Berlin-Falkenberg, Gartenstadt © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
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Berlin-Falkenberg, Gartenstadt © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn

Interviews und Statements Februar 2014

Interview mit Claudia Templin

Welterbe-Siedlungen der Berliner Moderne

Lange Wartelisten gibt es für die Wohnungen der Berliner Siedlungen. Claudia Templin von der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 erklärt den genossenschaftlichen Gedanken und den Charme dieser denkmalgeschützten Wohnviertel.

MO: Die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Wie leben die genossenschaftlichen Reformideen weiter? Was ist heute der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten?

Claudia Templin: Nach wie vor fühlen wir uns dem genossenschaftlichen Gedanken verpflichtet.

Die Versorgung unserer Mieter, die durch Erwerb von Genossenschaftsanteilen Mitglieder und -eigner sind, mit Wohnraum steht mit an erster Stelle. In den nächsten Jahren werden wir deshalb rund 500 Wohnungen errichten. Die Weiterentwicklung einer Genossenschaft hängt natürlich auch von dem Engagement ihrer Mitglieder ab. Unsere Mitglieder können sich in den Siedlungsausschüssen, als Beirat, in der Vertreterversammlung und im Aufsichtsrat engagieren. Gemeinschaftliche Unternehmungen wie Hoffeste und Ausflüge haben eine über hundertjährige Tradition bei uns und werden von den Bewohnern gern angenommen. Den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitglieder angepasste Wohnprojekte, unser Concierge-Service, Kinderbetreuung, Gästewohnungen zeigen auch, dass der Gedanke der Genossenschaft bei uns weitergelebt wird.

Häuserzeile der Gartenstadt Falkenberg, auch "Tuschkastensiedlung" genannt 
Berlin-Falkenberg, Gartenstadt © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Häuserzeile der Gartenstadt Falkenberg, auch "Tuschkastensiedlung" genannt

MO: Wie viele Wohnungen verwaltet die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892? Wie viele davon zählen zum Welterbe und wie viele stehen unter Denkmalschutz?

Claudia Templin: Der Genossenschaft mit ihren gut 12.900 Mitgliedern gehören, verteilt auf 22 Siedlungen, rund 6.500 Wohnungen in Berlin und Brandenburg. Davon stehen knapp 3.000 Wohnungen in zehn Siedlungen unter Denkmalschutz. Die Gartenstadt Falkenberg und die Siedlung Schillerpark mit zusammen 570 Wohnungen sind zwei der sechs Welterbe-Siedlungen der Berliner Moderne.

MO: Welche Vorteile hat es für die Struktur einer unter Denkmalschutz stehenden Siedlung, wenn sie genossenschaftlich organisiert ist?

Claudia Templin: Die Gefahr für privatisierte, denkmalgeschützte Siedlungen besteht darin, dass jeder Eigentümer nach seinem Geschmack und Geldbeutel die Gebäude verändern lassen kann. Es werden z. B. Holzfenster gegen Kunststofffenster ausgetauscht, die Fassade wird farblich stark verändert, die Dachdeckung erneuert, oft alles, ohne sich die erforderliche Genehmigung der Denkmalschutzbehörde dafür einzuholen. Um denkmalgerechte Maßnahmen durchführen zu können, benötigt man meist Gutachten und muss Denkmalpflegepläne erstellen. Für Einzeleigentümer ist es sehr aufwendig und auch finanziell stark belastend, solche Gutachten in Auftrag zu geben. Die Genossenschaft hat ihre, inzwischen denkmalgeschützten Siedlungen auf eigenem Grund und Boden selbst errichtet, sie sind also unser generationsübergreifendes Eigentum seit 1892. Wir sehen die Notwendigkeit, diese Siedlungen in ihrer Gesamtheit zu erhalten und haben die finanziellen Möglichkeiten dazu. Die Maßnahmen, die wir durchführen wollen, werden mit den Denkmalschutzbehörden abgestimmt. Für die Behörde ist es auch von Vorteil, dass sie nur eine AnsprechpartnerIn hat, die Genossenschaft.

