Ikonographie Februar 2013 B
Möglicherweise ist es ein Relikt der mittelalterlichen Tradition, dass Brillenträgern bis in die Moderne hinein nachgesagt wird, besonders intelligent und wissend zu sein.
Neugierig staunten die Mönche, als William von Baskerville sein Augenglas hervorholte. Sie wagten jedoch nicht, den fremden Benediktiner über das Gerät zu befragen. Die Szene aus Umberto Ecos "Der Name der Rose" spielt im Jahr 1327. Damals existierte die Brille erst seit ein paar Jahrzehnten und gehörte zu den raffiniertesten, aber noch recht unbekannten Errungenschaften ihrer Zeit. Während heute jeder Zweite eine Brille besitzt, kamen die vereinzelten Träger der damals sehr teuren und aufwendig produzierten Sehhilfen nur aus wohlhabenden Familien und waren meist Gelehrte.
Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts zog die Brille in die Kunst ein. Maler und Bildschnitzer gaben sie den schriftkundigen Aposteln gerne in die Hand. Eine besonders schöne Darstellung befindet sich in Rothenburg ob der Tauber. Auf der Predella des um 1466 von Friedrich Herlin geschaffenen Altars in der Jakobskirche sind die zwölf Apostel dargestellt. Unter ihnen Petrus mit Schlüsselbund und Buch, der seine Nietbrille zum Lesen vor die Augen hält.
Die Antike kannte sowohl das Glas als auch das Phänomen der Lichtbrechung, stellte aber die beiden Voraussetzungen für die Brillenherstellung noch nicht in einen Zusammenhang. Dies geschah um das Jahr 1000 nach Christus, als der arabische Mathematiker und Astronom Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham seinen "Schatz der Optik" verfasste, in dem er erstmals erwähnt, dass ein Gegenstand durch ein gläsernes Kugelsegment vergrößert werden könne. Der Durchbruch ließ jedoch noch 250 Jahre auf sich warten, bis die Mönche des Franziskanerordens das Werk ins Lateinische übersetzten. Erst jetzt verbreitete es sich schnell in geistlichen und weltlichen Gelehrtenkreisen.
Zunächst kamen Lesesteine als Sehhilfen zum Einsatz. Die konvex geschliffenen Halbkugeln aus Glas oder Edelstein wurden auf die Schrift gelegt, um sie zu vergrößern. Die Schaugläser findet man auch auf Vortragekreuze und Reliquiare gesetzt, an denen sie kleine Reliquienpartikel sichtbar machen. Zur bequemeren Handhabung wurden sie bald bikonvex geschliffen. Die unzureichende Wölbung der Linse des Weitsichtigen ausgleichend, zeigten sie die betrachteten Gegenstände in ihren wirklichen Dimensionen. Jedes Auge erhielt ein mit Holz oder Horn eingefasstes Glas. Beide Gläser wurden durch eine Niete miteinander verbunden und konnten so vor die Augen gehalten werden. Um 1500 kamen die bikonkaven Linsen auf, die Kurzsichtigkeit korrigierten.
Die ersten Brillenträger der Geschichte gab es vermutlich in den Klöstern Italiens. Ihre Bewohner waren besonders auf die Korrekturmöglichkeit der Alterssichtigkeit angewiesen, denn Lesen und Schreiben gehörten zu ihren wichtigsten Aufgaben. 1953 entdeckte man unter dem Chorgestühl des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters im niedersächsischen Wienhausen zwei Nietbrillen für Weitsichtige aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Sie sind die ältesten Exemplare, die das Mittelalter überdauert haben und beweisen, dass nicht nur Mönche, sondern auch Nonnen in den Genuss der Sehwerkzeuge kamen.
Weil farbloses Glas nur schwer herzustellen war, verwendete man auch Linsen aus geschliffenem Halbedelstein wie Bergkristall. Die klaren Kristalle erhielten im Mittelalter den Oberbegriff beryllus, dem die Brille ihren Namen verdankt.
