Oktober 2011

Warum die Menschen von Klein Helle um ihr Gotteshaus kämpfen

Ohne Kirche stirbt das Dorf

Es ist ein einfaches Fachwerk-Kirchlein, das auf einer leichten Erhebung inmitten eines Friedhofs oberhalb des beschaulichen Ortes Klein Helle thront. Das Gotteshaus liegt den Dorfbewohnern am Herzen, weil es eng mit der Geschichte der Menschen, die hier lebten, verwoben ist. Sie errichteten es einst mit ihren eigenen Händen.

Bei unserem Besuch im Juli hatten die Arbeiten an dem Fachwerk-Kirchlein von Klein Helle gerade begonnen.  
Klein-Helle, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Bei unserem Besuch im Juli hatten die Arbeiten an dem Fachwerk-Kirchlein von Klein Helle gerade begonnen.

Der zweite Kirchengemeinderatsvorsitzende Gerd Möller ist glücklich, als er uns, die Nachbarn auf der Straße grüßend, zu "seiner" Kirche führt. Denn sehr lange Zeit musste die zwischen Mecklenburgischer Seenplatte und Neubrandenburg gelegene Gemeinde warten, bis die Instandsetzung des Gebäudes endlich beginnen konnte. Bereits 2004 notgesichert, bot sich den Besuchern ein trauriges Bild: An der nördlichen Außenwand verhinderte ein Stützgerüst das Wegbrechen der mit rostroten Ziegeln ausgefachten Fachwerkkonstruktion. Im Inneren hielten Stahlträger die Decke. Überall befanden sich Risse und feuchte Stellen. Schäden, die auch den mittelalterlichen Altar gefährdeten und die barocke Kanzel, deren Zustand so schlecht ist, dass sie auseinanderzufallen droht. Weil sie keine andere Alternative hatten und ihre Kirche nicht aufgeben wollten, feierten die Dorfbewohner zwischen den Gerüsten weiterhin ihre Gottesdienste.

Der zweite Kirchengemeinderatsvorsitzende Gerd Möller engagiert sich für die Rettung "seiner" Dorfkirche.  
Klein-Helle, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der zweite Kirchengemeinderatsvorsitzende Gerd Möller engagiert sich für die Rettung "seiner" Dorfkirche.

Wie der Name verrät, war Klein Helle - heute zählt es 175 Einwohner - schon immer winzig. Dennoch besitzt es eine lange Geschichte: 1359 wird Lütteken Helle als Lehen der Vasallen der mecklenburgischen Herzöge erwähnt. Im 17. Jahrhundert wurde dem Adelsgeschlecht von Voss das gesamte Dorf zugesprochen. Damals umfasste es sechzehn Höfe, die im Dreißigjährigen Krieg untergingen. Erst hundert Jahre später erreichte Klein Helle eine neue Blüte. Auf Geheiß des Gutsherrn von Voss, der hier ein Herrenhaus mit einem englischen Landschaftspark schuf, erhielt der Ort 1751 zunächst den hölzernen Glockenturm mit einem Turmhelm aus Schiefer. 30 Jahre später ließ der neue Gutsherr aus der Familie von Schuckmann die heutige Kirche errichten: einen rechteckigen Bau mit flacher Holzdecke, der auf einem Sockel aus bunt gemischten Feldsteinen ruht. Dieser bereitet nun große Probleme und gefährdet die Standsicherheit des Gebäudes. Denn das Fundament ist aufgeweicht und abgesackt. Da der Sockel, dessen Fugen verwittert sind und herausfallen, wegen des unebenen Untergrunds ausbrach, ist großer Schaden entstanden. Das komplette Bauwerk hat sich stark verformt, die Schubkräfte des Dachs und das von unten faulende Fachwerk verstärken diese Entwicklung.

