Handel Verkehr April 2011 V
Die beiden Märkte zu Ostern und am Sonntag nach Michaelis platzten aus allen Nähten. Daher gestattete der sächsische Kurfürst Friedrich II. den Leipziger Kaufleuten 1458, künftig ihre Waren außerdem ab Neujahr bis zum Dreikönigstag anzubieten. Die aufstrebende Messestadt konnte einen dritten Markt gut verkraften. Sie lag an der via regia, einem der wichtigsten Handelswege jener Zeit, der Europa in ostwestlicher Richtung verband und im Wesentlichen von Breslau nach Frankfurt am Main führte. Die 3. Sächsische Landesausstellung widmet sich in diesem Jahr der Geschichte des Weges und den Menschen, die sich dort begegneten.
Anders als bei der Via Appia in Italien, die in einigen Abschnitten ihr altes Pflaster bewahrt hat, ist von der historischen Wegeführung der via regia nichts mehr zu sehen. Archäologische Befunde belegen aber, wie sie verlief und dass man dort bereits im 9. vorchristlichen Jahrhundert unterwegs war. Als sie 1252 das erste Mal in einer Urkunde erwähnt wurde, handelte es sich immer noch um einen unbefestigten Naturweg. Er sollte, hieß es im mittelalterlichen Gesetzbuch Sachsenspiegel, so breit sein, dass sich zwei Wagen bequem begegnen können. Je nach Witterung ging, ritt oder fuhr man auf Parallelpfaden in den Tälern oder auf den Bergkämmen.
Die via regia hieß daher auch noch bis ins 20. Jahrhundert Hohe Straße. Im Sachsenspiegel wird der Weg "koniges strate" genannt. Er stand unter dem Schutz des jeweiligen Landesherrn, der ihn auch für seine Truppen nutzte. Vermutlich sind bereits fränkische Soldaten bei ihren Feldzügen nach Thüringen im Jahr 531 die via regia entlang gezogen. Sachsens Kurfürst August der Starke nahm den Weg ebenfalls, als er 1697 in Krakau zum polnischen König gekrönt werden sollte. Er war - wie sich dann herausstellte grundlos - unsicher, ob die Senatoren ihm die polnischen Krönungsinsignien übergeben würden. Daher führte er eine extra für diesen Zweck angefertigte, in ein Lederfutteral gebettete Krone mit sich.
An wichtigen Knotenpunkten mit Straßen, die von Süden nach Norden verliefen, entwickelten sich im Mittelalter Orte des Handels. In Leipzig kreuzten sich via regia und via imperii, die die Stadt mit Nürnberg verband. Aus dieser Freien Reichsstadt siedelten von 1470 bis 1650 mehr als 90 Kaufleute mit ihren Familien nach Leipzig über. Sie hatten erkannt, welchen Aufschwung die Messestadt nehmen würde und wollten daran teilhaben.
Einer von ihnen war Heinrich Scherl (1475-1548), der 1507 für sechs Gulden das Leipziger Bürgerrecht erwarb. Die damit verbundene Auflage, binnen eines Jahres "eigen Feuer und Rauch zu halten", erfüllte er durch den Kauf eines Hauses in der Katharinenstraße. Der Vorbesitzer hieß Martin Leubel, stammte ebenfalls aus Nürnberg und lebte seit 1484 in Leipzig. Er unterstützte den Neubürger in den Anfangsjahren sehr, denn seine und Scherls Ehefrauen waren Schwestern. Doch auch ohne familiäre Bindungen funktionierten die Netzwerke der zugezogenen Kaufleute untereinander.
Heinrich Scherl trat am 3. April 1508 in die Kramerinnung ein. Nun konnte er mit Spezereien, also mit Gewürzen und Lebensmitteln aller Art handeln. Er kaufte seine Ware vor allem in seiner früheren fränkischen Heimat und verkaufte sie bis nach Breslau, wohin er sie über die via regia transportierte oder bringen ließ. Von dort importierte er Wachs, Pelze und Salz. Man traf ihn auch bei den Messen in Frankfurt am Main. Durch den Fernhandel mit Seide und Silber, eine geschickte Vermarktung seiner Immobilien, die Vergabe von Krediten und durch Investitionen in den sächsischen Bergbau kam er zu einem beträchtlichen Vermögen.
1537 galt er als reichster Bürger Leipzigs. Er bekleidete zahlreiche Ehrenämter, war mehrfach Baumeister und Stadtrichter, Funktionen, die zusammen mit dem Bürgermeisteramt zu den einflussreichsten unter den drei Stadträten gehörten. Vermutlich hat er auch eine Bittschrift aus dem Jahr 1524 unterstützt, in der namhafte Bürger um Predigten des Lutheranhängers Andreas Bodenschatz in der Stadtkirche St. Nikolai nachsuchten. Der Kaufmann war Anhänger der Reformation, stiftete jährlich 25 Taler für den Posten des ersten lutherischen Pastors von St. Nikolai, Johann Pfeffinger, und hatte Martin Luther zu Gast.