Eine gewagte Farbgebung: die Kombination von Türkis, orange und rosa 
Berlin-Falkenberg, Gartenstadt © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Eine gewagte Farbgebung: die Kombination von Türkis, orange und rosa

MO: Wer sind Ihre wichtigsten Partner in Fragen der Erhaltung / Modernisierung / energetischen Sanierung der Siedlungen, die unter Denkmalschutz stehen, und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Claudia Templin: Die bezirklichen Denkmalschutzbehörden und Bauämter sind auf jeden Fall unsere Ansprechpartner bei Fragen zu baulichen Maßnahmen in den Siedlungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden von uns von Beginn an bei der Entwicklung eines Projektes beteiligt. Bei unseren Welterbe-Siedlungen wird das Landesdenkmalamt mit einbezogen. Auch ist es seit langer Zeit bei uns üblich, denkmalpflegerische Untersuchungen zu Maßnahmen der Instandhaltung zu erstellen. Wir haben für viele Siedlungen Denkmalpflegepläne, z. B. für die Instandsetzung und Erneuerung von Fenstern. Diese mit den Denkmalämtern abgestimmten Maßnahmenkataloge sind die Grundlagen für die ausführenden Firmen. Wichtig für die Bauabteilung der 1892 sind daneben Architekten und Ingenieure, die sich gern und fachkompetent mit dem Thema Denkmalschutz beschäftigen. Ebenso natürlich die Firmen, die für uns arbeiten und wissen, wie wichtig der sorgsame Umgang mit einem Denkmal ist. Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten funktioniert aufgrund dieser Basis sehr gut.

MO: Seit wann sind Sie für die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 tätig, und wie entwickelte sich ihre Tätigkeit bis zur Arbeit für die Stiftung Weltkulturerbe Gartenstadt Falkenberg und Schillerpark-Siedlung der Berliner Moderne?

Klein aber fein: einer der Balkone der Hoffmannbauten in der Siedlung Schillerpark. Sie befindet sich im Berliner Stadtteil Wedding. 
Berlin, Hoffmannbauten Schillerpark © Holger Herschel, Berlin. Quelle: Dokumentation Deutscher Bauherrenpreis 2013
Klein aber fein: einer der Balkone der Hoffmannbauten in der Siedlung Schillerpark. Sie befindet sich im Berliner Stadtteil Wedding.

Claudia Templin: Ich bin seit knapp 20 Jahren in der Genossenschaft angestellt. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich während dieser Zeit von der Planung bis zur Bauleitung die verschiedensten Projekte betreut. Unsere denkmalgeschützten Gebäude haben mich immer sehr interessiert, ich unterstütze meine Kollegen und auch unsere Bewohner bei Fragen zu unseren Denkmalen. Ende der 1990er-Jahre bekam ich die Chance, die Nominierung der sechs Siedlungen für die Welterbeliste der Unesco innerhalb unserer Genossenschaft mit zu betreuen. 2008 sind zwei Siedlungen in die Welterbe Liste der Unesco aufgenommen worden. Um die Genossenschaft mit den Kosten für den denkmalpflegerischen Mehraufwand bei der Instandhaltung dieser Siedlungen nicht zu belasten, kam die Idee auf, eine Stiftung für unser Welterbe zu gründen. Durch die Stiftung soll es möglich werden, gezielt denkmalpflegerische und substanzerhaltende Maßnahmen finanziell zu unterstützen. Außerdem möchte die Stiftung die Öffentlichkeitsarbeit und die Meinungsbildung fördern. Ich freue mich sehr darüber, dass ich als Mitarbeiterin der Genossenschaft nun auch ehrenamtlich die Stiftung begleiten und die zwei Welterbesiedlungen betreuen kann.

MO: Was bedeutet der Genossenschaft die Auszeichnung mit Preisen für gelungene Restaurierung wie beispielsweise die Verleihung des Deutschen Bauherrenpreises 2013 durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz?

