Dezember 2014 K
Kuppeln, die wie steinerne Himmel manches Bauwerk bekrönen, haben die Architekturgeschichte geprägt. Nicht nur der Sakral- auch der Profanbau bediente sich ihrer erhabenen Wirkung.
In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts entbrannte anlässlich des Neubaus des Doms in Berlin ein Streit über die richtige Art zu bauen. Es war nicht nur ein Streit über Geschmack oder Ästhetik, sondern auch eine Auseinandersetzung über die Rolle, die das Kaisertum im gerade gegründeten Deutschen Reich spielen sollte und über die Beziehung des Kaisers zu den Künsten. Wilhelm II., unter dem schließlich der Berliner Dom neu errichtet wurde, schaute dabei in Richtung Westen, weit in den Westen des neuen Reiches. Sein Blick war auf Aachen gerichtet, auf die alte Pfalzkirche Karls des Großen. Sein Augenmerk lag auf dem karolingischen Oktogon mit seinem eindrucksvollen und respekteinflößenden Gewölbe. Die Pfalzkirche als Krönungskirche der deutschen Könige galt als imperialer Bau ersten Ranges.
Der Kaiser lässt sich schließlich vom rheinischen Architekten Julius Carl Raschdorff in Berlin die größte protestantische Kirche im Reich bauen mit der gewaltigsten Kuppel überhaupt. Es entsteht ein Zentralbau in Neo-Renaissance-Form mit einer Kuppel von 33 Metern Durchmesser und zusätzlich vier flankierenden Türmen mit Kuppelbekrönungen. Die vage Anmutung von Sankt Peter in Rom war bewusst, denn der neue protestantische Prachtbau sollte Konkurrenz sein.
Damit hatte der Kaiser mal eben Bezug genommen auf zwei der wichtigsten Bauwerke der europäischen Kunstgeschichte. Zwei Bauwerke, die nicht zufällig von Kuppeln geschmückt werden. War doch die Aachener Pfalzkirche eingebettet in die lange Architekturrezeption des Salomonischen Tempels, und die riesige Kuppel des Petersdoms Symbol der universalen Bedeutung Roms im 16. Jahrhundert.
Kuppeln oder genauer runde gewölbte Raumabschlüsse sind seit frühester Menschheit nachzuweisen und eine Grundform des Bauens. Früh schon schichtete man Steine in immer enger werdenden Ringen aufeinander, schuf, wie zum Beispiel die Griechen in Mykene, damit sogenannte Kraggewölbe. Später nannte man diese Art des Kuppelbaus auch falsches Gewölbe.
Die "richtigen" Kuppeln, von denen hier die Rede ist, haben ein anderes Grundprinzip, und das macht ihr Geheimnis aus: Sie sind eine Sonderform des Klostergewölbes. Man nutzt also die Technik des Gewölbebaus mit Keilsteinen und abgeleiteten Schubkräften und gestaltet so den Raumabschluss als ein Rund. Die wissenschaftlichen Definitionen der Kuppeln wirken überraschenderweise eher wie eine Annäherung als eine Gewissheit. Da ist von "sphärisch geformten Raumabdeckungen über vorwiegend kreisrundem Grundriss, ohne Biegespannungen" die Rede, von "doppelsinnig gekrümmten Überwölbungen von Räumen" oder "sphärischen Gewölben zur Überspannung eines kreisförmigen oder quadratischen Raumes", deren "Wölbflächen durch Drehung eines Halbkreises, Ellipsen-, Parabel- oder Spitzbogens um eine Vertikalachse oder aus einem Vieleck von Walmkappen entstehen". Fast scheint das Geheimnisvolle, das Unfassbare dieses Bauelements, obwohl natürlich bis ins Kleinste ausgemessen und berechnet, auch heute noch fortzubestehen. Denn gleicht es nicht noch immer einem Wunder, dass Tonnen von Stein schweben können? Dass die Schwerkraft außer Kraft gesetzt wirkt und wir als kleine Menschen darunter stehen können und ins magische Auge dieser riesigen Himmel schauen?
