August 2012
Es gibt Klänge, die Heimat definieren. Sie sind den Menschen so vertraut, dass sie ihnen erst bewusst werden, wenn sie nicht mehr zu hören sind. "Mir fehlen die Glocken!" - wie oft hat Pfarrer Heinrich von Berlepsch den Satz seit dem 3. April dieses Jahres schon gehört. An jenem Tag ging die bedeutende Kirchenburg im thüringischen Walldorf in Flammen auf. Der rußgeschwärzte Kirchturm ist weithin sichtbar, er steht stumm und seiner Haube beraubt. Die fast unversehrt geborgene Laterne und die vier Glocken säumen nun die Dorfstraße, die zur Burganlage hinaufführt. Von Kirchenschiff und Chorbereich existieren nur noch die Außenmauern. Das Dach und der Innenraum mit seinen Doppelemporen aus dem 17. Jahrhundert sind zerstört. Selbst für Ortsfremde ist der Anblick des ausgebrannten Gotteshauses ein Schock: verkohlte Balken, dazwischen hier und da ein paar vom Feuer angefressene Seiten aus den Gesangbüchern. Die Elemente kennen keine Gnade, wenn Kulturgut zu großen Teilen aus trockenem Holz besteht. Nicht einmal die steinernen Epitaphien hielten stand: 1.000 Grad Hitze und Löschwasser haben die Reliefs, die an die örtlichen Adelsfamilien erinnerten, schier pulverisiert.
Die Turmuhr steht auf kurz nach halb fünf. Zu diesem Zeitpunkt, am Nachmittag, wurde dünner Rauch entdeckt, der über das Dach der evangelischen Kirche zog. Doch da tobte im Inneren längst ein Inferno. Die Feuerwehren aus dem Umkreis hatten keine Chance, das schwer zugängliche Gebäude zu retten.
Vor den ersten Räumaktionen boten sich verstörende Bilder, viele Tränen sind geflossen. Der Altar, die Orgel - alles wurde vernichtet. Der hölzerne Christus fiel herab, weil sein Kreuz verbrannte. Wer die verkohlte Figur auf dem Boden liegen sah, wird den Anblick nicht mehr vergessen. Viele Walldorfer finden noch immer keine Worte, um zu beschreiben, was ihnen verlorenging.
Schon im frühen Mittelalter war der Sandsteinfelsen, auf dem die Kirche thront, befestigt. Die Burganlage geht wahrscheinlich auf einen karolingischen Königshof zurück. Nach 1008 wurde sie von den Würzburger Bischöfen ausgebaut. Mit ihren imposanten Bastionen und den Resten des Wehrgangs zählt Walldorf bis heute zu den markantesten Beispielen der vor allem in Südthüringen und Nordfranken verbreiteten Kirchenburgen, die den Dorfbewohnern in kriegerischen Zeiten Schutz boten. Der heutige Kirchenbau wurde 1587 unter Verwendung älterer Teile als Saalkirche errichtet, den einstigen Bergfried funktionierte man dabei zum Westturm um. 1634, mitten im Dreißigjährigen Krieg, brannte die Kirche schon einmal ab. Zwischen 1648 und 1651 wurde die Ruine wieder aufgebaut.
Als Heinrich Freiherr von Berlepsch 1987 die Pfarrstelle in Walldorf antrat, befand sich die Kirche in desolatem Zustand, die einheitliche Innenausstattung der ausklingenden Renaissance wirkte trist und grau. Nach 1991 wurde die Kirchenburg Schritt für Schritt saniert, angefangen mit der Sicherung des Burgbergs und der Instandsetzung der Wehrmauer über die Erneuerung des Kirchendachs und die Restaurierung des Kirchenraums bis hin zu Heizung und Elektrik. 2007 waren die Arbeiten weitgehend abgeschlossen. Lediglich am Mauerwerk des Gotteshauses standen noch einige Reparaturen aus: Die Chormauer, durch die sich ein Riss zieht, galt es zu stabilisieren.
Die Walldorfer waren zu Recht stolz auf ihre nicht nur historisch bedeutende, sondern auch wunderschöne Kirche. In strahlendem Weiß und Gold präsentierte sich der Innenraum mit seinen Doppelemporen. Und nun soll all die Mühe umsonst gewesen sein? Die vor dem Brand aufgenommenen Bilder führen die Tragik schmerzlich vor Augen. Doch der engagierte Pfarrer klagt nicht, sondern verbreitet Aufbruchstimmung: "Wir werden unsere Kirche wieder aufbauen!"
Dem Dorf muss das Gesicht, der Region ein wichtiges Kulturdenkmal zurückgegeben werden. Die Botschaft war von Anfang an klar und gibt den Walldorfern Halt und Mut. Von Berlepsch versteht den Brand als Impuls zum Neuanfang.
