April 2014
Im thüringischen Ohrdruf stehen die Bürger vor einem ungewollten Neuanfang: Ihr Schloss Ehrenstein, eine wertvolle Renaissanceanlage, stand unmittelbar vor dem Abschluss der Sanierung, als ein Feuer zwei Flügel schwer beschädigte.
Erst im vergangenem Herbst wurde im Museum Schloss Ehrenstein in Ohrdruf ein neuer Ausstellungsbereich eröffnet. Im Dachgeschoss des Ostflügels konnten sich die Besucher in ein wichtiges Kapitel der Stadtgeschichte vertiefen: Ohrdruf zur Kaiserzeit, wirtschaftlich florierend durch den preußischen Truppenübungsplatz, wurde anhand von Modellen vergegenwärtigt. Der Clou an den im Maßstab 1:50 nachgebauten Häusern: Die Dächer ließen sich abnehmen und gaben den Blick frei auf das Innenleben.
Die Ausstellung existierte nur wenige Wochen. Am 26. November 2013 zerstörte ein Großbrand Teile des Schlosses, der Ausstattung und der Exponate. Die realen Bilder haben die der Miniaturwelt auf schreckliche Weise eingeholt: Nach dem Verlust des Dachgeschosses kann man von oben in die Räume des Ostflügels schauen - wie in eine überdimensionierte, verkohlte Puppenstube.
Mit der einstigen Residenz der Grafen von Gleichen, einer der wenigen erhaltenen Vierflügelanlagen der Renaissance in Thüringen, traf es Ohrdrufs größten Schatz.
Allerletzte Arbeiten an der Südostecke sollten die Sanierung des Bauwerks abschließen. Dabei löste ein verhängnisvoller Funke einen Schwelbrand im Dachstuhl aus, der zu spät entdeckt wurde. Ausgerechnet Techniker, die die Brandmelder zu installieren hatten, bemerkten zwei Stunden später Qualm und Feuergeruch. Dann ging alles rasend schnell. Innerhalb kürzester Zeit loderten die Flammen meterhoch empor.
Die herbeieilenden Menschen mussten ohnmächtig mitansehen, wie das gesamte Dach des Südflügels förmlich explodierte. Der Staub der Vergangenheit, der uraltes Holz umhüllte, war ein viel zu guter Brandbeschleuniger. Hunderte Feuerwehrleute aus dem gesamten Umland kämpften, unterstützt von Bundeswehr und Technischem Hilfswerk, gegen das Feuer an. Selbst nach fünf Tagen gab es immer noch Glutnester.
Binnen zwei Stunden hatten sich die Flammen durch das Herz von Ohrdruf gefressen. Die traurige Bilanz: Zwei Flügel sind ausgebrannt, im Südflügel wurden sämtliche Geschossdecken und ein Renaissancegiebel zerstört. Dort verloren zwei Familien mit ihren Wohnungen auch ihr gesamtes Hab und Gut. Dass der erst 2013 sanierte Turm standhielt, ist seiner neuen, brandschutzbedingten Stahlkonstruktion zu verdanken. Die stählerne Treppe ist absurd weggebogen und vermittelt einen Eindruck von der enormen Hitze. Zwar konnte die Feuerwehr das Übergreifen der Flammen auf den Westflügel stoppen, doch haben Ruß und Löschwasser hier ebenfalls große Schäden angerichtet - besonders schmerzlich für die Barockräume in diesem Museumstrakt. Allein dem Nordflügel mit seinem kostbaren Rokokosaal konnte der Brand außer der Verqualmung nichts anhaben - Glück im Unglück, denn damit blieb auch das Stadtarchiv erhalten.
