Kurioses 1700 Interieur April 2015

Brasilianische Vögel in Hoflößnitz

Der Ameisenwürger von Radebeul

Exotische Vögel schweben über den Köpfen der Besucher im Berg- und Lusthaus Hoflößnitz in Radebeul. Wer sich im Festsaal des um 1650 entstandenen Fachwerkschlösschens am Elbtalhang aufhält - besonders nach einer Weinprobe im dazugehörigen Gut -, könnte von einem Schwindelgefühl befallen werden: umringt von deutschen Fürsten, eingekreist von sechzehn Tugenden, und obendrein Federvieh, das von der Decke starrt.

Die Decke des Festsaals im Radebeuler Schlösschen 
Radebeul, Lusthaus Hoflößnitz © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Decke des Festsaals im Radebeuler Schlösschen

Die Vögel sind Darstellungen brasilianischer Tiere, insgesamt 80 an der Zahl. Es gibt den Weißbrust-Ameisenwürger, die Moschusente und das Pampashuhn, deren indianische Namen "Xororo", "Potiriguacu" und "Inambu" lauten und in roten Großbuchstaben neben das jeweilige Tier auf die Leinwand geschrieben wurden. Wie der Ameisenwürger nach Radebeul kam, ist eine spannende Geschichte. Sie beginnt im Dreißigjährigen Krieg, der zwischen 1618 und 1648 das politische Geschehen in großen Teilen der Welt bestimmte. Die calvinistisch-protestantischen nördlichen Niederlande führten nicht nur gegen das katholische Spanien Krieg um ihre Unabhängigkeit, sondern fochten ihre Kämpfe ab den 1620er-Jahren auch gegen die an die spanische Krone gefallenen Portugiesen in Brasilien aus: Die Holländer versuchten, im Nordosten des Landes ein Kolonialreich aufzubauen. Dies gelang ihnen 1630, indem ihre Flotte die Städte Recife und Olinda im Zuckeranbaugebiet Pernambuco eroberte. 24 Jahre, bis 1654, sollte die dauerhaft angefeindete Kolonie namens Niederländisch-Brasilien existieren. Um sie profitabel und sicher für die Bewohner zu machen, wurde dort ein Gouverneur eingesetzt. Die Westindische Kompanie entschied sich für den gleichermaßen humanistisch wie militärisch gut ausgebildeten Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-79), der im Januar 1637 in Recife vor Anker ging und auf der Halbinsel Antonio Vaz die nach ihm benannte Mauritsstad gründete. Dort errichtete er den prunkvollen Palast Vrijburg und das Lustschloss Boa Vista. Es war das Leben eines Barockfürsten, das Johann Moritz in Ostbrasilien führte.

Die Moschusente oder Potiriguacu 
Radebeul, Lusthaus Hoflößnitz © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Moschusente oder Potiriguacu

Die 80 Vögel in Hoflößnitz illustrieren seinen wissenschaftlich-künstlerischen Ehrgeiz. Denn er vergrößerte nicht nur das Territorium der Kolonie und kurbelte die Zuckerproduktion wieder an, sondern er kam mit einer aus 46 Personen bestehenden Entourage nach Brasilien, um das damals noch unbekannte Land vermessen sowie die Landschaft und die Tierwelt dokumentieren zu lassen. Unter den Expediteuren waren der Geograph, Astronom und Kartograph Georg Markgraf (1610-44), der Arzt Wilhelm Piso (1611-78) und die Maler Albert Eckhout (ca. 1607-65/66) und Frans Post (1612-80).

Eckhout, der Schöpfer des Ameisenwürgers und der anderen Vögel von Radebeul, hatte die Küste und das Landesinnere bis zu 80 Meilen entlang der größeren Flüsse bereist. Zudem hielt sich Eckhout oft im Palast Vrijburg auf, den ein botanischer und zoologischer Garten mit einheimischen und importierten Tieren und Pflanzen umgab. Sie dienten ihm und den Naturforschern als Anschauungs- und Studienobjekte. Eckhouts Aufgabenstellung war klar umrissen: Er sollte nie zuvor Gesehenes festhalten, ein "Abbild" der Kolonie schaffen, das man später in Europa verbreiten könne. Johann Moritz betrachtete den jungen Mann als malenden Dokumentaristen und Ethnographen, nicht als kreativen Künstler.

