Kurioses Ikonographie Dezember 2013 H
In einer Kathedrale am spanischen Jakobsweg wurde im 15. Jahrhundert ein Hühnerkäfig installiert, der auf ein bekanntes Jakobuswunder verweist. Auch in Deutschland finden sich in vielen Wallfahrerkirchen Darstellungen der Hühnerlegende.
Wer die Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada betritt, muss sich auf ganz weltliche Geräusche gefasst machen. Ein weißer Hahn und eine weiße Henne empfangen die Besucher mit munterem Gegacker. Seit Jahrhunderten werden hier leibhaftige Hühner in einem schmuckvollen Käfig gehalten. In der nordspanischen Kleinstadt am Jakobsweg soll sich das sogenannte Hühnerwunder ereignet haben - eine der bekanntesten Legenden, die mit dem Pilgervater Jakobus verbunden sind.
Die Wallfahrt zur Ruhestätte von Jakobus dem Älteren, der durch König Herodes Agrippa I. in Jerusalem enthauptet wurde, hat eine lange Tradition. Wohl zu Beginn des 9. Jahrhunderts wurde in Galicien ein Grab entdeckt, das man mit dem des Apostels gleichsetzte. Im Zuge dessen manifestierte sich die Vorstellung, Jakobus habe in Spanien gepredigt und seine Gebeine seien dorthin übertragen worden.
Politisch und kirchenpolitisch gefördert, entwickelte sich das Apostelgrab zu dem Pilgerort Santiago de Compostela, der im ausgehenden 9. Jahrhundert auch über die Grenzen Spaniens hinaus bekannt wurde. Unter königlicher und bischöflicher Ägide entstanden neue Kirchen und Herbergen. Im 12. Jahrhundert war Santiago neben Jerusalem und Rom zu einem der drei wichtigsten christlichen Pilgerziele überhaupt avanciert. Vor allem aus Frankreich, Deutschland und Italien strömten Menschen aus allen Ständen, meist in kleinen Gruppen, an das westliche Ende der damaligen Welt. Immer mehr Klöster, Kirchen und Gasthäuser wurden an den Straßen und Pässen errichtet.
Die Reise zum Grab des Jakobus versprach Heilung von Leib und Seele, war mal Bitt- und mal Bußgang oder der Dank für die Erhörung der Gebete. Sie war aber auch ein Wagnis: Die einschlägigen Pilgerführer warnten vor den Gefahren für die Gesundheit und vor betrügerischen Wirten, Händlern oder Fährleuten.
Immerhin stärkten die zahlreichen Wundererzählungen bei den Wallfahrern den Glauben, unter dem besonderen Schutz der Heiligen zu stehen - so auch die Galgen- oder Hühnerlegende, die seit dem 12. Jahrhundert schriftlich belegt ist. Im Liber Sancti Jacobi, einer umfangreichen Handschriftensammlung, die auch einen Pilgerführer enthält, führt sie die Jakobus zugeschriebenen Mirakel an.
Auf einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela soll sich folgendes zugetragen haben: Eine deutsche Familie machte Rast in einer Herberge. Der hinterhältige Wirt schmuggelte einen wertvollen Becher in das Gepäck der Reisenden und bezichtigte sie des Diebstahls. Der Richter sprach den Sohn schuldig und ließ ihn hängen. Als die Eltern nach 36 Tagen aus Compostela zurückkehrten, fanden sie ihren Sohn lebend am Galgen - Jakobus hatte ihn die ganze Zeit gestützt. Der zu Unrecht Verurteilte wurde vom Galgen genommen, an seiner Stelle hängte man den Wirt.
Im 15. Jahrhundert wurde die Geschichte weiter ausgeschmückt: Nun war es die Wirtstochter, die den Betrug vollzog. Sie hatte sich in den Sohn verliebt und ihn verführen wollen. Weil der keusche junge Mann standhaft blieb, versteckte sie den Becher aus Rache. In den jüngeren Versionen kamen dann die Hühner ins Spiel: Nach dem freudigen Wiedersehen eilten die Eltern zum Richter und erzählten, dass ihr Sohn noch lebe. Der Richter wehrte ungläubig ab und deutete auf seinen Tisch: "Euer Sohn ist so lebendig wie diese gebratenen Hühner hier." Prompt flatterten die Tiere empor.
