August 2014

Die Johanneskirche in Wusterhusen muss gestützt werden

Der Wackelkandidat

Vernagelt zu sein, ist unschön. Das gilt für Menschen wie für Kunstwerke. Doch der Altar in Wusterhusens Johanneskirche überlebte genau deshalb die Jahrhunderte.

Weil die Vielfalt der Szenen aus dem Leben Annas und Marias nach der Reformation unpassend erschien und daraufhin die Altarflügel zugenagelt wurden, blieb die Malerei der Innenseiten fast unversehrt - den Blicken, aber auch den Einflüssen der Umwelt entzogen. 1963 entdeckte man sie bei einer Restaurierung. Die Darstellungen auf der Außenseite des um 1510 entstandenen Altars hatten indes stark gelitten - Verbannung als Glücksfall.

Die Johanneskirche durchziehen gefährliche Risse. Die Wände haben sich verschoben.  
Wusterhusen, Johanneskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Johanneskirche durchziehen gefährliche Risse. Die Wände haben sich verschoben.

Solche positiven Momente hatte die 1271 geweihte Kirche, die zunächst ein Saalbau war und später zur dreischiffigen Halle umgebaut wurde, bis dahin nur wenige. Schon im Dreißigjährigen Krieg wurde sie schwer beschädigt. Das nördliche Seitenschiff stürzte ein. Es wurde schmaler und ohne Wölbung wiederaufgebaut. Dadurch entstand ein ungleiches Kräfteverhältnis. Jetzt ziehen sich - als Spätfolge - Risse durch die Kirche. Dies trifft besonders den Triumphbogen, der den ursprünglichen Saal vom Chor trennte. Die Architekten, die das Bauwerk untersuchten, stellten fest, dass die Lasten aus der Dachkonstruktion direkt in den Triumphbogen hineingetragen werden, wodurch der Bogen an Standsicherheit verliert. Seit Jahren verschiebt und verformt er sich, ebenso wie das angrenzende Gewölbe des Mittelschiffs. Auffällig sind die Risse in den Gewölbekappen parallel zur Längsachse des südlichen Seiten- und des Mittelschiffs, teilweise sogar in den Rippen. All dies ist alarmierend.

Als die Kirche durch Seitenschiffe erweitert wurde, berücksichtigte niemand die für die erforderliche Aufnahme von Zugkräften notwendigen Anschlüsse der Deckenbalken oberhalb der Gewölbe. Dadurch bewirken die Schubkräfte der Dachsparren und der Gewölbe, dass das äußere Mauerwerk unter starken Druck gerät und sich verschiebt. Bei dem nach dem Einsturz neu errichteten nördlichen Seitenschiff fehlen die Deckenbalken. Selbst die später hinzugefügten schweren Strebepfeiler können das Missverhältnis der Kräfte nicht ausgleichen. Hier ist es deutlich zu sehen: Ein Bauwerk ist mehr als die Summe seiner Teile. Greift man in das Spiel der Kräfte ein, entstehen im Laufe der Zeit schwere Schäden. Der Verfall schreitet voran. Auch die Reparaturen ab 1996 und dann wieder ab 2002 konnten das nicht verhindern. Es geht nun ans Eingemachte. Die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht übertünchen, sie brechen unter dem Kalk hervor. Auch die Empore an der Nordseite ist nicht mehr tragfähig und musste abgesperrt werden.

Schaut man näher hin, werden die Schäden deutlich. Die Wände verschieben sich.  
Wusterhusen, Johanneskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Schaut man näher hin, werden die Schäden deutlich. Die Wände verschieben sich.

Glücklicherweise können die Wusterhusener ihre Kirche noch nutzen. Darauf legen die Pastorin Katrin Krüger und ihre Gemeindemitglieder großen Wert. Sie haben das Schiff und die morschen Emporen hinter sich gelassen und sind mit den Stühlen nah an den Chor und den barock umge-stalteten Altar herangerückt. Umgeben von den Schätzen des Mittelalters, den Malereien am Triumphbogen und dem mächtigen Taufstein aus dem 13. Jahrhundert, sowie flankiert von einem anrührenden Taufengel-Torso in der Nische und einer barocken Kanzel aus Holz. Selbst inmitten bröckelnder Farbe, Schimmelflecken, Algen und bizarr geformter Risse lässt sich in der Kirche Gottesdienst feiern. Die Akustik ist so gut, dass sowohl klassische Konzerte gegeben werden als auch Gospelchöre hier auftreten - und dies nicht allein zur Freude der hier beheimateten Menschen, sondern auch für die Urlauber im nur drei Kilometer entfernten Badeort Lubmin. Schließlich gibt es in Wusterhusen eine wertvolle Orgel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die von Carl August Buchholz aus Berlin gefertigt wurde. Es stehen in den Sommermonaten Chor- und Bläserkonzerte auf dem Programm sowie Kirchenführungen. In der benachbarten Petrikirche von Lubmin, die eine der ganz wenigen während der DDR-Zeit errichteten Kirchen ist, gastieren Liedermacher, Folk-Interpreten und Kammermusiker.

