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Gepunktete Küchen in Franken und Niedersachsen

Fröhliche Farbtupfen

Punkte soweit das Auge reicht. In unregelmäßigen Abständen sind die Küchenwände und -decken einer ehemaligen Bäckerei im fränkischen Diespeck mit roten Farbtupfen übersät. Welcher Maler mag wohl Mitte des 19. Jahrhunderts, als dieses Gebäude errichtet wurde, auf die Idee gekommen sein, den Raum mit Punkten zu versehen - und warum? Nur eines ist gewiss: Er hat diese Art der Gestaltung nicht erfunden, denn gepunktete Küchen lassen sich - zumindest in Franken - schon für die Zeit um 1700 nachweisen.

Auf die Spur der gepunkteten Küchen ist Thomas Wenderoth gekommen. Der Oberkonservator am bayerischen Landesdenkmalamt hat dieses Phänomen das erste Mal 2003 im Schloss Rathsberg entdeckt. Er hielt die Punkte in der Schlossküche für einen Spleen von Georg Friedrich Hüls, der die Renaissanceanlage ab 1702 im Stil der Zeit erweitern und umbauen ließ. "Einer meiner Forschungsschwerpunkte", erzählt Thomas Wenderoth, "ist die Farbgestaltung in historischen Gebäuden. Daher gingen mir die Punkte in Rathsberg nie aus dem Kopf."

Diese gepunktete Küche befindet sich in einem Diespecker Wohnhaus. In der ersten Etage gibt es eine weitere Küche und eine Heizkammer mit der gleichen Wandgestaltung.  
Diespeck, Wohnhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Diese gepunktete Küche befindet sich in einem Diespecker Wohnhaus. In der ersten Etage gibt es eine weitere Küche und eine Heizkammer mit der gleichen Wandgestaltung.

Erst fünf Jahre später stieß er auf die gepunktete Küche in Diespeck. Die ehemalige Bäckerei hatte gerade neue Besitzer bekommen, die die mehrfach übertünchten Küchenwände und -decken untersuchen ließen. Restauratoren stießen dabei auf die bauzeitliche Farbfassung mit den roten Punkten und zeigten sie Thomas Wenderoth.

Er konnte bislang elf mit Punkten versehene Küchen in Franken nachweisen. Sie stammen aus der Zeit zwischen 1700 und etwa 1850. "Dabei hat", so Wenderoth, "diese spezielle Gestaltung keine soziale Komponente. Man findet sie in den Küchen der Patrizier genauso wie in denen des Bürgertums und der sogenannten kleinen Leute." Doch eines ist den Räumen gemein: Sie dienten überwiegend als Küchen und als Heizkammern, waren also mit Öfen ausgestattet. Ob die Maler wohl dachten, dass die fröhlichen Farbtupfen die Wände trotz schneller Verrußung länger ansehnlich halten würden?

Illusionistische Fliesengestaltung in der Küche vom Jagdschloss Eyerlohe 
Jagdschloss Eyerlohe © Thomas Wenderoth, München
Illusionistische Fliesengestaltung in der Küche vom Jagdschloss Eyerlohe

Meistens handelt es sich um rote Punkte auf weißem Grund, manchmal wechseln sich graue und rote ab, in anderen Küchen gibt es wiederum graue oder rote auf gelbem Putz. Sie sind häufig unregelmäßig angeordnet, haben im selben Raum aber immer denselben Durchmesser. Von Objekt zu Objekt variiert ihre Größe allerdings, beträgt ihr Umfang mal drei und mal zehn Zentimeter. Er richtet sich nach der Breite des Pinsels, mit dem sie aufgetragen wurden. Die Maler arbeiteten nicht mit Schablonen, sondern tauchten die Pinsel in die Farbe, setzten sie auf die Wand, drehten sie um die eigene Achse - und fertig war der Punkt.

Thomas Wenderoth hat eine Idee, wo sich die Maler die Raumgestaltung abgeschaut haben könnten: Die Küchenwände und -decken im 1778 errichteten Jagdschloss Eyerlohe - es befindet sich seit 2009 im Fränkischen Freilandmuseum von Bad Windsheim - sind vollständig mit illusionistisch gemalten Fliesen bedeckt. Von weitem betrachtet, sehen die Sterne, die der unbekannte Maler in regelmäßigen Abständen aufgetragen hat, wie Punkte aus. Die Gestaltung erinnert an niederländische Keramikfliesen, mit denen die Wände von Küchen und Speisezimmern in Schlössern bis heute geschmückt sind. Doch die teuren Fayencen konnten sich nur wenige leisten und wählten daher eine kostengünstigere Variante aus gemalten Fliesen oder mit Tupfen.