Technisch ist alles erklärbar: Kuppeln sind Gewölbe mit nur einem Scheitelpunkt. Sie erheben sich über einem kreisförmigen, ovalen oder eckigen Grundriss, der im ganzen Umfang als Widerlager dient. Bei Kuppeln über rundem Grundriss ist das Prinzip klar. Kuppeln über rechteckigen Grundrissen allerdings brauchen komplexere Lösungen. Denn hier muss das Eckige zum Rund werden. Aus zwei Grundtypen entstehen verschiedenste Formen: Umschreibt der Fußkreis der Kuppel die Ecken des Grundrisses, bildet er also einen Außenkreis um das Quadrat, spricht man von einer Hängekuppel - die Schale wird von den Wänden senkrecht angeschnitten. Je weiter der Fußkreis außerhalb des Rechtecks liegt, desto flacher wird die Kuppel, und es ergibt sich eine Kalotten- oder Flachkuppel. Liegt der Fußkreis jedoch innerhalb der Ecken des Quadrats, wird die eigentliche Kuppel auf eine Art waagerecht abgeschnittene Behelfskuppel gesetzt. Die vier Segmente der unteren Kuppel heißen Pendentifs, diese Kuppelform demnach Pendentifkuppel. Zwischen Pendentifs und Kuppel kann eine zylinderförmige Mauer eingefügt werden, der Tambour. Fenster im Tambour beleuchten die Kuppel, tauchen das ferne Oben in ein entrücktes Licht. Das Viereck ins Runde, ja sogar in die mystische Form der Kugel überführt zu sehen, ist nicht nur technisch überwältigend, sondern auch im Sinne des Christentums erhebend und tröstend zugleich. Kuppeln sollen dem Gläubigen Gewissheit geben, dass die Vergänglichkeit, das Erdenleben, in die Unendlichkeit und Unsterblichkeit des Himmels führt.
Das Vorbild aller europäischen Kuppelbauten, das Pantheon in Rom, der Tempel aller Götter, wurde unter Kaiser Hadrian 117-125 gebaut. Die nach oben offene Kuppel mit einem Durchmesser von 43,5 Metern sitzt auf der 22 Meter hohen Ringmauer auf und ist 22 Meter hoch: eine umschlossene Kugel mit perfekten Proportionen. Die den Bau umschließende Mauer ist ebenso wie die Kuppelschale im Kern aus opus caementitium, einem antiken Beton, gemauert. Die Wölbung ist innen mit Kassetten bedeckt. Die Quadrate der Kassetten verstärken das Gefühl der Absolutheit der Kuppel, das unendliche Rund an sich, die ungeheure Ruhe der schweren Mauermasse, unterbrochen nur von dem einzigen Licht, das durch das Opaion, die Öffnung oben in der Kuppel, hineinfällt.
Das Pantheon ist sowohl im Konstruktiven als auch im Ästhetischen ein faszinierendes Vermächtnis der Antike. Unter Kaiser Konstantin wurde das leere Grab Christi in Jerusalem mit einer Kuppel überbaut. Kuppeln entstanden ebenso über Kirchen in Konstantinopel - die Hagia Sophia, 537 vollendet, setzte für Jahrhunderte Maßstäbe -, in der ganzen orthodoxen Christenheit und schließlich auch über dem Grab des heiligen Petrus in Rom.
Kuppeln zu konstruieren ist wie den Himmel aus Menschenhand nachzubauen. Nicht nur das Christentum, auch Buddhisten, Hindus und Muslime haben Kuppeln als Abbild des Himmels gesehen. Oft waren Gewölbe daher mit Sternen bemalt oder wurden die Kuppeln mit Gold geschmückt, der Goldgrund als ewiges Licht interpretiert, so wie wir es heute noch in den christlich-orthodoxen Kirchen finden. Seit dem 9. Jahrhundert hatte sich in der byzantinischen Kirchenbaukunst der Kreuzkuppeltypus mit Pendentifs und einem Verbund von Kuppeln und Halbkuppeln durchgesetzt. Wände, Gewölbe und Kuppel waren vollständig mit Mosaik- und Freskenbildern überzogen. Christus, Engel und Heilige fanden sich feierlich entrückt in der transzendenten Welt des Goldenen.
Auch in der osmanischen Baukunst wird mit der Eroberung Konstantinopels 1453 die Idee des Zentralkuppelbaus dominierend. Sie erreicht ihren Höhepunkt unter dem Architekten Sinan (1489-1588). Aus eigener Tradition und byzantinischer Raumauffassung und Bautechnik entsteht eine neue, reich variierte Kuppelbautradition.
