Öffentliche Bauten Jugendstil / Art Déco Interieur Design April 2012
Die fünf blauen Glasfenster, die in den Berliner Abend leuchten, sind eine Verheißung. Als am 8. Januar 1927 das Renaissance-Theater an der Hardenbergstraße neu eröffnet, überschlagen sich Publikum und Kritiker: Von einem "wahren Schatzkästchen", einem "Feenschlösschen" ist die Rede. Die edle Ausstattung, die warme und intime Atmosphäre zieht alle in ihren Bann.
Der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann hatte ein ehemaliges Vereinshaus von 1901, auf einem spitzwinkligen Eckgrundstück gelegen, geschickt zur Schauspielstätte umgebaut. In den Foyers empfängt den Besucher eine Farbsymphonie aus Weinrot, Lachsrosa und Goldgelb, Ultramarin und Türkis. Kunstvolle Details wie das schmiedeeiserne Treppengitter oder die Türbeschläge entführen in eine andere Welt, lange bevor der Vorhang sich hebt. Den Zuschauerraum bestimmt der geschwungene Rangbalkon, dessen Rückwand mit Intarsien aus edlen Hölzern, Perlmutt und Metalleinlagen versehen ist. Die Entwürfe für die Szenen aus der Commedia dell'arte lieferte der Maler und Bühnenbildner Cesar Klein. Der renommierte Kunsthistoriker Max Osborn stimmt 1928 in den allgemeinen Lobgesang ein: "Überall mischte sich das strenge statische Gefühl der Gegenwart mit der dem Künstler angeborenen Lust an zartem, liebenswürdigem Schmuck des Daseins." Die Handschrift Kaufmanns tituliert er kurzerhand als "expressionistisches Rokoko".
Heute hat der Bau mit seiner vollständig erhaltenen Art Déco-Ausstattung Seltenheitswert. Allerdings hätte in den späten zwanziger Jahren den luxuriösen Dekorationsstil noch niemand so bezeichnet. Die Art und Weise, geradlinige Formen mit intensiven Farben und erlesenen Materialien zu höchster sinnlicher Eleganz zu steigern, erhielt erst Jahrzehnte später einen Namen - obwohl Art Déco in der Zeit zwischen 1918 und 1940 weite Bereiche von Kunsthandwerk und Architektur erfasste. Die Kunstgeschichte tat sich lange schwer mit der Stilrichtung, die sich starren Kriterien entzieht und sich deshalb nicht leicht eingrenzen lässt.
Erst ab 1966 etablierte sich der Begriff Art Déco nach einer Retrospektive in Paris: Die Ausstellung "Les Années 25 - Art Déco, Bauhaus, Stijl, Esprit Nouveau" blickte ihrerseits auf eine bemerkenswerte Pariser Schau des Jahres 1925 zurück. Die "Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes" war die weltweit größte Ausstellung von Kunstgewerbe und Industriedesign in der Zwischenkriegszeit.
Von April bis Oktober präsentierten sich an der Seine neben Frankreich 20 weitere Nationen mit eigens errichteten Pavillons. Frankreich wollte seine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Dekorationsindustrie zurückerobern und einen modernen französischen Stil propagieren. Es war eine krude Mischung unterschiedlichster Richtungen, die dort geboten wurde - oft eine Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch, bei der es nicht um Massenproduktion, sondern vor allem um bürgerliche Repräsentation ging. Kostbare Materialien, veredelte Oberflächen, aufwendige Verarbeitung, dekorative, teils antik, teils exotisch inspirierte Ornamente sollten beweisen, dass die Franzosen immer noch eine Instanz in Gestaltungsfragen waren.
Neben den Exponaten und Raumausstattungen, die man heute den verschiedenen Spielarten des Art Déco zurechnen kann, war auch die Avantgarde vertreten: Mit seinem Sowjetischen Pavillon hatte Konstantin Melnikow ein konstruktivistisches Zeichen gesetzt. Le Corbusiers puristischen Pavillon "Esprit Nouveau" hätten die Veranstalter fast hinter einem Zaun verschwinden lassen.
