Kleine und große Kirchen Nach 1945 Juni 2011

Die Bochumer Epiphaniaskirche liegt direkt am Ruhrschnellweg

Komm zur Ruhe

Auf der A 40 geht mal wieder nichts mehr. Dort im Stau zu stehen, gehört zum normalen Alltag der Ruhrgebietler. Doch an diesem Sonntag im Juli 2010 ist alles anders: Nicht mürrische Gesichter in Autos, die sich Stoßstange an Stoßstange reihen, sondern entspannte Menschen, die neben ihren Fahrrädern geduldig warten oder auf Inlinern kleine Pirouetten drehen. Es scheint, als hätten sie den Spruch "Ich komm' zur Ruhe" verinnerlicht, der in großen Lettern an der Autobahnbrücke in Bochum-Hamme zur Gelassenheit mahnt und auf die direkt neben der Autobahn liegenden Epiphaniaskirche hinweist.

Die A 40 war während der Veranstaltung „Still-Leben Ruhrschnellweg“ für den Autoverkehr gesperrt. Im Hintergrund die Epiphaniaskirche 
Bochum, Ruhrschnellweg © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die A 40 war während der Veranstaltung „Still-Leben Ruhrschnellweg“ für den Autoverkehr gesperrt. Im Hintergrund die Epiphaniaskirche

Drei Millionen Menschen kamen zum Projekt der Kulturhauptstadt RUHR.2010 "Still-Leben Ruhrschnellweg" auf die A 40, die am 18. Juli für den Verkehr gesperrt war. Die Fahrspuren von Duisburg in Richtung Dortmund durften von Radfahrern und Inlineskatern benutzt werden, auf der Gegenfahrbahn waren 120.000 Tische aufgebaut, die Privatleute, Vereine, Firmen und andere Organisationen für den Tag mieten konnten, um dort Alltagskultur zu präsentieren. Zehn Stück hatte sich die Epiphaniasgemeinde, die zur Gemeinschaft der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) gehört, reservieren lassen. Es gab einen Rap zum Mitmachen für Kinder und Jugendliche und Musik von Posaunenchören aus dem evangelischen Kirchenkreis Bochum sowie der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Westfalen. Diese hatten bereits den Gottesdienst in der Epiphaniaskirche am Morgen musikalisch begleitet. Er stand unter dem Motto "Möge uns die Straße zusammenführen" und nahm Bezug auf den Titel eines irischen Segensliedes, dessen vier Strophen von der Gemeinde nach der Predigt von Pfarrer Karl-Heinz Gehrt gesungen wurden.

Viele Menschen waren am 18. Juli zum Gottesdienst in die Epiphaniaskirche gekommen. 
Bochum, Epiphaniaskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Viele Menschen waren am 18. Juli zum Gottesdienst in die Epiphaniaskirche gekommen.

Als die Erlöserkirche, die erst seit 1950 den Namen Epiphanias trägt, 1929-30 im Stil des Neuen Bauens errichtet wurde, war der Ruhrschnellweg noch ein bescheidenes Sträßchen. Sie ist eine der wenigen noch erhaltenen Kirchen im Ruhrgebiet aus dieser Zeit. Ihr Äußeres nimmt Bezug auf die Architektur von Industriegebäuden. Gäbe es nicht das Kreuz auf dem Kirchturm, könnte man diesen bei einem flüchtigen Blick als Schornstein interpretieren.

Der Innenraum der Epiphaniaskirche ist im Gegensatz zu der düsteren braunroten Backsteinfassade hell und lichtdurchflutet. Das beeindruckende Kruzifix "Der universale Christus" kam 1956 in die Kirche, die Schuke-Orgel im Jahr 2004.

Dieses Kreuz wurde aus den geschmolzenen Resten Wuppertaler Kirchenglocken geschaffen. Bei dem Sockel soll es sich um den Zünder der Bombe handeln, die 1945 das Pfarrhaus der Gemeinde traf. 
Bochum, Epiphaniaskirche © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Dieses Kreuz wurde aus den geschmolzenen Resten Wuppertaler Kirchenglocken geschaffen. Bei dem Sockel soll es sich um den Zünder der Bombe handeln, die 1945 das Pfarrhaus der Gemeinde traf.

Bei einem Bombenangriff auf Bochum war das Kirchengebäude am 19. Februar 1945 schwer getroffen worden. Die drei Glocken, 1929 in der Gießerei des Bochumer Vereins hergestellt, blieben dabei wie durch ein Wunder erhalten. Nach dem Krieg beseitigte man die Schäden, griff aber in die Architektursprache des Neuen Bauens ein. So veränderte man die ursprünglichen Türgliederungen und schloss den Bereich unterhalb der Rosette mit Glasbausteinen. Zur Zeit werden Bauschäden beseitigt, aber auch einige der in den 1950er Jahren veränderten Elemente rückgebaut. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligte sich 2010 an den Arbeiten mit 10.000 Euro und möchte die gleiche Summe auch in diesem Jahr bereitstellen.

In den frühen Morgenstunden des 19. Juli wurde die Sperrung der A 40 aufgehoben. Seither schieben sich wieder jeden Tag über 100.000 Fahrzeuge auf dem Ruhrschnellweg an der Kirche vorbei. Ihre Nähe zu dieser Herzschlagader des Reviers hat aber auch ein Gutes: Seit dem 30. Mai 2010 gehört Epiphanias zum Netz der Autobahnkirchen in Deutschland.

Die erste Autobahnkirche wurde am 19. Oktober 1958 an der A 8 in der Nähe der Anschlussstelle Adelsried eingeweiht. Das Land, auf dem sie steht, und den Rohbau hatten Augsburger Papierfabrikanten nach einem Verkehrsunfall gestiftet, bei dem ein Familienmitglied ums Leben gekommen war. Dort sollte, so ihr Wunsch, zum Schutz der Reisenden gebetet werden.

Mittlerweile gibt es 38 Autobahnkirchen auf deutschen Raststätten, Autohöfen oder - wie auch im Fall von Epiphanias in Bochum - in unmittelbarer Nähe einer Abfahrt. Eine Million Menschen besuchen diese Kirchen jedes Jahr. Sie schätzen sie als "Raststätten für die Seele", die zum Innehalten einladen.

Carola Nathan

Die Epiphaniaskirche liegt an der Autobahnabfahrt Bochum-Hamme und ist täglich von 8 bis 20 Uhr geöffnet.

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