Die Stadtbibliothek hingegen fiel dem Inferno zum Opfer, auch das Museum hat erhebliche Verluste zu beklagen. Viele Ausstellungsstücke und Dokumente sind verbrannt. Ein wichtiger Teil der Sammlung war der Geschichte der Ohrdrufer Porzellan- und Spielwarenindustrie gewidmet. In der Stadt wurde einst das Fellschaukelpferd erfunden, wurden Porzellanpuppen, Puppenstuben, Kasperletheater und Holzspielzeug hergestellt. Um 1900 lieferten Ohrdrufer Firmen Spielwaren in die ganze Welt. Auch der Musikerfamilie Bach hatte man in mehreren Räumen gedacht: Johann Christoph wirkte ab 1690 als Organist an der Michaeliskirche. Nach dem Tod der Eltern nahm er seinen jüngeren Bruder Johann Sebastian bei sich auf, der fünf Jahre das Ohrdrufer Lyzeum besuchte.
Dass nicht alles verloren ging, ist der Tatkraft der Museumsleute und vieler Helfer zu verdanken: Bis zum letzten Moment, bis die Feuerwehr ihnen den Zutritt verbieten musste, haben sie alles heraus- und in Sicherheit gebracht, was sie nur tragen konnten.
"Schloss Ehrenstein ist für uns das, was die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek für die Weimarer ist!" Bürgermeisterin Marion Hopf scheut den Vergleich mit der berühmten Institution nicht, die 2004 ebenfalls einem Großfeuer zum Opfer fiel. Dort sollten die Sanierungsmaßnahmen gerade beginnen - hier waren sie so gut wie beendet. Fassungslos und weinend standen die Bürger in den ersten Tagen vor der Brandruine. Die Katastrophe hat den Ohrdrufern zugesetzt. Die Menschen hängen auch deswegen so an ihrem Schloss Ehrenstein, weil sie vor vier Jahrzehnten schon einmal - gegen alle Widerstände - für die Rettung des geschichtsträchtigen Ensembles gekämpft haben.
Graf Georg II. von Gleichen hatte die Anlage um den rechteckigen Ehrenhof ab 1550 von der Steinmetzfamilie Kirchhof als repräsentatives Residenzschloss mit reichem Dekor errichten lassen. Der Bau erfolgte an der Stelle eines Klosters aus dem 8. Jahrhundert, das 980 zu einem Chorherrenstift erweitert worden war - frühmittelalterliche Reste sind im Nordflügel bis heute sichtbar. Im 17. Jahrhundert fiel das Schloss an die Grafen zu Hohenlohe, die ab 1760 Umbauten im Barockstil durchführten. 1869 verkaufte die Familie die Grafschaft Gleichen mit der Stadt Ohrdruf an den Gothaischen Staat. Im Schloss wurde ein Realgymnasium eingerichtet und das Landratsamt untergebracht. 1936 stellte man Räume für das Heimatmuseum zur Verfügung.
Ab 1956 nutzten sowjetische Truppen das Schloss für Wohn- und Schulzwecke. Als sie 1971 abzogen, hinterließen sie einen völlig verwahrlosten und desolaten Bau. Schloss Ehrenstein, das in besseren Zeiten als eines der schönsten Schlösser Mitteldeutschlands gerühmt wurde, war dem Untergang geweiht. Glücklicherweise konnte der Abriss durch Bürgerengagement verhindert werden. Die Interessengemeinschaft Schloss Ehrenstein e. V. trat unermüdlich dafür ein, das Ensemble zu bewahren und zu einem kulturellen Zentrum auszubauen. Die Mitglieder führten in den folgenden 20 Jahren zahlreiche Maßnahmen zur baulichen Sicherung in Eigeninitiative durch.
Ab 1990 wurde die Anlage im Innen- und Außenbereich Schritt für Schritt saniert. Die Stadt, die das Schloss nach der Wende vom Land Thüringen übernommen hatte, trieb die Maßnahmen stetig voran. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz steuerte 1997-2001 für die Instandsetzung mehrerer Renaissancegiebel über 120.000 Euro bei. Ende 2013 sollte alles fertig sein. Als am 4. Dezember der neu angelegte Schlosspark eingeweiht wurde, glich der Gang durch die Rabatten einem Trauerzug. Gut eine Woche nach dem Brand saß der Schock allen noch tief in den Knochen. Museums- und Archivleiter Peter Cramer, Mitgründer der Interessengemeinschaft und ein Mann der ersten Stunde, steht vor dem Torso seines Lebenswerkes: "Eigentlich wollte ich zu meiner Pensionierung 2015 alles perfekt übergeben."
