Kleine und große Kirchen Gotik Juni 2014
Als bürgerliche Stiftung dient das Lübecker Heiligen-Geist-Hospital seit dem 13. Jahrhundert als Altenheim. Mit seiner Geschichte und Ausstattung stellt es ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung dar. Die gotische Schaufront muss allerdings dringend gesichert werden.
Bettenreihen taten sich hinter dem gotischen Lettner auf. Dort, wo mit dem Chor normalerweise der liturgisch wichtigste Bereich eines Gotteshauses liegt, wurde geschlafen, gegessen - aber auch gebetet. Im Lübecker Heiligen-Geist-Hospital schloss sich die Hospitalhalle direkt an das Mittelschiff der Kirche an. Die Alten und Kranken, die seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert hier versorgt wurden, waren bei jeder Messe präsent. Umgekehrt konnten durch diese ungewöhnliche Raumfolge selbst Bettlägerige zumindest akustisch am Gottesdienst teilnehmen. Der Wohnbereich der Hospitaliten und der Sakralraum bildeten eine Einheit: Besser konnte man christliche Caritas nicht in Architektur überführen.
Das Heiligen-Geist-Hospital wurde wohl bereits 1227 durch den Rat der Stadt gegründet und zählt damit zu den ältesten kommunalen Sozialeinrichtungen in Europa. Seit fast 800 Jahren steht es für den bemerkenswerten Bürgersinn der Hansestadt.
Im 13. Jahrhundert war Lübeck eine florierende Handelsstadt mit selbstbewusster Bürgerschaft. Während verarmte oder hilfsbedürftige Menschen auf dem Land meist von ihren Familien aufgefangen wurden, funktionierte dies in den rasch wachsenden Städten immer seltener. Vielerorts entstanden Häuser für die Armen- und Krankenpflege. Besonders die Ritterorden, versiert durch ihre Pilgerhilfe bei den Kreuzzügen, ebneten den Weg für zahlreiche Hospitalgründungen unter städtischer Regie.
Es gab noch einen weiteren Ansporn, den sozialen Missständen nicht tatenlos zuzusehen. Die Menschen des Hoch- und Spätmittelalters beherrschte die Angst vor der ewigen Verdammnis. Die Sorge um Bedürftige war auch durch die Sorge um das eigene Seelenheil motiviert: Denn wem Fürsorge zuteil wurde, der war zu Fürbitten für seine Wohltäter verpflichtet.
Als Lübecker Ratsherren und Kaufleute am Klingenberg ein erstes Hospital für alte, kranke oder verarmte Mitmenschen einrichten wollten, zogen sie mit diesem karitativen Akt prompt den Unmut der Kurie auf sich. Ein "Heilig-Geist-Haus" unter weltlicher Führung war ein Affront gegen das Domkapitel. Neben der leiblichen Versorgung der Bewohner kümmerte sich der Rat selbstverständlich ebenso um die geistliche und wollte einen Priester berufen. Darüber kam es zu einem erbitterten Streit mit dem Bischof, der seine Oberhoheit gewahrt wissen wollte und nicht bereit war, auf sein Einsetzungsrecht zu verzichten.
Die Patrizier unterstellten das Haus daraufhin dem Deutschen Orden, der nicht nur hinreichend bewandert in der Krankenpflege und Armenfürsorge war, sondern vor allem enge Beziehungen zur Stadt Lübeck hatte. Nach jahrelangem Hin und Her akzeptierte man schließlich die geistliche Aufsicht des Bischofs. Ein Priester durfte einziehen und die Heilige Messe lesen. Im Gegenzug wurden die Hospitaliten verpflichtet, "sich eines löblichen Lebenswandels im Hause des Herrn" zu befleißigen und nach der Ordensregel der Johanniter zu leben.
1263 erließ Bischof Johann III. eine ausführliche Ordnung für das Hospital. Wer über Besitz verfügte, musste sein gesamtes Vermögen dem Haus übergeben und bekam dafür Kost und Kleidung auf Lebenszeit zugesichert. Die Brüder und Schwestern sollten wie in einer Ordensgemeinschaft zusammenleben, einheitliche Kleider aus ungefärbter Wolle tragen und gemeinsame Mahlzeiten einnehmen. Selbst Eheleute mussten sich zur Keuschheit verpflichten und getrennt in der Männer- und Frauenreihe schlafen. Wer es sich leisten konnte, durfte sich allerdings in einer eigenen Kammer im Nebengebäude einrichten.
Für die Wohltäter des Hauses waren zu jeder der sieben Gebetszeiten sieben Vaterunser zu sprechen. Das Heiligen-Geist-Hospital unterstand einem Meister, der aus dem Kreis der Bewohner gewählt wurde und dem Bischof gegenüber zu Gehorsam verpflichtet war. Bei Verstößen gegen die Regel drohten Strafen und körperliche Züchtigung.
Mittlerweile hatte der Rat der Stadt die Verlegung der Einrichtung vom Klingenberg an den Koberg beschlossen und dort mit dem Bau eines größeren Komplexes begonnen. 1286 war das neue, bis heute bestehende Heiligen-Geist-Hospital in wesentlichen Teilen vollendet.
Imposant erhebt sich die dreigiebelige Backsteinfront der Hospitalkirche zum Platz hin, deren Portale mit Schmuckmotiven der frühen Lübecker Backsteingotik versehen sind. Dieser Eindruck setzt sich im Inneren der dreischiffigen, zwei Joch tiefen Hallenkirche fort. Im Lauf der Zeit wurde sie mit Wandmalereien ausgeschmückt. An der Nordwand zeigen zwei monumentale Fresken aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts Christus und Maria auf dem salomonischen Thron sowie die Majestas Domini. Die Hospitalhalle, ein Saalbau mit offenem Dachstuhl, schließt östlich an. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde dieses sogenannte Lange Haus noch um ein Drittel auf 88 Meter verlängert.
