Öffentliche Bauten Städte und Ensembles Nach 1945 August 2013
Kulturhäuser spielten eine zentrale Rolle im Leben der DDR-Bürger - teils aus Zwang, teils freiwillig. Wie so vieles war auch die Freizeitgestaltung meist nicht der eigenen Entscheidung überlassen. Trotzdem hat mancher die Veranstaltungen und Feiern in den Kulturhäusern in schöner Erinnerung. Aber eben nicht alle. Bei der Behandlung der Gebäude als Denkmale gibt es deshalb Vorbehalte. Dennoch gilt es, die Kulturhäuser zu bewahren, weil sie einen wichtigen Teil der DDR-Geschichte darstellen.
Das ganze Dorf war auf den Beinen, die Stimmung fröhlich und ausgelassen. Die Feste im Kulturhaus sind manchem trotz des rauen politischen Klimas noch in bester Erinnerung. Nicht nur, weil reichlich Bier und Schnaps flossen. "Bei uns ging alles deftiger und bodenständiger zu", weiß Claudia Stauß, Vorsitzende des Vereins Denkmal Kultur Mestlin, aus den Erzählungen der Mestliner zu berichten. So war es nicht besonders bemerkenswert, wenn nach dem Tanz die Melker und Melkerinnen um ein Uhr nachts an der Garderobe ihre feinen Schuhe mit den Arbeitsstiefeln tauschten, um in den Kuhstall zu gehen.
Kulturhäuser waren in der ehemaligen DDR eine wichtige politisch-kulturelle Stätte für Bildung, Unterhaltung und Geselligkeit. Wie Pilze schossen sie in fast jedem größeren Ort aus dem Boden, meistens gebaut und unterhalten von den volkseigenen Betrieben für ihre Arbeiter. Ohne die Kulturhäuser - die großen Baukomplexe in den Städten nannte man Kulturpaläste - war der von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) initiierte gesellschaftliche Wandel zum neuen Menschenbild "sozialistischer Persönlichkeiten" nicht zu denken.
Ein wesentlicher Faktor der marxistisch-leninistischen Ideologie war, dass zwischen den Werktätigen in der Stadt und auf dem Land keine Unterschiede in Lebensqualität, Kulturbewusstsein und Bildung herrschen sollten. Allerdings kam diese Haltung in der Parteiführung erst später auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man die Aufbaupläne in der Sowjetischen Besatzungszone auf größere Städte und industrielle Anlagen, besonders der Schwerindustrie, konzentriert. An eine Entwicklung des ländlichen Raums war zunächst nicht gedacht.
Dies änderte sich im Juli 1952. Auf der 2. Parteikonferenz der SED verkündete Generalsekretär Walter Ulbricht den "planmäßigen Aufbau des Sozialismus" im von Moskau vorgegebenen Sinne. Dazu gehörte, dass in der Landwirtschaft ähnliche Produktionsmethoden geschaffen werden sollten wie in der Industrie. Bauernhöfe wurden dafür in den Folgejahren zwangskollektiviert und in Genossenschaften zusammengeführt. Um diesem erneuten Umbruch zu entgehen, verließen viele Bauern ihre Höfe und flüchteten in den Westen. Vermeintliche Vorzüge wie Rentenanspruch und geregelte Arbeitszeit überzeugten sie nicht, ihr selbstbestimmtes Leben aufzugeben.
Die neugewonnene Freizeit der Bauern in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) galt es, im Sinne des Systems zu gestalten. Die "Vergesellschaftung der Lebensweise", so ist im Lehrbuch "Wissenschaftlicher Kommunismus" zu lesen, "die vollkommene Organisation der gesellschaftlichen Versorgung befreit die Menschen von den mühevollen Alltagssorgen, die sie von der schöpferischen Tätigkeit abhalten". Einen entscheidenden Beitrag zu dieser Versorgung sollten neue Musterdörfer leisten. 1951 gab das Ministerium für Aufbau Richtlinien heraus, welche Standorte für die sogenannten Beispieldörfer geeignet seien, was sie vorweisen müssten und wie sie zu gestalten seien. Ihnen sollte die Rolle von politischen, sozialen und kulturellen Zentren zufallen. Daher war es wichtig, dass sie an Verkehrsknotenpunkten lagen, deren Einzugsbereich mindestens 1.500 Menschen erfasste.