Mit einem wichtigen Rohstoff handelte Heinrich Scherl allerdings nicht: mit Färberwaid, das über Jahrhunderte die Wirtschaft Thüringens, Schlesiens und der Oberlausitz prägte. Die Kreuzblütengewächse wurden in den fruchtbaren Gebieten zwischen Erfurt, Langensalza, Gotha, Arnstadt und Weimar angebaut. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unterhielten rund 300 Dörfer Waidäcker.
Weideflächen für das Vieh waren daher kaum noch vorhanden, so dass auf der via regia Tausende Ochsen aus Polen, Ungarn, Russland und der Walachai nach Thüringen getrieben wurden. In Buttstädt befand sich damals der größte Viehmarkt der Region.
Um die Ernte eines Waidackers bewältigen zu können, waren zehn Arbeitskräfte pro Tag nötig. Aus den Blättern der krautigen Waidpflanze wurden anschließend Ballen geformt und in den Städten, die ein entsprechendes Privileg besaßen, verkauft. In Erfurt entwickelte sich der größte Markt für das Produkt. Er befand sich vor allem auf dem nördlichen Teil des Angers.
Von Trinitatis, dem ersten Sonntag nach Pfingsten, bis Michaelis, dem 29. September, wurde an den Werktagen mit Waid gehandelt. Bis zu 300 hochbeladene Pferdefuhrwerke sollen die Waren täglich dorthin gebracht haben. Stattliche Bürgerhäuser, die sich die Waidhändler und Tuchmacher in Erfurt bauen ließen, zeugen noch heute vom Wohlstand ihrer Besitzer. Und die Färberzunft stiftete 1420 für die Barfüßerkirche den sogenannten Färberaltar.
Der Farbstoff wurde erst durch das Mahlen der Waidblätter und einen anschließenden Fermentationsprozess freigesetzt. Je nach Konzentration des daraus entstehenden Pulvers in der Färberbrühe, der Küpe, konnte man neben der blauen auch andere Farben gewinnen. Waid entwickelte sich daher zu einem universellen Färbemittel.
Doch dann entdeckte Vasco da Gama 1498 den Seeweg nach Indien. Die dort vorkommende Indigofera-Pflanze, die die dreißigfache Farbstoffmenge liefert, konnte nun preiswert nach Europa transportiert werden. Der hiesige Handel mit Waid brach zusammen. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges waren in Thüringen kaum mehr 30 Orte nachzuweisen, in denen Waid angebaut wurde. Das endgültige Aus kam 1870, als dem deutschen Chemiker Adolf Baeyer ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Indigo gelang.
Aber nun zurück in die Zeit, als Thüringer Waid eine gefragte Ware war. Von den Städten an der via regia, die vom Waidhandel profitierten, sticht eine ganz besonders heraus: Görlitz. Der Verlauf der via regia lässt sich bis heute sehr gut im Stadtbild ablesen. Daher findet die Sächsische Landesausstellung hier statt.
Görlitz erhielt 1339 das Stapelrecht für Waid und schloss sich sieben Jahre später mit Bautzen, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau zum Oberlausitzer Städtebund - einem Handels- und Schutzbündnis ähnlich der Hanse - zusammen. Es war vorgeschrieben, dass Waidballen vier Wochen lang in der Stadt gelagert und zum Verkauf angeboten werden mussten. Erst danach konnten die Händler die verbliebene Ware weitertransportieren. Einer, der von dieser Regelung profitierte, war der Görlitzer Kaufmann und spätere Bürgermeister Georg Emmerich (1422-1507).
Dass er es einmal zu großem Ansehen bringen würde, hätte allerdings 1464 kaum einer in der Neißestadt für möglich gehalten. Damals hatte er Benigna, die Tochter des Ratsherrn Horschel, geschwängert, aber nicht heiraten wollen. Um einer Exkommunikation zu entgehen, begab er sich auf eine Pilgerreise nach Jerusalem, von wo er ein Jahr später rehabilitiert zurückkehrte. Man nimmt an, dass er in seiner Heimatstadt 1482-1504 das Heilige Grab errichten und einen Kreuzweg anlegen ließ. Durch seine Handelsbeziehungen auf der via regia lernte Georg Emmerich auch seine spätere Frau Barbara aus Breslau kennen.
Doch es waren nicht nur die Kaufleute, die vom Transport ihrer Waren auf der Handelsstraße profitierten. Die Landesherren erhoben Zölle und Geleitgelder. Diejenigen Händler, die versuchten, die Zollstationen zu umfahren und dabei erwischt wurden, mussten hohe Strafen zahlen.
Eine weitere Einnahmequelle war die sogenannte Grundruhr.
Dieses Recht besagte, dass Ware, die den Boden berührte, dem Grundherrn gehörte. Damit es häufiger zu Achsenbrüchen kam, war dieser daher nicht daran interessiert, die Straßenverhältnisse zu verbessern. Das war die Stunde der Wagenmacher, die sich auch auf die Reparatur von Rädern und Achsen verstanden. Sie eröffneten Werkstätten an der via regia. In der Nachbarschaft entstanden Gasthäuser und Herbergen, in denen die reisenden Händler auf die Wiederherstellung ihrer Fuhrwerke warten konnten.
