1925 Ikonographie April 2015
Für die Kirche des kleinen Dorfes Schmirma in Sachsen-Anhalt schuf der Maler Karl Völker 1921 eine farbgewaltige Raumgestaltung. Nach der erfolgreichen Sanierung des Kirchendachs konnten die restaurierten Deckenbilder mit Szenen aus dem Leben Jesu in das Gotteshaus zurückkehren.
Es ist eine trostlose Tischgemeinschaft: Bei ihrem letzten Mahl sitzen Christus und die Apostel vor einem einzigen, leeren Teller. Kein Wein, keine Brote, die zu teilen wären. Ikonographisch mag das Bild, das Karl Völker 1922 der Kirchengemeinde von Schmirma präsentierte, ungewohnt sein - faktisch war es nur allzu vertraut. Arbeitslosigkeit und Hungersnöte stürzten unzählige Menschen ins Elend. Gut gefüllte Teller blieben für weite Teile gerade der städtischen Bevölkerung unerreichbar. Der hallesche Maler hatte mit seinem Bilderzyklus für die kleine Dorfkirche nahe Mücheln in Sachsen-Anhalt ein Werk geschaffen, das als Zeitzeugnis und als künstlerisches Manifest gleichermaßen beeindruckt.
1699 war das Gotteshaus, das auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, in großen Teilen neu errichtet worden. Aus dieser Zeit stammen auch die Emporen, die seitlichen Logen sowie der Kanzelaltar. Mit seinen schlichten Mauern aus Bruchstein lässt der unscheinbare Bau kaum ahnen, mit welcher Farbexplosion der Innenraum aufwartet.
Zu Beginn des Jahres 1921 hatte sich der evangelische Pfarrer von Schmirma einen neuen Anstrich für seine in die Jahre gekommene Kirche gewünscht. Dank Max Ohle sollte weit mehr daraus werden. Der Landesbaurat und Provinzialkonservator zweifelte an, dass ein Malermeister in der Lage sei, eine "die Stimmung des Kirchenraumes befördernde einheitliche Bemalung durchzuführen".
Ohle empfahl die Mitwirkung eines Künstlers, namentlich Karl Völker (1889-1962). Dieser war in Halle zunächst zum Dekorationsmaler ausgebildet worden und hatte an der Dresdener Kunstgewerbeschule im Meisteratelier von Richard Guhr studiert. In seiner Heimatstadt konnte er sich durch diverse Aufträge zur Ausmalung städtischer Bauten hervortun. Seit 1918 war Völker Mitglied der Hallischen Künstlergruppe, die für eine proletarisch-revolutionäre Kunst eintrat.
Max Ohle konnte den Schmirmaer Pfarrer von einer modernen Ausgestaltung seiner Kirche überzeugen. In einem ausführlichen Brief pries er Karl Völker als herausragenden Gestalter von Räumen an und warnte davor, den Künstler durch zu genaue Vorschriften zu beengen: "Ich möchte Sie herzlich bitten, im Interesse unserer ganzen Kunstentwicklung dafür eintreten zu wollen, dass wir in Schmirma etwas Besonderes und Eigenartiges schaffen dürfen."
Für die flache Decke des Kirchenschiffs wählte Völker zehn Einzelszenen aus dem Leben Jesu. Die Bilder wurden in Kaseintechnik auf Leinwand gemalt und mit Hilfe von Spannrahmen in die historischen Kassetten eingepasst. Das mittlere Feld dominieren vor leuchtendem Himmelsblau die Kreuzigung und die Himmelfahrt Christi. Die äußeren Bilder zeigen die Anbetung der Hirten, die Ruhe auf der Flucht, Jesus am See Genezareth, eine nicht eindeutig zu identifizierende Szene, die meist als Bergpredigt interpretiert wird, Christus und die Sünderin, die Segnung der Kinder, den Einzug in Jerusalem und das Abendmahl.
Völker war vom Expressionismus geprägt und empfand große Bewunderung für Emil Nolde, doch gelangte er mit seinen Werken für Schmirma zu einem eher sachlichen Duktus. Die kräftigen Lokalfarben und der tektonische Aufbau verleihen den Szenen eine zeichenhafte Gültigkeit. In ihrer archaischen Einfachheit wirken die heiligen Gestalten zutiefst menschlich und geerdet - so als habe Völker eine Brücke vom Urchristentum zur Jetzt-Zeit schlagen wollen.
Nach ihrer Vollendung wurden die Werke im April 1922 zunächst in Halle ausgestellt. Ein Kritiker lobte: "Dieser Christus ist einer von seinem Volke, alle Not der Mühseligen und Beladenen trägt er in seinem gramvollen Antlitz." Am 15. Juni 1922 traten die Bilder die Reise zu ihrem Bestimmungsort an.