Die Frage nach dem wahren Stil der Zeit vermochte die Ausstellung kaum zu beantworten. Viel Dekoration, aber wenig Raumkonzepte - das war damals das Fazit der deutschen Kritik. Deutschland selbst war gar nicht vertreten. Doch auch hierzulande kam die Eleganz und Leichtigkeit des Art Déco bei großen Teilen der Bevölkerung gut an.
Die neue Stilrichtung, mit der keine Schule, keine Künstlergruppe und vor allem kein Dogma und keine Sozialutopie verbunden waren, hatte verschiedene Vorläufer. Streng und sinnlich zugleich hatte sie von Paris und Wien aus in der Nachfolge von Art Nouveau und Wiener Werkstätte Kunstgewerbe und Interieur beeinflusst. Die geschwungenen Linien und die organischen Strukturen des Jugendstils waren zunehmend klaren Konturen gewichen. Mit seiner Plakativität und Eindimensionalität, seinen aufgebrochenen Formen war Art Déco ebenso dem Kubismus verpflichtet.
Auch in Deutschland fand die Entwicklung vor dem Hintergrund der Konkurrenz moderner und historischer Stile statt. Für das Kunstgewerbe war die Deutsche Gewerbeschau von 1922 in München wegweisend, die einen geschmacksbildenden Anspruch verfolgte. An der Planung hatte sich maßgeblich der Deutsche Werkbund beteiligt, für die künstlerische Ausgestaltung zeichnete Richard Riemerschmid verantwortlich.
Hierzulande existierten in den zwanziger Jahren verschiedene Richtungen der Architektur und angewandten Kunst nebeneinander: Zwischen Expressionismus, Bauhaus und Neuem Bauen fanden auch die "Arts Décoratifs" ihren Platz. Doch gerade in der Architektur ist Art Déco - früher auch gern als Zick-Zack-Moderne bezeichnet - nicht immer klar vom Expressionismus zu unterscheiden.
Charakteristische Merkmale sind klare geometrische Formen und scharfe Brüche. Die typischen Ornamente des Art Déco setzen sich aus Bögen, Stufen, Winkeln und gezackten Linien zusammen - aufgelockert durch stilisierte Pflanzenmotive wie Agaven oder figürliche Elemente.
Man machte durchaus Anleihen bei historischen Stilen, etwa dem Rokoko oder dem Biedermeier, integrierte die überkommenen Formen aber in einen neuen Zusammenhang. Das Moderne an jener Stilrichtung war die Tendenz zur Collage. Die Ornamente wirken vielfach wie aufgesetzt, und so konnten auch sachliche Formen mit entsprechendem Schmuck spielerisch aufgewertet werden. Es war ein dekoratives Programm, bei dem es vor allem auf die kunstvollen Details ankam. Auch wenn sich manche Gestaltungselemente gleichen: Das große Gedankengebäude, in das die Expressionisten ihre oft monumentalen Entwürfe einstellten, war dem Art Déco fremd. Seine Vorreiter wollten die Welt nicht neu erschaffen, sondern glamouröser machen.
Unterschiedliche Ereignisse und Erscheinungen der Zeitgeschichte haben den Stil mitgeprägt. Bedeutende Entdeckungen nährten die Begeisterung für Exotisches: Nachdem 1922 das Grab des Tutenchamun geöffnet worden war, beflügelte die Pracht der Pharaonen die Künstler. Mit der Erforschung untergegangener Hochkulturen wurde die Stufenpyramide en vogue. Auch die China-Mode der zwanziger Jahre bereicherte den Formenschatz. Bahnbrechende Neuerungen wie Rundfunk und Tonfilm ließen die weite Welt so nah erscheinen, und Jazz gab nicht nur in der Musik den Rhythmus vor.
Art Déco war kein allumfassender Epochenstil und doch zeitgemäß - als Ausdrucksform einer entfesselten Gesellschaft, die sich gern mondän gab. Kein Wunder, dass gerade die Theater und Lichtspielhäuser oder die großen Ozeandampfer den passenden Rahmen boten. Die eleganten Luxusliner, die die HAPAG oder der Norddeutsche Lloyd in den zwanziger Jahren über den Atlantik schickten, gäben heute prächtige Art Déco-Museen ab.
