Technische Denkmale Gedenkstätten Nach 1945 Juni 2014 G

Am Grünen Band bilden Natur- und Denkmalschutz seit 25 Jahren eine Symbiose

Biotop Grenze

Der Eintritt in die andere Welt, in die Welt der Anderen, befindet sich an einer Autobahnraststätte an der A2, dort, wo auf dem Weg von Hannover nach Berlin oder umgekehrt eigentlich ganz profanen Bedürfnissen nachgegangen wird. Ein eingerüsteter Wachturm, eine Reihe angerosteter Lichtmasten stehen unauffällig an der Seite.

Tristesse in Plastik: die ehemalige Grenzübergangsstelle in Marienborn an der Autobahn Berlin–Hannover 
Marienborn, Gedenkstätte © Roland Rossner
Tristesse in Plastik: die ehemalige Grenzübergangsstelle in Marienborn an der Autobahn Berlin–Hannover

Wer das Auto am Parkplatz Marienborn stehen und das Schnellrestaurant nur wenige Meter hinter sich lässt, findet sich in den Jahren der deutschen Teilung wieder. Hier an der ehemals größten Kontrollstelle der innerdeutschen Grenze stehen noch die Abfertigungshallen für den Transitverkehr, die "Beschauerbrücken" zur LKW-Überprüfung, die sonderbaren Konstruktionen, mit denen per Rohrpost die abgenommenen Pässe zu den Kontrolleuren befördert wurden. Einsam wandert der Besucher durch ein weitläufiges Areal: Erinnerungen an die erniedrigenden Kontrollen für die einen, Gefühl der Hoffnungslosigkeit bei den anderen, die jahrzehntelang niemals auch nur in die Nähe der innerdeutschen Grenze kommen durften. Und mit dem Unverständnis bei den Jüngeren für die so oft beschriebene Beklemmung beim Grenzübertritt angesichts der wackligen und fast lächerlichen Plastikbaracken. Eine Ausstellung, versteckt in einem der hinteren Gebäude, hilft, die wahren Ausmaße zu begreifen: Filme und Fakten klären über das perfide System der Grenzsicherung auf, über die fast 800.000 Antipersonenminen, die Selbstschuss- und Hundelaufanlagen.

Das Grüne Band zeigt sich in unterschiedlichen Formen: als grüner Streifen in Intensivlandwirtschaft (südliches Harzvorland) oder umgekehrt als offene Struktur im Wald (zwischen Werratal und Hainich, siehe Kopfgrafik rechts). 
Südliches Harzvorland © Klaus Leidorf, Buch am Erlbach
Das Grüne Band zeigt sich in unterschiedlichen Formen: als grüner Streifen in Intensivlandwirtschaft (südliches Harzvorland) oder umgekehrt als offene Struktur im Wald (zwischen Werratal und Hainich, siehe Kopfgrafik rechts).

Wie wichtig Erklärungen für manche Denkmale sind, lässt sich kaum deutlicher machen als an diesem Ort. 1990 hatte das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt bewirkt, dass die Demontage gestoppt und die Grenzübergangsstelle unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nur einen kleinen Teilbereich überblickt der Besucher. Die Gesamtausdehnung betrug 35 Hektar, immerhin taten hier einst 1.000 Soldaten ihren Dienst. Neue Konzepte werden überlegt, ein Studentenwettbewerb angeregt, der das ganze Ausmaß erfassbar machen soll. Autos rasen heute unentwegt und ohne erzwungenen Stopp an den Kontrollbaracken der "GÜSt" Marienborn entlang, in diesem Fall ein erfreulicher Lärm für die Ohren. An der übrigen ehemaligen innerdeutschen Grenze soll das pure Gegenteil erwirkt werden, hier gilt das Gebot von Ruhe und Frieden.

Schon im Dezember 1989 taten sich einige weitsichtige Naturschützer aus Ost und West mit der Idee zusammen, die gespenstische Friedhofsstille am "Eisernen Vorhang" in ein Naturparadies voller Leben zu verwandeln. Im Schutz von Mauer und Stacheldraht - Zonenrandgebiet auf westlicher und Sperrgebiet auf östlicher Seite - hatte sich jahrzehntelang auf nahezu 1.400 Kilometern Länge ein fast ungestörter Rückzugsort für Flora und Fauna entwickelt. Diesen und zugleich die Erinnerung an die Teilung zu bewahren, wurde zur Intention: Das "Grüne Band" war geboren.