Claudia Templin: Wir sind stolz darauf, dass unser Engagement bei der Entwicklung von innovativen Maßnahmen für die Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden so anerkannt wird. Es zeigt uns, dass der von uns eingeschlagene Weg des "ständigen Dialogs" mit allen an diesem Projekt Beteiligten der richtige Weg ist.

MO: Wie verkraften die Bewohner der Welterbe-Siedlungen das Interesse von Wissenschaftlern und von Touristen aus aller Welt?

Eines der Treppenhäuser in der Berliner Siedlung Schillerpark 
Berlin, Hoffmanbauten Schillerpark © Holger Herschel, Berlin. Quelle: Dokumentation Deutscher Bauherrenpreis 2013
Eines der Treppenhäuser in der Berliner Siedlung Schillerpark

Claudia Templin: In den Siedlungen leben viele Bewohner schon seit langer Zeit - sogar schon in der zweiten oder dritten Generation. Sie kennen es, dass Menschen mit Kameras durch die Siedlung schlendern und fotografieren und auch, dass so mancher Tourist unangemeldet im Garten steht. Nach dem Motto: "Ich will doch nur mal ganz kurz gucken…". Auch sind Filmteams aus der ganzen Welt nicht unbekannt. Wir weisen Besuchergruppen, Reiseleiter oder Filmteams immer darauf hin, dass die Privatsphäre der Bewohner gewahrt bleiben muss und bitten um Rücksichtnahme. Im Großen und Ganzen funktioniert das auch gut und unsere Bewohner fühlen sich nicht übermäßig belästigt. Viele Bewohner sind stolz auf "ihre" Siedlung und reden gern mit den Wissenschaftlern, Studenten und Touristen. Es werden Bilder gezeigt und Anekdoten aus der "guten alten Zeit" erzählt, das kann dann auch schon mal bei einer Tasse Kaffee im Garten geschehen.

MO: Wie erklären Sie es sich, dass die Welterbe-Siedlungen, obwohl die Wohnungen und Häuser nicht sehr groß oder besonders komfortabel sind, so begehrt sind und es lange Wartelisten gibt?

Claudia Templin: Ich glaube, dass jeder, der schon einmal in einem Altbau gewohnt hat, weiß, welche Atmosphäre ein altes Haus ausstrahlt. Es erzählt Geschichten. Das Knarren der Dielen erinnert daran, dass seit 100 Jahren dort Menschen hin und her gehen, die abgenutzte Türklinke berichtet vom Öffnen und Schließen der Tür durch viele Hände. Die geringe Größe der Wohnungen und kleine Bäder rücken dabei in den Hintergrund. Auch sind die intelligent geplanten Grundrisse, die Farb und Formensprache der Fassaden, die hohe städtebauliche Qualität der Siedlungen wichtige Argumente, warum unsere von Bruno Taut errichteten Welterbesiedlungen der Berliner Moderne beliebt sind. In Falkenberg sind die zu den Wohnungen gehörenden Gärten gewiss auch ein Argument, warum die Siedlung sehr gefragt ist. Und mitten in der Stadt im Grünen zu wohnen, das ist in der Siedlung Schillerpark möglich. Natürlich setzen wir die Häuser und Wohnungen auch instand und passen sie den Bedürfnissen unserer Bewohner an. Wo es möglich ist, werden u.a. neue Bäder angebaut, wird auf Türschwellen verzichtet, werden energetisch sinnvolle Heizungssysteme installiert und wird die Elektrowohnungsverteilung erneuert.

MO: Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Christiane Schillig.

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1 Kommentare

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    Bernd H.K. Hoffmann schrieb am 21.03.2016 15:56 Uhr

    Dieses Interview hat mich sehr gefreut.

    Ich denke, man geht hier mit dem richtigen, humanen, ökologischen Ansatz im Sinne der Bewohner vor.Möglicherweise wird es aber auch "Modernisierungs"- Fetischisten bei Mietern geben. Gut. Wenn die Aluminiumhaustüren und Plastikfassaden brauchen, werden sie sie woanders massenhaft finden.

    Ich wünsche der Baugesellschaft viel Erfolg und alles Gute auf ihrem Weg!

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