Völker stimmte die Farbgebung des Kirchenraums wirkungsvoll auf die Gemälde ab. Der zarte Gelbton der Wände ließ die Deckenbilder umso kräftiger leuchten. Die vorhandene hölzerne Ausstattung - Bänke, Logen, Empore und Orgel - erhielt einen Anstrich in Goldorange, abgesetzt mit dunklem Grün. Dabei integrierte Völker die älteren Heiligendarstellungen in den Bildfeldern der Empore und die Malereien am Kanzelaltar.
Völlig neu gestaltete er die Schauwand des Kanzelaltars - er behielt lediglich die beiden Türen bei. Ein kühner Schwung führt von den seitlichen Logen zur Kanzel hin. Dekorativ und symbolisch zugleich ranken sich Pflanzen empor, zwischen denen verheißungsvoll Sterne aufblitzen. Phantasieblüten und agavenförmige Blätter in Art Déco-Manier bilden ein sinnliches Gegengewicht zur sachlichen Strenge der Deckenbilder.
Ob die Gemeinde geschlossen hinter dieser ambitionierten zeitgenössischen Ausschmückung stand, ist nicht überliefert. Über all die schwierigen Zeiten, die folgten, haben die Menschen in Schmirma ihre unkonventionelle Dorfkirche nachweislich schätzen und schützen gelernt.
Die Nationalsozialisten brandmarkten Werke Völkers als "entartet", zu DDR-Zeiten war die reduzierte Bildsprache nicht viel besser gelitten. Die Lage in der Provinz mag in diesem Fall eine Gnade gewesen sein. Der Bilderzyklus bestand fort - ohne Schaden tat er das allerdings nicht.
An der Decke der Kirche, die jahrzehntelang über einen Kohlenofen beheizt wurde, hatten sich dicke Ruß- und Schmutzschichten gebildet. Durch undichte Stellen im Dach war Regenwasser eingedrungen, das dramatische Auswirkungen auf die Malereien hatte: Bei einigen Partien drohte der Verlust von Grundierung und Malschicht. Um die wertvolle Ausstattung zu sichern, musste also zunächst die Sanierung des Schiffdachs und der Dachkonstruktion erfolgen. Daran beteiligte sich 2013 auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Bereits ab 2009 waren die Bilder abgenommen worden, um sie Stück für Stück zu restaurieren. Der 2007 gegründeten Karl-Völker-Initiative war es gelungen, auch für diese Maßnahme die nötige finanzielle Unterstützung einzuwerben, unter anderem von der Hermann Reemtsma Stiftung. In einer Sonderausstellung im Kunstmuseum Moritzburg in Halle durften die Besucher die "Heiligen Geschichten" im Herbst 2013 aus nächster Nähe bewundern.
Zum 125. Geburtstag Karl Völkers am 17. Oktober 2014 kehrten die Malereien wieder in die Kirche zurück und wurden der Öffentlichkeit in einem Festakt präsentiert. Auch die Farbigkeit des Innenraums ist nach Originalbefund wiederhergestellt. In den kommenden Jahren möchten die Karl-Völker-Initiative und die Kirchengemeinde den Altar, das Gestühl sowie die Empore restaurieren und die Orgel sanieren.
In Mitteldeutschland sind nicht viele Sakralräume überliefert, die so authentisch die künstlerische Aufbruchstimmung der 1920er-Jahre vermitteln. Dank einer engagierten Gemeinde, dem Förderverein und vieler begeisterter Mitstreiter durfte Max Ohle Recht behalten: "Können wir heute moderne Künstler für die Ausmalung der Kirchen heranziehen, so haben wir die Gewähr, dass wir etwas schaffen, das die Jahrhunderte überdauert."
Bettina Vaupel
Dorfkirche zu Schmirma, Dorfstr., 06268 Mücheln-Schmirma
Zwecks Besichtigung bitte
anmelden unter: c.werther@werther-gmbh.net
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Den Beitrag habe ich mit großer Freude gelesen. Er war so anregend für mich, dass ich bei einem meiner nächsten Besuche in Halle auf der Hin- oder Rückreise auch einmal die Kirche in Schmirma besuchen werde. Gibt es von den Gemälden von Karl Völker auch Postkarten? Ich bin sehr beeindruckt von der Dichte der Darstellungen. Sicherlich werde ich die Bilder für meinen Verkündigungsdienst als Prädikant irgendwann einmal verwenden.
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