Dieses Haus mit seiner gepunkteten Fassade steht in Klingenhof. Der Ort gehört zu Offenhausen.  
Klingenhof, Wohnhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Dieses Haus mit seiner gepunkteten Fassade steht in Klingenhof. Der Ort gehört zu Offenhausen.

Sein "gepunktetes Auge" ist mittlerweile so geschult, dass Thomas Wenderoth nicht mehr zu seinen Außenterminen fahren kann, ohne sich Häuser auch unter diesem Aspekt ganz genau zu betrachten. Im Nürnberger Land entdeckte er mehrere Fassaden, die mit bunten Tupfen bedeckt sind. Die Gebäude stammen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es könnte daher sein, dass sich die Handwerker durch ältere Küchenausmalungen inspirieren ließen. Die eigentlichen Vorbilder hierfür sind jedoch in der barockzeitlichen Mode der Jaspirierung zu sehen, einem Verfahren, bei dem Farbspritzer auf einer einfarbigen Fassadenoberfläche aufgetragen werden. "Die Fassadengestaltung unterliegt immer einem Bedürfnis zu repräsentieren. Dieser Aspekt spielt bei den gepunkteten Küchen sicher keine Rolle, denn die dazugehörigen Haupträume wurden nicht ausgeschmückt", fand der Denkmalpfleger heraus.

Er war sich sicher, dass es gepunktete Küchen deutschlandweit gibt, das Phänomen jedoch noch nicht erkannt wurde. "Wenn man Farbfassungen analysiert, dafür ein Sichtfenster anlegt und einen einzelnen Punkt entdeckt, hält man diesen vermutlich für einen Schmutzfleck."

Der Impressionist Hugo Friedrich Hartmann hat auf seiner Gouache um 1910 eine mit weißen Kreisen gestaltete Herdwand im niedersächsischen Bardowick festgehalten.  
Gouache um 1910, Hugo Friedrich Hartmann © Gudrun Barnbeck, Lüneburg
Der Impressionist Hugo Friedrich Hartmann hat auf seiner Gouache um 1910 eine mit weißen Kreisen gestaltete Herdwand im niedersächsischen Bardowick festgehalten.

Er weiß mittlerweile, dass gepunktete Küchen keine ausschließlich fränkische Eigenart sind. Im Juni 2008 hörte er bei einer Tagung im Freilandmuseum Bad Windsheim einen Vortrag über bemalte Herdwände in Niederdeutschen Hallenhäusern. Auf einigen historischen Aufnahmen von Fletten, die der niedersächsische Arzt und Hausforscher Dr. Dr. Wolfgang Dörfler zeigte, ist ebenfalls eine farbige Gestaltung zu erkennen. Diese Wohn- und Wirtschaftsräume waren besonders aufwendig geschmückt, weil sich die Bauernfamilien dort oft aufhielten. Vor allem auf den Herdwänden, die am meisten Ruß aus den Öfen abbekamen, befanden sich zum Teil farbenfrohe Muster, darunter auch solche mit Kreisen und Punkten.

"Bekanntlich sieht man nur, was man weiß, so dass mir der Zusammenhang erst im Nachhinein klar wurde", erzählt Thomas Wenderoth. Denn die Tagung fand statt, bevor ihm die Punkte in der Diespecker Küche gezeigt wurden. Als wir Redakteurinnen seinen Artikel in der Zeitschrift des bayerischen Landesamtes lasen, dachten wir zunächst, es handele sich um einen Aprilscherz - bis wir näher in das Thema einstiegen und entschieden, Sie an der farbenfrohen Geschichte teilhaben zu lassen.

Carola Nathan

Der diesjährige Tag des offenen Denkmals steht unter dem Motto "Farbe" und findet am 14. September 2014 statt. Das Haus mit den gepunkteten Küchen in Diespeck, Bamberger Straße 22, und das Freilandmuseum in Bad Windsheim werden geöffnet sein.

Oberkonservator Thomas Wenderoth freut sich über die Nennung weiterer gepunkteter Küchen: thomas.wenderoth@blfd.bayern.de

Weitere Infos im WWW:

www.freilandmuseum.de

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2 Kommentare

Lesen Sie 2  Kommentare anderer Leser

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    Romana Görlich schrieb am 04.04.2016 10:18 Uhr

    Das Phänomen ist doch leicht zu erklären: In der Küche spritzt so manches Mal etwas beim Kochen an die Wand. Wenn dort viele andere Punkte sind, stören die zusätzlichen Spritzer nicht so.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Sven Bucher schrieb am 31.10.2019 14:02 Uhr

    Das gepunktete Design sieht wirklich super aus. Hätte ich lediglich davon gehört ohne Bilder zu sehen, hätte ich nicht gedacht, dass sowas heutzutage noch als ästhetisch empfunden werden kann. Für die Küche sieht es klasse aus, aber für die Hausfassade würde ich es nicht unbedingt wählen. Vielen Dank!

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