Kleine und große Kirchen Restaurierungstechniken Juni 2011

Theologische Hinweise zu Umnutzungen

Leben ist Wandel

Alles Leben ist Wandel. Aus der Sicht des katholischen Theologen ist dem, was Gottfried Kiesow schon vor einem Jahrzehnt auf einer Tagung zu "Kirchenbau zwischen Aufbruch und Abbruch" im Bistum Münster ausführte, voll und ganz zuzustimmen: "Die Kirchenbauten waren von Anbeginn in gleicher Weise einem bis heute währenden Wandel unterworfen wie die Auslegung der Heiligen Schrift und besonders die Liturgie, die am stärksten Einfluss auf die Gestaltung der sakralen Innenräume hatte."(1)

Maßstäbe für neue Kirchenarchitektur setzte die Dominikus Böhm mit der kreisrunden Kirche St. Engelbert in Köln-Riehl, die 1930-32 entstand.  
Köln, St. Engelbert © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Maßstäbe für neue Kirchenarchitektur setzte die Dominikus Böhm mit der kreisrunden Kirche St. Engelbert in Köln-Riehl, die 1930-32 entstand.

In der Tat, da Glaubens- und Liturgieverständnis einander entsprechen, weil die Liturgie die Feier des Glaubens ist, wurde der Kirchenraum den im Laufe der Geschichte jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen im Glaubens- und Liturgieverständnis angepasst. Lange bevor Kirchen gebaut wurden, gab es die Kirche. Die Kirche als Volk Gottes konnte zwei Jahrhunderte lang leben und wirken, ohne über eigentliche Kultstätten zu verfügen. Worauf die Christen allerdings nicht verzichten konnten und können, das ist die Versammlung als solche: um das Wort Gottes zu hören, darauf gemeinsam betend zu antworten und die Gedächtnisfeiern des Christus-Mysteriums zu begehen.(2) 


Von daher ist zu verstehen, dass die Christen für ihre Versammlungen, in deren Mitte kein Opferaltar, sondern der Tisch für das gemeinsame Herrenmahl steht, zunächst dafür das profanste Bauwerk der Antike wählten, die Basilika.Schon seit dem Frühmittelalter wird das Kirchengebäude als Tempel verstanden, betrachtet sich die Kirche als das neue Israel und überträgt den alttestamentlichen Kult mit seinem Opferpriestertum auf die Herrenmahlfeier. Auf diese Entwicklung des Liturgie- und Kirchenverständnisses verweist noch im 20. Jahrhundert die sogenannte Wegekirche mit einem Raum für den handelnden Klerus und einem für die nicht als liturgiefähig erachtete Gemeinde. Es war das Zweite Vatikanische Konzil, das vor bald fünf Jahrzehnten das ursprüngliche Verständnis des Kirchenraums wieder in Erinnerung rief und damit den Volks-Gottes-Gedanken in den Mittelpunkt stellte.

Seit den 1980er-Jahren werden in der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin Skulpturen des 19. Jahrhunderts ausgestellt. 
Berlin, Friedrichswerdersche Kirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Seit den 1980er-Jahren werden in der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin Skulpturen des 19. Jahrhunderts ausgestellt.

Matthias Ludwig schrieb vor zehn Jahren, dass bei Umnutzungen von Kirchengebäuden "katholische Gemeinden auf den ersten Blick die Schwierigkeit haben, über Räume nachdenken zu müssen, die nach ihrem Verständnis und auch nach kanonischem Recht als heilig gelten" und sich daher "alle Nutzungen, die mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar sind," ausschließen.(3) Das dürfte zwar auch heute noch auf nicht wenige Katholiken und selbst Bischöfe zutreffen, ist aber theologisch differenzierter zu sehen. Im Deutschen heißt es noch immer "Kirchweihe", doch entspricht das nicht exakt dem theologisch korrekten Begriff Dedicatio, der eher eine feierliche Inbesitznahme meint, auf jeden Fall keine Consecratio, mit der eine Heiligung verbunden ist, die sich faktisch auf Personen bezieht. Gott allein ist heilig, und die Getauften sind die von ihm Geheiligten, die in einem Raum die heilige Handlung, die Liturgie, begehen.

