Ikonographie Oktober 2012 F

Zu bemalen an einem Tag

Die Fresken und der nasse Putz

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden fälschlicherweise alle Wand- und Gewölbemalereien als Fresken bezeichnet. In Wirklichkeit trifft der Ausdruck "Fresko" nur auf die Malereien zu, die auf den nassen Putz gemalt sind. Dabei wird dieser von den Pigmenten gewissermaßen durchgefärbt, wodurch eine untrennbare Einheit entsteht.

Deshalb halten echte Fresken auch sehr lange, wie man in Naturns (Südtirol) in der Kirche St. Prokulus erkennen kann. Entstanden am Ende des 8. Jahrhunderts - also vor mehr als 1.200 Jahren - haben sie bis heute ihre Frische bewahrt. Nur wo mit brutaler Gewalt der Putz zerstört wurde, zum Beispiel beim Kopf der mittleren Figur aus der Szene mit der Flucht des Apostels Paulus, gibt es Verluste.

Die echten Fresken in Sankt Prokulus in Naturns (Südtirol) mit der Flucht des Apostels Paulus. 
© Gottfried Kiesow
Die echten Fresken in Sankt Prokulus in Naturns (Südtirol) mit der Flucht des Apostels Paulus.

Ein echtes Fresko entstand in mehreren Arbeitsgängen. Zunächst wurde auf das Mauerwerk der maximal ein Zentimeter dicke Unterputz mit der Kelle aufgetragen. Solange dieser noch einigermaßen feucht war, brachte der Maler darauf die Komposition für sein geplantes Fresko in einer Zeichnung mit dem Rötelstift auf. Über dem Westportal der Kathedrale von Avignon befand sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ein Fresko mit der Darstellung der Madonna zwischen zwei knienden Engeln, geschaffen zwischen 1340 und 1344 von dem berühmten Maler Simone Martini aus Siena. Da das Fresko in der offenen Vorhalle Jahrhunderte lang der Witterung und mechanischen Beschädigungen ausgesetzt war und entsprechend gelitten hatte, entschloss man sich vor rund 50 Jahren, es abzunehmen.

Unter der eigentlichen Malschicht mit dem fertigen Fresko fanden sich drei Vorzeichnungen. Die unterste Vorzeichnung war von Simone Martini direkt auf den Stein gesetzt worden und ist am ursprünglichen Ort verblieben. Die beiden darüber liegenden Vorzeichnungen wurden zusammen mit dem fertigen Fresko in einer speziellen, besonders von italienischen Restauratoren meisterhaft beherrschten Technik abgelöst. Auf neue Bildträger gebracht, hängen sie jetzt im Papstpalast von Avignon und erlauben dem Betrachter, den vom Maler vollzogenen Wandel der Komposition von der Vorzeichnung bis zum fertigen Fresko nachzuvollziehen.

Im zweiten Arbeitsgang wurde ein wenige Millimeter dicker Feinputz für die Fläche eines Tagwerks aufgebracht - das heißt, soviel, wie der Maler noch am selben Tag bemalen konnte. Denn wichtig ist es, dass beim echten Fresko - dem "fresco buono" - der Feinputz noch nass ist. Dann dient der Kalk als Bindemittel und bindet beim Aushärten die direkt aufgetragenen Pigmente. Da diese alkalibeständig sein müssen, wurden überwiegend mineralische Farbstoffe verwendet, die sogenannten Erdfarben. Das war zum Beispiel beim Grün entweder Grüne Erde oder der zu Pulver gemahlene Halbedelstein Malachit, ferner Grünspan, den man durch Übergießen von Kupferspänen mit Essig gewonnen hatte.

Fresko mit der Darstellung der Madonna zwischen zwei knienden Engeln von Simone Martini aus Siena am Westportal der Kathedrale von Avignon. 
© Gottfried Kiesow
Fresko mit der Darstellung der Madonna zwischen zwei knienden Engeln von Simone Martini aus Siena am Westportal der Kathedrale von Avignon.

