Denkmale in Gefahr Oktober 2014
Zu Hunderttausenden flohen sie vor Terror, Entrechtung und Diskriminierung. Als König Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Fontainebleau verabschiedete, erreichte die Verfolgung der Hugenotten in Frankreich ihren Höhepunkt. Ihnen blieb nur die Wahl zwischen Unterwerfung oder verbotener und damit lebensgefährlicher Flucht. Zu Letzterem ermutigt wurden die französisch Reformierten unter anderem vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der ihnen in Brandenburg eine sichere Bleibe und Unterstützung versprach.
Ein Zeugnis dieser Geschichte von Verfolgung und Asyl steht heute noch immer in Hammelspring, einem unscheinbaren Straßendorf in der Uckermark, südlich von Templin. Hier, im sogenannten Hugenottenhaus, fand 1762 die Flüchtlingsfamilie Andrée aus Frankreich eine neue Bleibe.
Von den ländlichen Bauten aus dem 18. Jahrhundert, die von der Einwanderung der Réfugiés erzählen könnten, existieren kaum noch Beispiele. Und gäbe es nicht den Förderverein Hugenottenhaus Hammelspring e. V., wäre wohl auch das vom Verfall bedrohte Bauernhaus in Hammelspring für die Zukunft verloren. Seit 2011 ringt er um dessen Erhaltung. Die Eigentümerin, Dorit Behning, selbst Mitglied des Vereins, überließ ihm das Gebäude in Erbbaurecht. "Uns fehlen die Kraft und die finanziellen Mittel, um dieses wertvolle, aber stark baufällige Denkmal zu bewahren", erzählt ihr Ehemann Torsten Behning, stellvertretender Vereinsvorsitzender. "Nun sind wir dankbar dafür, dass sich eine kleine Gruppe von Menschen gefunden hat, die sich mit großem Einsatz für das alte Haus engagieren." Vorsitzende und treibende Kraft des Vereins ist die Bauingenieurin Martina Reichelt, die mit ihrer Masterarbeit den Anstoß zur Vereinsgründung gab: "Für die Abschlussarbeit meines Aufbaustudiums Denkmalpflege war ich in Brandenburg auf der Suche nach einem passenden Objekt. Als ich dann vor diesem Haus stand, wusste ich: Das ist es!" Was angesichts des schlechten Bauzustands für viele Laien abschreckend wirkt, begeisterte schon damals die Fachfrau. "Selten hat man das Glück, noch auf so authentische Bauernhäuser zu stoßen. Aufgrund nur weniger baulicher Eingriffe hat sich der Zustand des Hauses nahezu unverändert erhalten." Umfassend erforschte sie das Denkmal samt historischem Kontext und konnte daraus neue Schlüsse über seine Geschichte und Nutzung ziehen.
Auf einer alten Hofstelle hatte wohl Pierre Andreé nach dem Tod seines Vaters in zweiter Hugenottengeneration 1762 das schlichte Wohnspeicherhaus errichtet. Im Erdgeschoss wurde gewohnt, das Ober- und Dachgeschoss diente zur Lagerung der Vorräte. Des regionalen Fachwerkbaus unkundig, war die Familie Andreé ebenso wie viele der anderen mittellosen Emigranten dankbar für die landesherrliche Betreuung. Diese nahm nicht nur Einfluss auf den Ort der Ansiedlung und überließ ihnen wüst liegende Höfe als Eigentum, sondern machte auch Vorgaben hinsichtlich der Bauweise. Das Material wurde kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die handwerklichen Tätigkeiten übernahmen vorwiegend Einheimische. Von einem Import französischer Architektur in das verödete Brandenburg kann man hier also nicht sprechen. Vielmehr fand das ab dem 17. Jahrhundert verbreitete Ernhaus als bescheidener, jedoch zweckmäßiger Bautyp für die französischen Kolonisten immer wieder Verwendung. Ernhäuser sind traufständige Fachwerkhäuser. Ihr besonderes Kennzeichen ist der mittig liegende, quererschließende Flur, der oft durch die so genannte Schwarze Küche unterbrochen wird. Beiderseits des Flurs befinden sich nach vorne ausgerichtet die Wohnstuben und nach hinten die Schlafkammern.