Maßgeblicher Initiator und bis heute Koordinator des Grünen Bands ist der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), seit 2000 unterstützt vom Bundesamt für Naturschutz. Ziel ist, die wertvollen und vielfältigen Biotope entlang der Grenze von der Ostsee über Elbe, Harz, Rhön, Thüringer Wald bis ins Vogtland in ein möglichst lückenfreies zusammenhängendes System zu bringen: Schon jetzt sind es fast 180 Quadratkilometer wertvolle Naturlandschaft, für die man das Prädikat Nationales Naturmonument überlegt. Genau darin liegt aber auch die Schwierigkeit: in der schieren Größe, in den Hunderten von Eigentümern und Ansprechpartnern und in den verschiedenen Interessen von Landwirtschaft, Straßenbau und Naturschutz. In einigen Abschnitten wechselt alle hundert Meter der Eigentümer. 50 bis 60 Prozent der bundeseigenen Grenzfläche ist an die Länder übertragen worden. Flächen wurden getauscht und zerstückelte Grundstücke zusammengeführt. Mehrere Naturschutzgroßprojekte werden umgesetzt.

25 Jahre nach seinem Beginn ist man mit dem Projekt, den ehemaligen Grenzstreifen als Einheit von Natur, Kultur und jüngerer deutscher Geschichte zu schützen, schon sehr weit gekommen. Zahlreiche Grenzmahnmale, kleine und größere Museen weisen auf die beklemmende Geschichte des 20. Jahrhunderts hin - und drohen zusammen mit den vielen Naturschutzprojekten entlang des Grünen Bands bald den interessierten Besucher zu verwirren. Zur Orientierung wurden im Rahmen eines Erprobungsprojekts vier Modellregionen eingerichtet: Thüringer Wald mit Schiefergebirge/Frankenwald, Harz, Eichsfeld und Elbe-Altmark-Wendland. Länderübergreifende Projektleitungen bringen hier die regionalen Verwaltungen und Tourismus-Organisationen zusammen, beraten fachlich, unterstützen mit wissenschaftlicher Arbeit und bieten eine einheitliche Öffentlichkeitsarbeit.

Die Architektur der Wachtürme sollte einen Drohcharakter vermitteln. Hier bei Lenzen auf dem Elbdeich hat sich seine Funktion gewandelt zur Plattform für Natur- und Landschaftsgenuss. 
Lenzen auf dem Elbdeich © Susanne Gerstner, Lenzen
Die Architektur der Wachtürme sollte einen Drohcharakter vermitteln. Hier bei Lenzen auf dem Elbdeich hat sich seine Funktion gewandelt zur Plattform für Natur- und Landschaftsgenuss.

Einst bewacht, heute beschützt

So muss das Reisen entlang des Grünen Bands nicht mühselig sein, ganz im Gegenteil: Burg Lenzen im westlichsten Brandenburg zum Beispiel, wo die Elbe als ehemalige Grenze die Landschaft prägt, bietet sich in vielfacher Weise als Ausgangspunkt für Touren ins Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe an. Die über 1.000-jährige Burganlage in dem hübschen Fachwerkort Lenzen wurde 1993 dem BUND geschenkt. Dieser hat aus ihr - auch mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz - ein Schmuckstück mit Bio-Hotel und Ausstellung über das Grüne Band und die Erlebnisregion entlang der Elbe gemacht.

Neben den zahlreichen Angeboten, die einzigartige Natur zu erleben, sind "Grenzerfahrungspunkte" ausgeschildert: zum Beispiel ehemalige Grenztürme oder Wüstungen, also Relikte von zu DDR-Zeiten geschleiften Ortschaften im Sperrbezirk. Oder auch das Bauernhaus Pauli vor dem Deich an der Elbe im Marschhufendorf Unbesandten. Die Elbe als Grenze war unerreichbar, auch für die Bewohner der direkt anliegenden Höfe. Das streng überwachte Sperrgebiet konnte nur mit Passierschein betreten werden. Die wenigen nicht von dort vertriebenen Anwohner mussten vor Sonnenuntergang ins Haus und durften erst eine Stunde nach Sonnenaufgang wieder heraus. Aus Angst vor einer Kontaktaufnahme zur niedersächsischen Seite war es strengstens verboten, in den oberen Stockwerken abends Licht einzuschalten. Leerstehende Gehöfte verfielen oder wurden abgerissen.

Das Bauernhaus der Familie Pauli in Unbesandten, heute idyllisch hinterm Elbdeich gelegen, befand sich jahrzehntelang im strikten Grenz-Sperrbezirk und wurde nur durch Zufall nicht abgerissen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte die engagierte Restaurierung. 
Unbesandten, Bauernhaus © Margot Pauli – Bauernhaus Pauli, Unbesandten
Das Bauernhaus der Familie Pauli in Unbesandten, heute idyllisch hinterm Elbdeich gelegen, befand sich jahrzehntelang im strikten Grenz-Sperrbezirk und wurde nur durch Zufall nicht abgerissen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte die engagierte Restaurierung.