Im Christentum bringt die Renaissance Umbrüche in allen Bereichen, auch in der Baukunst: Mit der doppelschaligen Konstruktion der monumentalen Florentiner Domkuppel mit einer Scheitelhöhe von 83 Metern und einem Durchmesser von 42 Metern findet 1436 ein technischer Durchbruch im Kuppelbau statt. Dabei ist das Innere der Kuppel streng genommen keine Kuppel, sondern ein achtteiliges Klostergewölbe. Doch die Tendenz im Kirchenbau der Renaissance ist damit vorgegeben: der Zentralbau mit ruhiger und edler Atmosphäre und riesiger Kuppel. Nicht nur die innere Raumwirkung zählt, auch ihre äußere Erscheinung und ihre beherrschende Stellung im Städtebau werden erkannt - später in der barocken Zeit der Blickachsen ganz verstärkt. Ein sehr "barockes" Beispiel einer kuppelbekrönten Kirche in Deutschland ist die Frauenkirche in Dresden (1726-43). Nicht von ungefähr wurde um ihren Wiederaufbau in den 1990er-Jahren so gekämpft: Der Zentralbau mit steil aufragender Kuppel und bekrönender Laterne prägt maßgebend die Silhouette der Stadt.
Lange waren die einschaligen steinernen Kuppeln unter schmucklosen hölzernen Sattel- oder Kegeldächern versteckt, jetzt werden die Schutzkuppeln ebenfalls auf Wirkung gestaltet. Sie dominieren nun oft das Äußere der Bauwerke und werden zu eigenständigen Bauelementen. Man setzt Laternen zum Schutz des Opaions auf die Kuppeldächer, um weiterhin Licht einzulassen. Mancherorts finden sich jetzt sogar dreischalige Kuppeln. Die dritte Schale setzt als Schutzkuppel nach außen Akzente. Durch Tamboure werden sie in die Höhe gestreckt und so noch mehr zu markanten Wahrzeichen der Städte.
Kuppeln waren immer besondere Bauelemente, viele Jahrhunderte hauptsächlich dem Kirchenbau vorbehalten. Erst im 18. und 19. Jahrhundert halten sie vermehrt Einzug in die Profanarchitektur. Regierungssitze, als bekanntester sei das Kapitol in Washington (1823) genannt, nutzen sie als repräsentatives Machtsignum - und gleichzeitig ganz ohne spirituellen Hintergrund und einfach aus praktischen Gründen als Oberlicht. Mit den neuen Materialien Gusseisen und Stahlbeton geht der Kuppel- dann im 20. Jahrhundert in den - zum Teil spektakulären - Hallenbau über.
An Kuppeln hing schon manches Architektenschicksal. Michelangelo stritt jahrzehntelang um seine Vision der Peterskirche, die Kuppel wurde 1593, 29 Jahre nach seinem Tod, fertiggestellt. George Bähr brachte mit seiner tollkühnen Idee, die Kuppel der Frauenkirche ausschließlich aus Sandstein zu errichten, seine Mitmenschen fast um den Verstand. Er erlebte die Fertigstellung 1743 nicht mehr. Und Raschdorff hatte mit dem Berliner Dom, der schließlich 1905 geweiht wurde, einfach das Pech, zu spät gekommen zu sein. Kaum sechs Jahre später begann man in Breslau, mit der Jahrhunderthalle eine derart moderne Kuppelkonstruktion aus Stahlbeton zu bauen, dass der goldmosaikverkleidete 70 Meter hohe Innenraum des Berliner Doms wie aus der Zeit gefallen schien. Und trotzdem: Seine Kuppel zieht jeden in ihren Bann, besonders seitdem seit zwölf Jahren die Mosaike dort wieder leuchten - denn Kuppeln haben nichts von ihrer Faszination verloren. Egal, in welchem Jahrhundert errichtet, egal, für welche Religion: Die große Leere des Raums zwischen Unten und Oben ist geisterfüllt - ein Ort, an dem sich Himmel und Erde berühren.