Dass Schloss Ehrenstein ein zweites Mal gerettet werden muss, steht außer Frage. Von vielen Seiten kam unkomplizierte, aber nachhaltige Amtshilfe: Die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten stellte ein mobiles Wetterdach zur Verfügung, mit dem der Ostflügel während der Bauarbeiten geschützt werden kann. Die Stiftung Schloss Friedenstein in Gotha hat Fachrestauratoren vorbeigeschickt, die prüfen, ob und wie Möbel, Porzellanteile und andere Exponate des Museums zu bewahren sind. Das Landesdenkmalamt Thüringen hat Unterstützung, vor allem bei der Sanierung der Renaissanceportale, zugesichert. Auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz startete sofort einen Spendenaufruf.
Selbst in den Räumen, die nicht in Flammen, aber im Löschwasser standen, sind Decken und Wände aufgebrochen worden, um Schimmelbildung zu verhindern. Der Südflügel ist am schlimmsten betroffen. Da sich beim Einstürzen der Geschossdecken die Innenwände mit den Außenwänden verkeilt haben, muss er komplett entkernt werden. Dafür wurde an beiden Seiten eine stützende Stahlkonstruktion errichtet. Solche Maßnahmen, so unabdingbar sie sind, machen den Wiederaufbau noch aufwendiger. Schon jetzt ist abzusehen, dass nicht alle Schäden durch die Versicherungsleistungen abgedeckt werden.
Bauamtsleiter Peter Meinung wünscht sich, bis Ende 2014 die Dächer wiederherstellen zu können. Mit etwas Abstand versucht er, aus dem Unglück das Beste zu machen. Man hat jetzt die Möglichkeit, für die ausgebrannten Bereiche ein neues Raumkonzept zu entwickeln, bestimmte Details könnten aufgewertet werden. Vor dem Brand waren Bauuntersuchungen im Gange, bei denen barocke Farbfassungen aus der Zeit um 1735 entdeckt wurden. Diese Spuren sollen weiterverfolgt werden. Auch ließen sich die Ergebnisse der archäologischen Grabungen in ein neu geordnetes Museum integrieren.
Doch das alles ist Zukunftsmusik. Erst einmal bedeuten der Brand und die Sperrung der Anlage natürlich einen herben Einschnitt. Sowohl für die Bürger als auch für Touristen war Schloss Ehrenstein ein wichtiger Anlaufpunkt. Als Sehenswürdigkeit wird es bis auf Weiteres aus den Broschüren der Region verschwinden, wie Kulturamtsleiter Manfred Ständer bedauert. Der Rokokosaal im Nordflügel war als stilvolles Trauzimmer gefragt - jetzt sind alle Hochzeiten abgesagt. Ein Paar hat die Eheschließung kurzerhand verschoben. Nicht aus Zweifeln, sondern aus dem sicheren Gefühl: Wir halten daran fest, uns genau hier das Ja-Wort zu geben. Könnte es ein schöneres Signal an die Ohrdrufer geben? Die Trauer um den Verlust wird der Vorfreude auf das wiedererstehende Kulturdenkmal weichen. Bitte helfen Sie mit, dass sich diese Hoffnung erfüllt!
Bettina Vaupel
Literatur:
Manfred Ständer: Schloss Ehrenstein in Ohrdruf 1964 bis 2014. Sutton Verlag, Erfurt 2014. ISBN 978-3-95400-369-3, 120 S., 19,99 Euro.
Hartmut Ellrich: Ohrdruf Stadtführer. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2015. ISBN 978-3-7319-0161-7, 32 S., 7,95 Euro.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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