Farbtupfer und Handwerksleistung: das Sterngewölbe der Johanneskirche in Wusterhusen  
Wusterhusen, Johanneskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Farbtupfer und Handwerksleistung: das Sterngewölbe der Johanneskirche in Wusterhusen

Lubmin, Wusterhusen und Spandowerhagen wurden kürzlich eine Pfarrgemeinde. Die neue Pastorin begreift dies als Chance, mehr Menschen zu ihren Veranstaltungen zu holen und eine größere Gemeinschaft während der Gottesdienste zu bilden. Um schon einmal enger zusammenzukommen, kann das Ende April fertig restaurierte barocke Pfarrhaus in Wusterhusen behilflich sein. Dort wohnt die Pastorin Katrin Krüger nicht nur, es gibt auch genügend Raum für Treffen und für Chorproben, außerdem zwei weitere Wohnungen und das Karl-Lappe-Zentrum. Im Pfarrhaus wurde 1773 der pommersche Lyriker Karl Gottlieb Lappe, dessen Gedichte Beethoven und Schubert vertonten, als jüngster Sohn des damaligen Pfarrers geboren. Dieser Freund des Romantikers Philipp Otto Runge wurde durch eine Dauerausstellung wieder in Erinnerung gerufen.

Eine aktive Gemeinde kümmert sich darum, Historisches am Leben zu halten und Aufkeimendes zu fördern. Das ehemalige Fischerdorf Lubmin, das sich zu einem attraktiven Seebad entwickelte, und der alte Handwerkerort Wusterhusen im Landesinneren unterhalten beispielsweise einen Künstlerstammtisch. In der Kirche stellen die Maler regelmäßig ihre Bilder aus.

Die Zeichen stehen also auf Hoffnung. Dennoch muss sofort gehandelt werden. Damit die wertvolle Ausstattung, allen voran der farbenprächtige und reich dekorierte Altaraufsatz - im Kern ein mittelalterlicher Altarblock - dauerhaft erhalten bleiben kann, muss sich die Gemeinde mit der Standsicherheit der Kirche auseinandersetzen. Der Anfang durch das Gutachten der Architekten ist gemacht. Nun müssen Taten folgen, Risse ausgekeilt und "verpresst", der Dachtuhl für die Kraftaufnahme muss ergänzt, der Putz erneuert werden.

Wenn eine Situation aussichtslos oder bedrohlich erscheint, hilft oft ein Blick nach oben: Wer auf die farbig gefassten, liebevoll gearbeiteten Gewölberippen schaut, sieht, dass die Zukunft der Kirche nicht grau und hoffnungslos sein kann. Dieses Wunder der Konstruktion, obwohl verschoben, verzerrt und aus dem Lot geraten, hält immer noch stand und strahlt in satten Farben Zuversicht aus.

Christiane Schillig

Info:
Dienstags und donnerstags Kirchenführungen von Siegfried Winkler mit einer Besteigung des mächtigen Kirchturms.

© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Seitenflügel des Altars waren lange zusammengenagelt und die Innenseiten sind deshalb gut erhalten.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Die Johanneskirche in Richtung Chor mit ihrem wertvollen mittelalterlichen Altar
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Der Blick zur Orgel von Carl August Buchholz aus Berlin
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Ausstattungsstücke wie dieses Gemälde warten gleichfalls darauf, restauriert zu werden.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Schaut man in die Ecken der Kirche, verblassen die Malereien. Algen und Feuchtigkeit stechen hervor.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Der Teufel steckt im Detail. Hier werden Schäden deutlich sichtbar.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Auch dieser hölzerne Taufengel muss konserviert werden.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Künstler gibt die Szenen aus dem Marienleben so wieder, als hätten sie sich zu seiner Zeit – im Jahrzehnt der Reformation – abgespielt.
 
 
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Seitenflügel des Altars waren lange zusammengenagelt und die Innenseiten sind deshalb gut erhalten.
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Die Johanneskirche in Richtung Chor mit ihrem wertvollen mittelalterlichen Altar
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Der Blick zur Orgel von Carl August Buchholz aus Berlin
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Ausstattungsstücke wie dieses Gemälde warten gleichfalls darauf, restauriert zu werden.
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Schaut man in die Ecken der Kirche, verblassen die Malereien. Algen und Feuchtigkeit stechen hervor.
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Der Teufel steckt im Detail. Hier werden Schäden deutlich sichtbar.
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Auch dieser hölzerne Taufengel muss konserviert werden.
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Der Künstler gibt die Szenen aus dem Marienleben so wieder, als hätten sie sich zu seiner Zeit – im Jahrzehnt der Reformation – abgespielt.
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