Dass sich so viel von der originalen Bausubstanz erhalten hat, liegt unter anderem an der durchgängigen Nutzung des Hauses durch die Hugenotten und ihre Nachfahren. Der letzte von ihnen, Willy Malingriaux, zog 1968 aus. Seitdem steht der Hof leer - schon über 45 Jahre lang. Daneben setzten unterlassene Reparaturen und mangelnde Pflege dem Gebäude extrem zu. Das Dach ging kaputt: Fehlende Biberschwanzziegel und eine völlig defekte Dachentwässerung führten zu massiven Schäden der Fachwerkkonstruktion. Das Haus war vom Einsturz bedroht. Beim Gang um das Anwesen verweist Martina Reichelt auf die besonders betroffenen Stellen. Die Eckstiele, aber auch viele Streben im Bereich der Hof- und Giebelfassade sind morsch. An drei Hausseiten waren die Fußschwellen so zersetzt, dass sich die Außenwände der Nord-, Süd- und Ostseite um mehrere Zentimeter senkten. Von den bauzeitlichen Lehmstaken-Ausfachungen haben sich zwar fast alle erhalten, aber die meisten sind schadhaft und müssen überarbeitet werden. Das Innere kann man nur in Begleitung von Ortskundigen betreten. Zu löchrig und instabil sind die Dielenböden der beiden oberen Geschosse.
Seit 2012 hat das Hugenottenhaus ein Notdach. Damit ist der erste große Schritt vollbracht, um seinen Verfall zu stoppen. Der Dank dafür gebührt ganz wesentlich der Jugendbauhütte Brandenburg/Berlin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. In einer großen Aktion nahmen die jungen Leute die alten Ziegel ab, bargen sie, brachten Bitumenwellplatten auf und installierten Dachrinnen. Für die aktuell elf Mitglieder des kleinen Vereins ist diese - wie jede - Unterstützung wichtig. Alleine schaffen sie es nicht. Seit 2011 sind sie auf der Suche nach Mithelfern und weiteren Mitgliedern, sprechen bei den Behörden vor, bitten um Spenden und reisen wie Tors¬ten Behning für Ortstermine inzwischen Hunderte von Kilometern an, um dieses gefährdete Denkmal zu erhalten. Nach drei Jahren Vereinsarbeit konnte inzwischen mit der Sanierung des Nord-Ost-Giebels begonnen werden. Auch hier beteiligte sich die brandenburgische Jugendbauhütte. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte diese Maßnahme mit 10.000 Euro. Den nächsten Restaurierungsabschnitt - die Instandsetzung der Straßenseite - konnte sie dank ihrer rechtsfähigen G. & H. Murmann-Stiftung ebenfalls unterstützen. Wertvolle Hilfe erhielt der Verein mit 10.000 Euro außerdem vom Landkreis Uckermark.
Nach und nach soll die äußere Hülle saniert werden. Dann möchte man an die Restaurierung des Inneren gehen. Für ein Architektenhonorar muss der Verein nicht aufkommen. Mit Martina Reichelt hat er eine auf Denkmalsanierung spezialisierte Expertin als Vorsitzende, die großen Wert darauf legt, so viel historische Bausubstanz wie möglich zu erhalten. Wie ist das angesichts des weit fortgeschrittenen Verfalls möglich? "Glücklicherweise müssen nur verhältnismäßig wenige Hölzer komplett ausgetauscht werden. Für die Restaurierung der schadhaften Gefache werden wir das originale Material - Lehm und Holzstaken - entnehmen und aufbereitet wieder einsetzen." Dabei hofft sie auch auf weitere Hilfe der Jugendbauhüttler und Dorfbewohner.
Neben der Sanierung des alten Bauernhauses ging es dem Verein Hugenottenhaus Hammelspring von Anfang an darum, den Menschen im Dorf zu zeigen, über welch historisch wertvolles Denkmal sie verfügen. Gleichzeitig möchte er ihnen aber auch eine Begegnungsstätte bieten - im Ort fehlt ein Treffpunkt für die verschiedenen Vereine und Interessensgruppen. Für das Obergeschoss ist eine Ausstellung über die Einwanderung der französischen Glaubensflüchtlinge in die Uckermark geplant.
