Der thüringische Ort Großengottern besitzt mit dem ehemaligen Hospital St.-Andreas ein Bauensemble, das durch seine Vollkommenheit besticht.
Die Situation erinnert an einen Sketch von Loriot. Als im letzten September Josa & Doc Fritz in der spätgotischen Hospitalkapelle von Großengottern aufspielten, bemerkten sie erstaunt, dass in der ersten Stuhlreihe ein reger Platzwechsel vonstattenging. Nach dem Auftritt wurde das Duo aufgeklärt: Weil die Kirche überfüllt war, räumten die Zuhörer nahe der Kirchentür regelmäßig ihre Sitze, was sich jeweils wie eine Welle durch die Reihen fortsetzte. So kamen möglichst viele Besucher in den Genuss des Konzertes.
"Wir waren überwältigt", erzählt Veronika Klein begeistert. Sie ist die Erste Vorsitzende des För-dervereins Spittel e. V., der 2012 mit dem Ziel gegründet wurde, das ehemalige Hospital St. Andreas in dem thüringischen Ort zu retten. Dass ihr Verein Mitveranstalter bei der mittlerweile zum 7. Mal im Unstrut-Hainich-Kreis stattfindenden Aktion "Kunst in Kirchen" sein konnte, beflügelt sie in ihrem Tun. Denn mit ihrem "Spittel", wie sie es nennen, sind die Einheimischen eng verbunden.
Bis in die 1960er-Jahre war das historische Hospital bewohnt, von 1958 bis 1990 befand sich in dem Spitalgebäude aus dem 18. Jahrhundert zudem das erste ländliche Heimatmuseum im Kreis. Dem Leerstand folgte der schleichende Verfall, was die Ortsbewohner mit zunehmender Sorge beobachteten. "Wir wollten die Bausubstanz nicht sich selbst überlassen und später die Reste wegkarren", sagt Dietrich Wingert vom Vereinsvorstand. Immer wieder wurde in der Gemeinde überlegt, wie man das historische Ensemble retten und denkmalverträglich nutzen kann. Denn das schlichte Spitalhaus mit der erhaltenen Raumstruktur zeugt eindrucksvoll davon, wozu es einst errichtet wurde: als Heim für arme, bedürftige Menschen.
Vermutlich um 1347 wurde das St.-Andreas-Hospital vor dem heute nicht mehr existierenden Langensalzaer Tor, einem von drei mittelalterlichen Toren des Marktfleckens Großengottern, erbaut. Es lag damit in der Nähe des Fernhandelswegs, der Erfurt, Langensalza und Mühlhausen passierte. Betreut wurde es vom Wilhelmiter-Orden, der sich vor 1323 in Mülverstedt niedergelassen hatte. Die Stifter waren vermutlich die seit dem 13. Jahrhundert auf dem Mülverstedter Rittergut ansässigen Herren von Hopffgarten, in deren noch heute bestehende Stiftung, zu der auch das Hospitalensemble gehört, das Klostervermögen 1539 einging.
Im 15. Jahrhundert wird das Hospital als Leprosenhaus erwähnt und zählt damit zu den 39 Leprosorien, die bislang im heutigen Thüringen bekannt sind. Mit dem Rückgang der Lepraerkrankungen wird das St.-Andreas-Hospital für Bedürftige und andere Kranke gedient haben. Vermutlich lebten dort auch sogenannte Pfründner, die sich einkauften, um im Alter versorgt zu sein. Dafür spricht die Aufteilung in kleine Stuben, die mehr Privatsphäre ermöglichten als ein Schlafsaal.
Die geistliche Betreuung der Hospitaliten war ebenfalls gewährleistet: Trost, Rat und Gebet wurde ihnen vom Spitalkaplan zuteil, und über das Jahr verteilte Gottesdienste in der spätgotischen Hospitalkapelle aus Bruchstein sind verbrieft.
Auf der geistlichen Fürsorge lag seit jeher der Fokus in Hospitälern, wobei man die körperliche Genesung durchaus im Blick hatte: So gab es ausführliche Spital¬ordnungen, um den Bedürftigen Linderung und Sicherheit zu verschaffen. Mögen die Gebäude einfach gehalten sein, die barmherzige Obhut sollte auf jeden Fall reicher ausfallen: abwechslungsreiche Kost, Krankenpflege, Sauberkeit und Ruhe. Auf Anstand und sittliches Verhalten bei Betreuten wie Pflegenden, auch explizit bei den Kaplänen, wurde größter Wert gelegt. Notleidenden, Einheimischen wie Fremden, standen die Hospitäler offen. Angesichts ihrer begrenzten Kapazitäten sollte daher genau geprüft werden, wer freundliche Aufnahme fand oder in einem ebenso freundlichen Ton abgewiesen wurde. Inwieweit diese Spitalordnungen letztlich - auch angesichts der beengten Wohnverhältnisse - der Alltagswirklichkeit standhielten, sei dahingestellt.