Die Kuppel als Kult
Der Berliner Reichstag zeigt, wie sich Architektur, Politik und Geschichte bedingen
Berlin ist - wie viele Metropolen - eine Stadt der Kuppeln. Kein Wunder: Kuppeln im Stadtbild verkörpern Größe und Bedeutung und formen eine einzigartige Silhouette. In Berlins Mitte präsentieren sich eindrucksvoll die evangelische und katholische Kirche und die jüdische Glaubensgemeinschaft mit Berliner Dom, St. Hedwigs-Kathedrale und der großen Synagoge in der Oranienburger Straße. Zu dem "Vierkuppelgebiet", von dem einige sprechen, gehört allerdings auch eine profane Kuppel, dafür aber weltbekannt: die des Reichstagsgebäudes.
Sie spielt eine Rolle nicht nur deshalb, weil sie auf dem Gebäude sitzt, das heute den Nukleus der deutschen Demokratie darstellt, sie ist zudem eine einzigartige Erfolgsgeschichte als Beispiel dafür, wie Architektur zu Menschen sprechen, wie Gebautes die Stimmung einer Epoche wiedergeben kann. Selten ist das Baumaterial Glas seiner vielgepriesenen demokratischen Eigenschaft von Offenheit und Transparenz so sinnbildlich nahe gekommen.
Dabei war die Kuppel des britischen Architekten Norman Foster anfangs sehr umstritten und wurde von vielen abgelehnt. Der Architekt selber stand der Idee, dem geschichtslastigen Gebäude des Reichstags wieder eine Kuppel aufzusetzen, skeptisch gegenüber und bevorzugte eine Baldachinlösung.
1991 wurde nicht nur der Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin beschlossen, sondern auch der zukünftige Sitz des Deutschen Bundestages im ehemaligen Reichstagsgebäude. Davor musste umfassend restauriert werden. Das Gebäude, 1894 von Paul Wallot errichtet, war außen rußgeschwärzt, innen schlicht umgebaut und hatte 1954 endgültig seine Kuppel verloren, die 1933 beim Reichstagsbrand schon zerstört worden war.
Die Neugestaltung wurde 1993 zu einer politischen Grundsatzentscheidung. Für viele war der wilhelminische Bau grundsätzlich nur schwer mit dem demokratischen Nachkriegsdeutschland zu vereinbaren und hätte für ewig so verhüllt bleiben können, wie das Künstlerpaar Christo und Jean-Claude es 1995 in einer spektakulären Aktion getan hatte. Die damalige CDU/CSU-Fraktion plädierte hingegen für die Wiederherstellung der Kuppel. Norman Foster wiederum bestand auf seinem Konzept: Das Dach des Reichstags sollte für das Publikum zugänglich sein, das Volk sich als Souverän über das Parlament erheben, über ihm stehen und den Volksvertretern von oben bei der Arbeit zuschauen können. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der funktioniert. Eine doppelläufige Rampe windet sich innerhalb der gläsernen, 40 Meter hohen Kuppel hinauf, der Besucher blickt vom Dach direkt in den Plenarsaal - und kann gleichzeitig das Panorama über Berlin genießen. Die täglichen langen Schlangen vor dem Eingang seit seiner Eröffnung 1999, drei Millionen Besucher im Jahr, zeugen vom Erfolg. Die Kuppel ist kein Zeichen mehr von einschüchternder Macht und Distanz.
Architektur spiegelt Geschichte wider, ein Denkmal erzählt den Weg der Demokratie in Deutschland und ist weltweit Symbol des wiedervereinigten Landes.
Geschichte wäre aber nicht Geschichte, wenn sich nicht alles im Wandel befände, gerade in Berlin ist Veränderung Programm und hat fast immer auch mit der Vergangenheit zu tun: Die Initiatoren der Rekonstruktion des Berliner Schlosses, des zukünftigen Humboldt-Forums, kämpfen darum, dass auch die gewaltige Kuppel, die es einst bekrönt hat, rekonstruiert wird. Bald könnte die gläserne Spirale des Bundestags also Konkurrenz bekommen von einer weiteren stadtbildprägenden Kuppelform.
Beatrice Härig
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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Ich wusste gar nicht, dass der Hallenbau aus dem Kuppelbau entstanden ist. Aber macht schon Sinn, da ab dem 19. Jhd. ja dann neue Materialien zur Verfügung standen. Mein Onkel ist Schreiner und baut sich auch eine Halle, die ist war keineswegs so pompös wie die in Potsdam.
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