Juni 2013

Der Turm der Kirche von Breesen neigt sich gefährlich

Hilferuf von oben

Wie dramatisch die Lage der Kirche von Breesen im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ist, wusste bis vor kurzem niemand. Der Turm hat die Verbindung mit dem Dach der Kirche verloren. Glücklicherweise gibt es Menschen am Ort, die sich dafür einsetzen, dass die Kirche gerettet wird.

Die Kirche steht nicht mehr auf einem festen Fundament. Ihr Turm hat sich vom Schiff gelöst. 
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Kirche steht nicht mehr auf einem festen Fundament. Ihr Turm hat sich vom Schiff gelöst.

Zweimal läutet die Glocke in Breesen. Dann knackt es im Gebälk. Das geschieht während eines Trauergottesdienstes im Februar 2012. Atemlose Stille. Küsterin Irmgard Schröder läuft zum Turm und schaut nach: Die Glocke klemmt und lässt sich nicht mehr in Bewegung setzen. Sie stürzt zum Glück nicht ab. Alle atmen auf, aber es ist - für absehbare Zeit - ihr letztes Läuten.

Das Ächzen und Stöhnen im Gebälk erscheint im Nachhinein wie ein Hilferuf. Der Turm der Fachwerkkirche in Breesen bei Neubrandenburg steht nicht mehr sicher. Wäre er ein eigener Baukörper, angesetzt statt aufgesattelt, sähe die Lage weniger dramatisch aus. Doch mittlerweile sind die Holzbalken des Dachstuhls morsch, auf denen der Turm ruht. Er kippt gefährlich nach Westen und hat die Verbindung mit dem Dach der Kirche verloren. Durch diesen Spalt und die undichte Turmhaube regnet es in die Kirche hinein. Weil die Last der Turmhaube auf dem Glockenstuhl aufliegt, schwang beim Läuten der ganze Turm mit. Die Kirche geriet buchstäblich ins Wanken. Ohne Hilfe vermag die kleine Gemeinde im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ihr vor dreihundert Jahren errichtetes Gotteshaus nicht wieder gerade zu rücken.

Die Vertreter der Kirchengemeinde, die aus den fünf Orten Breesen, Chemnitz, Pinnow, Zirzow und Woggersin zusammengesetzt ist, ließen im Frühjahr alles stehen und liegen, um sich zuallererst um Breesen zu kümmern. Andere Gotteshäuser wie die bedrohte Fachwerkkirche von Pinnow müssen deshalb nun erst einmal warten.

Bauingenieurin Maxi Ernst, der Kirchenälteste Hartmut Schüler, der zweite Vorsitzende des Fördervereins Jürgen Wozel, die Pastorin Britta Carstensen und Küsterin Irmgard Schröder (v. l.) 
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Bauingenieurin Maxi Ernst, der Kirchenälteste Hartmut Schüler, der zweite Vorsitzende des Fördervereins Jürgen Wozel, die Pastorin Britta Carstensen und Küsterin Irmgard Schröder (v. l.)

Eine solch große Not hatte in Breesen niemand vermutet. Natürlich will man die charmante, in die Landschaft eingebettete Fachwerkkirche mit ihrer glockenförmigen Turmhaube und der bekrönenden Laterne nicht einfach aufgeben. Daher schlugen die Menschen, denen ihre Heimat am Herzen liegt - darunter ein Förderverein, der Bürgermeister, der Kirchengemeinderat und Pastorin Britta Carstensen - Alarm. Sie baten unter anderem beim Kirchenkreis Mecklenburg, beim Land und bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz um Unterstützung.

Das von Erschütterungen heimgesuchte Gotteshaus in Breesen ist ein Sinnbild für die Situation der Kirche in Mecklenburg. Die Kirchengemeinde, in der mehr als 60 Prozent der Menschen älter als 60 Jahre sind und nur etwa 10 Prozent jünger als 30, ist ausgedünnt. Junge Menschen wanderten schon vor Jahren ab, um in den Städten nach Arbeit zu suchen. Sie gründeten ihre Familien anderswo, meist im Westen und Süden unseres Landes. Dort schlugen ihre Kinder Wurzeln. Eine Gegend, die lange Zeit geprägt war durch enge Familienbande zwischen den Generationen, wo das Bleiben positiv und das Gehen negativ belegt waren, hat sich verändert. Die Großeltern blieben allein auf dem Land zurück, und es wurde noch stiller.