Für das Blau verwendete man das aus dem Halbedelstein Lapislazuli gewonnene natürliche Ultramarin oder das Azurit, das aus basischem Kupferkarbonat besteht. Da Lapislazuli sehr kostbar war, hat man meist Azurit benutzt, das an sich sehr beständig ist, allerdings auch vergrünen kann, da es sich unter bestimmten Umständen chemisch in das grüne Paratacamit verwandeln kann. So war der Himmel auf den Fresken im Inneren der Basilika S. Piero a Grado bei Pisa ursprünglich blau, erscheint heute aber grün.

Die bereits aus der Antike bekannte Freskotechnik wurde von jeher am besten von den italienischen Malern beherrscht, nördlich der Alpen kommen im Mittelalter echte Fresken relativ selten vor, so beim Dom in Limburg an der Lahn. Zu seiner Weihe 1235 war die gesamte Ausmalung vollendet. Sie besteht aus einem weißen, ebenfalls in Freskotechnik ausgeführten Untergrund mit farbiger Absetzung der Architekturgliederung, ferner aus dekorativen Ornamentbändern mit geometrischen oder floralen Mustern sowie figürlichen Darstellungen, wie dem Kruzifix an der Ostwand des südlichen Querschiffs.

Der Himmel auf den Fesken im Inneren der Basilka S. Piero a Grado bei Pisa war ursprünglich blau, ist heute durch chemische Reaktion jedoch grün. 
© Gottfried Kiesow
Der Himmel auf den Fesken im Inneren der Basilka S. Piero a Grado bei Pisa war ursprünglich blau, ist heute durch chemische Reaktion jedoch grün.

Bis 1749 waren die Fresken ohne Übermalung zu sehen, dann hat sie der modische Spätbarock unter einer geschmäcklerischen Ausmalung in Blau- und Rosatönen verschwinden lassen. Noch dreimal - 1840, 1863-73 und 1934/35 - wurden sie übermalt, bis man sie von 1975 an sorgfältig freigelegt hat. Überwiegend handelt es sich bei den heute sichtbaren Fresken um das mittelalterliche Original, das zu unserer Zeit an keiner Stelle übermalt worden ist. Es mussten lediglich kleinere Fehlstellen in Punktretuschen geschlossen werden. Im heutigen Erscheinungsbild beweist sich die erstaunliche Haltbarkeit des "fresco buono", das über den Zeitraum von 766 Jahren allen Verschmutzungen durch Kerzenruß, Weihrauch, vier Übermalungen und zwei unsachgemäßen Freilegungen widerstanden hat.


Die Mehrzahl der mittelalterlichen Wand- und Gewölbemalereien in Deutschland ist in der Kalksecco-Technik ausgeführt worden. Dabei wurde in den meisten Fällen die Vorzeichnung auf den noch frischen Kalkputz aufgetragen und hat so die Haltbarkeit eines Freskos. Die Ausmalung der Flächen aber erfolgte auf dem bereits trockenen Putz, weshalb man den Begriff Kalksecco-Malerei verwendet. Der Kalk bildet dabei sowohl das weiße Pigment als auch das Bindemittel. Da er aber für die Bindung vorwiegend der dunklen, intensiven Farbpigmente nicht ausreicht, wurde Kasein hinzugefügt. In den meisten Fällen verwendete man Kuhmilch, deren wichtigster Eiweißstoff das Kasein ist.

Fresko an der Ostwand des südlichen Querschiffs im Limburger Dom. 
© Gottfried Kiesow
Fresko an der Ostwand des südlichen Querschiffs im Limburger Dom.

Leider vergeht das organische Bindemittel Kasein im Laufe der Jahrhunderte durch Fäulnis oder durch den Fraß von Kleinlebewesen, so dass es sich vielfach gar nicht mehr chemisch nachweisen lässt. Dann pudert die Kalksecco-Malerei sehr stark, was ihr oft beim nachträglichen Übermalen zum Verhängnis wurde, so zum Beispiel in der Apsis der evangelisch-reformierten Kirche St. Petrus in Eilsum (Ostfriesland). Das sehr qualitätvolle Wandgemälde mit dem thronenden Christus in der Mandorla, Evangelistensymbolen, Heiligen und Aposteln aus der Zeit um 1230-50 wurde bald nach der Reformation unter dem Einfluss der calvinistischen Bilderstürmer übertüncht. Dabei verband sich die neue, nasse Kalktünche mit den pulvernden Farbteilen der Kalksecco-Malerei zu einem negativen Fresko.