Ein gebautes Museum jener Jahre ist nach seiner Sanierung selbst sein schönstes Exponat: Das Leipziger Grassimuseum beherbergt eine umfangreiche und wertvolle Sammlung angewandter Kunst sowie das Völkerkunde- und das Musikinstrumenten-Museum. Benannt nach dem Bankier Franz Dominic Grassi (1801-80), der der Messestadt ein immenses Vermögen gestiftet hatte, war 1892 das erste Haus eröffnet worden. Als dieses schon nach wenigen Jahrzehnten zu klein geworden war, kam es 1925-29 zum Bau des neuen Grassimuseums am Johannisplatz. Die Architekten Carl William Zweck und Hans Voigt hatten den Gebäudekomplex zusammen mit Stadtbaumeister Hubert Ritter entworfen und eine der originellsten Schöpfungen ihrer Zeit geliefert. Harmonisch aufeinander abgestimmte Schmuckdetails sowohl der Fassade als auch der Innenausstattung zeugen vom souveränen Umgang mit dem neuen Kunststil.
Der bediente jedoch nicht nur das Bürgertum: Als immer mehr Siedlungen in den Vorstädten aus dem Boden schossen, hielt Art Déco - zumindest bei den Fassaden - auch im sozialen Wohnungsbau Einzug. Hauseingänge und Fensterstürze wurden mit plastischen Zickzackmustern, stilisierten Pflanzen und Putti individuell geschmückt. Da die Ornamente auf die Fläche bezogen und vignettenartig zu platzieren waren, ließen sich auf diese Weise auch schlichtere Bauten adeln. Auffällige Farbgestaltungen setzten weitere Akzente.
Art Déco hatte sich schnell verbreitet und in der Zwischenkriegszeit Architektur und Interieur, Porzellan und Glas, Plakat- und Buchkunst, Film und Mode geprägt. In Deutschland und Europa war der Zenit allerdings Ende der zwanziger Jahre überschritten. Eine deutliche Zäsur setzte die Weltwirtschaftskrise. Weitaus länger wirkte der Stil in den USA nach. Die Faszination von Geschwindigkeit und Fortschritt, erste Modelltests im Windkanal hatten eine Form dort besonders populär gemacht: die Stromlinie. Der Streamline Style beherrschte das Design - vom Elektromixer bis zum Wolkenkratzer - bis über die Jahrhundertmitte hinaus.
Art Déco hatte in der Weimarer Republik seinen festen Platz im kulturellen Leben. Der Stil war innovativ, aber nicht revolutionär. Dass er keinen unmittelbaren Beitrag zur Ausprägung der Moderne geleistet hat, verwehrte ihm lange den angemessenen Rang in der Kunstgeschichte. Doch der Weg, den Historismus zu überwinden, war lang und weitverzweigt, und Art Déco repräsentiert eine Etappe.
Es gab kein allein seligmachendes ästhetisches Leitbild in jener Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche. Bauhaus-Wohnzimmer und Art Déco-Salons muteten wie Parallelwelten an. Zugleich kam es zu Überschneidungen, an denen sich die Architekturhistoriker bis heute die Zähne ausbeißen. Da, wo Art Déco auch strenger und der Funktionalismus schmuckfreudiger sein durfte, wo der dekorative Stil expressiv und verwaltender Expressionismus sachlicher wurde, stoßen die Experten mit ihren Stilbegriffen an Grenzen und streiten um die Zuordnung.
Eines ist sicher: Die ornamentfreie Moderne ist ein Mythos. 1908 hatte Adolf Loos in seinem berühmten Pamphlet "Ornament und Verbrechen" jegliche Verzierung als "vergeverwaltenudete Arbeitskraft" und "vergeudetes Material" verteufelt: "Kein Ornament kann heute mehr geboren werden von einem, der auf unserer Kulturstufe lebt." Die Künstler und Architekten des Art Déco haben reichlich Gegenbeispiele geliefert.
Bettina Vaupel
Literatur:
Wolfgang Hocquél und Jill Luise Muessig (Fotos): Art Déco in Leipzig. Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2007, ISBN 978-3-7954-1852-6, 208 S., 34,90 Euro.
Bernd Sikora und Bertram Kober (Fotos): Bauhaus und Art déco. Architektur der Zwanziger Jahre in Leipzig. Edition Leipzig, Leipzig 2008, ISBN 978-3-361-00634-8, 144 S., 9,95 Euro.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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