Der Verfall sei ein schleichender, berichtet Jürgen Wozel bei einer Zusammenkunft aller Engagierten zur Rettung des Gotteshauses betrübt. Und damit meint er dieses Mal den Zustand des Kirchengebäudes. Wozel ist zweiter Vorsitzender im Kirchengemeinderat und gleichzeitig zweiter Vorsitzender des Fördervereins denkmalgeschützter Kirchen Breesen/Pinnow e. V.

Er setzt sich dafür ein, dass der Fachwerkbau mit Kirchhof, Trauerhalle und Pfarrhaus als Mittelpunkt des 500-Seelen-Dorfes erhalten bleibt, dass er sich nicht mehr weiter beugt und krümmt, schwächer wird und schließlich kollabiert. Von der Kirche soll Hoffnung in die bescheidenen Einfamilienhäuser rundum ausstrahlen. Denn viele halten ihre Türen verschlossen und haben sich aus dem gemeinschaftlichen Leben in ihre vier Wände zurückgezogen.

Die Säule im Kircheninneren kann die Decke mit dem Turm darüber allein nicht mehr stützen. Der defekte Deckenbalken musste unterfangen werden. 
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Säule im Kircheninneren kann die Decke mit dem Turm darüber allein nicht mehr stützen. Der defekte Deckenbalken musste unterfangen werden.

Küsterin Irmgard Schröder, die lange Mitglied des Kirchengemeinderats war, erinnert sich beim Rundgang durch den Innenraum, wie in den 1990er Jahren immer mal wieder Ausbesserungen vorgenommen worden seien, nie aber größere Arbeiten wie eine Dachreparatur. Die Fenster im Chor wurden ausgetauscht, die des Schiffes hingegen blieben aus Geldmangel unangetastet. Zersplitterte und fehlende Scheiben ersetzte man provisorisch durch Folien.

Der Raum wirkt licht und weit, viel größer als von außen vermutet. Seinen trügerischen sonnig-fröhlichen Anstrich erhielt das Gotteshaus gleichfalls nach der politischen Wende. Unter der Farbe, so hoffen die Verantwortlichen, möge das Holz der Ausstattung im Barockstil, ein Altar mit Schranken, die Kanzel, das Kasten-, Pastoren- und Herrschaftgestühl sowie eine kleine Westempore, keine Katastrophen verbergen.

Bauingenieurin Maxi Ernst, die sich in der Region gut auskennt und die Restaurierung mehrerer Kirchen in der Nähe betreute, erklärt die jüngste Hilfskonstruktion im Schiff. Die wuchtige gedrungene Säule allein kann die Decke mit dem Turm darüber nicht mehr stützen. Der defekte Deckenbalken musste im Frühjahr 2012 unterfangen werden, damit die Säule entlastet und die Einsturzgefahr des Turms gebannt ist. An dieser Stelle ist zu sehen, wie die Nässe durchsickerte. Die Notmaßnahme glückte, und die Kirche brauchte nicht gesperrt zu werden. Obwohl es keine Heizung gibt, finden - und das ist ein gutes Zeichen - noch Gottesdienste statt.

Die Idylle trügt: Der kleinen Fachwerkkirche in Breesen muss umgehend geholfen werden. 
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Idylle trügt: Der kleinen Fachwerkkirche in Breesen muss umgehend geholfen werden.

Draußen vor der Tür weist der Kirchenälteste Hartmut Schüler auf die alte Gruftanlage hin. Sie ist eingebrochen, und der aufgetürmte Steinhaufen unter dem einfachen Blechdach, das man zum Schutz darüber errichtete, bietet einen traurigen Anblick. An diesem nördlichen Anbau sind noch Spuren von Putz zu erkennen. Sie erinnern an die DDR-Zeit, als die Dorfkirche wie ein ungeliebtes Kind behandelt wurde, das wenigstens pflegeleicht zu sein hatte, wenn es einem schon zur Last fiel.