In dieser Zeit hat man die Schaufassade wohl auch durch die vier schlanken Sechsecktürme ergänzt. Vergleichbar den späteren Türmen am Lübecker Rathaus oder anderen öffentlichen Gebäuden setzen sie hier einen städtebaulichen Akzent, der politische Aussagekraft hatte: Nach den Querelen mit dem Domkapitel manifestiert sich in dieser Front die wachsende Macht des Rates.
Im Inneren wurde hinter dem steinernen Lettner des Gotteshauses im 15. Jahrhundert eine Trennwand zur Hospitalhalle hin errichtet, so dass man im Mittelschiff ein Sterngewölbe einziehen konnte. Vorher hatte sich die Tonnendecke vom Langen Haus durchgehend bis zur Westwand der Kirche erstreckt. Die Lettnerbrüstung schmückt ein Zyklus zur Elisabethlegende, der um 1440 entstand. Auf 23 Tafelbildern wird die Vita der Heiligen, die sich der Armen- und Krankenpflege verschrieben hatte, besonders ausführlich dargestellt. Mit der Hospitalkirche, ihren Malereien, Schnitzaltären und Skulpturen ist eine besonders reiche und kunsthistorisch bedeutende mittelalterliche Ausstattung überliefert.
Zum Ensemble des Heiligen-Geist-Hospitals gehören verschiedene profane Nebengebäude, die für die Versorgung so vieler Menschen nötig waren. Den wirtschaftlichen Unterhalt der Einrichtung sicherten Grundstücke, Ländereien, Miet- und Pachteinnahmen sowie Anteile an der Lüneburger Saline. Durch geschickte Finanzpolitik wurden Überschüsse erzielt, mit denen neuer Grundbesitz und ganze Landgüter erworben werden konnten. Das Hospital war bestens aufgestellt. Als Sachwalter und Vorsteher fungierten seit der Mitte des 14. Jahrhunderts jeweils die beiden ältesten Bürgermeister der Stadt.
Mit der Reformation wurde das Hospital in ein weltliches Altenheim umgewandelt. Der letzte öffentliche Gottesdienst fand 1806 in der Kirche statt. Um 1820 trennte man sich aus Gründen der Hygiene von den freistehenden Betten: In das Lange Haus wurden hölzerne Hospitalitenkammern eingebaut, weiterhin streng getrennt in einen Männer- und einen Frauengang. 150 Jahre lang boten die "Kabäuschen" den Bewohnern immerhin sechs Quadratmeter Privatsphäre. Erst 1964 gab es einen Aufnahmestopp für die bis zuletzt begehrten Kammern. In den 1970er-Jahren wurden die Nebengebäude des Heiligen-Geist-Hospitals zu einem modernen, städtisch geführten Altenheim umgebaut.
In den folgenden Jahren fanden umfassende archäologische und baugeschichtliche Untersuchungen statt, die Kirche und ihre Ausstattung wurden in mehreren Abschnitten restauriert. Der Sakralbau und das Lange Haus werden seither museal genutzt und locken in den Sommermonaten bis zu 1.000 Besucher pro Tag an. Auch der internationale Kunsthandwerkermarkt in der Vorweihnachtszeit ist ein Publikumsmagnet.
Heute ist das Heiligen-Geist-Hospital eine selbstständige Stiftung, die von der Stadt Lübeck treuhänderisch verwaltet wird. Die Geschichte der Institution ist von einmaliger Kontinuität. Das Denkmal zählt nicht nur zu den ältesten, sondern vor allem zu den besterhaltenen Hospitälern des Mittelalters. Glücklicherweise von Bombentreffern verschont, gehört es zu den wertvollsten Schätzen der Lübecker Altstadt, die 1987 von der Unesco als erstes Flächendenkmal in Deutschland unter Schutz gestellt wurde.
Doch die Schaufront mit ihren Giebeltürmen, über die Jahrhunderte ein Ausdruck von Bürgerstolz, ist buchstäblich ins Wanken geraten. Korrodierte Ankereisen und Witterungsschäden haben fingerdicke Risse verursacht sowie Backstein- und Fugenmaterial abplatzen lassen. Die gravierenden Verformungen der Westfassade sind selbst für Laien ersichtlich: Während der Dachreiter nach Osten kippt, neigen sich die Türme nach Westen. Deren Mauern sind auf fast allen Seiten in voller Höhe gerissen.
Seit dem vergangenen Sommer ist die Westfassade zum Koberg hin eingerüstet, um Passanten vor abgehenden Mörtelbrocken zu schützen und erste Maßnahmen zur Stabilisierung zu ermöglichen. Für eine dauerhafte Sicherung muss das gesamte Mauerwerk vernadelt und neu verfugt werden. Per Kran sollen die Türme jeweils in einem Stück abgenommen, in der Werkstatt repariert und neu eingedeckt werden.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte dazu beitragen, dieses Kulturdenkmal von außerordentlich hohem Rang zu bewahren und bittet um Ihre Hilfe! Das Heiligen-Geist-Hospital konnte so lange bestehen, weil der Gemeinsinn seit dem Mittelalter niemals nachließ und private Zuwendungen nicht versiegten. Jetzt sind sie nötiger denn je. Das Ensemble ist ein großes Pfund im Welterbe Lübecker Altstadt - wuchern lässt sich damit angesichts der baulichen Schäden allerdings nicht.
Bettina Vaupel
Info:
Heiligen-Geist-Hospital, Koberg, 23552 Lübeck. Kirche und Langhaus können täglich außer Mo besichtigt werden: 10-17 Uhr (Sommerzeit), 10-16 Uhr (Winterzeit)
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