Das Bauernhaus Pauli von 1755 überstand trotz Leerstand durch Zufall die Zeiten. 1996 von der Familie Pauli erworben, entfaltete es sich dank großem Idealismus, viel Muskelkraft und durch die Förderung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz wieder zu einem stattlichen reetgedeckten niederdeutschen Hallenhaus. Das Gebäude als Denkmal - und seine heute herrliche Lage am Fluss -, die Streuobstwiese mit historischen Apfelsorten und die Schafzuchtherde an sich sind schon einen Besuch wert. Dazu kommt die von den Paulis mühselig zusammengetragene Ausstellung "ÜberLeben im Sperrgebiet". Nicht untypisch - und umso wichtiger - ist es, dass "Zugezogene" das ansonsten oft ignorierte Thema aufarbeiten. Und es zeigt sich, dass bei dem großen Projekt Geschichtsbewahrung am Grünen Band Wissenschaftler in staatlich geförderten Museen Hand in Hand mit privat Engagierten arbeiten müssen. Anders sind 1.400 Kilometer deutsch-deutsche Geschichte nicht zu bewältigen.

Naturschutzturm nennt sich der ehemalige Wachturm an der Berliner Grenze seit nun fast 25 Jahren. Viele Berliner und Brandenburger Kinder haben hier schon die Natur kennen- und Geschichte gelernt. 
Berlin, Wachturm © Heike Weißapfel, Oranienburger Generalanzeiger
Naturschutzturm nennt sich der ehemalige Wachturm an der Berliner Grenze seit nun fast 25 Jahren. Viele Berliner und Brandenburger Kinder haben hier schon die Natur kennen- und Geschichte gelernt.

25 Jahre nach der Grenzöffnung ist es besonders wichtig, die jüngere Generation anzusprechen, die die Teilung nicht mehr selbst erlebt hat. Die ehemalige Grenze in Berlin gehört zwar nicht direkt zum Projekt Grünes Band, fügt ihm aber noch einige Kilometer deutsche Grenzgeschichte hinzu. Hier, am Berliner Stadtrand in Hohen Neuendorf, gibt es ein besonders schönes Beispiel der Verknüpfung von Naturschutz und Geschichtsvermittlung, vom Zusammenwachsen von Hier und Drüben: Zwei Biologielehrer, Helga Garduhn und Marian Przybilla, setzten sich jahrelang auf jeweils ihrer Seite der Mauer dafür ein, Brandenburger beziehungsweise Berliner Kindern die Natur nahezubringen. Nach der Wende lernten sie sich kennen und taten sich in einer Initiative zusammen. Auf der Suche nach einer neuen Bleibe stießen sie mit ihrer Waldjugend auf den ehemaligen Grenzturm Hohen Neuendorf/Berlin-Frohnau, der nach unkomplizierten Verhandlungen mit dem gerade noch existierenden Grenzregiment übereignet wurde. Das geschah trotz aufwühlender Zeiten ganz korrekt mit Vermerk im Übernahmeprotokoll: "Garantieleistungen, -Ersatzteillieferungen und Instandsetzungen werden durch die Übergebenden nicht gewährt."

Der Berg Junkerkuppe in Thüringen von Hessen aus gesehen 1984 und 2013. 
Junkerkuppe Thüringen © Jürgen Ritter, Barum
Der Berg Junkerkuppe in Thüringen von Hessen aus gesehen 1984 und 2013.

Seit 1990 erleben die Kinder dort mit den beiden Lehrern aktiv Natur und lernen ebenso aktiv Geschichte. Mittlerweile Teil des Berliner Projekts Mauerweg, waren sie die Ersten, die sich um das Gedenken an die getöteten Flüchtlinge und um die Erhaltung des unbequemen Denkmals Grenzturm inklusive seiner Bunkeranlagen gekümmert haben. Immerhin stehen nur noch ganze vier der ehemals 300 Grenztürme rund um Berlin. Zigtausende Bäume haben sie auf dem lebensfeindlichen Überwachungs-Sandstreifen entlang der ehemaligen Grenze gepflanzt. Eine Bürgerinitiative hat das benachbarte, zu Zeiten der Teilung mühsam trockengelegte Hertha-Moor wieder zu einem Kleinbiotop gemacht. Die Beschäftigung mit dem Grenzturm ist längst altersübergreifend geworden. Ein weiteres Mal ist aus einer Privatinitiative ein großes Ganzes entstanden.

Die Öffnung der Grenze

Von Berlin wieder zurück zum Grünen Band. "Böser Ort" nennt sich eine Biegung der Elbe unweit von Lenzen. Hier führte man eines der erwähnten Naturschutzgroßprojekte durch: Der Elbdeich wurde um bis zu 1,3 Kilometer zurückverlegt und damit 420 Hektar Überschwemmungsfläche geschaffen. Eine Million Sandsäcke benötigte man beim Elbe-Hochwasser 2002. 2013 keinen einzigen, und doch gab es keine überfluteten Orte. Der alte Deich - und damit die frühere, bis an die Zähne bewachte Grenze - existiert noch, allerdings versehen mit einigen Schlitzen, durch die bei ansteigendem Pegel das Wasser laufen kann. Durch die Öffnung entstand in den Elbauen neues Leben: Auenwälder, Feuchtwiesen und sogar eine Herde Wildpferde sind zu bestaunen. Ein böser Ort? Das ist glücklicherweise lange her.

Beatrice Härig


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