Kleine und große Kirchen
"Was haben Sie für ein schönes Arbeitszimmer." An diese Worte von Richard von Weizsäcker bei einem Besuch im Wismarer Rathaus erinnere ich mich besonders gern. Ihn interessierten auch die Bilder von Alfred Heth.
Ich hatte die Werke des Wismarer Künstlers kurz nach der Maueröffnung gekauft, weil sie in exzellenter Weise das Lebensgefühl der gewonnenen Freiheit wiedergaben. Alfred Heth, der im Dezember 2013 starb, war nicht nur ein begabter Maler, sondern auch ein großer Geschichtenerzähler. Ich habe ihm vieles nicht geglaubt und ihn das auch wissen lassen.
Als Bundeskanzler Helmut Schmidt 1981 nach Güstrow reiste, um die Werke von Ernst Barlach anzuschauen, darunter das Meisterwerk Der Schwebende, ein Bronzeengel im Güstrower Dom, wollte mich Alfred Heth glauben machen, dass der einzige Abguss, der die Zeit der Nationalsozialisten überdauert hatte, nicht etwa in Güstrow, sondern in Köln hänge. Heth, 1948 geboren, hatte längere Zeit in Güstrow gelebt und betrachtete sich als einen "verspäteten" Zeitzeugen Barlachs. Helmut Schmidt hätte es also viel einfacher haben und den Barlach-Engel in Köln besuchen können.
Die Erzählung ging so: Freunde von Barlach bewahrten das Gipsmodell des als Denkmal für den Ersten Weltkrieg gedachten Engels und erstellten einen zweiten Bronzeguss zu einem Zeitpunkt, als Barlach schon verfemt war. Sie versteckten den 250 Kilogramm schweren Bronzeengel und retteten ihn so vor dem Einschmelzen, dem Schicksal des Güstrower Engels. Nach dem Krieg kaufte die Stadt Köln den Nachguss. Umgewidmet zum Mahnmal für die zwei Weltkriege, wurde er in der Antoniterkirche aufgehängt.
Zwar war das Gipsmodell im Krieg zerstört worden, aber zum Glück konnte der Kölner Zweitguss als Vorlage für eine Gussform dienen. Sie ermöglichte einen dritten Guss für einen neuen Güstrower Engel, um den Verlust von 1937 auszugleichen.
Ich hatte diese Geschichte völlig vergessen, bis ich vor wenigen Wochen mit meinem Mann durch die Kölner Innenstadt ging und wir einen Blick in die Antoniterkirche warfen. Der Schwebende kam mir im nördlichen Seitenschiff der Kirche seltsam fremd vor. Sehr schnell wurde mir klar, dass ich Barlach unbewusst mit Backstein in Verbindung bringe. Beide, Barlach und Backstein, sind Bestandteile der norddeutschen Identität, und so vermutet man auch Ernst Barlachs Meisterwerk nicht gerade in Köln.
Die Entdeckung von Barlach in der AntoniterCitykirche wurde zu einem beeindruckenden Erlebnis, die Citykirche zu einem besonderen Ort.
Daraufhin bin ich der überlieferten Geschichte nachgegangen: Ernst Barlach schafft 1927 für den Güstrower Dom einen Engel als Gefallenendenkmal und hängt ihn über einer Gedenkplatte auf. Das Antlitz des Engels "gerät ihm", so Barlach selbst, unabsichtlich wie das traumatisierte Gesicht seiner Künstlerfreundin Käthe Kollwitz. Sie hatte ihren Sohn im Ersten Weltkrieg verloren. Barlach verzichtet auf jegliches Honorar gegenüber der Kirchengemeinde. Nur wenige Jahre bleibt der Schwebende Engel an seinem Platz im Güstrower Dom.
Die Kulturbarbarei nach 1933 prägt den Begriff "Entartete Kunst" auch für die Werke von Barlach. Gerhard Bosinski schreibt in seinem Buch über Güstrow: "Der Oberkirchenrat in Schwerin hatte 1937, besonders auch wegen der Welle der Ablehnung des Denkmals in der Presse und Öffentlichkeit, die Abnahme beschlossen." Unter mysteriösen Umständen verschwindet das Kunstwerk später aus der Garage des Landesbischofs in Schwerin gegen eine Quittung der Metallsammelstelle des Naziregimes. Dass Freunde des Künstlers in dieser Zeit einen Zweitguss fertigten und versteckten, ist verbürgt.
Als man nach dem Krieg 1951/52 in Berlin eine Barlach-Ausstellung vorbereitete, wurde der dritte Guss abgenommen, der heute mit dem Einverständnis der Ernst Barlach Gesellschaft im Güstrower Dom hängt.
Beim Künstler Alfred Heth kann ich keine Abbitte mehr leisten. Vielleicht stimmen ja auch seine anderen Geschichten. Nach diesem Erlebnis werde ich sie Stück für Stück prüfen. Ich bin froh, diesen Maler persönlich gekannt und einige seiner Bilder erworben zu haben.
Die ehemalige Klosterkirche der Antoniter-Chorherren wurde 1802 von der evangelischen Gemeinde als erste protestantische Predigtstätte in Köln übernommen. Die Klostergebäude sind nicht erhalten. Sie ist eine turm- und querschifflose Kirche in Kölns Schildergasse, einer der wichtigsten Einkaufsstraßen der Stadt. Auch nach dem Umbau unter der Leitung von Franz Ferdinand Wallraf 1802-05 ist noch ersichtlich, dass sie als Bettelordenskirche (begonnen nach 1350 und geweiht um 1380) schlicht gehalten war. Anlässlich einer grundlegenden Renovierung im Jahr 2011 kamen neben dem Schwebenden zwei weitere Kunstwerke von Ernst Barlach hinzu: das Kruzifix II, das über dem romanischen Taufstein angebracht ist, und der Lehrende Christus gegenüber dem Kruzifix II.
Antoniterkirche, Schildergasse 57, 50667 Köln, Tel. 0221 92584615
Öffnungszeiten zu den Gottesdiensten und vom AntoniterFoyer (Mo-Fr 11-19, Sa 11-17, So 11-17.30 Uhr), Gottesdienste So 10 und 18 Uhr, 10-Minuten-Andachten Mo-Fr 18 Uhr, Komplet (Schlussandacht) Mi 20 Uhr
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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