Der Bau ist dem liturgischen Buch zur Kirchweihe über Sinn und Würde des Kirchenraumes(4) zufolge nur, aber eben auch "in besonderer Weise Zeichen der auf Erden pilgernden Kirche". Nicht der Bau, sondern "das heilige Volk ist die Kirche, der aus lebendigen Steinen erbaute Tempel, in dem der Vater im Geist und in der Wahrheit angebetet wird". Abgeleitet davon wird "das Gebäude, in dem sich die christliche Gemeinde versammelt, um das Wort Gottes zu hören, gemeinsam zu beten, die Eucharistie und die anderen Sakramente zu feiern, mit Recht seit alters auch 'Kirche' genannt". Nicht von Sakralität ist hier die Rede, sondern davon, dass "der Kirchenbau, seiner Aufgabe entsprechend, für die heiligen Feiern geeignet und würdig sein" soll. Auch das Weihegebet als Lobpreis und Anrufung Gottes sieht die Heiligkeit des Raumes in dem gegeben, was hier geschehen soll: "Hier erklinge der freudige Lobgesang (...) und das Gebet für das Heil der Welt steige allezeit empor vor dein Angesicht. Hier mögen die Armen Barmherzigkeit finden, die Bedrückten die Freiheit und jeder Mensch die Würde deiner Kindschaft."(5) Das kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass der Kirchenraum nicht nur gottesdienstlichen Belangen dienen soll, sondern auch für die Diakonie der Gemeinde an der säkularen Gesellschaft zur Verfügung stehen kann.

Damit wird deutlich, dass die katholische Kirchweihe keine eigene Sakralität des Raumes begründet. Unter Gebet und Zeichen wird bekundet, dass dieser Raum - so das Weihegebet - auf das "Geheimnis der Kirche" hinweist: "Sie ist dein Zelt unter den Menschen, der heilige Tempel, erbaut aus lebendigen Steinen, gegründet auf das Fundament der Apostel; der Eckstein ist Jesus Christus."(6)

1981 vor dem Abriss gerettet, nutzt der Trägerverein die Immanuelskirche in Wuppertal, ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, heute kulturell. 
Wuppertal, Immanuelskirche © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
1981 vor dem Abriss gerettet, nutzt der Trägerverein die Immanuelskirche in Wuppertal, ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, heute kulturell.

Auch wenn das Kirchenrecht theologisch weniger korrekt von loca sacra spricht als Orten, "die für den Gottesdienst oder das Begräbnis der Gläubigen bestimmt sind",(7) so wird dies doch durch eine weitere Definition relativiert: "Heilige Orte verlieren ihre Weihung oder Segnung, wenn sie zu einem großen Teil zerstört oder profanem Brauch für dauernd durch Dekret des zuständigen Ordinarius oder tatsächlich zugeführt sind."(8) Gerade angesichts einer höchst feierlichen Weiheliturgie ist diese lediglich per Dekret ausgesprochene, doch durchaus der Theologie des Raumes gemäße Profanierung für katholische Gemeinden nicht leicht zu verkraften.

Weil auch christliches Leben Wandel ist und "der Kirchenraum als Lebensraum"(9) der christlichen Gemeinde verstanden werden muss, fand eine Aufgabe von Kirchengebäuden für die gottesdienstliche Nutzung durch alle Zeiten hindurch statt. Als der Arabersturm im 7. Jahrhundert über Nord-Syrien hinwegfegte, blieben bald nur noch die gut erhaltenen Kirchenruinen in den sogenannten Toten Städten zurück. Aber nicht nur Krieg, sondern auch Reformation und Säkularisation führten zur Aufgabe von Kirchen und Klöstern, die dann gar als Steinbruch dienten. Veränderungen im gesellschaftlichen Raum wie auch im Glaubensleben führten zum Abriss von Kirchen, gedacht sei nur an den Hamburger Mariendom im 19. Jahrhundert oder daran, dass in Köln nach 1803 - so der Kölner Diözesanbaumeister Josef Rüenauver - "von den damals mehr als 160 größeren und kleineren Kirchen innerhalb des Ringes der mittelalterlichen Stadtmauer heute nur noch weniger als ein Viertel existieren. Hinter dieser dramatischen Entwicklung verbergen sich Ursachen, die mit der heutigen Situation durchaus vergleichbar sind."(10) Gottfried Kiesow nach "lehrt uns ein Blick in die Geschichte, dass weniger äußere Ursachen, wie Kriege, politische Umwälzungen und wirtschaftliche Notzeiten, die Quelle gravierender Verluste im christlichen Kirchenbau waren, sondern eine innere Verarmung an Glaubenskraft und Traditionsbewusstsein."(11)

Nachdem sie kurzzeitig geschlossen wurde, wird St. Anna in Duisburg, ein Werk des Architekten Rudolf Schwarz, wieder für sporadische Gottesdienste und Konzerte genutzt. 
Duisburg, St. Anna © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Nachdem sie kurzzeitig geschlossen wurde, wird St. Anna in Duisburg, ein Werk des Architekten Rudolf Schwarz, wieder für sporadische Gottesdienste und Konzerte genutzt.