In Großengottern ist das Spitalhaus ein längsrechteckiger, eingeschossiger Fachwerkbau mit Walmdach. An der Langseite zur Straße befindet sich der Haupteingang mit Diele. Von dieser führt nach links ein Flur ab, an dem zu beiden Seiten je vier Schlafkammern liegen. Er mündet an einer Tür für den kurzen Weg zur Kapelle und in den Garten. Rechts von der Diele schließt sich der größte Raum, vermutlich der Gemeinschaftsraum, mit einem Nebenzimmer an. Der Eingangstür gegenüber liegt die Küche mit großer Herdstelle und Schwarzküche sowie einer Holzstiege zum Dachboden. In nächster Nähe zum Haupthaus stehen die Nebengebäude: Abort, Ställe, Werkstatt.
So schlicht die Bauten gehalten sind, so wichtig sind sie als sozialgeschichtliche Denkmale. Bürgermeister Thomas Karnofka und der Förderverein möchten die Restaurierung vorantreiben, denn noch könnten sich die Kosten für die Bestandsicherung an diesem einmaligen Hospitalensemble im Rahmen halten: Vor einigen Jahren wurden Dach und Turm der Kapelle restauriert, und auch das Dach des Hospitalgebäudes scheint bislang dicht zu sein.
So sind diese Bauten wenigstens vor weiteren Feuchtigkeitsschäden von oben geschützt, denn die bereits vorhandenen sind gravierend genug: Besonders die Wetterseiten der Fachwerkkonstruktionen sind arg betroffen, Hölzer und Bodenschwellen von Fäulnis angegriffen, lose Gefache drohen herauszubrechen.
Alsbald gerettet werden müssen hingegen die "Nebengelasse". Die einfachen, nicht sehr stabil gebauten Fachwerkhäuschen drohen einzustürzen - und gerade sie machen das Großengotterner Denkmal zu dem Ganzen, zu diesem einzigartig authentischen Bauensemble eines ländlichen Hospitals.
Mit kreativen Ideen und Engagement hat es der Förderverein geschafft, Geld einzuwerben. Es reichte, um damit ein sinnvolles Baumaßnahmenpaket für das größere der beiden Häuschen zu schnüren. Die Restaurierung der Außenwände wurde Ende 2015 fertiggestellt. Der Einbau von Holzfenstern und zwei Türen wird dieses Jahr erfolgen. "Damit sind unsere finanziellen Mittel erschöpft. Aber der Spittel-Verein wird weiter die Werbetrommel rühren", sagt Vorsitzende Veronika Klein und hofft auf überregionale Hilfe.
Es ist zu spüren, dass in Großengottern Aufbruchsstimmung herrscht. Bereits 140 Mitglieder zählt der Förderverein. Es wird mitangepackt, ob es ums Kehren, Kuchenbacken oder Stühle schleppen geht. Hauptsache, aus den Benefizveranstaltungen kommt ein Erlös für ihr Spittel zusammen. Privatleute und Unternehmen wie die benachbarte Sparkasse signalisieren Interesse an dem Restaurierungsprojekt, geben Spenden. Dieser Zusammenhalt im Ort ist über die Jahre gewachsen - 29 Amtsjahre von Bürgermeister Karnofka sprechen für sich. Eine Anekdote wird von den Einheimischen gern erzählt: Um mit ihrem Bürgermeister gegen die enorm befahrene Ortsdurchfahrt zu protestieren, überquerten sie einen Tag lang unermüdlich an den beiden "Fußgänger-Bedarfsampeln" die Hauptstraße und brachten damit den Fernverkehr zum Erliegen - ziviler Ungehorsam der gewitzten Art.
Für die umfassende Restaurierung des Denkmal-ensembles "Hospital St. Andreas" möchte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gerne mehr Fördermittel bereitstellen als die 10.000 Euro im Jahr 2014. Daher bitten wir Sie, liebe Förderinnen und Förderer, um Ihre Spende. Ist das Denkmal restauriert, liegen schon konkrete Nutzungspläne vor, für die bereits die fachliche Unterstützung durch die Erfurter Museen eingeholt wurde: Es soll ein Museum zur Geschichte des Kranken- und Pflegewesens entstehen, wobei die Bauwerke des Hospitalensembles im wörtlichen Sinne die begreifbarsten, weil original erhaltenen Schaustücke sein werden.
Christiane Rossner
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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