Diesem Ideal des sozialistischen Zusammenlebens kann man in dem kleinen mecklenburgischen Ort Mestlin noch nachspüren. In dem ehemaligen Gutsdorf, das 2012 sein 700-jähriges Bestehen feierte, wurde ab 1952 ein solches Beispieldorf errichtet. Der damals verarmte, von Tagelöhnern bewohnte Ort liegt günstig an einer Straßenkreuzung, die Schwerin, Malchow, Parchim und Sternberg verbindet, und besaß seit 1949 eine Maschinen-Traktoren-Station (MTS), die landwirtschaftliche Maschinen für die Bauern im Umkreis bereitstellte. Im Zuge der neuen Siedlung gründete man 1952 dort auch eine der frühen LPGs. Das benachbarte Dorf Ruest mit seiner frühgotischen Kirche kann heute als Mahnmal gelten: Im Zuge der Zwangskollektivierung flüchtete der größte Teil der Bauern vor den Repressalien der Genossen. Die neue LPG wurde zwar wegen des Beispielsdorfs vom Staat subventioniert und galt als eine der größten, aber sie erfüllte dennoch nicht die vorgegebenen Ziele des Fünfjahresplans. Insgesamt 197 solcher Musterdörfer waren allein für das heutige Mecklenburg-Vorpommern avisiert. Verwirklicht wurde nur Mestlin - was diesen Ort heute zu einem einzigartigen, als national bedeutend eingestuftes Geschichtszeugnis des gescheiterten Staates macht.
Neben dem alten Ortskern mit seiner Kirche aus dem 14. Jahrhundert und dem ehemaligen Herrenhaus entstand bis 1959 die moderne Siedlung, der die "16 Grundsätze des Städtebaus" zugrunde lagen und die alle Anforderungen erfüllte, um die "Überlegenheit des Sozialismus" zu demonstrieren. Mittelpunkt ist der große Marx-Engels-Platz mit dem beeindruckenden Kulturhaus. An ihm liegen drei zweigeschossige Häuser, in denen Geschäfte, die Gemeindeverwaltung, eine Gastwirtschaft und Wohnungen untergebracht waren. Auch die Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule - heute Grundschule - und der Kindergarten wurden dort angesiedelt. Breite Straßen führen zu weiteren zweigeschossigen Mehrfamilienhäusern, die in von Grünanlagen gesäumten Reihen stehen. Unmittelbar hinter dem Kulturhaus lag für die medizinische Versorgung das Landambulatorium mit dem Pflegeheim sowie der Sportplatz. Die LPG richtete sich mit der MTS in der ehemaligen Gutsanlage ein. So waren die Wege zum "Konsum", zum Bäcker, Friseur oder Schuhmacher, zum Textilgeschäft, zur Post, zur Sparkasse und zur Gastwirtschaft nicht weit. Ebenso wurde die Infrastruktur angepasst. Die Mestliner erhielten Stromversorgung, Kanalisation, Wasserwerk, Feuerwehr und Tankstelle. Alles dies errichtet in dem schlichten, funktionalen Baustil der 1950er Jahre mit Satteldächern und verputzten Fassaden.
Mittendrin das mächtige, repräsentativ gestaltete Kulturhaus, das dem erwünschten Baustil "nationaler Traditionen" für Bauten seiner Art in der DDR entsprach. Eine moderne Architekturauffassung blieb bis zum Beginn der 1960er Jahre verpönt.
Sich an die Vorgaben der Berliner Bauakademie haltend, entwarf der Architekt Erich Bentrup das 57 Meter lange und über 28 Meter breite, zweigeschossige Gebäude, dem er ein mächtiges Walmdach gab. Dabei lehnte er sich in der Gliederung an den barocken Opernbau von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff in Berlin an, wenn auch weitaus weniger prächtig. Zwischen 1954 und 1957 errichtet, präsentiert das Kulturhaus an allen vier Seiten Schaufassaden, die jeweils von einem Portikus mit Architrav betont werden. Zum zentralen Platz tritt er risalitartig vor und wird von einem Dreiecksgiebel bekrönt.