Mit der Abreise des gescheiterten Generalgouverneurs, dem die Westindische Kompanie den aufwendigen Lebensstil zum Vorwurf machte, war 1644 auch Eckhouts Aufenthalt in der Kolonie beendet. Seine Bilanz: mehr als 1.000 Skizzen, Zeichnungen und Ölgemälde. Mit diesem großen Œuvre kehrte Eckhout nach Europa zurück und arbeitete im niederländischen Amersfoort. Wahrscheinlich blieb er in Diensten von Johann Moritz, bis dieser ihn an den Hof des Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg I., nach Dresden weiterempfahl. Johann Georg und sein Sohn sind die Bauherren des Lusthauses Hoflößnitz. In einem Brief vom 2. März 1653 schrieb Johann Moritz, inzwischen "der Brasilianer" genannt, an Johann Georg I.: "Hab ihm (Eckhout) auch befohlen, alles was er noch von Indien (d. i. Brasilien) unter sich hat, mitzubringen, denn in den acht Jahren dass er mit mir da gewesen, viele fremde Sachen gesehen und gemalt hat." So wird Eckhout in der zehn Jahre währenden Dresdener Zeit nach seinen Studien aus Brasilien gearbeitet haben.

Der Kahnschnabel oder Tamatiaguacu 
Radebeul, Lusthaus Hoflößnitz © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Kahnschnabel oder Tamatiaguacu

800 Menschen-, Tier- und Pflanzenbilder hatte "der Brasilianer", in dessen Besitz sich Eckhouts Auftragswerke befanden, allerdings ein Jahr vorher, 1652, an seinen langjährigen Freund, den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. verkauft. Sie gelangten über Umwege in die Preußische Staatsbibliothek. Christian Mentzel, der Leibarzt Friedrich Wilhelms und gleichzeitig Botaniker, fasste diese Bilder in vier Bänden zu dem naturkundlichen Werk "Theatrum rerum naturalium Brasiliae" zusammen. Viele der 80 Vogeldarstellungen in Radebeul findet man darin.

Obwohl als gesichert gilt, dass Albert Eckhout die originalen Vogelporträts in Brasilien schuf, gehen die Meinungen auseinander, ob er die Deckengemälde des Landsitzes eigenhändig anfertigte. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass die geringere Qualität der Malereien dagegen spricht. Viele glauben an einen Kopisten. Bislang wurden jedoch keine Urkunden oder Briefe gefunden, die diese These unterstützen.

Unumstößlich ist, dass die Vögel auf den gerahmten Leinwandbildern fast alle ornithologisch korrekt wiedergegeben sind und bis auf wenige Ausnahmen brasilianische Vögel zeigen. Wie in einem Lehrbuch reihen sie sich klar und scharf gezeichnet aneinander, wobei die Untersicht und damit einhergehende perspektivische Verkürzungen nicht mitberücksichtigt wurden. Es war offenbar keine Maßanfertigung für die Decke. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass manche Buchstaben und Körperteile der Tiere von den Bilderrahmen abgeschnitten werden.

Gesamtansicht des Festsaals 
Radebeul, Lusthaus Hoflößnitz © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Gesamtansicht des Festsaals

Diese Einzelheiten verschwimmen beim Betreten des Festsaals, der die gediegene höfische Atmosphäre des 17. Jahrhunderts verströmt. Die Blicke baden in harmonisch abgestimmten grün-grau-goldenen Farben, finden Orientierung in gliedernden Pilastern und Säulen und verfangen sich in den Schwüngen der -Rocaillen. Daneben spiegelt sich in der Erscheinung des Raums noch etwas anderes wider. Verschiedene Welten treffen in dem Berg- und Lusthaus der weinfreudigen Kurfürsten von Sachsen aufeinander. Einerseits treten an den Wänden gemäß des klassischen barocken Bildprogramms lebensgroß auf Holz gemalte Tugenden wie die Gerechtigkeit und das Maßhalten auf, darüber eine Phalanx deutscher Regenten, alles umgeben von Emblemata. Unter der Decke trägt dann aber mit den 80 Vogelporträts die Naturwissenschaft den Sieg über barocken Liebreiz und Moral davon.

Wer sich treiben lässt, den führen der Cayennekuckuck, die Kubataube und der Marmorreiher von den Pflichten des Herrschens und des Alltags weg in eine ferne Welt. So wollten die Bauherren inmitten der sächsischen Weinberge mit den exotischen Tieren ihre Weltläufigkeit und ihren Wissensdurst unterstreichen.

Christiane Schillig

Info:

Weinbaumuseum Hoflößnitz, Knohllweg 37, 01445 Radebeul, Tel. 0351 8398341, Sommeröffnungszeit 1.4.-31.10., Di-So 10-17 Uhr, Führung 14 Uhr Winteröffnungszeit 1.11.-31.3., Di-Fr 12-16 Uhr, Wochenende/Feiertage 11-17 Uhr

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