Auch die Pastorin macht sich berechtigte Sorgen um den Zustand der Breesener Kirche. Aus Schleswig-Holstein stammend, ist sie erst seit zweieinhalb Jahren im Mecklenburgischen tätig. Seither bemüht sie sich zusammen mit einem Gemeindepädagogen darum, Türen zu öffnen, Vertrauen zu gewinnen und die Menschen in die Nähe der Kirche zurückzuführen. Ein Weg der kleinen, bescheidenen Schritte. Sie freut sich sehr darüber, dass der Förderverein maßgeblich dabei hilft, das Gemeindeleben aktiver zu gestalten. Denn dem Verein liegt nicht nur am Herzen, die Kirche instand zu setzen. In den vergangenen Jahren gelang es Bürgermeister Klaus Noack und Jürgen Wozel, die Menschen an einen gemeinsamen Tisch ins von ihnen liebevoll hergerichtete Pfarrhaus zu bringen. Sie veranstalten Filmabende mit anschließenden Gesprächen bei Wein und einem Imbiss, bieten Ergotherapie für Senioren an, laden zum Schachspiel, zum Tischtennis und zu Ausflügen ein. Alle Beteiligten wissen, dass es nur dann sinnvoll ist, sich für die Rettung des Kirchenbaus einzusetzen, wenn die, die das Leben der Gemeinde mitgestalten, auf andere zugehen. Wenn sie signalisieren, dass die Kirche offen steht, jeder eingeladen ist, der möchte, ohne Grenzen und Bedingungen. Zuversicht kann es an solchen Orten geben, wo sich die, die geblieben sind, zusammentun und gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Turm der Dorfkirche von Breesen neigt sich gefährlich und hat die Verbindung zum Kirchendach verloren.
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Fachwerkkirche von Breesen fügt sich harmonisch in die sie umgebende mecklenburgische Landschaft ein.
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ein Lebenszeichen: Hinter die Dorfkirche von Breesen wurde kürzlich ein Baum gepflanzt, darüber freuen sich Jürgen Wozel vom Förderverein in Breesen und die Küsterin Irmgard Schröder.
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Viel Charme entwickelt der Altar der Dorfkirche von Breesen, wenn durch die hohen Fenster Licht in den Chorraum einfällt.
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
In das freundliche Gesamtbild passt die hölzerne Kanzel der Dorfkirche von Breesen.
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die zersplitterten Fensterscheiben der Dorfkirche in Dreesen wurden notdürftig mit Folien repariert.
 
 
Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der Turm der Dorfkirche von Breesen neigt sich gefährlich und hat die Verbindung zum Kirchendach verloren.
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Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Fachwerkkirche von Breesen fügt sich harmonisch in die sie umgebende mecklenburgische Landschaft ein.
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Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ein Lebenszeichen: Hinter die Dorfkirche von Breesen wurde kürzlich ein Baum gepflanzt, darüber freuen sich Jürgen Wozel vom Förderverein in Breesen und die Küsterin Irmgard Schröder.
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Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Viel Charme entwickelt der Altar der Dorfkirche von Breesen, wenn durch die hohen Fenster Licht in den Chorraum einfällt.
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Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
In das freundliche Gesamtbild passt die hölzerne Kanzel der Dorfkirche von Breesen.
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Breesen, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die zersplitterten Fensterscheiben der Dorfkirche in Dreesen wurden notdürftig mit Folien repariert.
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In Breesen gelingt das. Auch deshalb, weil Bürgermeister Klaus Noack gleichzeitig erster Vorsitzender des Fördervereins ist und sein Stellvertreter ebenfalls im Kirchengemeinderat sitzt. Indem sie eng zusammenarbeiten, wirken sie dem Stillstand entgegen.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz glaubt daran, dass die Menschen in Breesen weiter um ihre Kirche und um eine lebendige Gemeinde kämpfen werden. Deshalb möchte sie ihr Tun unterstützen.

Christiane Schillig

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