Abgesehen von dem sogenannten Hugenottenhaus gibt es in Hammelspring keine Bauten mehr, die von den zehn Familien berichten könnten, die sich hier um 1700 niederließen. Ohne Hab und Gut, gezeichnet von Verfolgung und Flucht, der deutschen Sprache nicht mächtig, schafften sie es mit Hilfe landesherrlicher Förderung, von den insgesamt sechzehn Bauernstellen im Dorf elf Höfe wiederzubeleben, die nach dem Dreißigjährigen Krieg immer noch brach lagen. Genau diese Entwicklung wird den Wunschvorstellungen des Großen Kurfürsten entsprochen haben, der 1685 nicht nur aus humanitären Gründen 20.000 Verfolgte nach Brandenburg holte. Er erhoffte sich von den Hugenotten einen wirtschaftlichen Aufschwung für sein von Bevölkerungsverlusten gezeichnetes Land.
In Hammelspring beeinflussten die Réfugiés maßgeblich die Entwicklung des Dorfes. Hier wie andernorts in der Uckermark führten sie in der Landwirtschaft Neuerungen ein, durch die schlechte Erntejahre besser überbrückt werden konnten. Bohnen, Porree, Spargel, Artischocken, Blumen- und Rosenkohl sowie die noch eher unbekannte Kartoffel fanden Verbreitung im brandenburgischen Gemüseanbau. Überall kultivierten sie die Tabakpflanze, vielerorts auch den Maulbeerbaum als Futter für die Seidenraupe. Ein "Segen für Stadt und Land", so urteilte Theodor Fontane, selbst Hugenottennachfahre, über die Einwanderung der französischen Kolonisten. Viele der Einheimischen teilten diese Ansicht damals nicht. Die Fremden hatten zwar die gleiche Konfession wie das brandenburgische Herrscherhaus, die Mehrheit der Bevölkerung vertrat jedoch den lutherischen Glauben. Weitere kulturelle Unterschiede, vor allem jedoch die erteilten Privilegien sorgten für Missgunst. Heute ist das kein Thema mehr. Das damals Fremde ist inzwischen Teil unseres kulturellen Erbes.
Obwohl das Bauvolumen des kleinen, aber baufälligen Hugenottenhauses überschaubar ist, bedeutet seine Instandsetzung für die elf Vereinsmitglieder dennoch ¬einen großen Kraftakt. Deshalb bittet die Deutsche Stiftung Denkmalschutz um Spenden. Vor 300 Jahren fanden verfolgte Menschen aus Frankreich in der Uckermark einen Ort der Zuflucht. Das kleine Haus gibt dieser Geschichte ein Gesicht. Helfen Sie mit, dass sein Anblick kein trauriger bleibt, sondern als ein Zeitzeugnis regionaler wie europäischer Geschichte bewahrt wird.
Amelie Seck
Hugenottenhaus, Templiner Straße 44, 17268 Templin/Hammelspring, Tel. 03328 3090193, www.hugenottenhaushammelspring.de
Literatur:
Martina Reichelt: Das sog. Hugenottenhaus in Hammelspring/Uckermark. Eine geschichtliche und typologische Einordnung in die Hauslandschaft. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008. ISBN 978-38364-6554-0. 192 S., 68 Euro.
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In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
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Erstaunlich und bewundernswert. Ich kenne die lieben brandenburgischen Dorfbewohner nicht gerade von ihrer kunsthistorisch interressierten Seite. Um so bewundernswerter dieser Kraftakt der 11 Mitglieder des Fördervereins. Sie verdienen jede Unterstützung, auch finanziell. Mit 10.000 hat sich der Landkreis auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, angesichts des Alleinstellungsmerkmal dieses Hauses. Da ich in der weiteren Umgebung wohne, werde ich Hammelspring aufsuchen um dieses bemerkenswerte Baudenkmal zu besuchen.
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