Diese Gestaltung des Eingangs greift der benachbarte langestreckte Schulbau auf, der als ein mindestens ebenso wichtiges Bildungsinstrument des Sozialismus verstanden wurde. Ein Sgrafittobild an der Hauptfassade erzählt von der Unterweisung der Schüler und preist die praktische Arbeit in der Landwirtschaft.
Der Reiz des Kulturhauses lag in seiner Vielfalt: Der große Saal mit vorgelagertem Foyer und Kassenhalle bietet eine perfekt ausgestattete Bühne mit Orchestergraben, so dass er sowohl als Theater- und Veranstaltungssaal als auch als Kino dienen konnte. Für Festivitäten und später als Gastwirtschaft nutzte man einen kleineren Saal, der bis heute Gummisaal heißt, weil der Boden - von der hölzernen Tanzfläche abgesehen - aus Linoleum bestand. Außerdem gab es einen Hörsaal, eine Bibliothek, eine Weinstube, einen Vorführraum, ein Tonstudio, ein Fotolabor sowie mehrere Räume für Büros und Arbeitsgemeinschaften, die Zirkel genannt wurden. In diesen Zirkeln beschäftigten sich Erwachsene, Jugendliche und Kinder zum Beispiel mit Foto- und Handarbeiten, mit Schach oder Basteln, mit Tanz und Gymnastik. Umkleide- und Wirtschaftsräume wie auch eine Hausmeisterwohnung verstanden sich von selbst.
Für die "Erziehung des neuen Menschen" suchte die SED das Bildungsbürgertum einerseits aufzulösen, andererseits übernahm sie im Wesentlichen das bürgerliche Bildungsideal und bereitete es politisch für die "Arbeiterklasse" auf. Tatsächlich nahmen die DDR-Bürger weitaus mehr als die bundesdeutschen am kulturellen Leben teil. Bildungsangebote, politische Aufklärung im Sinne des Sozialismus sowie künstlerische Betätigung und Festivitäten gingen im Kulturhaus Hand in Hand.
Die Menschen besuchten gern Theater- und Konzertgastspiele aus Parchim und Schwerin, darüber hinaus konnten die Mestliner mit eigenen Schauspielgruppen wie dem Pioniertheater aufwarten. Zudem hatten sie im Kulturhaus genügend Platz für ihre Musikkapellen. Politische Parteiveranstaltungen, Jugendweihen und Betriebsfeiern fanden dort ebenso statt wie Maibälle und Erntefeste.
Die anderen Dörfer blickten neidvoll auf das Musterdorf Mestlin, dessen vom Staat gefördertes Kulturprogramm einige Vorzüge aufwies. So präsentierten landesweit bekannte Musikgruppen, wie etwa die Rockband Karat, dort ihr Tournee-Programm, das selbstverständlich von Funktionären begutachtet und genehmigt wurde. "Das Haus war oft bis unter das Dach voll", erzählt Michael-Günther Bölsche, der bis zur Wende stellvertretender Kulturhausleiter war. Ob es dabei den Menschen gelang, den ideologischen Überbau und den Druck des omnipräsenten Staates beiseite zu schieben oder ob sie ihn aus Überzeugung akzeptierten, sei dahingestellt. Platz war so reichlich vorhanden - allein der große Saal fasste mit Konzertbestuhlung 432 Personen -, dass niemand abgewiesen, sondern die Bewohner der Region vielmehr nachdrücklich zur Teilnahme aufgefordert wurden, um das Haus auszulasten.
Heute geht es ruhig in Mestlin zu. Vor allem die jungen Leute sind weggezogen. Die Erwerbstätigen der rund 790 Einwohner sind vorwiegend Pendler. Am Ort gibt es den Nachfolgebetrieb der LPG sowie eine florierende Großgärtnerei. Rund 60 Kinder gehen hier zur Grundschule, an die zwanzig Jungen und Mädchen besuchen den Kindergarten. Bedarf an kulturellen Angeboten, an Flohmärkten, an Theater- und Musikaufführungen ist vorhanden, allein die Räumlichkeiten sind in ihrem jetzigen Zustand schlecht zu nutzen.