Ein wunderschönes Stück ist der Altarschrein. Er zeigt ein vielschichtiges Bildprogramm: die Muttergottes begleitet von König David und Moses (links und rechts oben), musizierenden Engeln und vermutlich dem Stifter des Altars (unten rechts), die Bedeutung der beiden Figuren unten links ist bisher unklar.  
Klein-Helle, Dorfkirche © Bettina Strauß, Gielow
Ein wunderschönes Stück ist der Altarschrein. Er zeigt ein vielschichtiges Bildprogramm: die Muttergottes begleitet von König David und Moses (links und rechts oben), musizierenden Engeln und vermutlich dem Stifter des Altars (unten rechts), die Bedeutung der beiden Figuren unten links ist bisher unklar.

Burkhard Erdmann, Baubeauftragter des mecklenburgischen Kirchenkreises Stargard, erklärt uns die gerade begonnenen Baumaßnahmen. Zunächst wurde das Fundament unterbetoniert und danach eine Rollschicht aus Backstein zwischen Sockel und Fachwerk eingebracht. Nun sollen die komplett aus Fachwerk und Ziegelstein bestehende Hülle des Gebäudes instand gesetzt, der Dachstuhl ausgebessert und die Dachdeckung erneuert werden. Dabei will man so viel originale Substanz wie möglich erhalten. Es ergab sich sogar ein aufschlussreicher Fund: Zapfenlöcher an Wand und Decke deuten darauf hin, dass sich an der Südostseite eine Patronatsempore befand. Eine völlig neue Erkenntnis, denn alle überlieferten Aufzeichnungen schweigen darüber. Burkhard Erdmann ist froh, den Bewohnern von Klein Helle jetzt ein wenig Perspektive zu bieten. "Leider können wir derzeit nur dafür sorgen, dass das Gebäude sicher steht. Für eine Gesamtsanierung fehlt das Geld, denn wir haben einfach zu viele notleidende Gotteshäuser in unserem Kirchenkreis zu betreuen", bedauert er. "An eine Restaurierung des wertvollen mittelalterlichen Altars und der barocken Kanzel ist überhaupt noch nicht zu denken."

Trotzdem haben die Dorfbewohner die Hoffnung nicht verloren, dass der Altarschrein aus dem 15. Jahrhundert, der eine Mondsichelmadonna im Strahlenkranz zeigt, die zur Himmelskönigin gekrönt wird, und die mit Evangelistendarstellungen bemalte Kanzel aus dem 17. Jahrhundert bald wieder gereinigt und aufgearbeitet in ihr Gotteshaus einziehen können. Dafür muss aber das Innere des Gebäudes wieder so weit hergestellt sein, dass die Kunstwerke keinen Schaden nehmen.

Gerd Möller, der in den 1970er Jahren aus Rostock nach Klein Helle zog, will jeden Einwohner, egal, ob getauft oder nicht, anschreiben und um Spenden für das Kirchlein bitten. Er ist sich sehr sicher, dass viele, selbst wenn sie nur wenig haben, etwas geben werden.

Sieben Jahre lang verhinderten Stahlstützen, dass die Fachwerk-Wand einstürzte und dabei die Kanzel mitriss.  
Klein-Helle, Dorfkirche © Bettina Strauß, Gielow
Sieben Jahre lang verhinderten Stahlstützen, dass die Fachwerk-Wand einstürzte und dabei die Kanzel mitriss.

Ein Landwirt, dessen Acker an das Kirchengrundstück grenzt, erlaubt sogar den Baufahrzeugen, über sein Feld zu fahren, damit sie die Kirche erreichen können. Das Engagement ist groß im Ort, wo die Gottesdienste regelmäßig besucht werden. "Für uns ist die Kirche nicht nur ein Raum des Gebets, sondern auch der einzige Platz, an dem die Dorfbevölkerung zusammenkommen, sich zu kulturellen Veranstaltungen oder Feierlichkeiten einfinden kann, denn wir haben kein eigenes Gemeindehaus", sagt Gerd Möller, der neben der Kirche wohnt. Er sieht es daher als seine Verantwortung, sie für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. So ist es ihm ein Anliegen, vor allem Kinder und Jugendliche in seine Gemeindearbeit mit einzubeziehen. Mit Britta Carstensen, die seit Juli Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinden Mölln und Breesen ist, haben die Menschen ihre Wunschkandidatin erhalten. Die Theologin hat die Evangelische Studierendengemeinde an der Hochschule Neubrandenburg aufgebaut, wo sie auch seelsorgerisch tätig war. Während einer Vakanzvertretung hat sie sich, wie sie selbst sagt, in die Kirchengemeinden Mölln und Breesen verliebt. Denn unter den Mitgliedern gäbe es eine große Bereitschaft, sich einzubringen und neue Wege zu gehen.