Dass die Gemeinde nach vorne blicken kann, ist aber auch der Welle der Solidarität und des Zuspruchs zu verdanken, die sich keineswegs nur auf das Umland beschränkt. Das unmittelbar nach der Katastrophe eingerichtete Spendenkonto kann seither beachtliche Zuwächse verbuchen: von öffentlichen Zuwendungen über private Spenden bis hin zu der des sechsjährigen Oliver, der sein Sparschwein knackte und seine Mutter sehr bestimmt aufforderte, die darin befindlichen 69 Cent an den Walldorfer Pfarrer zu schicken.
Die Planung für den Wiederaufbau hat schon begonnen. Dabei soll sich an der äußeren Gestalt der Walldorfer Kirche nichts ändern. Soweit möglich, werden vorhandene Teile, wie etwa die intakte Laterne, wiederverwendet. Die ersten Notsicherungsmaßnahmen erfolgten unmittelbar nach dem Brand: Der Turm erhielt ein Schutzdach und wurde mit einem Stahlband gesichert.
Nach der Freigabe durch die Staatsanwaltschaft - die Ursache für den Ausbruch des Feuers ist noch nicht geklärt, Brandstiftung konnte jedoch ausgeschlossen werden - wird das Kirchenschiff beräumt. Die kläglichen Reste der Ausstattung können dann gesichert werden. Für den Innenraum strebt man allerdings keine Nachbildung an - dafür ist zu viel unwiederbringlich verlorengegangen. Das Landeskirchenamt in Erfurt will einen Wettbewerb für die Gestaltung ausschreiben. Auch die Gemeinde ist aufgefordert, sich Gedanken zu machen, Ideen und Wünsche zu äußern. Innerhalb der historischen Mauern soll wieder ein Gotteshaus entstehen, in dem sich Altes und Neues würdig verbinden.
Der Wiederaufbau wird ersten Schätzungen zufolge mehrere Millionen Euro kosten. Selbstverständlich hatte man eine Versicherung abgeschlossen, die einen Großteil des Schadens reguliert. Dennoch muss die Kirchengemeinde erhebliche Finanzlöcher stopfen: Der Eigenanteil wird derzeit auf 200.000 Euro geschätzt.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat in diesem Notfall schnelle und unbürokratische Hilfe für das überregional bedeutende Denkmal zugesagt. Sie will Mittel für die Sicherung der Chormauer zur Verfügung stellen. Auch die Evangelische Kirche Mitteldeutschland und der Kreis Schmalkalden-Meiningen sowie die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (KiBa) steuern finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau bei.
Kein einziger Gottesdienst ist ausgefallen seit jenem Unglückstag. Die Gemeinde nutzt den Gottesdienstraum im Altenpflegezentrum, für besondere Anlässe stellen die Nachbargemeinden ihre Kirchen zur Verfügung. Die Sakristei blieb verschont, und mit ihr die Kniebank, die nun ganz besonders in Ehren gehalten wird. Ob bei der diesjährigen Konfirmation, für die man in die Meininger Stadtkirche ausweichen durfte, oder bei Trauungen - die mit grünem Samt bezogene Bank hat Pfarrer von Berlepsch immer dabei. Es sind die kleinen Dinge, an die die Walldorfer sich jetzt klammern.
Die Kirchenburg gehört zu Walldorf, nicht nur als Wahrzeichen. Mit ihr ist eine lebendige Gemeinde und fruchtbare Arbeit mit Kindern verbunden. Das Burggelände diente regelmäßig als Freilichtbühne oder als Zeltplatz für die beliebten Jugendcamps. Glücklicherweise entging die alte Kirchschule aus dem 17. Jahrhundert, die heute als Gemeindehaus dient, dem Feuer.
Die Anlage war immer Zuflucht für die Dorfbewohner - nicht nur in Kriegszeiten. Dass es in den Mauern wieder Leben gibt, ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Schon vor dem Brand war die Walldorfer Kirche von Dohlen, Turmfalken, Mauerseglern und Bienen bevölkert. Erst im März hatte man eine Nisthilfe für Störche installiert. Das in der Kirchenmauer lebende Bienenvolk hat die Katastrophe überstanden und befruchtet weiterhin emsig den Bauerngarten der Kirchenburg. Auch die Dohlen haben den Turm neu besiedelt, sogar seltene Nilgänse besuchen regelmäßig die Burgruine. Pfarrer von Berlepsch liegt viel daran, diese Artenvielfalt zu bewahren und auszubauen.
Den Klang ihrer Kirchenglocken werden die Menschen wohl noch längere Zeit vermissen - bis dahin verbreiten die lauten Rufe der Dohlen Zuversicht.
Bettina Vaupel
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