Nachdem man aufgrund der durch die Kalkschichten sich abzeichnenden plastischen Nimben auf die verborgene Malerei aufmerksam geworden war, wurde ein Restaurator mit einer partiellen Freilegung in einem Suchgraben beauftragt. Er löste aber im Übereifer gleich weite Partien der Kalkschichten ab. So fand man auf der Rückseite der Kalkschollen die einst deckenden Farbschichten, die damit auf immer verloren waren. Auf dem Malgrund waren nur noch die Vorzeichnung und Teile der farbig ausgelegten Flächen vorhanden.

Vorzeichnung für eine Kalksecco-Malerei in der evangelisch-reformierten Kirche Sankt Petrus in Eilsum (Ostfriesland) aus der Zeit um 1230–50. 
© Gottfried Kiesow
Vorzeichnung für eine Kalksecco-Malerei in der evangelisch-reformierten Kirche Sankt Petrus in Eilsum (Ostfriesland) aus der Zeit um 1230–50.

Ein ähnliches Schicksal haben die meisten mittelalterlichen Kalksecco-Malereien in Deutschland erlitten, die heute nur noch einen schwachen Abglanz der ursprünglichen Farbenpracht zeigen. Das beweisen die Malereien im Erdgeschoss des Westturmes der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul in Eltville (Rheingau). Hier war in der Zeit um 1400 über dem Eingang zum Kirchenschiff ein Wandgemälde mit der Darstellung des "Jüngsten Gerichts" entstanden. Etwa 50 Jahre später zog man - aus welchen Gründen auch immer - ein zweites, tiefer liegendes Gewölbe in den Turmraum ein, wodurch die Malerei für rund 500 Jahre allen Blicken, aber auch allen Quellen der Zerstörung entzogen wurde. Bei der Renovierung des Turmraumes entdeckte man 1961 unterhalb des jüngeren Gewölbes Spuren des Wandgemäldes mit den unteren Teilen der Figuren. Diese zeigten den üblichen morbiden Zustand als Folge von Verschmutzung und Übermalung, wie man bei der Gestalt der Muttergottes am linken unteren Bildrand erkennen kann.

Malereien im Westturm des Erdgeschosses der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul in Eltville. 
© G. Kiesow
Malereien im Westturm des Erdgeschosses der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul in Eltville.

Man schloss zu Recht aus diesen Spuren, dass sich das Wandgemälde oberhalb des nachträglich eingezogenen Gewölbes fortsetzen müsse und brach eine Öffnung ein, durch die man die nahezu unversehrten Kalksecco-Malereien in ihrer ursprünglichen, intensiven Farbenpracht betrachten konnte (Abb. 8). Das jüngere Gewölbe wurde nun völlig beseitigt und seitdem sind die Male­reien wieder sichtbar. Man hat sie nur oberflächlich vom Staub gereinigt und mit Kasein gefestigt. Der eine der Engel mit den Leidenswerkzeugen Christi beweist uns mit dem leuchtenden Gelb seines Gewandes und dem kräftigen Blau der fast impressionistisch mit groben Pinselstrichen hingesetzten Wolke, dass die Kalksecco-Malerei die gleiche Farbintensität wie die gotische Tafelmalerei anstrebte und auch erreichte. Bitte denken Sie, liebe Leserinnen und Leser, deshalb bei der Betrachtung der meisten mittelalterlichen Wand- und Gewölbemalereien daran, dass Sie es nur mit einem ruinösen Zustand zu tun haben, es sei denn, Sie haben ein echtes Fresko entdeckt.

Professor Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow †

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