Für Orte wie Klein Helle sind die oft bescheidenen Kirchlein von unschätzbarem Wert. Nicht nur aufgrund ihrer kulturhistorischen Bedeutung, sondern auch wegen ihres Symbolcharakters. Als die meist letzten öffentlichen Gebäude - weil es keine Schulen oder Geschäfte mehr gibt - sind sie für die Menschen untrügliche Zeichen eines lebendigen Dorfs.

Zur Restaurierung waren die Ziegel bereits aus den Gefachen herausgenommen. 
Klein-Helle, Dorfkirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Zur Restaurierung waren die Ziegel bereits aus den Gefachen herausgenommen.

Klein Helle ist ein idyllischer Flecken. Malerische Ziegelsteinhäuser mit gepflegten Gärten säumen die Hauptstraße und geben ihr einen einheitlichen Charakter. Nach mehreren Gutsbesitzerwechseln ließ Carl Schwanitz sie ab 1902 als Wohnungen für seine Landarbeiter erbauen. Auf den Berliner Gummifabrikanten und Pferdeliebhaber geht das heutige Aussehen des Gutsdorfes zurück. Er errichtete auch ein neues Herrenhaus mit flankierenden Wirtschaftsgebäuden aus rotem und gelbem Backstein. Selbst Reste einer Pferderennbahn sind erhalten, zählte Klein Helle doch damals zu den bedeutendsten Trabergestüten des Landes. Noch immer bietet sich dem Besucher ein überwältigender Anblick auf die Anlage, wenn er den Ort erreicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das Gut eine Schule, später ein Kinderheim. Viele Einwohner der heutigen Großgemeinde Mölln fanden hier Arbeit. Auch Gerd Möller zog aus diesem Grund mit seiner Frau, einer studierten Pädagogin, nach Klein Helle. Die Schließung des Kinderheims 2003 war für die Menschen ein Einschnitt, und umso schmerzlicher muss es für sie sein, zu sehen, wie das Herrenhaus und Teile der Wirtschaftsgebäude jetzt verfallen, der Landschaftspark zuwuchert. Bisher hat sich leider niemand gefunden, der bereit ist, das beeindruckende Ensemble zu sanieren. Darum richtet sich ihr Fokus noch stärker auf die Dorfkirche, das zweite Bauwerk des Ortes, das Gemeinschaft und Identität stiftet. So sieht es auch Pastorin Britta Carstensen: "Die Erhaltung der Dorfkirchen ist für die Menschen, die die historischen Gebäude ihrer Umgebung - und damit ihre Vergangenheit und ihre Zukunft - verfallen sehen, wie ein Stützkorsett."

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz freut sich, zusammen mit der Stiftung KiBa zu helfen, dass die Dorfkirche von Klein Helle bald wieder auf festem Boden stehen kann. Darüber hinaus muss jedoch noch viel getan werden, und unsere Stiftung möchte die Restaurierung gerne weiter unterstützen.

Innigster Wunsch der Einwohner von Klein Helle ist es, den Weihnachtsgottesdienst in ihrer wiederhergestellten Kirche und ohne Gerüste feiern zu können. Damit sich dies erfüllen möge, bitten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, sehr herzlich um Ihre Hilfe!

Julia Ricker

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1 Kommentare

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    Peter Hanich schrieb am 21.03.2016 15:03 Uhr

    Herrlich, dass man versucht diese kleine Dorfkirche zu retten. Ich kenne sie aus Kindertagen, da wir drei Jungens mit meiner Mutter während des Krieges von 1942 bis 1946 bei meiner Großmutter Bertha Maass evakuiert waren.
    Mir sind noch einige Namen von damals geläufig, wie Biernat, Seedorf, Wegener, Baumann als Gutsinspektor, Deters als Lehrerin. Gruß Peter Hanich.

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