Es waren wohl die faszinierenden Eigenschaften der durchsichtigen Steine, für die Zeitgenossen ganz neu und noch wenig bekannt, die sie zum Thema der mittelhochdeutschen Dichtung avancieren ließen, wo sie mit einer eigenen Symbolik besetzt wurden. Im "Jüngeren Titurel" Albrechts von Scharfenberg ist das Herz so klar und rein wie ein Beryll. Wie dieser die Schrift vergrößere, so heißt es in dem Epos aus der Zeit um 1270, habe es die Eigenschaft, die Tugenden wachsen zu lassen. Im Codex Manesse, einer im frühen 14. Jahrhundert zusammengestellten Textsammlung, steht das Brillenglas für das Licht, das die verdunkelte Schrift erleuchtet. Außerdem erwähnt er die spiegelhelle Maria. Für die Menschen tritt sie als Fürsprecherin auf, weil sich deren Seligkeit durch die Sünde verdunkelt habe.
Am Ende des Mittelalters wird die Brille bei Nicolaus Cusanus zur Grundlage für die Erkenntnisschau. In seiner Schrift "De beryllo" von 1458 schreibt er im zweiten Kapitel, dass derjenige, der durch den geschliffenen Beryll hindurchsehe, zuvor Unsichtbares berühre. "Wenn den Augen der Vernunft ein vernunftgemäßer Beryll richtig angepasst wird, wird durch seine Vermittlung der unteilbare Ursprung von allem berührt." Erweitert der Mensch also die Wahrnehmung seiner Augen mit der Brille, so die Idee des Universalgelehrten, verändere er nicht nur seinen optischen Zugang zur Welt, sondern auch seine Haltung zu ihr. Denn bisher verborgene Dinge würden plötzlich sichtbar und erhielten einen tieferen Sinn.
Diese Deutungsmöglichkeiten hatte wohl Friedrich Herlin im Sinn, als er dem Apostel Petrus in Rothenburg ob der Tauber eine Brille in die Hand gab. Auch Conrad von Soest, der 1403 auf dem Altar der Stadtkirche von Bad Wildungen den ersten Brillenapostel nördlich der Alpen zeigte, wird diese Symbolik bekannt gewesen sein. In ihren Bildern nutzen beide Künstler die Brillen, um zu betonen, dass die Apostel gelehrte Träger heiligen Wissens sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Brillenapostel auf dem Marienaltar der Stiftskirche von Bützow in Mecklenburg-Vorpommern. 1503 von dem Schweriner Bischof Konrad Loste in Auftrag gegeben, zeigt ein Bildfeld den Tod der Gottesmutter Maria. An ihrem Bett erscheinen die Apostel, die sich um die Entschlafende gruppiert haben. Auf der rechten Seite ist ein Brillenträger zu erkennen. Seine Sehhilfe, die er sich auf der Nase zurechtrückt, zeigt eine neue Brillenvariante. Während die Nietbrille noch aus zwei übereinander gelegten, instabilen Teilen bestand, sind die Gläser der dargestellten Bügelbrille durch einen Bogen verbunden und können so auf die Nase gesetzt werden. Mit ihr vor Augen schärft der Apostel auf dem Bützower Altar seinen Blick für das Heilsgeschehen, damit er es später offenbaren kann.
Die Idee der Brille als Mittel des Erkenntnisgewinns hat Friedrich Herlin auf seinem Altar für die Jakobskirche an einer anderen Stelle noch einmal aufgegriffen. Allerdings nicht als Attribut eines Apostels, sondern in dem Bild, das die Beschneidung Jesu zeigt. Mit medizinischer Genauigkeit vollzieht der Hohe Priester die rituelle Handlung und nimmt dabei sein Augenglas zur Hilfe - in Erwartung des fließenden Blutes, das das Opferblut des Gekreuzigten ankündigen wird. In St. Jakob gewinnt diese Darstellung ein besonderes Gewicht, denn die Kirche besitzt einen Blutstropfen Jesu. Für die Reliquie wurde 1270 ein Kreuz geschaffen, das Tilman Riemenschneider um 1500 in seinen Heiligblutaltar integrierte.
Möglicherweise ist es ein Relikt der mittelalterlichen Tradition, dass Brillenträgern bis in die Moderne hinein nachgesagt wird, besonders intelligent und wissend zu sein. Mittlerweile gilt die Brille nicht mehr nur als Attribut eines vergeistigten Menschen und ist zu einem allgemeinen modischen Accessoire geworden.
Julia Ricker
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Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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Das die Brille wie wir sie heute kennen bis in die Anfänge des 14. Jahrhunderts reicht, war mir nicht bewusst. Sicherlich hat man schon früher Glas zur Vergrößerung von Objekten, sprich wie eine Lupe, genutzt. Vielen Dank für den historischen Abriss zur Brille!
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