wache, zündete die Lampen der Domherren an und unterhielt das „ewige Licht“, säuberte die Kirche und kletterte zur Reinigung für Gewölbe und Fenster in einen Korb, den er von Knechten auf- und abziehen ließ. Die in den Werkstätten und auf der Baustelle arbeitenden Handwerker standen unter der Leitung des Werkmeisters. Auch sie wurden teilweise von der Hütte beköstigt und wohnten in hütteneigenen Häusern. In allen Hütten wurde zu Festtagen und bei der Fertigstellung von Bauabschnitten gefeiert – es sind Rechnungen von Festmahlen erhalten – so dass darüber hinaus Küchenpersonal, Köche und Bäcker benötigt wurden. Außerdem gab es soziale Aufgaben: Für Arme wurde in der Hütte eine Mittagstafel bereitgestellt. Almosen wurden verschenkt.


Von diesem geschlossenen Kosmos aus Religion, Bauen und tätiger Nächstenliebe unterscheidet sich die heutige Praxis grundlegend. Bauhütten sind mehr oder weniger moderne, weltliche Arbeitsplätze, die man nach Feierabend verlässt, um nach Hause zu fahren.


Ohne den Rückhalt einer klassischen Bauhütte geht es in Greifswald ans Werk. Dort ist die evangelische Gemeinde die Eigentümerin des Doms St. Nikolai und für seine Erhaltung verantwortlich. Zwar erreicht er lange nicht die Ausmaße des Kölner Doms oder des Ulmer Münsters, aber in der Stadt an der Ostsee überragt die riesige Gemeindekirche alle Häuser weit und breit. Seit 2008 ist der Greifswalder Dom ein Baudenkmal von nationaler Bedeutung. Mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz konnten der mittelalterliche, durch Schwamm befallene Dachstuhl saniert werden. Pfarrer Matthias Gürtler freut sich, dass es vorangeht. In Greifswald werden auch in den kommenden Jahren viele helfende und zahlende Hände benötigt.

Leider kann man nicht überall im Land nur Fortschritte verzeichnen. Es sind nicht nur die Schönen vom Lande, die kleinen Dorfkirchen, die unser Mitgefühl verdienen, sondern auch die Majestäten, von denen sich manche eher tapfer als souverän aufrecht halten. Ohne das Zutun vieler engagierter Freiwilliger wären auch sie dem Verfall ausgeliefert.


Christiane Schillig

 

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