Die Wende brachte dem Mestliner Kulturhaus wie den meisten anderen Häusern das Aus. Es fehlt das Geld, sie zu unterhalten. Mit zwei Betreibern erlitt die Gemeinde Schiffbruch. Das Kulturhaus wurde zur Großraumdisco mit Spielhallenangebot umfunktioniert, wobei sehr viel von der ursprünglichen Einrichtung verloren ging. 1996 befand sich das Gebäude in einem sehr desolaten Zustand.
Eine Bürgerinitiative sowie ein 1997 gegründeter Verein nahmen einen ersten Anlauf, das Kulturhaus zu retten und wiederzubeleben. Sie restaurierten den Gummisaal, veranstalteten darin die ersten Trödelmärkte und Gemeindefeste und erreichten, dass im Jahr 2000 mit Hilfe des Landesdenkmalamtes das mächtige Dach und der stählerne Dachstuhl - eine bautechnische Besonderheit - umfassend saniert wurden.
Seit 2008 gehen neue und alte Mitglieder mit dem Nachfolge-Verein Denkmal Kultur Mestlin e. V. die Rettung breitgefächerter an: Sie möchten das ganze Musterdorf-Ensemble erhalten und das Gemeinschafts- und Kulturleben wieder ankurbeln. Die Vorsitzende Claudia Stauß, von Beruf selbständige Bühnenmeisterin und eine Kennerin der Kulturszene, sieht wie ihre Mitstreiter für das Vorhaben gute Chancen. Doch wie immer fehlt das Geld, um das Kernstück des Ensembles, das Kulturhaus, für die Aktivitäten wiederherzustellen. Nicht sein Zustand, sondern seine Größe ist das Problem für den kleinen Ort. Im Frühjahr 2009 wurde das weitläufige Foyer in mehreren Einsätzen mit 30 freiwilligen Helfern renoviert. Auch die sechs Fenstertüren des Großen Saals sind restauriert. Neue Toilettenanlagen und eine Stromversorgung in weiteren Räumen machen das Kulturhaus immer mehr bespielbar. In diesem Jahr steht mit den Außentreppen ein weiteres Restaurierungsprojekt auf dem Plan.
Dennoch sind Signale von außen sind gefragt, damit das Engagement bei den Bürgern nicht aus Enttäuschung wieder abflaut: Vor allem finanzielle Unterstützung ist wichtig. Ein wichtiges Zeichen hat das Schweriner Landesamt für Denkmalpflege gesetzt, das den Denkmalwert des einmaligen "sozialistischen" Dorfensembles hervorhebt. Zudem hat der Bund das Kulturhaus als ein Denkmal von nationaler Bedeutung anerkannt.
Auch für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz besteht kein Zweifel an der Bedeutung dieses historischen Erbes - auch wenn es ideologisch belastet ist und daher zu den unbequemen Denkmalen in Deutschland gehört. Für die Restaurierung der großen Fensterfronten des Kulturhauses stellte sie bereits 20.000 Euro bereit: Ein weiterer Schritt, dem zentralen Gelände wieder ein ansehnliches Aussehen zu verleihen und ein Zeichen, das ambitionierte Ziel des Vereins zu unterstützen.
Damit das Kulturhaus als ein lebendiges Denkmal erhalten bleibt, organisiert der Verein regelmäßig Veranstaltungen: Es probt dort eine Theatergruppe, es gibt den Jugend- und nach wie vor den Frauentag, Erntefeste und Kinderweihnachtsfeiern. Bereits seit sechs Jahren finden mehrwöchige Kunstausstellungen in Zusammenarbeit mit anderen Mecklenburger Kultureinrichtungen statt. Auch MONUMENTE-Reisen finden dorthin statt. Wer das interessante Ensemble besuchen möchte, ist immer willkommen. Die Vereinsmitglieder freuen sich, durch das Denkmal zu führen.
Das rege Interesse an den jetzigen Veranstaltungen zeigt anschaulich, dass ein Bedarf an einem vielfältigen Kulturangebot in Mestlin und Umgebung besteht. Es wäre schön, wenn die Menschen in nicht allzu ferner Zukunft wieder ein regelmäßiges Programm im Kulturhaus Mestlin wahrnehmen könnten - nunmehr jedoch vollkommen freiwillig.
Christiane Rossner
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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