Dass Kirchen in der Vergangenheit vielfach anders als nur gottesdienstlich genutzt wurden, darauf machte jüngst Wolfgang Pehnt in der "Süddeutschen Zeitung" aufmerksam. So weise der 1748 von Giovanni Battista Nolli gestochene Stadtplan von Rom die sakralen Gebäude als Räume der Öffentlichkeit aus: "Die eingedeckten Kirchensäle wurden gleichbehandelt mit den Freiräumen unter offenem Himmel und bildeten mit ihnen ein unwahrscheinlich fein gewobenes Netz öffentlicher Stadträume (...). Auch in Zeiten ihrer unangetasteten sakralen Nutzung waren Kirchen öffentliche Orte (...). Es waren Schauplätze von Rechtshandlungen (...). In der Lübecker Marienkirche wird eine Kapelle Briefkapelle genannt, weil in ihr Notare Urkunden verbrieften. In Freiburg wurden im Chor des Münsters - also nicht einmal im Laienbereich - Eigentumssachen verhandelt und Versteigerungen nach Schuldfällen verkündet."(14) In St. Nicolai in Stralsund hielt "der Rat Sitzungen ab, hier empfing er fremde Gesandte, hier versammelte er die Bürgerschaft," um Gesetze und Urteile zu verkünden.(15)

Auch wenn mit Blick auf die Geschichte zu konstatieren ist, dass Säkularisierungen kirchlicher Räume keine Neuigkeit sind(16) - "die Aufgabe eines Kirchenraums und der völlige Umbau zwecks Umwidmung ist ein Rückzugszeichen"(17) aus dem öffentlichen Raum. Die Gründe dafür, dass heute auch viele katholische Kirchen aufgegeben werden, hat Rainer Fisch in seiner kritischen Bestandsaufnahme "Umnutzung von Kirchengebäuden in Deutschland" dargestellt.(18) Das Deutsche Liturgische Institut in Trier stellte aufgrund einer Umfrage von Ende 2005 fest, "nahezu 99 Prozent der 24.500 katholischen Kirchen werden für Gottesdienste genutzt". Dabei gingen "die Einschätzungen dahin, dass in ganz Deutschland etwa 700 Kirchengebäude, also weniger als drei Prozent, in den nächsten 10 Jahren von einer Umnutzung betroffen sein könnten".(19) Das mag so sein, doch werden im erst 1958 gegründeten Bistum Essen von etwas über 300 Kirchen zumindest 96 geschlossen, also fast ein Drittel. Dort sind seit der Gründung 119 Kirchen neu errichtet worden, wobei sich die (inzwischen überflüssige) Frage stellt, ob das nicht aus damaliger Sicht schon zu viele waren.

St. Anna in Köln-Ehrenfeld wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Architekturbüro Böhm in neuen Formen wiederaufgebaut. 
Köln-Ehrenfeld, St. Anna © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
St. Anna in Köln-Ehrenfeld wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Architekturbüro Böhm in neuen Formen wiederaufgebaut.

Es ist allerdings höchst bedenklich, dass von den nicht mehr liturgisch genutzten Essener Kirchen drei Viertel nach dem letzten Weltkrieg entstanden sind, darunter Meisterwerke der modernen Kirchenbauarchitektur u.a. von Dominikus und Gottfried Böhm. Dabei handelt es sich "nicht nur aus architektonischer Perspektive um zu bewahrende Schätze, sondern auch aus liturgietheologischer Sicht gilt diesen Kirchen eine besondere Wertschätzung. Häufig wurden sie errichtet aus dem Geist der liturgischen Erneuerung. Sie ermöglichen, dass sich die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde als wirkliche Communio, als eine Gemeinschaft, erfährt".(20) Mit dem Verlust solcher Räume geht auch deren Vorbildfunktion für die überkommenen Wegekirchen verloren. Dass sich Räume nur dann erhalten lassen, wenn sie genutzt werden, ist uns selbstverständlich. So ist "die Porta Nigra als größte römische Toranlage nur deshalb erhalten, weil sie mehr als 800 Jahre als Doppelkirchenanlage diente, mit romanischen und dann gezwiebelten Barocktürmen, dem später heilig gesprochenen Simeon Eremitage war und dem Erzbischof Poppo von Badenberg zur Grabkirche wurde."(21) Viele Kirchen überstanden die napoleonische Ära als Pferdeställe, Magazine oder Kasernen. Auch im Kölner Dom, in Revolutionszeiten ein Fouragemagazin, standen Napoleons Pferde.

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