Oft verlief der Handelsweg am Rande der Städte wie im Fall von Bautzen und Kamenz. In Görlitz führte er jedoch mitten durch die Stadt, so dass viele Gasthöfe innerhalb der Mauern nachweisbar sind. Die Gastwirte waren verpflichtet, sie durch Wirtshausschilder zu kennzeichnen. Sie gaben ihnen klangvolle Namen, häufig zusammengesetzt aus einer Farbe und einem Tier. Bis heute hat sich diese Tradition erhalten. In vielen Regionen treffen wir auf einen Goldenen Adler oder ein Weißes Ross.
Seit 1707 gab es in Görlitz eine Gastwirtsordnung, die genau festlegte, was der Gast zu erwarten hatte. Kaufleuten standen demnach vier "gutten" Essen im Wert von sechs Groschen bestehend aus einer Suppe, einem Stück Fleisch oder Fisch und einer Kanne Bier zu. Fuhrleute hatten dagegen nur einen Anspruch auf zwei Essen.
Zu den Aufgaben eines Wirtes zählte zum einen die Versorgung der Gäste, zum anderen mussten sie für Ordnung und Einhaltung der Schankzeiten sorgen. Die Gasthäuser hatten an den Sonn- und Feiertagen während der Gottesdienste geschlossen. Wer abends nach neun Uhr im Winter und nach zehn Uhr im Sommer kein Ende finden konnte, musste eine empfindliche Strafe an den Rat zahlen.
Gastwirte betätigten sich außerdem als Postmeister. Auf der via regia waren viele Kuriere und Boten unterwegs, die Nachrichten beförderten. An der Straße entstanden Botenanstalten, die oft mit Gasthäusern verbunden waren. Seit 1661 gab es in Sachsen eine Postordnung, und zwanzig Jahre später wurde Leipzig Sitz der obersten Postbehörde.
1690 verwaltete sie 25 Poststationen, 1720 waren es bereits 144. Sie lagen im Schnitt zwei bis drei Meilen - rund 18 bis 27 Kilometer - voneinander entfernt. Für einen 16 Gramm schweren Brief, der von Leipzig nach Breslau unterwegs war, musste der Absender zwei Groschen bezahlen, so viel, wie ein Tagelöhner damals verdiente.
Viele Wirte, die in Görlitz ein Gasthaus betrieben, waren Arbeitsmigranten. Friedrich Gabler, der ab 1606 den Braunen Hirschen am Untermarkt führte, kam beispielsweise aus Schlesien, seine Nachfolger aus Bautzen und Hamburg. Auf der via regia waren viele Menschen auf der Suche nach Arbeit unterwegs. Manchen gelang es, an einem Ort sesshaft zu werden und sich eine Existenz zu schaffen. Andere hatten weniger Glück, wurden Bettler oder Wanderarbeiter, die bei der Waidernte oder als Lastenträger bei den Messen gebraucht wurden.
Für sie blieb das rastlose Hin- und Herziehen die einzige Möglichkeit, um zu überleben. Auch eine andere Gruppe bewältigte den Weg eher unfreiwillig: die vielen Glaubensflüchtlinge aus dem katholischen Böhmen, die sich ab etwa 1620 in der überwiegend protestantischen Oberlausitz ansiedelten.
Auf der via regia trafen also nicht nur Menschen vieler Regionen, sondern ebenso verschiedener Glaubensrichtungen aufeinander. Man tauschte Wissen und Erfahrungen aus. Junge Menschen waren wie heute - wenn auch ungleich beschwerlicher - auf dem Weg zu Schulen oder Universitäten. Handwerker und Baumeister gingen auf Wanderschaft, um ihr Können zu vervollkommnen. An vielen Kirchen und Bürgerhäusern lässt sich außerdem die Verbreitung der Renaissance von Krakau und Breslau bis Görlitz gut nachvollziehen. Die via regia war also eine Straße der Bewegung und Begegnung, des Gebens und Nehmens, des Reichtums und der Armut - alles Themen, die bei der Sächsischen Landesausstellung ein Gesicht und einen Namen bekommen.
Carola Nathan
Literatur:
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog in deutscher und polnischer Sprache. ISBN 978-3-942422-34-5. Außerdem gibt es einen Juniorkatalog. ISBN 978-3-942422-41-3. Jeweils 20 Euro.
Menschen unterwegs - Die via regia und ihre Akteure. Essay¬band zur 3. Sächsischen Landesausstellung. Winfried Müller und Swen Steinberg (Hrsg.) im Auftrag der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sandstein-Verlag, Dresden 2011. ISBN 978-3-942422-33-8, 240 S., 20 Euro.
Manfred Straube: "Hab und Güter, die mir der allmächtige Gott gnädiglich bescheret hat …" Das Testament des Leipziger Kaufmanns Heinrich Scherl (1475-1548). Veröffentlichung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, im Auftrag der Stadt Leipzig herausgegeben von Volker Rodekamp. Passage-Verlag, Leipzig 2006. ISBN 978-3-938543-21-4, 136 S., 14,50 Euro.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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