In verschiedenen Varianten fand die Legende weite Verbreitung. Mal fliegen die Brathähnchen vom Teller des Richters, mal vom Spieß in der Küche des Wirtes. Während sich die Begebenheit zuerst in Toulouse abgespielt haben sollte, wurde sie schließlich in Santo Domingo de la Calzada angesiedelt. Das Wunder des gehängten deutschen Pilgers ging in die Volksliteratur der europäischen Länder ein und war auch in der Kunst ein beliebtes Motiv. Vor allem in den Jakobus geweihten Kirchen und Kapellen am Weg wurde die Hühnerlegende auf Wandmalereien, Glasfenstern oder Altarbildern gezeigt.
Ein prominentes Beispiel ist der Zwölf-Boten-Altar, den Friedrich Herlin 1466 für die Wallfahrerkirche St. Jakob in Rothenburg ob der Tauber geschaffen hat. Auf den Rückseiten der Flügel malte Herlin einen Jakobus-Zyklus, der das Galgenwunder detailreich über fünf Tafeln ausbreitet.
Auch die Schlosskirche St. Jakobus im schwäbischen Winnenden kann mit einer besonders schönen und ausdrucksstarken Darstellung aufwarten. Die Stadt war gleichfalls eine wichtige Station auf dem Jakobsweg, neben dem vom Deutschen Orden errichteten Gotteshaus gab es eine Pilgerherberge. 1520 wurde der große Schnitzaltar aufgestellt, der dem Apostel Jakobus als Pilgervater gewidmet war. Die untere Bildreihe der beiden Flügel erzählt die Hühnerlegende.
Die Santiago-Wallfahrt erlebte zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert ihre Blütezeit, danach war ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Gründe waren vielfältig: Politische Konstellationen, Kriege und Passzwang erschwerten die Reise. Im Zeitalter der Reformation und des Humanismus wurden Reliquienverehrung und Wunderglaube stärker in Frage gestellt. Luthers Kritik am Ablasswesen schloss auch die gängige Praxis der Straftilgung durch die Pilgerfahrt ein. Die Auswüchse der gar nicht frommen Geschäftemacherei am Jakobsweg und die im Spätmittelalter zunehmende Zahl von Verbrechern, die zu einer Strafwallfahrt verurteilt worden waren, verstärkte die Unsicherheit auf dem Jakobsweg.
In der frühen Neuzeit traten andere, regionale Wallfahrtsstätten in den Vordergrund. Teilweise stellte der Besuch den Gläubigen dieselben Gnaden und Ablässe in Aussicht wie der beschwerliche Gang nach Compostela. Die Verlagerung auf lokale Ziele tat aber der Jakobusverehrung keinen Abbruch. Der Apostel blieb immer der Schutzherr aller Pilger, und die Legenden, die sich um ihn ranken, waren weiterhin präsent.
Seit dem 19. Jahrhundert erhielt die Santiago-Wallfahrt neue Impulse, im ausgehenden 20. Jahrhundert kam es zu einer Renaissance ungeahnten Ausmaßes. Heute begegnen sich wieder Menschen unterschiedlichster Nationen auf dem Jakobsweg. Der Camino Francés, der von den Pyrenäen nach Santiago führt, sowie die Hauptwege durch Frankreich zählen zum UNESCO-Welterbe.
Das Wandern auf dem alten christlichen Pilgerpfad ist abermals zu einer Massenbewegung geworden - auch wenn die Sinnsuche heute allgemeiner gefasst ist. Mit den Kunstschätzen am Wegesrand rückt der Heiligenkult um Jakobus, und mit ihm die Hühnerlegende, wieder stärker ins Bewusstsein. In Santo Domingo de la Calzada stehen die Tiere ohnehin im Mittelpunkt: Die Henne gackern und den Hahn krähen zu hören, soll Glück bringen.
Bettina Vaupel
St. Jakob, Klostergasse 15, 91541 Rothenburg ob der Tauber, Tel. 09861 7006-20. Öffnungszeiten: Januar bis März u. Nov. 10 bis 12 und 14 bis 16, April bis Okt. 9 bis 17.15, Dez. 10 bis 16.45 Uhr.
Schlosskirche Winnenden, Schlossstraße, 71364 Winnenden. Auskunft zu Öffnungszeiten und Sonderführungen zum Hochaltar bei der Kirchenpflege: Tel. 07195 58929-72.
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